John Milius ist zusammen mit Paul Verhoeven mein absoluter Lieblingsfilmemacher, was in erster Linie daran festzumachen ist, dass sein Filme - sowohl als Regisseur wie auch als Drehbuchautor - thematisch und stilistisch „genau mein Ding“ sind. Milius wird von vielen seiner Wegbegleiter wie Coppola, Spielberg, Scorsese oder Lucas neidlos als einer der größten Geschichtenerzähler aller Zeiten gepriesen und das ist wohl auch der Aspekt des Filmemachers Milius, der mich am meisten begeistert. Der Mann weiss einfach, wie man eine gute Geschichte inhaltlich und formal packend erzählt. Da Milius zudem historisch ungemein beschlagen ist kommt es nicht von ungefähr, dass die meisten seiner Filme historische Abenteuerepen sind – wiederum ein Genre, das bei mir voll ins Schwarze trifft. Als Regisseur schätze ich an ihm, dass er sich immer wieder im Stande zeigte eine Fülle an bildgewaltige Szenen zu schaffen, die seine zumeist großangelegten Geschichten perfekt illustrierten, er gleichzeitig aber auch immer einen scharfen Blick auf seine Figuren behielt. Da ich aktuell eine Retrospektive von Milius Werk absolviere möchte ich in diesem Thread die Gelegenheit nutzen jeweils ein paar Zeilen zu seinen Filmen zu schreiben. Für all diejenigen, denen der Name Milius nichts oder nicht allzu viel sagt hier ein paar einleitende Worte über ihn:
John Milius ist sowohl als Filmemacher wie auch als Mensch wohl einer der farbigsten und interessantesten Charaktere, die je in Hollywood gearbeitet haben. Der leidenschaftliche Surfer und durch einen Internats-Aufenthalt in Montana bereits in jungen Jahren zum bekennenden „Mountain-Man“ gewordene Naturliebhaber strebte nach der Schule eine militärische Laufbahn als Kampfflieger an mit der festen Überzeugung sein 26. Lebensjahr nicht zu überleben. Es sollte (glücklicherweise) anders kommen, seine Asthma-Erkrankung machte seinen militärischen Plänen einen Strich durch die Rechnung und Milius stürzte sich stattdessen in ein Filmstudium an der USC mit Kommilitonen wie George Lucas, Basil Poledouris oder Randal Kleiser. Milius war der erste von vielen USC-Studenten, der den Sprung nach Hollywood schaffte, zunächst als Drehbuchautor. Als solcher machte er sich schnell einen Namen durch einen sehr eigenständigen Stil, der sprachlich weit mehr in der Realität verankert war als es bei Drehbüchern seinerzeit üblich war. Eben jener Stil lies dann u.a. auch eine der größten Ikonen des Polizeifilms lebendig werden: Clint Eastwoods Dirty Harry, dem Milius so unvergessliche Zeilen in den Mund legte wie „Do you feel lucky, Punk!?“ oder der berühmte Monolog über die 44er Magnum. Spätestens nach Dirty Harry war Milius ein Star und stieg zum bestbezahlten Drehbuchautor seiner Zeit auf.
Als Regisseur konnte er 1973 gleich mit seinem Debut, dem für kleines Geld produzierten Dillinger einen beachtlichen Hit landen. Es folgten das Abenteuerepos Der Wind und der Löwe mit Sean Connery, ebenfalls kommerziell erfolgreich, sowie die im Surfermilieu angesiedelte autobiographisch angehaucht Coming-of-Age-Geschichte Big Wednesday, welche unverdientermaßen an der Kinokasse unterging. Milius, seit vielen Jahrzehnten eng mit Francis Ford Coppola befreundet, war bereits Ende der 60er derjenige, der aus Joseph Conrads Herz der Finsternis das Ur-Skript zu Apocalypse Now destilliert hatte und blieb auch durch die ganzen 70er Jahre hindurch der verantwortliche Autor für die Vietnam-Allegorie. Als solcher wurde er 1980 für den Oscar nominiert. 1981 folgte Milius kommerziell größter Erfolg als Regisseur mit dem Fantasyspektakel Conan, der Barbar in welchem er Arnold Schwarzenegger den Start zu dessen großer Karriere ermöglichte. Doch trotz seiner beachtlichen Erfolge blieb Milius in Hollywood immer ein Aussenseiter, nicht zuletzt durch seine deutlich vom eher links-liberal geprägten Hollywood abweichenden politischen Ansichten und seine rustikal unverblümte Art, mit der er viele Studo-Executives vor den Kopf stiess. So blieb er auch auf seinem Karriere-Zenit lediglich ein aufgrund seines Erfolges Geduldeter. Das 1984 entstandene martialische Kriegsspektakel Red Dawn, welches sich wiederum recht beachtlich an der Kinokasse schlug, bot dem Hollywood-Establishment dann endgültig die Chance Milius zum Abschuss freizugeben. Der Film wurde regelrecht in Grund und Boden geschrieben und sein Macher als „eindeutige Bedrohung für die westliche Zivilisation“ (Pauline Kael) gebrandmarkt. Im Anschluss daran wurde es für Milius zunehmend schwerer seine Projekte zu verwirklichen bzw. überhaupt Arbeit zu finden.
Nachdem seine beiden Folgefilme Farewell to the King (1988) und Flight of the Intruder (1991) kommerziell floppten war seine Karriere als Kinoregisseur beendet. Als Drehbuchautor und Scriptdoctor blieb er dennoch zunächst noch gefragt und war als solcher u.a. maßgeblich beteiligt an den Clancy-Verfilmungen Das Kartell und Jagd auf Roter Oktober (bei letzterem auf ausdrücklichen Wunsch von Connery) sowie dem Walter Hill-Western Geronimo. Seine letzte große Sternstunde als Regisseur konnte Milius schliesslich 1997 mit dem fürs TV produzierten historischen Epos Rough Riders feiern, dem bis dato letzten von ihm inszenierten Film. Es folgten weitere erfolglose Versuche eigene Projekte anzuschieben sowie private Schicksalsschläge. So verlor Milius praktisch sein gesamtes Vermögen aufgrund der Untreue seines Freundes und Anlageberaters und erst die 2005-2007 entstandene epische TV-Serie Rom, an deren Entwicklung und Umsetzung er massgeblich beteiligt war, brachte ihn finanziell wieder ins Gleichgewicht. Nach wie vor in Hollywood weitgehend unerwünscht erarbeitete er stattdessen die dramaturgischen Grundlagen zu den Computerspielen Homefront und Medal of Honor:European Assault. Als 2010 endlich ein Comeback als Filmregisseur in Aussicht stand (mit seinem Wunschprojekt Dschingis Khan) schlug das Schicksal erneut zu in Form eines Schlaganfalles und nahm dem großen Geschichtenerzähler sein wichtigstes Instrument: seine Sprache. Doch Milius blieb auch in dieser schweren Situation der Kämpfer, der er immer war und machte im Rahmen seiner langwierigen Reha beachtliche Fortschritte. Das Sprechen fällt ihm nach wie vor schwer, aber er arbeitet mittlerweile wieder an einer Straffung seines Drehbuches zu Dschingis Khan, so dass die Hoffnung bestehen bleibt, dass er sein Wunschprojekt zumindest als Drehbuchautor auf den Weg bringen kann.
