Re: Zuletzt gesehener Film

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Review zu „Demolition“ (2016)

Jean-Marc Vallee hat mich in den letzten Jahren mit zwei starken Dramen auf wahren Begebenheiten sehr überrascht. Die Rede ist von „Dallas Buyers Club“ und von „Wild“, die auch bei den Awardseasons sehr gut angekommen sind. Jake Gyllenhaal ist einer meiner Lieblingsschauspieler und hat in den letzten Jahren mit „Source Code“ ; „Enemy“ ; „Prisoners“ ; „Nightcrawler“ und auch „Southpaw“ seine Wandelbarkeit und Brillianz gezeigt hat. Nun arbeiten Jean-Marc Vallee und Jake Gyllenhaal zusammen in einem Hybrid aus Drama, Komödie und Charakterstudie.

Uns wird eine Geschichte erzählt, in der ein Mann seine Frau verliert und mit der Trauer umgehen und wieder zu sich selbst finden muss. Gyllenhaals Fans werden hier schon sagen: „Hatten wir das schon bei Southpaw ?“ Definitiv. Doch kann ein Film wie „Demolition“ ohne Boxen als Ventil funktionieren ? Ich denke schon, auch wenn ein paar Punkte dafür sorgen, dass es sich bei „Demolition“ eben nur um einen guten Film handelt. Zum einen ist es der Charakter von Davis, den anfangs eine gewisse Leere im Leben und seiner Gefühlswelt lähmt, weswegen er nicht wie alle anderen um seine Frau trauern kann und diese wirkliche Tiefe einer Charakterstudie nicht erreicht werden kann. Da gibt es dann nur eine Kleinigkeit, die ihn stört – Der Automat im Krankenhaus kurz nach dem Tod seiner Frau spuckt die gewünschten Schokolinsen nicht aus und er nimmt danach mit dem Firma des Automaten Kontakt auf und fängt an, sein innerstes Gefühlsleben sehr intim auseinanderzunehmen. Mit fortschreitender Handlung trifft er auch auf die Dame vom Kundendienst und fängt immer mehr damit an, sich für Kleinigkeiten, die ihm sehr lange überhaupt nicht aufgefallen sind, zu interessieren und diese sprichwörtlich auseinanderzunehmen.

Dabei werden Kühlschränke, Toilettentüren und PCs in Einzelteile zerlegt – um nur einiges zu nennen. Das ist in den Momenten sehr skurril und witzig aber auch hin und wieder „Out of Place“ und nicht immer plausibel. So arbeitet sich der Film seine 100 Minuten von Station zu Station, wobei manches ein wenig mehr Tiefe verdient hätte und anderes eher hätte gekürzt werden können. Doch eben Jake ist es, der diesem Film sehr gut tut und mich mitgenommen hat. Chris Cooper als Schwiegervater und Boss und Naomi Watts bilden die gute Unterstützung im Umgang von Davis mit seinem Konflikt. Ohne diese Schauspieler wäre der Film weniger emotionaler und durchschnittlicher geworden. Alles in allem ist dieser Film eben ein „Southpaw ohne Boxen, wie es die Cinema in seinem Fazit genannt hat. Cinema hat nur 2/5 vergeben – Ich setze meine Wertung doch etwas höher an – auch wenn er nur einer der Filme ist, die ich dieses Jahr gesehen habe.

Der Film hat mich nur bedingt emotional erreicht – aber gut unterhalten, er war witzig und skurril. Jake und Jean-Marc haben mich zuletzt nie enttäuscht, da ist der Film auch keine Ausnahme.

„Demolition“ bekommt von mir 8/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Zuletzt gesehener Film

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HCN007 hat geschrieben:Jake Gyllenhaal ist einer meiner Lieblingsschauspieler und hat in den letzten Jahren seine Wandelbarkeit und Brillianz gezeigt
Witzig, Gyllenhaal ist für mich einer der schwächsten großen Hollywood-Darsteller momentan. Gerade, weil ihm die Wandlungsfähigkeit komplett fehlt und er sehr steril bleibt.
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Re: Zuletzt gesehener Film

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Everest war in meiner Jahres-Top10 aus 2015 - Danke GoldenProjectile - Habe Scott Fisher noch vergessen in meiner Review zu Demolition als tolle Station von Gyllenhaal, ach ja, und Finchers Zodiac fällt mir da auch noch ein.

Ich stehe zu meiner Meinung über Jake !

