GoldenProjectile hat geschrieben:Da ich nur wenige Woody-Filme gesehen habe vermag ich das vielleicht nicht allzu genau zu beurteilen - von den Filmen, in denen er selber die Hauptrolle übernimmt, kenne ich ja nur Love&Death, Annie Hall und Manhattan - aber Allen spielt ja gewissermassen immer dieselbe Rolle. Klar, er ist in dem was er kann sehr stark und hat sich die Filme elegant um seinen klassischen Rollentypus, in den er typmässig haargenau reinpasst, herum gebaut, das stelle ich ihm gar nicht in Abrede. Aber wahrscheinlich ist es besser, wenn er zwischendurch, oder genauer gesagt in seiner zweiten Karrierehälfte, diesen Rollentyp auch mal anderen, jüngeren Darstellern überlässt - wie in den Ferrell- und Branagh-Beispielen - oder ganz darauf verzichtet und völlig andere Charaktere entwirft. Eine vom älteren Woody gespielte Nebenrolle wie etwa in Scoop ist zwar netter Bonus und darf gerne mal sein, jedoch glaube ich dass er sich nicht darauf fixieren sollte in möglichst vielen eigenen Filmen mitzuspielen, da sich der Woody-Auftritt dann relativ schnell zur lästigen Pflicht auf der Abhakliste entwickeln könnte und seinem Werk in gewissem Masse die Vielfältigkeit eingrenzen würde.
Grundsätzlich gilt schon, dass Allen eigentlich immer die gleiche Rolle spielt - allerdings in Variationen. Das passt dann auch gut dazu, dass er sehr häufig eigentlich den "gleichen Film" immer und immer wieder gedreht hat - aber eben auch in Variationen. Und genau diese Variationen sind es dann, die Allens Rollen und FIlme so interessant machen, der Mann ist einfach ein unversiegbarer Quell an Ideen. Allen mag als Darsteller keine besonders große Bandbreite haben, aber dafür kann auch niemand anderes die von ihm selbst geschriebenen fantastisch-spritzigen Dialoge so perfekt rüberbringen wie er (außer natürlich Wolfgang Draeger, jedenfalls stimmlich). Vielleicht hast du tatsächlich noch zu wenige Filme mit ihm in der Hauptrolle gesehen, ich ermutige dich jedenfalls möglichst viel seiner Filme zwischen 1972-1986 anzuschauen, in denen er fast ausnahmslos auch immer mitgespielt hat - es ist einfach ein Genuss ihm bei seinem Spiel als intellektueller Neurotiker in Nöten zuzuschauen. Scoop ist übrigens kein gutes Beispiel für ihn als Darsteller, da er hier wie auch der gesamte Film weit unter seiner Normalform bleibt.
GoldenProjectile hat geschrieben:AnatolGogol hat geschrieben:1997: Harry außer sich (Deconstructing Harry) (B, D, R) 9,5 / 10
Angesichts der Wertung möchte ich diesen hier dann auch noch meiner Woody-Abarbeitsliste hinzufügen.
Das kann ich nur befürworten!
Harry ist für mich fraglos der beste Allen nach seiner "Glanzzeit" zwischen 72 und 86. Hier fährt er nochmal alles auf, was seine Filme ausmacht. Allen spielt einen Autor mit Schreibblockade, der in seinen großen Erfolge der Vergangenheit praktisch ausschliesslich sein Privatleben projiziert hat. Genau das wird ihm jetzt zum Verhängnis, da seine literarisch "entblössten" diversen Ex-Frauen und Familienmitglieder ihm sein Leben zur Hölle machen (im wahrsten Sinne des Wortes, denn da landet er zeitweilig). Um dieses Tohuwabohu dramaturgisch noch zu verschärfen fügt Allen immer wieder erläuternde Szenen aus der Vergangenheit seines Protagonisten ein, die aber nicht ihn und seine Angehörige zeigen, sondern seine Romanfiguren, die sein eigenes Leben erleben. Die Vermengung aus Realität und literarischer Alternativwelt ist dann auch einer der ganz großen Clous des Films, darüberhinaus arbeit Allen hier aber auch mit so vielen visuellen Stilmitteln wie sonst wohl nie. So nutzt er immer wieder Jump-Cuts, um die Sprünge im Geist und Leben seines Protagonisten zu zeigen. Das größte visuelle Highlight ist dann ein Unschärfe-Effekt, welcher die zunehmende Desorientierung von Harry zeigen soll (Allen ist komplett out-of-Focus, während der Rest des Films scharf bleibt). Der Film ist unglaublich lustig, obwohl das meiste gar nicht zum Lachen ist. Aber hier kommt dann auch Allens Stärke als Darsteller, Autor und Regisseur voll zur Geltung: kein anderer kann die Tragik des Daseins so unterhaltsam rüberbringen wie er.