Es ranken sich unzählige Anekdoten und Geschichten um John Milius, so bestand der fanatische Waffennarr beispielweise darauf sich für seine frühen Drehbücher zum Teil mit historischen Waffen bezahlen zu lassen. Den berühmten Indianapolis-Monolog aus Der weisse Hai diktierte er Steven Spielberg als Freundschaftsdienst aus dem Stehgreif übers Telefon. Als Martin Sheen bei der Aufnahme der Monologe aus dem Off zu Apocalypse Now par tout nicht den von Regisseur Coppola gewünschten angespannten Tonfall hinbekam half Milius etwas nach, indem er seine 45er zückte und demonstrativ vor sich hinlegte mit dem Resultat, dass der sichtlich irritierte Pazifist Sheen urplötzlich den richtigen Ton traf - sehr zum Entzücken von Coppola. Milius überlebensgroße Persönlichkeit stand als Vorbild Pate für die Filmfiguren John Milner (American Graffiti) und Walter Sobchak (The Big Lebowski), letzterer wurde von John Goodman so Milius-like gespielt, dass selbst die Kinder von John Milius in dem Lebowski-Kumpel uneingeschränkt ihren Vater wiederkannten. Es gäbe noch viel über Milius zu erzählen, beispielsweise dass die Sioux ihn als Ehrenmitglied in ihrem Stamm aufnahmen. Oder dass Milius eine entscheidende Rolle an der posthumen Verleihung der Ehrenmedaille des US-Kongresses an den früheren Präsidenten Theodore Roosevelt spielte. Oder dass er der Erfinder des achteckigen MMA-Kampfkäfigs ist. Kurz: John Milius ist ein so facettenreicher Charakter – gerade auch außerhalb der Filmwelt - dass er in keine Schublade passt. Um so tragischer, dass ihm gerade dieses Schubladendenken in Hollywood letztlich ein weit größeres Oevre vereitelt hat.
Filmographie (Regie):
1973: Dillinger
1975: Der Wind und der Löwe
1978: Big Wednesday
1981: Conan, der Barbar
1984: Red Dawn
1988: Farewell to the King
1991: Flight of the Intruder
1994: Motorcycle Gang
1997: Rough Riders
Bereits sein zweiter Film als Regisseur ist in vielen Dingen eine Art „Best-of-Milius“. Der Wind und der Löwe bietet das große, packende Abenteuer vermengt mit einer detailgetreuen Schilderung weltpolitisch brisanter Ereignisse (Marokko-Krise 1904). Er hat viele liebevoll-farbige Charaktere an Bord, deren Handeln vor allem von Kühnheit und charakterlicher Integrität geprägt sind. Die sich stimmig aus der Handlung entwickelnden Actionszenen sind bildgewaltig und wuchtig in Szene gesetzt. Und er hat diese absolut grandiosen, oftmals einfach nur genialen Dialoge wie sie in dieser Form wohl wirklich nur Milius schreiben konnte. Gleichzeitig sagt der Film in Figuren, Handlung und Inszenierung auch sehr viel über das amerikanische Selbstverständnis wie auch über den Charakter seines Filmemachers aus. Wenn Milius seine Hauptfigur Teddy Roosevelt über die Parallelen zwischen dem Grizzlybären und dem amerikanischen Wesen philosophieren lässt, dann beschreibt der Filmemacher sich letztlich selber. Milius langjähriger Wegbegleiter und Freund George Lucas brachte es treffend auf den Punkt als er meinte, Der Wind und der Löwe spiegle praktisch den Charakter seines Regisseurs wieder.
Die Geschichte von Der Wind und der Löwe dreht sich um den gleichermaßen wilden wie edlen Berberfürsten Raisuli, gespielt von Sean Connery, der die Amerikanerin Eden Pedecaris mit ihren beiden Kindern entführt, um so Druck auf den missliebigen Sultan von Marokko ausüben zu können. Da der amerikanische Präsident Roosevelt aus persönlicher wie politischer Überzeugung heraus nicht tatenlos zusehen kann entsendet er eine militärische Einheit nach Tanger. Zusätzliche Brisanz gewinnt die Situation dadurch, dass Marokko der Zankapfel diverser europäischer Mächte ist, die ebenfalls ihr Militär vor Ort haben und die Einflussnahme der Amerikaner nicht so einfach hinnehmen wollen. Neben dieser spannenden Rahmenhandlung erzählt der Film parallel dazu eine noch faszinierendere Geschichte, indem er Parallelen und Unterschiede zwischen den beiden Protagonisten Raisuli und Roosevelt seziert. Milius baut seinen Film im steten Wechselspiel um diese beiden Figuren auf, Szenen mit Raisuli wechseln sich ab mit Szenen mit Roosevelt. Obwohl sich die beiden Figuren im Laufe des Filmes nie begegnen, werden so die diversen Parallelen eindeutig aufgezeigt. Raisuli wird dabei in erster Linie charakterisiert in seiner Beziehung zu der von ihm entführten Amerikanerin Pedecaris. Erlebt man ihn zunächst noch als herrischen und scheinbar unzivilisierten Wilden, so entwickelt sich im Laufe des Filmes immer mehr ein Bild eines verantwortungsvollen, ehrenhaften und in der Tradition seiner Kultur handelnden Stammesfürsten.
Die Dialoge zwischen Raisuli und Pedecaris sind das Herz des Filmes. Selten war Milius so leichtfüssig-launig in seinen Dialogen wie hier. Gerade die Szenen, die die kulturellen Unterschiede betonen sind oftmals schon fast komödiantisch. Genauso brillant sind die diversen Roosevelt-Szenen geschrieben, da jagt wirklich eine fabelhafte Dialogzeile die nächste. Das ist prägnant, pointiert und eindrucksvoll. Der launige Charakter der Dialoge wird verstärkt durch eine ganze Reihe von auflockernden Szenen, wenn beispielsweise der Pascha von Tanger laut gackernd Rad-Polo spielt oder wenn es sich der Regisseur nicht nehmen lässt als einarmiger deutscher Instrukteur dem Pascha die Vorzüge des neuesten Maschinengewehrs zu demonstrieren. Dadurch behält der Film – trotz der ja durchaus seriösen Thematik – immer seinen in erster Linie unterhaltsamen Ansatz. Wobei die historische Komponente des Films sehr elegant in die Abenteuergeschichte eingewoben ist und dieser daher zu keiner Zeit im Wege steht.
Schauspielerisch fokusiert sich nahezu alles auf die Ausnahmedarstellung von Sean Connery. Den Urschotten Connery als Berberfürsten zu besetzen klingt auf dem Papier absurd, tatsächlich spielt er die Rolle aber so brillant dass nie auch nur der Hauch eines Zweifels an seiner Besetzung entsteht. Die Spielfreude kann man Connery förmlich ansehen, da er seine Rolle oft mit einem Augenzwinkern zum Besten gibt („Misses Pedecaris, sie bereiten mir große Schwierigkeiten!“). Gleichzeitig verkörpert er aber auch den edlen, majestätischen Anführer mit jeder Faser. Auch der Rest der Besetzung weiss zu überzeugen, sei es Brian Keith als hemdsärmeliger Roosevelt, der gewohnt knarzige John Huston als Aussenminister John Hay, Dallas-Star Steve Kanaly als forscher Marine-Captain und sogar Candice Bergen in einer für ihre Verhältnisse erstaunlich vielschichtigen Darstellung als Misses Pedecaris.
Der Wind und der Löwe ist allerbestes Milius-Material. Mühelos kombiniert der Filmemacher hier pralles Abenteurkino mit historischem Epos und Charakterstudie. Erstaunlich, wie launig und leichtfüssig der Film ist und welch inhaltliche Tiefe er trotzdem gleichermaßen besitzt durch Figuren und Thematik. Ein tolles Darstellerensemble mit einem überragenden Hauptdarsteller sowie ein sensationeller Soundtrack von Maestro Jerry Goldsmith runden einen nahezu perfekten Film ab.
Wertung: 9,5 / 10
Red Dawn (1984) – John Milius
Red Dawn ist ohne Frage der Film im Oevre des Filmemachers Milius, der das politisch weitgehend liberal eingestellte Hollywood endgültig mit dem ohnehin immer schon aufgrund seiner unverblümten und oftmals kontroversen Natur skeptisch betrachten Regisseur entfremdete. Obwohl der Film kommerziell ein beachtlicher Erfolg war urteilte man Red Dawn pauschal als antikommunistische Hetzpropaganda ab und brandmarkte seinen Regisseur als unverbesserlichen Reaktionär. Eine reichlich pauschale Kritik, die dabei bewusst völlig außer Acht lies dass Red Dawn bei allem patriotischen Hurra-Bohai trotzdem auch über jede Menge Nuancen und Ambivalenz verfügt, gerade auch im Hinblick auf die Zeichnung der Antagonisten. Darüber hinaus zeigt die plakative Entrüstung Hollywoods auch sehr gut die Doppelmoral, die in Hollywood herrscht. Jedenfalls hinderte der „filmische Sündenfall“ Red Dawn Hollywood nicht daran den Film unlängst neu zu verfilmen – wen interessiert schon Moral wenn man stattdessen den rollenden Rubel haben kann.
