Hille, ich sehe das anders. Für mich definiert sich ein Begriff wie "Moral" in erster Linie über den persönlichen Standpunkt. LTK im besonderen und die Bondfilme im Allgemeinen sind dafür ein gutes Beispiel wie ich finde. Wenn der Zuschauer die Methoden und die Motivation von Sanchez als unverhältnismäßig oder gar gestört ansieht, das gleiche Vorgehen von Bond aber als legitim erachtet zeigt dies sehr gut auf was ich hinaus möchte. Bonds Handlungen werden nur dadurch "gerechtfertigt", dass er vermeintlich auf der Seite der Guten agiert. Das mag innerhalb der Fantasiewelt der Bondfilme funktionieren, in der realen Welt, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse nie eindeutig verlaufen und sich stattdessen vieles in Grauzonen abspielt sieht es aber ganz anders aus.
Auch wenn LTK nach wie vor sich sehr viele künstlerische Freiheiten rausnimmt in Bezug auf die Welt, in der seine Geschichte spielt, so orientiert er sich doch aber fraglos weit mehr an der Realität als viele seiner Serienkollegen. Und für mich ist einer der Schlüsselpunkte des Films die von Drehbuch und Inszenierung sehr effektiv gezogenen Parallelen zwischen dem "guten" Bond und dem "bösen" Sanchez. Bonds Motive (Rache und egoistische Interessen) sind letztlich genau so "moralisch" falsch wie die von Sanchez (Profitgier und Machtstreben bzw. -Erhalt), seine Aktionen nicht weniger grausam. Wenn also Sanchez Charakter gestört ist, was ist dann der von Bond? Ich sehe darüberhinaus schon noch weit mehr Unterschiede zwischen Sanchez und den von dir genannten Gegenspielern als nur das offene Kokettieren mit dem Wahnsinn bei den "Standardschurken". Sanchez ist nicht wahnsinnig im gemeinen Bondschurken-Sinn, er ist ein Geschäftsmann, der seine Interessen schützen will. Die Mittel mögen dabei verachtenswert sein, in ihrer Motivation unterscheidet er sich aber grundlegend von Leuten wie Orlov, Silva oder Goldfinger, die im wahrsten Sinne des Wortes zur Erreichung ihrer Ziele über Leichen gehen (gerade auch bei ihren Helfershelfern). Der Witz an LTK ist zudem, dass Sanchez so logische und auf Loyalität aufgebaute Welt in sich zusammenstürzt, da es Bond gelingt ihm eigentlich (mehr oder weniger) loyale Mitarbeiter als Verräter zu verkaufen. Der gesetzte Zweifel ist der Funke, der Sanchez Welt in Flammen setzt.
Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
512Mh, das ist in Teilen so sicher absolut schlüssig und da möchte ich auch gar nicht mal im allzu großen Stil widersprechen. Allerdings schließt die Tatsache, dass Sanchez gestört agiert ja nicht aus, dass Bond nicht auch ein kranker, gestörter und verabscheuungswürdiger Mensch ist. Nur, dass Bonds Handeln (außer in LTK) stets durch seinen bitteren Pragmatismus begründet wird, wir ihn also als niemanden erleben, der von einem persönlichen Standpunkt aus etwas unternimmt, sondern eben (siehe DN) etwas nur tut, weil es sein muss. Dazu passt auch, dass er niemals jemanden wirklich grausam tötet, sondern stets eine relativ unpersönliche (natürlich dennoch kaltblütige) und beinahe "im Kontext" zu verstehende) sachliche Tötungsweise bevorzugt. LTK bricht da aus, zeigt uns einen anderen 007, aber gerade deshalb bin ich davon überzeugt, dass Sanchez als gestört wahrgenommen werden soll, denn erst daraus resultiert die offensichtlich von John Glen so provozierte und beabsichtigte Parallele seines Charakters zum Protagonisten.
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Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
513Ich bin da vollständig im Lager der beiden Herren Anatol und Henrik. Sanchez ist einer simpelsten und dabei gleichzeitig komplexesten Charaktere im Bonduniversum, seine Handlungen und Aktionen sind allesamt vollkommen schlüssig auf die Zeichnung des Charakters gestützt und entwickeln diesen dabei stetig weiter. Und enorm gut gespielt ist er auch noch.