Aber bei Everest war definitiv Brolin das "Steh-Auf-Männchen" und er liefert die letzten Jahre auch nur so ab, dass es gute Performances hagelt.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Zuletzt gesehener Film

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Stimmt, bei Zodiac war Gyllenhaal ja auch dabei und ebenfalls in Topform. Habe ich vorher vergessen weil ich den natürlich nicht im Kino gesehen habe, im Gegensatz zu den anderen drei.

Und ja, natürlich waren Brolin (und der überraschend starke Jason Clarke) in Everest die Hauptrollen, aber Gyllenhaal ist mir dort durch diese unglaublich exzentrische und stark gespielte Nebenrolle enorm Gedächtnis geblieben.
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Re: Zuletzt gesehener Film

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Gyllenhall zählt für mich zu einem der besten Jungstars dieser Generation. In "Nighcrawler", "Brokeback Mountain" und "Brothers" fand ich ihn überragend. In "Prisoners" wurde er meiner Ansicht nach nicht von Jackman an die Wand gespielt, sondern er hat sich da schauspielerisch eher zurückgehalten und Jackman mehr die Show gelassen, er hätte ihn aber auch mit Leichtigkeit an die Wand spielen können. In dem lahmen "Zodiac" war er für mich noch der Lichtblick.
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Re: Zuletzt gesehener Film

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Hitman: Agent 47

Früher hielt man sich die Hand vor Stirn und Augenpaar, wenn einem der Infantilismus einer Sache in reinster Form begegnete und einem jedes Verständnis dafür ausblieb. Im Internetjargon der Jugend des Jahres 2015 nennt man diese Praktik leicht verschmitzt die "Facepalm". Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn man in einer leicht frustrierenden Mischung aus peinlicher Berührtheit und Fremdscham sich mit nichts anderem mehr zu helfen weiß, als eben jener "Facepalm". Wer dieses ganz natürliche Phänomen einmal an sich selbst austesten will, dem ist dank Regisseur Aleksander Bach bald geholfen: Mit "Hitman: Agent 47" wagte sich der Werbefilmer an eine filmische Adaption der beliebten Videospielreihe, über einen Auftragskiller ohne Identität, mit Glatze und Strichcode-Tattoo im Nacken. Mit jenen Spiele, in welchen der Spieler als "Hitman" in verschiedenen Level eine Vielzahl an Rambo- oder Stealth-Möglichkeiten erhält, seine Ziele mehr oder weniger unbemerkt zu eliminieren, hat dies nicht mehr viel zu tun und mit gutem Kino auch nicht so wirklich: "Facepalm - The Movie"?

Das immerhin von drei Autoren (unter anderem Skip Woods) zusammengeschusterte Script, hält sich immerhin dramaturgisch an die Vorlage: Wie in den Spielen scheint eine übergreifende Handlung hier nur sehr beiläufig präsent, die Spannung wird episodisch aufgebaut, entwickelt und wieder abgebaut. In der Theorie. Denn, was prinzipiell eine reizvolle brutale Menschenjagd hätte werden können, verkommt unter Bachs lärmendem Actiongetöse zu unplausibler und primitiver Schauwertvergeudung. Das in Shanghai, Potsdam und Berlin gefilmte Spektakel will ganz offensichtlich nur möglichst brutale (aber mit Wink auf die Zielgruppe dennoch blutleere) Shootouts und krachende Effektbonbons offerieren, und lässt sich dafür auch vom geringen Budget und schwammigen Animationen abhalten. Dramaturgisch bleibt die (sich in den wenigen bedeutungsschwangeren Dialogen komplex gebenden) Story eine Orgie an Bedeutungslosigkeiten und oberflächlichem Getue, die Charaktere wirken dabei auf dem Armaturenbrett entworfen. Menschlich sind hier weder Film noch Figuren, wie im Videospiel entpuppt sich das Geschehen als steigernde Aneinanderreihung immer brachialerer Destruktionslevel.