Mit nun mehr 30 Jahren Abstand muss man sich auch fragen, was denn nun genau so skandalös an Milius Werk gewesen sein soll. Sicherlich war die das militärische Sandkastenszenario Sowjets überfallen die USA und zetteln einen dritten Weltkrieg an weder damals noch heute wirklich politisch korrekt, allerdings hatte Nicholas Meyers seinerzeit hochgelobte atomare Schreckensvision The Day after ja auf den Punkt gebracht auch keine andere Handlung als die Sowjets bomben die USA in Schutt und Asche. Auch fällt bei genauerer Betrachtung sehr schnell auf, wie wenig Milius scheinbar an einem „normalen“ Kriegsfilm interessiert war. Stattdessen liegt sein Schwerpunkt eindeutig im Aufzeigen von Guerilla-Mechanismen sowie dem Kampf Mensch gegen Wildnis. Milius geht bei der Einführung seiner Antagonisten sicherlich wenig subtil vor, in dem er eine sowjetisch-kubanische Fallschirmjägereinheit gleich zu Beginn des Filmes scheinbar ohne Notwendigkeit eine ganze Highschool in Grund und Boden ballern lässt. Dramaturgisch ist das aber gleichzeitig auch eine willkommene Rechtfertigung, warum die Gruppe Kids eigentlich überhaupt ihr Heil in den Bergen sucht. Das gleiche Schema ist dann auch bei der endgültigen Radikalisierung der Gruppe erkennbar, nachdem ihre Angehörigen zunächst in einem Konzentrationslager interniert (kurioserweise in einem ehemaligen Autokino: Milius zynischer Kommentar in Richtung Hollywood) und anschliessend liquidiert werden. Auch das ist wieder wenig zimperlich, aber es ist auch enorm effektiv, da dadurch die Motivation der Hauptfiguren für ihr Tun bestens oder zumindest mehr als ausreichend begründet wird. Gleichzeitig verzichtet Milius aber auch weitgehend darauf seine Antagonisten pauschal zu dämonisieren, sondern lässt immer auch wieder die Menschen hinter den Invasoren erkennen. Im Besonderen zeigt sich dies in den beiden großen Rollen auf Seiten der Invasoren, des kubanischen und des sowjetischen Obristen. Sowohl Ron O´Neal als auch William Smith spielen ihre Rollen nicht nur nuanciert und abwechslungsreich, ihren Figuren wurde von Milius auch einiges an Ambivalenz zugestanden. So kämpfte der kubanische Oberst zuvor ausschliesslich auf Seiten der Rebellen und findet sich in der Rolle des Besatzers überfordert und mit den US-Guerillas sympathisierend. Der russische Oberst wiederum verabscheut die zuvor an der Zivilbevölkerung verübten Vergeltungsmaßnahmen. Dem gegenüber steht ein Haufen Halbwüchsiger, die mehr und mehr an der Richtigkeit ihres Tuns zweifeln, die einmal eingeschlagene Richtung letztlich aber nicht mehr ändern können. Die Auflösungserscheinungen innerhalb der jugendlichen Gruppe wie auch die Verlustängste der Guerillas werden erstaunlich einfühlsam behandelt.
Trotz aller durchaus vorhandener Ambivalenz und kritischer Untertöne ist Red Dawn aber natürlich in erster Linie ein knalliges Spektakel, welches seinen Reiz gerade auch aus dem unverkrampften und politisch oftmals unkorrektem Zusammenstoss der beiden militärischen Blöcke bezieht. General Milius lässt es ordentlich krachen wenn er bei den diversen Guerilla-Attacken der jugendlichen Wolverines genüsslich einen Großteil des sowjetischen Militär-Inventars in die Luft fliegen lässt, wunderbar untermalt von einem wieder mal fabelhaften Soundtrack von Basil Poledouris. Auch hier ist Milius in seiner Inszenierung wieder näher an einem kurzweiligen Jagdausflug als an der Schilderung kriegerischen Schrecken. Wiederum wenig politisch korrekt, aber dafür machen die zahlreichen Actionszenen um so mehr Spass – das hat schon etwas vom Kind, das über Nacht im Spielzeugladen eingesperrt ist. Genau hier merkt man dann auch recht schnell, dass Milius sein eigenes Szenario auch eher augenzwinkernd und keinesfalls bierernst versteht. Besonderen Wert legte Milius bei seiner Inszenierung zudem in die Einbindung der Natur, welche er im Geiste von John Ford quasi als eigenen Charakter einführt. Die unerbittliche Wildnis setzt den jungen Wolverines letztlich genau so schwer zu wie die Sowjets. Dadurch, dass fast ausschliesslich on location gedreht wurde - teilweise bei Minus 20 Grad im tiefsten Winter - geht Milius Rechnung auf und der Zuschauer bekommt auch im wohligen Wohnzimmer die volle Wucht der Naturgewalt zu spüren. Sehr geschickt nutzt Milius auch den Wechsel der Jahreszeiten bzw. der Monate als stilistisches Mittel, jeder Monat steht für einen weiteren Schritt in der Entwicklung der Gruppe.
Die Besetzung von Red Dawn ist eine bunte Mischung aus jungen Newcomern und etablierten Charakterdarstellern. Auf Seiten der Wolverines fokussiert sich vieles auf Patrick Swayze, der die Rolle des jugendlichen Anführers nicht nur charismatisch sondern durchaus auch darstellerisch gekonnt meistert. Ihm zur Seite stehen mit C. Thomas Howell, Charlie Sheen, Lea Thompson und Jennifer Grey eine Reihe junger Newcomer, die vor allem durch ihr natürliches Auftreten überzeugen können. Vor allem Howell als zusehends abstumpfender Jung-Guerilla hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Neben den bereits erwähnten vorzüglich spielenden O´Neal und und Smith geben sich die beiden Haudegen Ben Johnson und Harry Dean Stanton die Ehre. Letzterer hat einen der denkwürdigsten Auftritte des ganzen Filmes, wenn er seinen beiden Filmsöhnen Swayze und Sheen aus dem Internierungslager hinterher brüllt „Nehmt Rache an uns!“. Das ist zwar hart an der Grenze zur Parodie, aber gleichzeitig irgendwie auch wieder ziemlich cool.
Ich mochte den Film schon immer und ich mag ihn immer noch sehr gern. Früher war es hauptsächlich das knallige Spektakel das mich reizte, heute mehr und mehr die überraschenden Facetten die sich unter der Oberfläche finden lassen. Zudem ist der Film in meinen Augen ein weiteres gutes Beispiel dafür, was für ein effektiver Geschichtenerzähler und Regisseur Milius ist. Keine Frage, der Film ist weit davon entfernt perfekt zu sein, aber er macht Spass und hat darüber hinaus ein paar unerwartete Extras zu bieten. Man sollte nicht alles immer zu ernst nehmen.
