Spectre (2015) – Sam Mendes
SF hat seinem Nachfolger große Schuhe hinterlassen: ein gigantisches Einspielergebnis und überschwängliche Resonanz sowohl von Kritiker- als von Publikumsseite erhoben den Jubiliäumsfilm zu einem sofortigen Klassiker der Serie. Eine der spannendsten Fragen im Vorfeld des Nachfolgers SP war es daher, mit welcher Strategie die verantwortlichen Macher diesen Erfolg zu reproduzieren gedachten, nichtzuletzt da SF ja durchaus einige Neuerungen in die Serie eingebracht hatte.
Und Mendes beginnt den Film in der Tat erneut mit einer im Bondkosmos in dieser Form bislang nicht gesehenen sehr langen, elegant konzipiert und ausgeführten Kamerafahrt, welche gleichermaßen Szenerie, Figuren und Ausgangssituation einführt. Da werden Erinnerungen an die Meister dieses Stilmittels wie Hitchcock oder Argento wach und Mendes setzt damit gleich zu Beginn ein echtes Ausrufezeichen. Doch gleichzeitig macht bereits die PTS auch deutlich, dass man sich dieses mal sehr gütlich in der eigenen jüngeren Vergangenheit als Vorlagen für Szenen und Elemente bedient, so werden bei Bonds Versuch einem von ihm in letzter Konsequenz zum Einsturz gebrachten Gebäude gleichermaßen Erinnerungen an ähnlich konzipierte Szenen in CR (Palazzo) und QOS (Gerüst) wach. Auch was den Aufbau seines Filmes anbelangt hält sich Mendes bei SP eng an die Vorlage seines Vorgängerfilms, zunächst lässt er sein Publikum lange im Unklaren über die Hintergründe und Motive der von Bond verfolgten Schurkere. Gleichzeitig nimmt er sich eine sehr ausführliche Exposition, mit welcher er seine Figuren in Stellung bringt. Aber auch wenn SP bereits im ersten Filmdrittel oftmals wie ein Klon seines Vorgängers wirkt, so hilft Mendes Inszenierung hier problemlos über die Doubletten und Deja-vus hinweg. Inszenatorisch ganz besonders gelungen ist ihm dabei die Einführung der titelgebenden Verbrecherorganisation, welche er sehr stilvoll in einer wahren Symphonie von schummriger Beleuchtung und Schatten zelebriert. Die so vollzogene Einführung von Waltz Oberschurken ist sicherlich eine der gelungensten in der langen Serie, hier werden Erinnerungen an den gesichtslosen Blofeld aus FRWL und TB wach, was von dem zunächst ebenfalls gesichtslosen Drahtzieher eine geradezu gespenstische Gefahr ausgehen lässt.
Dem Film gelingt es dieses hohe Niveau über weite Strecken der ersten Hälfte aufrecht zu halten, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass viele Szenen die Handlung erkennbar voranbringen und zudem der Spannungsaufbau durch das bewusste im Unklaren lassen des Publikums gut funktioniert. Die sehr stilvoll eingefangenen Locations in Mexiko, Rom und Österreich unterstreichen dies. Leider gibt es ab der Einführung des von Lea Seydoux gespielten Bondgirls einen Bruch im Film. Zwar wird das Tempo durch eine furiose Actionsequenz in den österreichischen Alpen nochmals hochgehalten, aber mit Ankunft in Nordafrika nimmt sich der Film dann eine erkennbare Auszeit – und auch darin folgt Mendes dem Aufbau seines Vorgängerfilms. Die ausführlich gehaltenen Szenen zwischen Craig und Seydoux sollen unzweifelhaft zur stärkeren Charakterisierung ihrer Rollen beitragen, was meiner Ansicht nach aber nicht gelingt – auch weil die Dialoge hier sehr austauschbar und nichtssagen bleiben. Und auch, weil dieses Philosphieren über Vergangenheit und Entscheidungen nicht wirklich zu etwas führt bzw. im späteren Verlauf effektiv aufgegriffen wird. Sicher, es geht um Vertrauen und letztlich wird auf diesen Punkt im Finale