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Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
514Versteh ich nicht, dass widerspricht doch alles nicht der Behauptung, er sei ein gestörter Mensch.GoldenProjectile hat geschrieben:Sanchez ist einer simpelsten und dabei gleichzeitig komplexesten Charaktere im Bonduniversum, seine Handlungen und Aktionen sind allesamt vollkommen schlüssig
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Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
515Bond stört ihn doch die ganze Zeit. 

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Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
516Bingo!AnatolGogol hat geschrieben:Für mich definiert sich ein Begriff wie "Moral" in erster Linie über den persönlichen Standpunkt.

Doppelbingo!AnatolGogol hat geschrieben:In der realen Welt, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse nie eindeutig verlaufen und sich stattdessen vieles in Grauzonen abspielt sieht es aber ganz anders aus.

Casino Hille hat geschrieben:Allerdings schließt die Tatsache, dass Sanchez gestört agiert ja nicht aus, dass Bond nicht auch ein kranker, gestörter und verabscheuungswürdiger Mensch ist.
Was er auch ist. Zwecks "Verarbeitung" seiner Erlebnisse ist er eigentlich ein Alkoholiker (er trinkt sehr sehr oft zu allen Tages- und Nachtzeiten) und sein gestörtes Verhältnis zu Frauen (= kann sich nicht binden) kaschiert er mit schnellem, bedeutungslosen Sex. Eigentlich ist James Bond die Vorstufe zu Charlie Sheen, nur ohne HIV und Tigerblut in den Venen

Äh, nein! Muss er nicht! Er könnte Dent in DN genauso gut fesseln und der Polizei übergeben. Macht er aber nicht, er rächt sich an Strangways und revanchiert sich zugleich für die zahlreichen Anschläge auf sein eigenes Leben, in dem er ihn eiskalt erschiesst.Casino Hille hat geschrieben:Nur, dass Bonds Handeln (außer in LTK) stets durch seinen bitteren Pragmatismus begründet wird, wir ihn also als niemanden erleben, der von einem persönlichen Standpunkt aus etwas unternimmt, sondern eben (siehe DN) etwas nur tut, weil es sein muss.
Ebenfalls nein! Kaltblütig ja, im Kontext ja aber nicht grausam! Wo tötet er in LTK grausam? Bond ist für mich in LTK nicht anders als sonst auch. Er hat zwar eine andere Triebfeder für die Durchführung seiner Taten, aber er ist kein anderer Mensch als sonst auch.Casino Hille hat geschrieben:Dazu passt auch, dass er niemals jemanden wirklich grausam tötet, sondern stets eine relativ unpersönliche (natürlich dennoch kaltblütige) und beinahe "im Kontext" zu verstehende) sachliche Tötungsweise bevorzugt. LTK bricht da aus, zeigt uns einen anderen 007
Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
517Er opfert im Showdown Heller und die Raketen und riskiert damit wissentlich das Leben zahlreicher Unschuldiger. Das würde der gute James niemals tun.S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:Er hat zwar eine andere Triebfeder für die Durchführung seiner Taten, aber er ist kein anderer Mensch als sonst auch.
Da interpretieren wir die Szene wohl anders.S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:Äh, nein! Muss er nicht! Er könnte Dent in DN genauso gut fesseln und der Polizei übergeben.
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Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
518Reden wir von der gleichen Szene?Casino Hille hat geschrieben:Da interpretieren wir die Szene wohl anders.S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:Äh, nein! Muss er nicht! Er könnte Dent in DN genauso gut fesseln und der Polizei übergeben.
Dent sitzt unbewaffnet (besser gesagt ohne Munition) vor ihm und stellt keine Gefahr mehr da. Es gibt also keinen Grund ihn eiskalt zu erschiessen...
Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
519In meiner Erinnerung haut Heller einfach ab und James ist anderweitig beschäftigt. Und was heißt hier der "gute" James? Der werte Herr ist moralisch auch nicht einwandfrei, muss er auch nicht. Er ist schließlich Agent und nicht Stallputzer am Ponyhof...Casino Hille hat geschrieben:Er opfert im Showdown Heller und die Raketen und riskiert damit wissentlich das Leben zahlreicher Unschuldiger. Das würde der gute James niemals tun.S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:Er hat zwar eine andere Triebfeder für die Durchführung seiner Taten, aber er ist kein anderer Mensch als sonst auch.
Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
520Natürlich gibt es den, sofern man jetzt Nietzsche nicht als Endlösung für jedwede Situation der Welt begreift. Selbstverständlich ist die Tötung selbst von einer moralischen Perspektive hier fragwürdig, aber es ist von Bond dennoch kein persönlicher Entschluss, sondern ein rein sachlicher. Er ist ein Auftragsmörder mit staatlicher Legitimation (was ihn als Charakter moralisch nicht komplett unantastbar macht, aber rein auf nüchterner neutraler Ebene nun einmal eine Tatsache ist) und losgeschickt worden, um den Killer von Strangways zu finden. Und was "zu finden" im Kontext seines Berufs bedeutet, sollte eigentlich jedem Menschen klar sein.S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:Dent sitzt unbewaffnet (besser gesagt ohne Munition) vor ihm und stellt keine Gefahr mehr da. Es gibt also keinen Grund ihn eiskalt zu erschiessen...
Das ist unwichtig für den Kontext dieser Szene. James weiß um Hellers Auftrag und um die Wichtigkeit (im Hinblick auf das Überleben ziviler Gestalten) dieser Operation und sabotiert diese in dem Moment wissentlich in der völlig verzweifelten Hoffnung, damit irgendwie aus dem Schlamassel zu kommen, in dem er steckt. Das ist allerdings in LTK auch ohne den Faktor 007 ein Problem (sprich: Wäre LTK kein Bondfilm, würde ich die Szene dennoch kritisieren), weil hier der Protagonist seine vorher noch in Teilen aufgezeigten Prinzipien unschlüssigerweise komplett über den Haufen wirft, obwohl das daraus vermutlich Resultierende von vornherein den Einsatz nicht rechtfertigt.S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:In meiner Erinnerung haut Heller einfach ab und James ist anderweitig beschäftigt.
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Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
521Hille, ich sehe das Ausnutzen von Hellers Situation durch Bond, bei welchem er "Kollateralschäden" in Kauf nimmt auch nicht wirklich anders als Bonds Verhalten in anderen Filmen, wenn er beispielsweise mit einem schweren Kampfpanzer durch St. Pertersburg brettert oder mit einem Schnellboot durch massenhafte Ansammlungen von amerikanischen Südstaatlern heizt, denn auch hier nimmt er bewusst die Möglichkeit ziviler Opfer in Kauf. Natürlich sind die Bondfilme so aufgebaut, dass dem Zuschauer blindes Vertrauen in Bonds Fähigkeiten vermittelt wird, er also genau weiss, dass da eh nix passieren wird. Aber defakto ändert das an der Situation ja nichts. Man sollte auch nicht vergessen, dass es sich im Falle Heller um eine handvoll Stingerraketen handelt und nicht etwa um atomare Sprengköpfe oder ähnliche wesentlich brisantere Waffen. Bei den Unmengen von Stingerraketen, die die amerikanische Regierung in den 80ern in Krisengebiete geliefert hat spielen die paar von Heller im Hinblick auf eine eventuelle Bedrohung amerikanischer Zivilisten wirklich keine große Rolle. Natürlich ist es für die amerikanischen Behörden ein einfacher Ausweg Heller über Pam zu kaufen und ihn so zur Rückgabe der Raketen zu bewegen, aber wie gesagt: letztlich sind die paar Stinger auch nur ein Tropfen auf dem heissen Stein des internationalen Waffenhandels.