Wertung: 7,5 / 10
Rough Riders (1997) - John Milius
Nachdem Milius bereits bei Der Wind und der Löwe dem von ihm hochverehrten amerikanischen Präsidentendenkmal Theodore Roosevelt seine Referenz erwiesen hatte griff er 1997 nur zu gerne zu, als sich ihm die Möglichkeit bot bei der aufwändigen TV-Produktion Rough Riders einen der glorreichsten Momente von Roosevelt zu verfilmen, den Sturm auf den San Juan Hill. Das über dreistündige Epos mixt dabei geschickt Genreversatzstücke aus Historiendrama, Kriegsfilm und Western und ist gleichermaßen unterhaltsam wie informativ. Die Geschehnisse rund um den amerikanisch-spanischen Krieg von 1898 werden aus zwei gleichberechtigten Perspektiven erzählt, zum einen aus der von Theodore Roosevelt und zum anderen aus der der titelgebenden Rough Riders, also den sich aus den unterschiedlichsten Typen und sozialen Schichten zusammensetzenden Soldaten der von Roosevelt aufgestellten und im späteren Verlauf befehligten Freiwilligenarmee. Auch dieses Mal lässt sich Milius wieder viel Zeit, um seine Figuren gebührend und charakteristisch einzuführen. Zwar kommt das Zusammenschweissen der verschiedenen Typen im Bootcamp nicht ohne einige genreübliche Klischees aus, allerdings verzeiht man diese gerne angesichts der markanten Charaktere und deren durch die Bank hervorragende Darstellung.
Denn der Film lebt nicht zuletzt auch von dem überragenden Ensemble, welches sich beinahe ausschliesslich aus "Milius-Veteranen", also Darstellern die in vorangegangen Filmen des Regisseurs bereits mitgewirkt hatten, rekrutiert. Charakterköpfe wie Sam Elliott, Brian Keith, Gary Busey oder Geoffey Lewis spielen prächtig und veredeln ihre Rollen mit großartigen Leistungen. Alles überragend ist Tom Berenger, der als Teddy Roosevelt die wohl beste Leistung seiner Karriere hingelegt hat. Er spielt das Unikum Roosevelt derart überzeugend, dass der Schauspieler Berenger völlig verschwindet und man nur noch die von ihm brillant gespielte Rolle wahrnimmt. Interessant ist dabei, dass Berengers Darstellung Roosevelt gleichermaßen kauzig-merkwürdig wie kühn-voranschreitend zeigt und nie idealisierend-verklärt. So schlägt man bei manchen Szenen imaginär die Hände über dem Kopf zusammen ob des lauten und spleenigen Auftretens von Roosevelt, jedoch staunt man gerade in den Szenen auf Kuba dann auch um so mehr über die überlebensgroße Führunsgpersönlichkeit, die der spätere US-Präsident wohl ohne Zweifel war.
Hat der Film in den ersten anderthalb Stunden noch die oder andere kleinere Länge, so ist die zweite Filmhälfte nahezu makellos. Den Höhepunkt des Films bildet der legendäre Angriff auf den San Juan Hill. Hier setzt Milius fast eine Stunde ununterbrochene Angriffe auf die erdenklich packendste und kurzweiligste Art und Weise in Szene. Da wehen die Fahnen, da schallen die Trompeten - Rough Riders ist ganz sicherlich kein Film für Pazifisten und Leute, die mit dem amerikanischen Selbstverständnis Probleme haben. Milius Film ist eine offen zur Schau gestellte patriotische Heldenverehrung, aber wie packend und bildgewaltig er das Ganze in Szene gesetzt ist wahrlich meisterhaft. Zudem punktet der Film durch den hohen Grad an Authentizität sowie der Tatsache, dass er die Helden nicht als unfehlbare Ikonen porträtiert, sondern durchaus auch als zeitweise zweifelnde und zögernde Menschen aus Fleisch und Blut. Bei allem Heldengetöse vergisst Milius zudem nicht zu zeigen, welch hohen Preis eine geschichtliche Sternstunde wie die des San Juan Hill gekostet hat. Rough Riders mag nicht wie manchmal verlautet der beste Kriegsfilm aller Zeiten sein und auch kein Meisterwerk, aber es steht außer Zweifel dass hier ein echter Meister am Werk war!
Wertung: 9 / 10
Farewell to the King (1988) – John Milius
In einem Satz könnte man Milius Dschungelepos Farewell to the King als eine Kreuzung aus Lawrence von Arabien und Apocalypse Now bezeichnen. Das wird dem Film zwar weder inhaltlich noch stilistisch gerecht, da er dafür viel zu eigenständig agiert, allerdings finden sich diverse Elemente aus bzw. Parallelen zu den genannten Filmen.Wie Leans Wüstenepos handelt auch Farewell to the King von dem Versuch eines britischen Offiziers einheimische Völker zum Eingreifen in ein Weltkriegsszenario zu bewegen. Statt in der arabischen Wüste spielt die Geschichte im Dschungel von Borneo, statt erstem Weltkrieg bietet dieses mal der zweite Weltkrieg den historischen Hintergrund. Auch bei Milius verliert sich der britische Offizier mehr und mehr zwischen Sympathie bzw. Identifikation mit den von ihm zum Krieg „verführten“ Einheimischen und der Loyalität zu seiner Mission. Parallelen zu Apocalypse Now finden sich neben dem Dschungelbackground vor allem in der Figur des weissen Dschungelkönigs. Ähnlich wie Colonel Kurtz macht auch Learoyd – oder Leroy bzw Le Roi wie ihn die Einheimischen von Borneo nennen – sich zum Herrscher über ein eigenes Reich. Und wie Kurtz ist auch Leroy den militärischen Oberbefehlshabern ein Dorn im Auge. Zudem behandelt Milius auch in Farewell to the King das Thema Reise in den Horror und die Gefahr sich darin zu verlieren.
Jedoch – wie schon erwähnt – verlieren sich diese Parallelen im Gesamtkontext des Films in der weitgehend eigenständigen Umsetzung. Milius Film ist auf der einen Seite pralles Abenteuerkino mit geradezu klassischer Inszenierung. Auf der anderen Seite zeigt sich Milius aber mindestens genauso stark interessiert an Themen wie Freundschaft, Loyalität, Verrat, Absturz ins Bodenlose. Das Zentrum des Films bildet folgerichtig auch die Freundschaft zwischen Leroy und dem britischen Offizier. Milius nimmt sich viel Zeit, die Geschichte von Leroy zu erzählen - dem desertierten GI, der in den Dschungel flüchtet, von den Einheimischem im Fieberwahn gerettet wird und sich vom geduldeten Aussenseiter zum Herrscher des Stammes hocharbeitet – und vermittelt dem Zuschauer damit sehr eindrücklich die Faszination und den Facettenreichtum dieser Figur. Leroy desertiert und kehrt dem Krieg den Rücken weil er den Glauben an das wofür er kämpft verloren hat. Ein wichtiger Punkt, denn im späteren Verlauf ist er es, der sein Volk in den Kampf gegen die Japaner führt weil er wieder an etwas glaubt, nämlich daran die Zukunft seines Volkes zu sichern. Nick Nolte bietet in der Rolle des weissen Dschungelkönigs eine eindrucksvolle Vorstellung. Sein ganzes Spiel unterstreicht die majestätische Ausstrahlung seiner Figur – sehr schön erkennbar im Wandel seiner Körpersprache und Bewegung: als Deserteur noch grob und fast stakkatohaft, später dann anmutig wie ein Panther. Das gleichermaßen kraftvolle wie majestätische Spiel Noltes findet seinen perfekten Wiederhall in der Inszenierung der Inselwelt von Borneo. Milius zeigt sie gleichermaßen archaisch und lebensfeindlich wie aber auch in ihrer erhabenen Schönheit. Diese Dualität der Extreme durchzieht letztlich den ganzen Film, was sich auch stilistisch und inhaltlich wiederspiegelt: die erste Filmhälfte vor den Kampfhandlungen wird ruhig und fast schon romantisch verklärt in Szene gesetzt, während die zweite Filmhälfte dann sowohl ereignisreicher ist als auch in der Inszenierung an Tempo zulegt.