dann auch wieder abgezielt, aber das doch sehr oberflächlich und wenig glaubhaft. Auch wird man in den Szenen im Hotel und im Zug das Gefühl nicht los, dass man hier hier mit der Brechstange eine ähnliche Chemie wie in CR zwischen Bond und Vesper heraufbeschwören wollte, was aber aufgrund der schwach geschriebenen Szenen und unpointierten Dialogen nicht funktioniert. Leider setzt sich diese schleppende Dramaturgie dann auch in der als vorläufigen Höhepunkt inszenierten Szene im Spectre-Hauptquartier in der Wüste fort. Es hilft hier auch nicht wirklich, dass die als großer Paukenschlag vorgesehene „Offenbarung“ des Films zu diesem Zeitpunkt dann keinen mehr so richtig überraschen kann. Spätestens hier machen sich dann die zahlreichen unverkennbar kopierten Szenen des Vorgängers wirklich negativ bemerkbar, denn das Aufeinandertreffen zwischen Craig und Waltz in der Wüste gleicht dem zwischen Craig und Bardem in SF fast aufs Haar (nur dass es diesesmal Bond und nicht dem Bondgirl ans Leder geht).
Bleiben wir bei den Doubletten: erfolgreiche Vorgängerfilme – auch direkte – quasi als Blaupause für einen neuen Film zu nehmen ist im Bond-Franchise ja eine seit langem bekannte Vorgehensweise. Ist dies bei SP in stärkerem Maße der Fall als z.B. in MR? Das könnte ich noch nicht einmal sagen. Es ist viel mehr Mendes oftmals sehr zeitintensive, tempoarme Inszenierung in Kombination mit einem erstaunlich inhaltsleeren Drehbuch und Figuren, die nicht wirklich Leben und Eigenständigkeit entwickeln, die die zahlreichen kopierten Elemente so aufdringlich und unangenehm zum Vorschein kommen lassen. Erneut erleben wir einen James Bond, der außerhalb seiner Befehle auf eigene Faust ermittelt, wieder geht es um ein riesiges, mysteriöses Komplott, wieder steht die Zukunft des MI6 auf dem Spiel, wieder wird die Frage nach der Zeitgemäßigkeit gestellt, wieder ein Widersacher, der lange im Dunkeln bleibt bis es zum großen Treffen in abgelegener Location kommt, wieder werden die Geister der Vergangenheit bemüht und damit auf eine Psychologisierung von Bond abgezielt, wieder gibt es einen eher nüchternen Showdown in schicksals- und interpretationsträchtiger Location, wieder endet der Film mit einem Verweis an die „klassische“ Vergangenheit. War so viel Übernahme aus SF und in geringerem Maße aus CR (interessant übrigens, wie der Film nahezu jeden Bezug zu QOS vermeidet, während er die beiden anderen Craigfilme fortwährend inhaltlich wie elementar zitiert) wirklich notwendig?
Hinzu kommt wie bereits angedeutet eine selbst für Bondverhältnisse erstaunlich dünne Handlung. Das Thema Datenkontrolle und –Missbrauch mag aktuell sein, aber gerade dadurch wirkt es auch irgendwie beliebig. Selbst Waltz Oberschurke scheint wenig Interesse daran zu haben, als er auf die Nachfrage wozu sein grandioses Hauptquartier eigentlich diene lapidar „Information“ raushaut. Der Film macht auch nichts daraus, es wird eigentlich nie darauf eingegangen welche Auswirkungen die Kontrolle der gesammelten Geheimdienstinformationen der westlichen Welt durch Spectre hätte. Zudem wird Spectres Überwachungsapparat als derart perfekt eingeführt (vor allem auch in Bezug auf die Bespitzelung des MI6), dass man sich fragen muss, ob die groß angekündigte Datenfusion wirklich noch wichtige Informationen liefern würde, die man nicht ohnehin schon kennt. Ein echtes Bedrohungsszenario will sich dadurch nicht effektiv einstellen, es läuft wieder auf ein reines Personenduell zwischen Bond und seinem Widersacher Oberhauser hinaus.
