vodkamartini hat geschrieben:Die Winter Wonderland-Trilogie des eiskalten Finnen.
Auf BluRay: The Long Kiss Goodnight / Tödliche Weihnachten
Passt vom Timing ausgezeichnet, da ich jüngst auch des Finnen zweite Zusammenarbeit mit seiner damaligen Angetrauten mal wieder in den Player geworfen habe. Gleichen wir also mal unsere Einschätzungen ab.
vodkamartini hat geschrieben:Dass Renny Harlins filmische Großtaten allesamt im Winter spielen, ist praktisch logisch. Schließlich ist der Mann Finne und die kennen sich aus mit Schnee, Eis und Kälte. Aber auch wenn man für solche Scherze nichts übrig hat, so ist es doch frappierend, dass Harlin weder vor, noch nach seiner fulminanten Action-Symphonie in drei Sätzen Vergleichbares zustande brachte.
Sehe ich nicht ganz so, da für mich zum einen Die Harder eh das qualitativ herausragende Werk in Harlins Oevre ist und zum anderen Cutthroat Island (CI) sich in meinen Augen kaum hinter Cliffhanger und gar nicht hinter TLKG verstecken braucht (auch wenn die höchstbudgetierte Piratenextravaganz leider auch nicht so gut ist, wie sie hätte werden können – was aber für einen Großteil von Harlins Werk gilt). Von daher…
vodkamartini hat geschrieben:
Es kann sich immerhin damit trösten, dass er mit `Die hard 2´, `Cliffhanger´ und `The Long Kiss Goodnight´ für immer seinen Platz im Olymp der größten Actionfilme sicher haben wird.
…teile ich diese Einschätzung nur bedingt, nämlich in Bezug auf Die Harder, während hingegen die beiden anderen genannten Filme (wie auch CI) zu wenig aussergewöhnlich sind, als dass ich sie in höheren Ehren halten würde.
vodkamartini hat geschrieben:
Ja genau, „Tödliche Weihnachten" (hier ist der deutsche Titel zur Abwechslung mal griffiger als der bräsige „ausgedehnte Gutenachtkuss").
Griffiger möglicherweise, aber ich finde der Originaltitel spielt auf verhältnismäßig hintersinnige Art mit dem Thema des Filmes der vergessenen bzw. verdrängten früheren Identität und der Tatsache, dass dies auf recht brutale und gewalttätige Weise zustande kam – ein also recht intensiver Gutenachtkuss.
vodkamartini hat geschrieben:
Vielleicht war die Zeit einfach noch nicht reif für ballernde Schönheiten in Männerfilmen, die noch dazu dem starken Geschlecht gehörig den zensiert bliesen. Von Angelina Jolie, dem mimischen und sehnischen Äquivalent zu Jason Statham, war Mitte der 1990er (zum Glück) noch weit und breit nichts zu sehen. Und Linda Hamilton zählt nicht. Sie ist ganz offensichtlich eher der herbe Typ und außerdem gab Cyborg Arnie klar den Böller-Ton an. Heute dagegen wird selbst das martialische Star Wars-Universum von der holden Weiblichkeit dominiert. Also gebt Geena noch mal eine Chance, sie hat´s verdient.
Ich bin mir da nicht ganz so sicher, ob das kommerzielle Scheitern des Films tatsächlich nur bzw. hauptsächlich an der weiblichen Besetzung der Hauptrolle lag. Anne Parillaud hatte sechs Jahre zuvor in Luc Bessons Nikita eine sehr ähnlich gelagerte Rolle nicht nur superb gespielt, sondern ihren Film auch zu kommerziellen Erfolgen geführt.
Spätestens mit Camerons Aliens und der Ikonisierung von Sigourney Weavers Ripley zu Actiongöttin waren weibliche Protagonisten in Actionfilmen zwar immer noch nicht gang und gebe, zumindest aber hoffähig. Allerdings stimme ich in sofern mit dir überein, da TLKG als typischer „Kerlefilm“ konzipiert ist (Shane Black halt und dann noch in Kombi mit dem alten Macho Harlin) im Gegensatz zu den genannten Nikita und Aliens, die auch auf anderen Ebenen zu funktionieren wissen, und von daher ein Scheitern beim traditionell sehr konservativ eingestellten Stammpublikum des „Kerlefilms“ fast schon vorprogrammiert war.