Am Ende haben die Protagonisten scheinbar alles verloren – aber Milius lässt seinen Film dennoch positiv enden, indem er in der Schlussszene den lebensbejahenden Geist der den Film durchströmt nochmals beschwört. Die Botschaft von Farewell to the King könnte man fast schon humanistisch bezeichnen und ist damit so etwas wie das Kontrastprogramm zum filmischen Kriegsspielzeug Red Dawn. Zwar inszeniert Milius auch dieses Mal viele der kriegerischen Actionszenen im Stile eines Abenteuers, aber nimmt der Ton der Actionszenen wie auch der gesamten Inszenierung im letzten Drittel zunehmend einen weit seriöseren Tonfall an. In jedem Fall ist Farewell to the King ein weiteres gutes Beispiel für den Facettenreichtum des Filmemachers und Menschen Milius, denn reaktionären Militarismus kann man diesem Film nicht mal mit bösem Willen unterstellen. Leider blieb Milius der Endschnitt seines Filmes verwehrt, da die Produzenten seine Fassung in der Hoffnung dem Film mehr Massentauglichkeit zu geben in erheblichem Maße umschnitten – letztlich ein hoffnungsloses Unterfangen, denn der Film war mit seiner liebevoll altmodisch-epischen Art in der Kinolandschaft von 1988 so oder so eigentlich völlig fehl am Platze. Dennoch konnten auch diese Eingriffe (der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es zwei offizielle Fassungen gibt: eine für den amerikanischen und eine für den europäischen Markt, wobei letztere wohl einiges näher an Milius Endschnitt ist) den Film nicht wirklich zerstören, wenn gleich der Film in der zweiten Filmhälfte trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Vielzahl an Actionszenen öfter mal etwas ins Stocken gerät. Schwer zu beurteilen, was hier nun an den Eingriffen der Produzenten liegt (die laut Milius mit aller Gewalt den Film actionlastiger haben wollten), es ist jedenfalls ein Jammer, dass man Milius Vision seines laut eigener Aussage eigentlich besten Filmes nie zu sehen bekommen hat. Aber auch so ist Farewell to the King ein gelungenes Stück großangelegten Abenteuerkinos mit durchaus anspruchsvollem Subtext.
Wertung: 7,5 / 10
Flight of the Intruder ist ein Film, der mit Makeln behaftet ist welche nicht zuletzt aus den Restriktionen seines Regisseurs im Rahmen der Produktion erwachsen sind. Der Film ist in vielen Dingen eher eine klassische Auftragsarbeit denn eine Herzensangelegenheit, was allein schon eine Art Alleinstellungsmerkmal im Oevre von John Milius darstellt. Nach der heftigen Kritik an Red Dawn und dem kommerziellen Misserfolg von Farewell to the King wurden die Angebote für Milius zusehends rarer und er war weiter denn je davon entfernt eigene Wunschprojekte vorantreiben zu können. So stellt Flight of the Intruder auch den ersten Film des Regisseurs Milius dar, in welchem er nicht für das Drehbuch verantwortlich war und auch innerhalb der Produktion weit weniger Mitspracherecht hatte. Zwar ist auch Flight of the Intruder in vielen Dingen dennoch als Milius-Film erkennbar, aber man merkt in mindestens genauso vielen Dingen auch, dass Milius hier eben nicht schalten und walten konnte wie er wollte.
Auf den ersten Blick erscheint der Film wie eine Art Top Gun mit Bombern, das trifft den Kern der Sache aber nur teilweise. Zwar weisen beide Filme einen ähnlichen Handlungsverlauf auf und fokusieren sich in nicht unerheblichem Maße auf aus Flugkämpfen bestehenden Actionszenen, dennoch verfolgt Milius Film einen weit klassischeren filmischen Ansatz als Tony Scotts seinerzeit ultra-hipper Navy-Videoclip. Flight of the Intruder erinnert daher oft auch viel eher an Kriegsdramen aus früheren Jahrzehnten wie Die Caine war ihr Schicksal als an einen in erster Linie an Schauwerten aller Art interessierten Actionfilm. Denn Milius setzt in erster Linie auf das moralische Dilemma seiner Protagonisten (eine handvoll Marineflieger im Vietnamkrieg, die sich aufgrund immer unsinnigerer Angriffsziele vor die Wahl gestellt sehen eigenmächtig vermeintlich kriegsentscheidendere Ziele anzugreifen oder gemäß ihrer Befehle auch weiterhin Reisfelder zu bombardieren), was sich im fertigen Film jedoch gleichermaßen als Segen und Fluch entpuppt. Denn trotz aller Bemühungen der Inszenierung den Figuren möglichst viel Zeit und Szenen zur Charakterisierung einzuräumen bleiben diese merkwürdig flach und austauschbar. Vor allem die Dialoge sind oft geradezu beliebig und nichtsagend – obwohl in dem Film eine ganze Menge geredet wird. Das ist für einen Milius-Film schon mehr als ungewöhnlich und lässt sich letztlich eigentlich nur dadurch erklären, dass der Regisseur eben keinerlei Einfluss auf das Drehbuch nehmen konnte. Nicht nur bleiben also die Figuren flach, sondern durch die vielen Szenen, die der Charakterisierung der Figuren gewidmet werden (die aber eher schwach geschrieben sind) wirkt der Film oft schwerfällig und will in weiten Teilen nie so recht in Schwung kommen. Abgemildert wird dieser Effekt durch – trotz der eher seriösen Thematik – immer wieder eingestreute humorvolle Szenen, die für willkommen Auflockerung sorgen sowie die immer sehr ansprechende visuelle Gestaltung - denn Flight of the Intruder sieht optisch jederzeit sehr gut aus. Zudem punktet der Film mit seinen gut und effektvoll in Szene gesetzten Actionszenen. Die Flugkämpfe mögen nicht so stylish hip daherkommen wie bei Kollege Scott, aber ein Händchen für epische, heroische Actionszenen hatte Milius bekanntlich schon immer und hier bildet Flight of the Intruder keine Ausnahme. Entsprechend ist vor allem die finale große Actionkonfrontation ohne Zweifel einer der Höhepunkte des Filmes.
Unterm Strich muss man Flight of the Intruder leider als einen „Milius light“ abhaken. Die schwach geschriebenen Dialoge und Figuren sowie die sich oft eher schwerfällig entwickelnde Geschichte ist trotz der gut aufspielenden Besetzung (Willem Dafoe, Danny Glover, Brad Johnson) und den gefälligen Actionszenen insgesamt eine zu negative Vorgabe, als dass der Film viel mehr als nur leicht überdurchschnittliche Qualität erreichen könnte.
Wertung: 6 / 10
Big Wednesday (1978) – John Milius
Big Wednesday ist fraglos John Milius persönlichster Film, verarbeitete er hier doch viel seiner eigenen Jugenderinnerungen im kalifornischen Surfermilieu. Der Film dreht sich um die Erlebnisse und Veränderungen im Leben dreier surfender Jugendfreunde in den Jahren zwischen 1962 und 1974. Der Film nimmt stilistisch dabei die gleiche Entwicklung wie das Leben seiner Protagonisten, ist er zu Beginn noch im Stile einer ausgelassenen Highschool-Komödie gehalten, so nimmt er im weiteren Verlauf mehr und mehr dramatischere Züge an. Unterstützt wird dieser Wandel dadurch, dass Milius seinen Film formal in vier Teile untergliedert hat, die jeweils entscheidende Ereignisse im Leben der Protagonisten in den Jahren 1962, 1965, 1968 und 1974 zeigen. Milius ordnet jede dieser Episoden einer bestimmten Brandung zu, die symbolisch für die Veränderungen im Leben der Hauptfiguren steht. Die große Zäsur – sowohl im Film als auch im Leben der Hauptdarsteller – stellt das Thema Vietnam dar. Ganz ähnlich wie Michael Ciminos nahezu zeitgleich entstandenes Meisterwerk The Deer Hunter zeigt Milius die Auswirkungen des Krieges auf die Menschen im Vorher-Nachher-Kontrast. Im Gegensatz zu Cimino verzichtet Milius aber gänzlich darauf den Krieg im Bild zu zeigen, er beschränkt sich ausschliesslich darauf ihn über die Auswirkungen auf die Protagonisten zu schildern - was die Aussagekraft jedoch in keinster Weise mindert. Bemerkenswert ist, mit wie viel Feingefühl Milius gerade die dramatischeren und ernsteren Momente in Big Wednesday meistert. Der schmale Grat, auf dem sich die Inszenierung dieser Szenen zwischen Traurigkeit, Sentimentalität und Hoffnung bewegt wird immer punktgenau getroffen und genauso bemerkenswert ist es, wie stimmig Milius im letzten Viertel des Filmes den Schwenk zurück zum Surferepos nimmt. Ebenso hält Milius auch hier wieder jede Menge erinnerungswürdiger Moment in großartigen Bildern fest. Momente wie das einsam zurückbleibende mexikanische Mädchen, die mitternächtliche Ehrbezeugung auf dem Soldatenfriedhof oder die mehrfach grandios eingefangenen Sonnenuntergänge erinnern an ähnlich große Momente im Werk von Künstlern wie Ford, Lean oder Peckinpah. Geradezu überwältigend sind die Surfszenen festgehalten. Nicht nur, dass die Naturgewalt der haushohen Brandungen eindrucksvoll und wuchtig wiedergegeben wird, die abenteuerliche Kameraarbeit, mit der die waghalsigen Surfeskapaden eingefangen wird (gerade auch wenn die Kamera in die subjektive Perspektive der Surfer wechselt) ist schlicht und ergreifend spektakulär.