Und dieses Personenduell, welches ein weiteres recyceltes Element des Vorgängers darstellt, leidet unter der Schwäche seines Antagonisten. Waltz ist ein feiner Schauspieler, der eine deutlich größere darstellerische Bandbreite aufzuweisen hat, als es sein durch die beiden Oscarprämierten Tarantionrollen zemtiertes derzeitiges Rollenklischee vermuten ließe. Leider, und ich bedaure dies wirklich sehr, geht SP auch hier wieder auf Nummer Sicher und legt die Oberhauserrolle als Hans Landa-Klon an mit der bekannten Jovialität, ja man hat noch nicht einmal Skrupel das bekannte „Bingo“ in Form eines „Kuckuck“ zu plagiieren. Erschwerend kommen noch die wirklich sehr schwach geschriebenen Szenen von Waltz hinzu (abgesehen von seiner tollen Einführung), die ihm sehr wenig Möglichkeit geben mehr rauszuholen. Die Stilisierung seiner Figur als sadistischen Folterknecht ist in meinen Augen ein weiterer großer Fehler, da man hier eine Grenze überschreitet. Sadismus ist im Bondkosmos nichts neues, in den Romanen zelebrierte Fleming dies sogar sehr genüsslich. Auch in den Filmen hat es eine lange Tradition, die zurückreicht bis zum Erstling DN (zB Honeys drohender Tod durch Ertrinken). Allerdings hat die Folterszene in SP eine ganz andere „Qualität“ und erinnerte mich eher an Tortureporn als an einen Bondfilm. Es fehlte jeglicher Stil, jegliches bewusstes Brechen zB durch Humor. Vor nimmt man dadurch der Waltz-Figur jegliche „Würde“ und lässt sie zum reinen Psychopathen verkommen.
Das ist ein weit größerer Bruch der Blofeld-Figur, als die in diesem Zusammenhang oft kritisierten Szenen in DAF und FYEO. Durch diese effekthascherische Szene wird er einfach nur zum kranken Freak gestempelt.
Zudem fand ich die dramaturgische „Geschichtsneuschreibung“ der Vorgängerfilm durch die Etablierung von Spectre als großem, unbekanntem Drahzieher im Hintergrund als unglücklich und wenig stimmig. Zunächst wurde Quantum als die allesbeherrschende Organisation eingeführt, nur um jetzt als beherrschtes Tochterunternehmen von Spectre entpuppt zu werden? Der so selbstbestimmte Silva letztlich nur eine Marionette von Oberhauser? Das will für mich nicht wirklich funktionieren und die dadurch holprige Etablierung von Spectre/Oberhauser agiert hier ähnlich unglücklich, wie es die aufgezwungen Vorgeschichte in George Lucas Star Wars Prequels es oftmals tut.
Der Eindruck der schleppenden, oft angestrengt wirkenden Inszenierung der zweiten Filmhälfte wird noch verstärkt durch die Fragmentierung der Handlung und den permanenten Wechsel der Handlungsorte. Hier wird der „Segen“ eine vergleichsweise prominent besetzte MI6-Crew an Bord zu haben in gewisser Weise zum „Fluch“, da man diesen größeren Namen dann eben auch entsprechend größere Szenen und Anteil an der Handlung teilhaben lässt. Besonders Fiennes „M“ bekommt quasi seinen eigenen Subplot, in dem er sich mit dem von Andrew Scott überzeugend verkörperten Schreibtischtäter „C“ einen verbalen und physischen Schlagabtausch liefern darf. Die Verknüpfung des Showdowns zwischen Craig/Waltz und Fiennes/Scott ist allerdings nicht sonderlich überzeugend gelungen, statt ein richtig gutes Finale bekommt man so zwei mittelmäßige und noch dazu eher unspektakuläre. Besonders erstaunlich fand ich auf der Besetzungsseite, wie sorglos man einen großen Namen wie Monica Bellucci in einer für die Handlung eigentlich vollkommen überflüssigen Rolle regelrecht verheizt. Sie wird stilvoll eingeführt, bekommt eine weitere gelungene Szene mit Craig (die gleichzeitig auch den erotischen Höhepunkt des Films darstellt) – und weg war sie. Ich kann mich an keine entbehrlichere Rolle eines „echten“ Bondgirls erinnern, ich dachte den ganzen Film über, dass hinter ihre Rolle mehr stecken muss und sie am Ende nochmal aus dem Hut gezaubert wird. Einen guten Eindruck hinterlässt Dave Bautista als gnadenloser Henchman, der aufgrund seiner bulligen Statur und seiner bedrohlichen Einführung endlich auch mal eine gewisse Eigenständigkeit entwickeln darf – etwas, was die Henchmen der Craig-Ära zuvor nur sehr bedingt zugestanden bekamen.