Ich würde das Scheitern zudem an der fehlenden „Strahlkraft“ von Geena Davis festmachen wollen. Sie ist fraglos eine gute Schauspielerin, aber sie hatte meines Erachtens nie wirkliches Starpotenzial und rutschte eher zufällig in die Rolle als Zugpferd großer Produktionen rein (durch ihre Verbindung mit dem damals als „hot property“ geltenden Harlin). Sowohl CI als auch TLKG hätten genügend Hitpotenzial besessen, aber angesichts der problematischen Hauptrollen-Besetzung (was durchaus im Plural zu verstehen ist) waren sie in der damals so starorientierten Kinolandschaft zum Scheitern verurteilt.
vodkamartini hat geschrieben:
Im Grunde ist `The Long Kiss Goodnight´ ein Prequel zur Bourne-Reihe.
Ich würde eher sagen: im Grunde ist Blacks Drehbuch ein nur wenig verschleierter Ripoff von Ludlums Roman.
vodkamartini hat geschrieben:
Vor allem Samuel L. Jackson zieht sämtliche Register als schmieriger Privatdetektiv Mitch Henessey, der unversehens in ein Agentenkomplott stolpert, das bis in höchste Regierungskreise wabert. Harlins Muse Geena steht ihm da nur wenig nach und mutiert nach partiellem Gedächtnis-Reboot zur arroganten Killer-Schlampe mit hypernervösem Abzugsfinger.
Dieses hemmungslose darstellerische „auf-den-Putz-hauen“ macht für mich dann auch den größten Reiz des Films aus. Jackson geht in seiner Rolle als Maulheld völlig auf und ist trotz seiner over-the-top-Rolle trotzdem eigentlich immer glaubwürdig und man hat nie den Eindruck, dass man es bei seiner Figur mit einer „geschriebenen“ Figur zu tun hat (trotz der vielen unglaublichen bis unglaubwürdigen Dinge, die sie vollbringt bzw. durchmachen muss). Bei Davis, deren Wechselspiel zwischen sanftem Hausmütterchen und schlampiger Killerin durchaus amüsant anzusehen ist, ist dies hingegen selten der Fall, da ich ihr die toughe Killerin nie so ganz abnehme und ihr ultracooles Gehabe immer irgendwie aufgesetzt wirkt (im Gegensatz zum vollkommen selbstverständlich vor sich hinspielenden Jackson).
vodkamartini hat geschrieben:
Natürlich ist dieses ganze Szenario einigermaßen Gaga, aber Harlin hat genau das richtige Gegenmittel um das klapprige Plotgerüst mitsamt seiner primären Prämisse nicht einstürzen zu lassen. Also lässt er Jackson alias Henessey sämtliche Supergirl-Aktionen Samanthas mit wahlweise bissigen, flapsigen, oder sarkastischen Sprüchen kommentieren und nicht selten auch persiflieren.
Und genau das ist für mich die größte Stärke des Films. Über einen Großteil des Films werden gnadenlos coole und witzige Sprüche rausgehauen, dass es nur so kracht. Die Sprüchedichte ist noch höher als in The Last Boyscout und oftmals ähnlich brillant. Es trägt zudem zum Spass enorm bei, dass die Sprüche in den kuriosesten und unwahrscheinlichsten Momenten (zB in höchster Gefahr) rausgehauen werden, was den generellen Comiccharakter des Films unterstreicht. Erst im letzten Drittel wird die Qualität der Sprüche zunehemend schwächer und zuweilen gar nervig, auch weil hier Davis Figur eindeutig das „Sprüchekommando“ übernimmt und es auch hier eher aufgesetzt denn originär cool wirkt. Und manche sind dann halt einfach auch nur schwach.
vodkamartini hat geschrieben:Im Zusammenspiel mit dem durchgängigen Bleifuß-Tempo sowie einem abwechslungsreichen und erfrischend unzimperlichen Action-Karussell aus Schießereien, Verfolgungsjagden, Explosionen und Faustkämpfen hält Harlin die Unterhaltungswertnadel stets im roten Bereich.