Zwar sucht man in der Besetzung von Big Wednesday die ganz großen Namen vergeblich, ähnlich wie zB auch in Conan nutzt Milius dies jedoch als Vorteil, indem er zum einen mit der Unverbrauchtheit seiner Darsteller die Charakterisierung seiner Hauptfiguren perfekt unterstreicht und zum anderen auch dieses mal wieder das Maximum an Darstellerleistungen von seinen Schauspielern abrufen konnte. Gerade Jan-Michael Vincent, der in seiner Karriere als Film- und TV-Star nicht wirklich als darstellerisches Schwergewicht aufgefallen ist, spielt in der Schlüsselrolle des Ausnahmesurfers Matt, dem auf seinem Board alles gelingt, der mit seinem Leben aber nur schwer klarkommt, ganz bemerkenswert auf. Wie er die diversen Facetten und Brüche seiner vielschichtigen Figur meistert das ist schon sehr stark. Auch William Katt in der Rolle des eher besonnenen und den Konventionen folgenden Jack liefert eine tolle Darstellung. Völlig überdreht und ausgeflippt darf man Gary Busey in einer für ihn typischen Rolle als Leroy, der Masochist bewundern, wobei sein Auftritt in Big Wednesday sowas wie der Prototyp für viele ähnlich geartete Busey-Rollen darstellt die folgen sollten. Dennoch hat selbst Busey seine ruhigeren, melancholischeren Momente, in denen er ebenfalls stark aufzutrumpfen weiss. Eine weitere Schlüsselfigur des Films wird von Sam Melville dargestellt: der ältere Surfguru „Bear“, zu dem alle aufsehen und der so etwas wie eine Vaterfigur für die jungen Protagonisten darstellt, der im Verlauf des Films aber zusehends mit seinem eigenen Leben nicht mehr klar kommt und von den sich verändernden Zeiten überrollt wird. Ohne Zweifel hat sich Milius in diversen Facetten der Bear-Figur selbst verewigt und es erscheint daher nur sinnig, dass gerade diese Figur so etwas wie das Zentrum des Films darstellt. Witzig auch, dass Regisseur Milius auch dieses mal wieder einen Cameo-Auftritt als mexikanischer Staßendealer („Ma-Ri-Hu-A-Na!“) hinlegt, wie immer herzerfrischend augenzwinkernd. Generell muss man der kompletten Besetzung von Big Wednesday ein dickes Lob zollen für ihr unverkrampftes, natürliches Spiel, welches großen Anteil an der Wirkung des Films hat.
Den wohl allergrößten Anteil an der Wirkung des Films hat neben der Inszenierung ohne Zweifel Basil Poledouris sensationeller Soundtrack. Poledouris Arbeit für Big Wednesday unterstreicht zum einen perfekt den gefühlvollen, melancholischen Ton des Filmes mit wunderschönen, feineren Stücken wie auch die beeindruckend wuchtigen Surf- und Brandungsszenen mit epischen, mächtigen, ja geradezu triumphierenden Stücken. Dabei ist der Soundtrack nie überdominant oder kleistert den Film zu sondern verschmilzt förmlich mit Milius Bilderpracht. Es ist daher kein Wunder, dass Milius im Anschluss nie wieder mit einem anderen Komponisten zusammenarbeiten wollte als mit seinem kreativen Bruder im Geiste Poledouris, dessen Score zu Big Wednesday sich innerhalb seines an Höhepunkten nicht gerade armen Gesamtwerkes meiner Meinung nach nur seinem Jahrhundertscore zu Conan geschlagen geben muss.
Big Wednesday ist für mich der zweitbester Film innerhalb Milius Oevre und trotz des oberflächlich betrachtet scheinbar ungewöhnlich ruhigen und gefühlvollen Ansatzes in vielen Dingen dennoch ein typischer Milius-Film. Und wenn man sein Werk genau betrachtet findet sich gerade dieser Ansatz auch in vielen seiner anderen Filmen, nur eben nicht so stark im Vordergrund. Big Wednesday ist mit seinen Berührungspunkten zu unterschiedlichen Genres wie Komödie, Coming-of-Age-Film, Drama oder Abenteuerepos in erster Linie eine Ode an die Freundschaft und an das Leben an sich. Selten wurden Veränderungen im Leben junger Menschen so lebensecht, emotional und im besten Sinne des Wortes unaufgeregt festgehalten wie hier. Die fantastischen Surfszenen, der jederzeit perfekt dosierte Humor sowie der grandiose Soundtrack runden einen großartigen Film ab, der auch über 35 Jahre nach seiner Veröffentlichung in Wirkung und Aussage absolut zeitlos geblieben ist.
Wertung: 10 / 10
P.S. Big Wednesday floppte 1978 an der Kinokasse katastrophal, was zum einen an den unzureichenden bzw. praktisch nicht vorhandenen Marketingbemühungen von Warner lag und zum anderen daran, dass der Film in Mitten des aufkommenden Blockbusterkinos einfach den richtigen Zeitpunkt verpasst hatte, den beispielweise George Lucas thematisch verwandter American Graffiti fünf Jahre zuvor noch perfekt getroffen hatte. Für Milius sollte sich der Film finanziell indirekt aber dennoch lohnen, da seine bereits damals sehr geschäftstüchtigen Freunde Steven Spielberg und George Lucas ihm nach den kommerziellen Erfolgen ihrer jeweiligen Filme Der weisse Hai, American Graffiti und Der Wind und der Löwe dazu überredet hatten bei ihren nächsten Filmen jeweils einen ihrer Prozentpunkte an der Ergebnisbeteiligung miteinander zu tauschen. So verdiente Lucas gutes Geld mit Spielbergs Unheimlicher Begegnung der dritten Art, Spielberg im Gegenzug an Lucas Star Wars. An Milius geflopptem Big Wednesday verdienten sie aber gar nix, während ihr bärtiger Freund sich die Hände reiben durfte angesichts des doppelten Geldregens aus Star Wars und der Unheimlichen Begegnung. Auch Jahrzehnte später noch wurde Milius mit einem Grinsen im Gesicht nicht müde zu betonen, dass er eigentlich an dem Deal gar kein Interesse hatte und ihn förmlich von Spielberg und Lucas aufgedrängt bekam, die ihrerseits im Nachhinein verständlicherweise jedoch nicht mehr wirklich begeistert von ihrer Idee waren.