Die Actionszenen spielen sich erfreulicherweise bei SP alle im Bereich zwischen gut und ok ab, richtige Ausfälle gibt es keine. Wirklich gelungen empfand ich die einführende Helicopterszene in der PTS, in welcher man nicht nur irre Flugstunts zu sehen bekommt sondern auch eine spannungsgeladene Einbindung der Menschenmassen. Den zweiten Actionhöhepunkt stellt für mich die Verfolgung in den österreichischen Alpen dar, so zweckentfremdet hat man ein Flugzeug wohl noch nie zu sehen bekommen. Die Autoverfolgung in Rom, der Schlagabtausch im Zug sowie die finale Heli-Verfolgung auf der Themse sind ok, ohne dass hier aber wirklich Großartiges geboten wird. Vor allem die römische Autojagd hinterlässt etwas den Eindruck eines Aston Martin-Schaulaufens, auch wenn es nicht solche Ausmaße wie die BMW-Werbeschauen in GE und TWINE annimmt. Erstaunlicherweise blieb mir die römische Autoverfolgung auch eher wegen ihres Humors in Erinnerung wie generell festzuhalten bleibt, dass man in SP die bereits im Vorgänger vorzufindende Hinwendung wieder mehr in Richtung des leichten Humors konsequent fortsetzt bzw. ausbaut. Die diversen kleinen Gags sind dabei gut in die jeweiligen Szenen integriert und lenken eigentlich nie von der Handlung ab. In der zweiten Hälfte wird das dann etwas zurückgefahren, aber es ist schön, dass man in einem Bondfilm auch wieder herzhaft lachen darf (die Szene, als Craig in der PTS die Wandleuchter in der Hand hält ist köstlich). Ein besonderes Lob hat sich dieses mal Thomas Newman verdient, der einen oftmals packenden und eingängigen Soundtrack abgeliefert hat. Wuchtige, treibende Passagen wechseln sich dabei mit majästätisch-bedrohlichen langsameren Stücken ab, seine Arbeit gefiel mir in Summe deutlich besser als die zum Vorgänger.
Ja, die Schuhe von SF waren groß und ebenso war es die Erwartungshaltung. Dass man sich im EON-Lager dazu entschlossen hat auf „Nummer Sicher“ zu gehen und sich oftmals geradezu sklavisch an dem Vorgänger zu orientieren ist daher verständlich, leider beieinflusst dieser oftmalige Deja-vu-Eindruck aber in Kombination mit Mendes nicht immer zielgerichteten Inszenierung und einem äußerst dünnen Handlungs- und Figurenunterbau vor allem die zweite Filmhälfte negativ. Hinzu kommt eine – auch aufgrund von Mendes Inszenierungsstil – gefühlt halbe Stunde zu lange Laufzeit. Ein starkes erstes Drittel, ein souveräner Craig, eine ordentlich bis gute Actionshow und ein toller Soundtrack können zwar einiges wettmachen, aber der eher schleppende Eindruck der zweiten Hälfte zieht den Film dann doch gehörig runter. In Summe war das dann für mich gerade noch so überdurchschnittlich.
Wertung: 6 / 10