Mit der Qualität von Action wie auch des Filmes im Ganzen verhält es sich in meinen Augen wie bei den Sprüchen: sie nimmt im Verlauf des Filmes rapide ab. Vor allem das langgezogene, krawallige Ende ist für mich kaum mehr als eine Aneinanderreihung an Autostunts und Ballereien, die von Harlin sehr höhepunktsarm in Szene gesetzt ist. Der Film verliert zudem durch die Blacksche Standardmethode der Handlung durch das Gefahrenmoment um ein entführtes Kind mehr Dramatik zu verleihen. Das war in Lethal Weapon so, in Last Boyscout, im jüngsten Nice Guys und TLKG haut auch voll in die Kerbe. Eine allzu einfache und faule Abkürzung, die angesichts Davis unglaubwürdigem Wandel von der Schlampe zur sorgenden Mutti zusätzlich unterwandert wird. Was folgt sind eine Reihe klischeehafter „Mutter-Tochter-Momente“, welche durch die weiterhin zur Schau getragene Ultracoolheit von Misses Harlin auch nicht besser werden. Kinder in Actionfilmen sind zumeist deplaziert, in TLKG ist es aber ganz extrem, auch weil der konstruiert emotionale Tonfall so gar nicht zum restlichen Sprüchespektakel passen will. Es zeigt sich auch, dass es Blacks Kardinalsproblem ist seine Geschichten gut zu Ende zu bringen. In eigentlich allen Filmen, an denen er beteiligt war geht seinen Stories im letzten Drittel die Luft aus. Das ist mal mehr und mal weniger der Fall, aber auch hier nimmt TLKG wie ich finde einen Spitzenplatz ein.
vodkamartini hat geschrieben:
In dem bewegt sich auch Bad Guy Craig Bierko, der als psychopathischer Killer geradezu enthusiastisch auf die Jagd geht und ähnlich überdreht agiert wie Geena Davis.
Ich fand ihn farblos und wenig charismatisch. Dem Film hätte ein stärkerer Bösewicht sehr gut getan, z.B. dem damals auf solche Rollen praktisch abonnierte Gary Oldman.
vodkamartini hat geschrieben:
Schlussendlich nützt das eine so wenig wie das andere, denn wenn das ungleiche Duo Samantha und Henessey erst einmal ins Rollen kommt, sind Gefangene eher keine Option.
Ich würde sagen, der qualitative Absturz, den TLKG im letzten Drittel hinlegt hängt auch entscheidend damit zusammen, dass hier das zuvor so prächtig eingesetzte ungleiche Duo kaum mehr existent ist, da Jacksons Figur zur Seite geschoben wird zu Gunsten der Mami-Tochter-Papi-Geschichte und nur noch einige proforma-Momente zugestanden bekommt.
vodkamartini hat geschrieben:
Also vergesst den Flop-Odem von `Tödliche Weihnachten´ und steigt auf Rennys schnittigen Action-Schlitten.
Ich kann deine Begeisterung hier leider nur in Grenzen teilen, da mir der Film im letzten Drittel zu stark abfällt. Ähnlich wie im direkt zuvor entstandenen Harlin/Davis-Klopper CI ist das große Finale ein einziges Schauwerte-Dauerfeuer, welches sowohl eine zufriedenstellene dramaturgische Entwicklung wie auch echte Höhepunkte vermissen lässt. Schade drum, denn hätte der Film den tollen Unterhaltungswert der ersten 2/3 gehalten, dann wären auch bei mir 8 Punkte dringewesen. So sind es dann nur noch gerade so 6,5 Punkte. Und letztlich zeigt TLKG (wie eigentlich alle Harlins außer Die Harder und mit Abstrichen Cliffhanger) recht deutlich, warum seine Karriere sich so entwickelt hat, wie sie es tat.