Ich bin hier noch einen kleinen Nachtrag schuldig, da ich vor ein paar Wochen zum ersten Mal The Wind and the Lion gesehen habe. Für eine ausführliche Kritik fehlt mir gerade die Zeit und sie wäre sowieso komplett redundant, da Anatol den Film weiter oben ausführlich rezensiert hat und ich ihm in praktisch allen Punkten zustimmen kann. Wind & Lion ist bildgewaltiges, lockeres und atmosphärisches Abenteuerkino der Sonderklasse, angereichert mit einem Schuss gesunder Tiefgründigkeit. Connery verkörpert den edlen Wüstenscheich charismatisch, selbstironisch und würdevoll, aber auch Brian Keith muss sich als sein in Konzipierung und Darstellung enorm einprägsamer "Gegenspieler" Roosevelt nicht verstecken. Die pompöse, launige und rundum gelungene Inszenierung erledigt den Rest. 9 / 10
Freut mich, dass er dir gefallen hat. Vielleicht dient der Film ja als "Appetizer" für das weitere Werk von Milius.
Wie ich schon geschrieben hatte ist The Wind and the Lion in vielerlei Hinsicht der Film, der am meisten über das Wesen und den Charakter des Menschen John Milius verrät. Bezeichnend für seine unverbiegliche Art und geradezu prophetisch im Hinblick auf seine Karriere als Filmemacher ist dabei der letzte Dialog des Films:
Sherif of Wazan: "Great Raisuli, we have lost everything. All is drifting on the wind as you said. We have lost everything."
Raisuli: "Sherif, is there not one thing in your life that is worth losing everything for?"
Dieses Motto lässt mich das doch recht überschaubare Oevre des Regisseurs Milius dann auch wieder eher mit einem lachenden als mit einem weinenden Auge betrachten, denn nicht um alles in der Welt wollte ich dutzende belanglose Filme gegen die paar komprossmislosen Arbeiten, die Milius schaffen konnte tauschen wollen.
Vielen Dank für den tollen Link, photographer! Sehr aufschlussreiches Interview mit diversen amüsanten Seitenhieben. Meine Lieblingsstelle ist: "When the sun sets, I can sing ‘My Way’ with Elvis, Frank Sinatra, and Richard Nixon. What is your anthem?”
S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:Die 90er? Die waren a) doch harmlos im Vergleich zu den 80ern, z.B. Red Dawn und co. Das war Propaganda pur. Und b) alles ein wenig mit Augenzwinkern.
In wiefern ist Red Dawn Propaganda? Und vor allem für was? Wenn ich an Propaganda denke, dann kommt mir eher so was wie Top Gun oder Iron Eagle in den Sinn.
Da wäre ich jetzt auch mal mehr als interessiert daran. Und bitte bei der Erklärung nicht die platte Doppelmoral der damaligen Kritiker nachplappern, die den Film zu Unrecht in eine Ecke drängen wollten (und alle ganz schockiert einen auf entrüstet taten - wie peinlich), in die dieser einfach nicht so richtig reinpasst und das schon allein seiner durchaus vorhandenen Differenzierungen wegen.
Etwaige Doppelmoral von irgendwelchen Kritikern ist mir a) powidl und b) unbekannt. Kann also nur von meiner Seite aus sprechen:
Bösartige Kommunisten überfallen von heute auf morgen die USA, schießen wahllos auf unschuldige Unbewaffnete, halten die restlichen Überlebenden in KZ-ähnlichen Lagern gefangen und werden schlussendlich trotz Spezialeinheiten (Speznaz mit Panzern und Helikoptern) von Kindern, die sich innerhalb kürzester Zeit zu perfekten Guerillakriegern entwickeln, geschlagen. Natürlich sind die sowjetischen Gegenspieler nicht nur durch und durch sadistisch und brutal, sondern auch noch strunzdumm bei fast allen Aktionen.
Das ganze noch vor dem Hintergrund, dass zu der Zeit ein reaktionärer Spinner namens Reagan ("Reich des Bösen") mit einem Weltbild wie im Mittelalter Präsident der USA war. Wo wir heute noch dankbar sein können, dass es nicht zum Atomkrieg kam.
Wenn das nicht Propaganda pur ist, weiß ich auch nicht.
ps: Wo sollen da Differenzierungen sein? Das ist schwarz-weiß pur.
Zuletzt geändert von S.P.E.C.T.R.E. am 28. Juni 2016 21:03, insgesamt 1-mal geändert.
Top Gun ist zwar auch ein bisschen ein Werbefilm fürs US-Militär aber verglichen mit dem was heute aufgetischt wird (sowohl Budget als auch Effekte, Patriotismus, Opferbereitschaft etc.) ein Kindergeburtstag.
Ich setze gleich mal einen großen Spoilertag, um den Red Dawn-Nochnichtkennern nicht den Spass zu verderben : Spoiler
S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben: Bösartige Kommunisten überfallen von heute auf morgen die USA, schießen wahllos auf unschuldige Unbewaffnete, halten die restlichen Überlebenden in KZ-ähnlichen Lagern gefangen und werden schlussendlich trotz Spezialeinheiten (Speznaz mit Panzern und Helikoptern) von Kindern, die sich innerhalb kürzester Zeit zu perfekten Guerillakriegern entwickeln, geschlagen.
Da entsprechen einige von dir angeführten Dinge aber nicht den Fakten des Films. Es werden nicht die restlichen Überlebenden (tatsächlich fordert der Angriff auf die Stadt ja eher verhältnismäßig wenige Opfer) in Internierungslagern festgehalten, sondern offensichtlich nach bestimmten Kriterien ausgewählte Männer. Was das für Kriterien sind (z.B. eingetragene Waffenbesitzer), darauf geht der Film nicht konkret ein, allerdings beweist die nachwievor vorhandene Zivil-Bevölkerung der Stadt das Gegenteil deiner Behauptung. Wie sorgfältig die Invasoren die perönlichen Hintergründe ihrer Gegner studieren zeigt die spätere Szene, in dem die Pfadfinder-Mitgliedschaft des Bürgermeister-Sohnes kurz thematisiert wird.
Die Russen werden zudem gerade nicht von den Wolverines geschlagen, was einer der Kernaussagen des Films ist. In dieser Hinsicht ist der Film eigentlich ziemlich fatalistisch, in dem er zeigt dass Guerillakrieg nur insofern sinnvoll ist, als dass er dem Aggressor seine Aufgabe erschwert, nicht aber indem er im großen Gesamtkontext (also hinsichtlich des Ausgangs des Krieges) wirklich etwas bewirkt. Guerillakrieg bedeutet Nadelstiche und als genau das zeigt Milius die Aktionen der Wolverines auch, denn letztlich hat sich am Ende des Films (sieht man vom Off-Monolog und der Steintafel ab) überhaupt nichts geändert. Es passt ins Bild, dass der Film den Krieg mit einem lapidaren Off-Satz enden lässt und ihn damit gar trivialisiert (indem er ihn als einen von vielen Kriegen bezeichnet, der sich von anderen in nichts unterscheidet).
Die wirklich einschneidende Veränderung erfolgt innerhalb der Gruppe im Verlauf des Films und auch dies zeigt Milius nicht gerade als positiv. Freundschaften brechen auf, Charaktere stumpfen ab und radikalisieren sich mehr und mehr, Motivationen werden zunehmend in Frage gestellt. Der radikalste Einschnitt im Leben der Jugendlichen ist aber sicherlich die Dezimierung der Gruppe, womit Milius keinen Zweifel darüber lässt, dass der Guerillakrieg für die Beteiligten eine sehr schmerzhafte, zumeist tödliche Angelegenheit ist. Am Ende überleben ausgerechnet ein Mädchen und ein Mitläufer, während die charismatischen Anführer und die glühenden Widerstandskämpfer alle tot sind (die Russen und Kubaner aber immer noch bequem in der Heimatstadt der Wolverines sitzen). Milius setzt hier auch eine sehr gezielte Spitze, indem er die Gruppe zunächst, nämlich als sie selbständig agiert, sehr erfolgreich bei ihren Bemühungen sein lässt, während der Niedergang passenderweise da beginnt, als sich die Wolverines vom Militär (in Person des von Powers Boothe gespielten abgestürzten Kampfpiloten Andy) instrumentalisieren lassen. Das ist sicherlich kein dramaturgischer Zufall ruft man sich in Erinnerung, dass Milius in seinem Folgefilm Farewell to the King genau diese Thematik abendfüllend behandelt.