Doch anders als bei einem Computerspiel bleibt der Zuschauer hier außen vor, er wird dazu verdammt, diesen Leveln passiv beizuwohnen. Während die Spiele also durch die Atmosphäre und das taktische Denken punkten, sieht man hier dem fürchterlich hölzernem Rupert Friend als Agent 47 dabei zu, wie er sich durch Gegnerhorden ballert und hin und wieder gegen den schauspielerisch auf Autopilot agierendem Zachary Quinto antritt. Trotz der geringen Laufzeit von 96 Minuten artet dies schnell in enorm repetitive Abläufe aus, es mangelt an allen Ecken und Enden an Abwechslung. Die Gegner, die ohnehin nur austauschbares Kanonenfutter für den Antihelden sind, bekommen nicht mal ein vernünftiges Oberhaupt zugesprochen: Thomas Kretschmann quält sich hier nach "Avengers: Age of Ultron" zum zweiten Mal binnen kürzester Zeit durch eine Schurkenrolle, die man bestenfalls als ungewöhnlich langen Cameo bezeichnen dürfte. Seine Motivation wird kurz vor Schluss in zwei Nebensätzen angerissen, seine Diabolik darf er nur in übertriebenen chargierenden Passagen mit dem Holzhammer präsentieren. Da zudem fast ausnahmslose jedes Gefecht in Lagerhallen, Hotelzimmern oder Forschungslaboren (sprich: offensichtlichen Studiokulissen) stattfindet, kommen einem die Anderthalb Stunden schnell deutlich länger vor, als sie eigentlich sein dürften. Schade außerdem, dass die 2-3 kleineren philosophischen Fragestellungen, die der Plot und die Spiele geboten hätten, hier bestenfalls angerissen werden. Die Frage nach der potenziellen Empathiefähigkeit potenziell emotionslos gezüchteter Menschen bleibt virulent, eine etwas weniger schemenhafte Aufteilung von Gut und Böse fällt unter "gewollt und nicht gekonnt".

Wer hier noch Hoffnung in die Action setzt, kann nur ein grenzenloser Optimist sein. Sicherlich gelingt es in 1-2 kurzen Passagen, geschickte Anspielungen an die berühmtesten Ableger der Games einzubauen, doch von denen abgesehen, ist die mies getrickste Action nicht nur oft erstaunlich kurz, sondern lässt Genrefilme à la "Matrix" oder die verrücktesten "James Bond"-Abenteuer wie glaubhafte Abhandlungen über physikalische Gesetze erscheinen. Dies wäre für Popcorn-Spaß ja noch verständlich, würde die Absurdität nicht ständig in Unbalance zu Aufwand und Ergebnis stehen. Als der Hitman mit einem Helikopter in ein Bürogebäude kracht, mehrere Etagen, böse Buben und zahlloses Mobiliar mit den Rotorblättern zerfräst und das nur, um den Kampfgeist der bis dato gefesselten blauäugigen Schönheit zu wecken, liegt die Doofheit des Filmes am offensichtlichsten dar und wird - wie auch alles zuvor - auch noch mit ernsten Mienen ohne jede Selbstironie vorgetragen. Nein, frivole Oneliner oder augenzwinkernde Situationskomik halten nie Einzug in das graue Treiben, die gähnende Leere darf nicht mal als falsch verstandene Genreparodie gewertet werden. Und auch der Showdown, der dann einmal kurz wenigstens etwas zu krachen scheint, bleibt Actionstandard aus der Dose - wohl vor allem, um, wenn man der Schlusspointe glaubt, Steigerung für ein Sequel offenzulassen. Es bleibt die Frage, was "Hitman: Agent 47" eigentlich sein wollte: Für einen Actionbegierigen bietet er nur rohen Standard, für Fans der Spiele böse Frustration und für Fans von "Filmen" immerhin eine Vielzahl an "Facepalm"-Momenten...

Fazit: In einer Schlüsselszene von Bachs "Hitman: Agent 47" erlangt der Schurke Le Clerq die Einsicht, dass es vermutlich auf ewig Menschen, Organisationen und Maschinerien geben wird, die sich in erster Linie einfach nur profilieren wollen - ob Bach hier versteckt ein eigenes Fazit zu seinen Beweggründen, dieses Script verfilmen zu wollen, platziert hat, bleibt wie so vieles offen. Damit ist dem lustlosen B-Movie jedoch der perfekte Abschluss gelungen, um sich selbst zu kommentieren. Denn nicht nur den Hitman, auch für den Zuschauer und für das Kino geht es nach dem Film einfach weiter - gewonnen hat dabei niemand, allenfalls knapp 100 Minuten seines Lebens verloren. Wer seine Ansprüche deftig heruntersetzt, der kann bei diesem Nichts an eigentlich allem sicher die lauten Soundeffekte und das ganze Drumherum vergessen, ansonsten muss man sich selbst wohl schon ziemlich egal sein, um einen halbwegs befriedigenden Gesamteindruck zu erhalten. Für alle, die sich in dieser Beschreibung nicht wieder entdecken gilt daher: Meiden. Um jeden Preis.

2,5/10
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Re: Zuletzt gesehener Film

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Um Spielraum nach unten zu haben. Nicht selten vergebe ich ja auch für Filme, an denen ich nichts auszusetzen habe, auch nur 9 Punkte und nicht gleich 10. :wink:
Die Punktzahl ist aber eh gar nicht so wichtig und ohnehin eine Zahl, die aus dem Bauch heraus entsteht. Wichtiger ist wie immer der Text.
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