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Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
522Uff. Nun ja, das kann man jetzt natürlich durchaus so auslegen, aber ein bisschen was anderes ist die Situation ja schon noch, würde ich jetzt sagen, auch rein vom Empfinden her (und das LTK deutlicher als andere Bonds in einer der Realität sehr ähnlichen Welt spielt macht das ganze für seinen Fall noch gravierender). Die GE und die LALD Situation unterscheiden sich zumindest von Bonds Aktion in LTK insofern, dass er in den erst genannten Fällen "heroisch" ein Ziel verfolgt, welches in Relation zum von ihm verursachten Schaden das deutlich gewichtigere darstellt. So etwas sehe ich im LTK-Showdown nicht, hier ist es Bonds "armseliger" Versuch, seinen Kopf aus der Affäre zu ziehen (das er für Pam auf Zeit spielt, halte ich für hochgradig unwahrscheinlich, da sie ihm in diesem Moment kaum helfen könnte) und irgendwie weiter seine Rachegelüste befriedigen zu können. Die Relation ist hier ganz anders, Bonds Verhalten ist nicht nur fahrlässig und leichtfertig, sondern nach meinem Empfinden auch unverhältnismäßig.
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Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
523Hier ist AnatolGogol voll und ganz zuzustimmen bei seinen Ausführungen. Und fahrlässig und leichtfertig ist Bond in mindestens jedem zweiten Film 

Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
524Genau das gleiche macht er aber in GF doch auch, als er den völlig unbeteiligten 008 mit hinein zieht. Man stelle sich vor Goldfinger nimmt das als bare Münze und schickt umgehend Odd-Job los, um den armen 008 zu liquidieren. Als besonders heroisch sehe ich auch gerade seinen Einsatz in LALD nicht, da geht es in letzter Konsequenz ja auch nur darum zu verhindern, dass ein Drogenhändler sein Geschäft machen kann. Ob das nun rechtfertigt das Leben einer älteren Dame (Mrs Bell!) aufs Spiel zu setzen möchte ich mal dahin gestellt lassen.Casino Hille hat geschrieben:So etwas sehe ich im LTK-Showdown nicht, hier ist es Bonds "armseliger" Versuch, seinen Kopf aus der Affäre zu ziehen (das er für Pam auf Zeit spielt, halte ich für hochgradig unwahrscheinlich, da sie ihm in diesem Moment kaum helfen könnte) und irgendwie weiter seine Rachegelüste befriedigen zu können. Die Relation ist hier ganz anders, Bonds Verhalten ist nicht nur fahrlässig und leichtfertig, sondern nach meinem Empfinden auch unverhältnismäßig.

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Re: Filmbesprechung: "Licence to Kill (LTK)"
525Bond ist doch an sich kein Auftragsmörder, auch wenn es einzelne Szenen gibt wo das zutrifft (CR, TLD). Er hat die Erlaubnis innerhalb seine Arbeit zu töten, aber das heißt nicht daß er loszieht um jeden zu töten auf den er angesetzt ist. Wenn du den Mord an Dent verteidigst dann müsstest du ihn für all die anderen kritisieren die er nicht tötet. Die Frau die ihn bei dent in die Falle lockt tötet er ja auch nicht, sondern übergibt sie dem Gesetz, und das hätte er mit Dent auch tun müssen. Hatte Dent eigentlich Gelegenheit Bond sein ganzes Wissen über Dr. No mitzuteilen? (Hey, habe ich da gerade einen gigantischen Logikbock erwischt?)Casino Hille hat geschrieben:Natürlich gibt es den, sofern man jetzt Nietzsche nicht als Endlösung für jedwede Situation der Welt begreift. Selbstverständlich ist die Tötung selbst von einer moralischen Perspektive hier fragwürdig, aber es ist von Bond dennoch kein persönlicher Entschluss, sondern ein rein sachlicher. Er ist ein Auftragsmörder mit staatlicher Legitimation (was ihn als Charakter moralisch nicht komplett unantastbar macht, aber rein auf nüchterner neutraler Ebene nun einmal eine Tatsache ist) und losgeschickt worden, um den Killer von Strangways zu finden. Und was "zu finden" im Kontext seines Berufs bedeutet, sollte eigentlich jedem Menschen klar sein.S.P.E.C.T.R.E. hat geschrieben:Dent sitzt unbewaffnet (besser gesagt ohne Munition) vor ihm und stellt keine Gefahr mehr da. Es gibt also keinen Grund ihn eiskalt zu erschiessen...
Der Mord an Dent ist ziemlich willkürlich.
Und welche unschuldigen gefährdet Bond in License to Grill?