S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:
Natürlich sind die sowjetischen Gegenspieler nicht nur durch und durch sadistisch und brutal, sondern auch noch strunzdumm bei fast allen Aktionen.
Der Film zeigt die sowjetischen und kubanischen Gegenspieler durchaus differenziert, in dem er den größeren (und auch einigen kleineren) Charakteren stellvertetend sehr menschliche Züge zugesteht. Der größte Sympathieträger auf Seiten der Aggressoren ist sicherlich Oberst Bella, der aufgrund seiner eigenen Guerillavergangenheit Verständnis für die Aktionen der Wolverines hat und zudem durch seine wiederkehrend geschilderte Beziehung zu seiner Frau (in Form eines Briefwechsels) durch und durch als Mensch gezeigt wird. Bella symbolisiert die zwei Seiten der gleichen Medaille und auch hier macht Milius eigentlich wieder unmissverständlich (leider ja nicht angesichts der Reaktionen auf den Film) deutlich, dass der Konflikt West-Ost kein Konflikt Gut gegen Böse ist, sondern lediglich definiert wird durch seinen Verlauf, in dem eine Partei zwangsläufig die aggressive(re) Rolle einnimmt.
Der differenzierteste Charakter auf Seiten der Sowjets ist der von William Smith gespielte Oberst Strelnikov, der als die mit Abstand intelligenteste Figur des Films gezeichnet wird. Durch seine methodische Vorgehensweise sorgt er letztlich für den endgültigen Niedergang der Wolverines. Das ist umso tragischer, da die Guerillas die Falle, die ihnen Strelnikov stellt sogar noch als solche erahnen bzw. befürchten, aufgrund ihrer „Schwäche“ (=Hunger, Isolation und schlicht Überforderung mit der eigenen Situation) aber dennoch reintappen. Dass Bella im Finale Jagd auf die beiden Brüder macht kann man ihm auch kaum übel nehmen, da Swayze und Sheen den Angriff auf die sowjetische Kommandantur ja eröffnen. Strelnikov erlangt seine vielleicht größte Bedeutung für den Film, in dem er die zuvor gezeigten Repressalien gegenüber der Zivilbevölkerung mit einem sehr treffenden, im wahrsten Sinne des wortes fabelhaften Vergleich als dumm und falsch brandmarkt. Damit bezieht auch der Film eindeutig Stellung und eben nicht, indem er die Repressalien als „typisch russisch“ darstellt, sondern indem er sie als im Krieg immer wieder angewandte Taktik zeigt, die letztlich zu nichts führt und von intelligenten Menschen (=Strelnikov) abzulehnen ist.
Auch über Bella und Strelnikov hinaus zeigt der Film einige kleinere sowjetische Figuren sehr menschlich. Etwa das Trio, welches beim Ausflug an die Gedenkstätte von den Wolverines überfallen wird und sich dabei praktisch nicht vom „typisch amerikanischen“ Touristen enterscheidet. Oder den gefangengenommenen Soldaten, der letztlich exekutiert wird und den die Inszenierung keineswegs als gesichtslosen und diabolischen Aggressor zeigt, sondern als einen in eine Uniform gesteckten Menschen. Die erstgenannte Szene konterkarriert zudem sehr schön die letzte Einstellung des Films, indem Milius dein einzigen (scheinbar) des englischen mächtigen Russen die Geschehnisse, die auf der Gedenktafel festgehalten sind (und die er offensichtlich höchstens rudimentär versteht) auf bunteste Art ausschmücken und umdichten lässt. In diesem Kontext erscheint das „positive“ Ende des Films mit dem Off-Monolog und der Steintafel (welches Milius auf Druck des Studios eingefügt hat) geradezu zynisch, da uns Milius zuvor ja bereits gezeigt hat, wie historische Ereignisse verdreht werden – gerade wenn sie im Rahmen einer Gedenkstätte in Stein gemeiselt sind (oder scheinen).
S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:
Wenn das nicht Propaganda pur ist, weiß ich auch nicht.
Die Fage, für was Red Dawn Propaganda sein soll hast du aber immer noch nicht wirklich beantwortet. Top Gun mit seiner hippen Musik und Videoästhetik geht fraglos als Werbefilm für die Marinefliegerei durch. Alles ist sauber und cool, alles voller schöner Menschen und aufgrender Ereignisse. Ja, man muss auch mal einen Rückschlag wegstecken, aber letztlich geht man gestärkt daraus hervor und selbst der größte Konkurrent erweist sich als cooler Typ (kein Wunder bei dem Namen), der schwer in Ordnung ist. Wo kann ich mich für die Navy einschreiben?
Red Dawn dagegen motiviert allerhöchstens jemanden mit Todessehnsucht sich augenblicklich einer Guerillaorganisation anzuschliessen – oder jemanden, der der Handlung und der Entwicklung der Charaktere des Films keine wirkliche Aufmerksamkeit schenkt.
Stellvertetend als Propaganda für den im Reagan-Zeitalter oft propagierten Hurra-Patriotismus sehe ich Red Dawn auch nicht. Tatsächlich wirkt Red Dawn in seiner absichtlich implementierten Differenziertheit und seiner letztlich fatalistischen Aussage sogar fast wie ein Gegenentwurf zu den Filmen, die den „Reagan“-Stempel verdienen wie vielen von Chuck Norris Cannon-Filmen oder Stallones komplettem Arbeitsnachweis des Jahres 1985.
S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:
Das ganze noch vor dem Hintergrund, dass zu der Zeit ein reaktionärer Spinner namens Reagan ("Reich des Bösen") mit einem Weltbild wie im Mittelalter Präsident der USA war. Wo wir heute noch dankbar sein können, dass es nicht zum Atomkrieg kam.
Wie du ja sicher weisst gibt es zu der von dir genannten „Spinner-Theorie“ auch viele Anhänger der Theorie, dass Reagan bewusst den „wilden Cowboy“ gespielt hat, um die Sowjets in ein für sie wirtschaftlich ruinöses Wettrüsten zu treiben (eine Taktik – sei sie nun bewusst oder unbewusst – die letztlich auch den gewünschten Erfolg brachte). Abgesehen davon simplifizierst du die aussenpolitische Präsidentschaft Reagans extrem, da es ja auch Reagan war, der beginnend mit Genf 1985 die Beziehungen zu den nun von Gorbatschow geführten Sowjets mehr und mehr normalisierte (eine Entwicklung, die letztlich entscheidend mitverantwortlich war für die so mögliche Wiedervereinigung Deutschlands). Aber ich will hier die Präsidentschaft Reagans gar nicht in irgendeiner Form bewerten, weder positiv noch negativ (von dem es fraglos genügend gab), ich möchte eigentlich nur daraufhinweisen, dass du in deiner (Kurz-)Bewertung einem ähnlich stark vereinfachenden und offenbar von subjektiven Empfindungen geprägtem Muster folgst wie in deiner Kritik zu Red Dawn und weniger den Tatsachen. Niemand braucht Red Dawn gutfinden, schon gar nicht angesichts des fraglos kontroversen Themas (welches in sehr ähnlicher Form in anderen Filmen aber auch behandelt wird, die dafür seltsamerweise (seltsam, da Red Dawn dafür eine volle Breitseite abbekommt) noch gefeiert werden: z.B. The Day After). Aber einem nachweislich hochintelligenten Mann und extrem befähigten Drehbuchschreiber wie Milius zu unterstellen, er würde nur mit schwarz-weissen Klischees arbeiten ist eine extreme Simplifizierung. Ich gehe soweit und behaupte, dass wenn Milius Filme eindimensional gestrickt sind, dann sind es mindestens 99% aller anderen Filme auch.
Zuletzt geändert von AnatolGogol am 29. Juni 2016 09:21, insgesamt 1-mal geändert.