Na, dann hoffe ich mal, dass ich mit diesem Review dem Lieblingsbond von - unter anderem - Sam Mendes gerecht werde.
James Bond 007 - Leben und sterben lassen
Burt Reynolds, Robert Redford, Julian Glover, John Gavin, Paul Newman, Jeremy Brett und viele weitere wurden in Betracht gezogen, um in riesige Fußstapfen zutreten, denn als die wilden 60er vorbei waren und Sean Connery nach "Diamantenfieber" endgültig die Rolle seines Lebens abgab, waren sich Kritiker und Presse einig: James Bond ist tot! Guy Hamilton, der bereits bei "Goldfinger" und "Diamantenfieber" Regie führte, sollte mit dem achten Teil der Reihe beweisen, dass dem nicht so war. Die Wahl für Connerys Nachfolger fiel schließlich auf den britischen TV-Star Roger Moore, der 1962 bereits für die Rolle in "007 jagt Dr. No" vorgesehen war. Mit weiteren internationalen Stars, aufwendigen Actionszenen und einer frischen, sich deutlich von den Vorgängern abgrenzenden Story, kam "Leben und sterben lassen" 1973 in die Kinos. Doch eine Frage blieb: Wie würde Moore als James Bond 007 funktionieren?
Die Antwort darauf ist schnell gefunden: fantastisch! Allerdings deshalb, weil sich die Produzenten Albert R. Broccoli und Harry Saltzman einen radikalen Schnitt trauten und die Bond-Figur komplett an den neuen Hauptdarsteller anpassten. Oberflächlich betrachtet ließ man zwar nur den Hut weg und ließ ihn Zigarren statt Zigaretten rauchen, doch wo Connery den eiskalten Pragmatiker in Person verkörperte, einen Mann, der Frauen gleichermaßen verführen wie ermorden konnte und seine Darstellung allgemein etwas animalisch-wildes hatte, legt es Moore in seiner Interpretation viel mehr auf die britischen Züge der Figur an. Seine etwas steife Performance lässt Bond zu einem stilsicheren Engländer werden, der gleichermaßen Snobismus wie Kultiviertheit ausstrahlt, welche Moore selbst mit einem Hauch leiser (Selbst-)Ironie verknüpft, die humoristisch weit weg von der bitterschwarzen und zynischen Art Connerys angelegt ist. In den weiteren Hauptrollen überzeugen außerdem Yaphet Kotto als zwielichtiger Kananga und Jane Seymour, die den perfekten Ton zwischen sinnlicher Erotik und unschuldiger Jungfräulichkeit hinbekommt. Besonders gut sind Kotto und Seymour im Zusammenspiel, da sie sich (für Bond) ungewöhnlich viele Szenen teilen.
Die Handlung für den neuen 007 erinnert in ihren Grundzügen an den Erstling der Reihe, verzichtet jedoch völlig auf ein Weltbedrohungsszenario und trotz Karibik-Kulisse auf die exotisch-globale Optik. Hamilton gibt sich reichlich Mühe, besonders in der ersten Hälfte den Eindruck zu erwecken, dass man es wie nie zuvor mit einem eher geerdeten und nüchternen Detektivabenteuer zu tun hat. So dauert es über eine Stunde bis zur ersten Actionszene und thematisch handelt der Film eben eher von der New Yorker Unterwelt und dem organisierten Drogengeschäft, als von Super-Lasern und geklauten Atombomben. Auf der einen Seite eine willkommene und nötige Abwechslung, allerdings auch ein Grund dafür, dass "Leben und sterben lassen" etwas braucht, um in Fahrt zu kommen und anfänglich nur durch die vorsichtigen Voodoo-Elemente etwas Spannung erzeugt. Selbst der Soundtrack, der hier erstmals nicht von John Barry, sondern Beatles-Produzent George Martin stammt, verzichtet auf große epische Stücke, sondern eher auf atmosphärische Melodien. Der achte Bond-Film erscheint tatsächlich deutlich kleiner und bescheidener und kommt damit im Kontext der Reihe wie ein vollständiger Neubeginn daher. Und nach etwa 65 Minuten vermag dieser dann auch wirklich zu zünden. Man hat sich an Moore und den neuen "leichteren" Stil gewöhnt und mit der ersten Verfolgungsjagd mit einem Doppeldeckerbus kommt richtig Fahrt auf, wobei besonders erfreulich ist, dass Hamilton alle Actionszenen sehr ruhig mit Totalen filmt und ohne große Schnitte hantiert und auch die Musik meistens fehlt, um das Augenmerk ganz auf die großartige Stuntarbeit zu konzentrieren.
Allgemein ist die zweite Hälfte des Filmes eine vorzügliche Aneinanderreihung verschiedener Episoden, die ihren Höhepunkt zweifellos in einem der Actionhighlights der Reihe findet: einer kolossalen Bootsfahrt, die in der Hinsicht bemerkenswert ist, als das sie nicht Bond, sondern den ulkigen und heute noch urkomischen Sheriff Pepper, gespielt von Komiker Clifton James, in den Vordergrund stellt und so dessen absurden Charakter nutzt, um mal einen anderen Blick auf das Ausmaß Bondscher Verfolgungsjagden zu erhalten. Hamilton beweist hier ein unglaublich ausgeprägtes Gespür für Tempo, Rhythmus und Atmosphäre, die besonders im Finale noch einmal richtig zunimmt. Drei Elemente sollten außerdem besonders gewürdigt werden: David Hedison ist der erste Darsteller der Reihe, dem es gelingt, aus Felix Leiter eine interessante Nebenfigur zu machen, Julius W. Harris als Henchman Tee Hee ist eine genial absurde Figur, die sich perfekt in den für Bond typisch bunten Unfug einfügt und Bonds Ausflug auf eine Krokodilfarm, die in einem der beeindruckendsten Stunts der Filmgeschichte endet, lässt einen heute noch die Luft anhalten. Etwas enttäuschend ist eigentlich nur, dass in Form von Rosie Carver (süß: Gloria Hendry) der Film es sich dann doch nicht nehmen lässt, eine zu offensichtlich dämliche Figur in die Handlung zu quetschen und diese selbst hin und wieder die Frage aufwirft, was ein britischer Agent eigentlich mit einem amerikanischen Drogenbaron zu tun hat. Auffällig ist auch, wie sehr die Kleidung im Film von den 70er-Jahren geprägt ist, was Hamiltons dritten Streich heute leider etwas weniger zeitlos wirken lässt, als andere 007-Abenteuer.
Fazit: Auch wenn "Leben und sterben lassen" anfänglich längere Zeit braucht, um in die Gänge zu kommen, genießt der Zuschauer besonders die zweite Hälfte des Filmes und lässt sich von den Actionszenen und all den üblichen Bondschen Elementen, so wie durch einen der besten Casts der Reihe begeistern. Roger Moores Einstand als 007 glückt insbesondere durch den fein pointierten Humor, die spritzige Mischung, die Hamilton nach seinem vorherigen Fehlgriff "Diamantenfieber" erstaunlicherweise wieder perfekt zu beherrschen scheint und den Sonderstatus, den dieser Film aufgrund seiner gewollten Andersartigkeit in Bezug zu den früheren Connery-Filmen, innerhalb der Reihe einnimmt. Die Produzenten konnten glücklich sagen: "Patient lebt, ist hellwach und wieder auf den Beinen!" Die Welt hatte einen neuen 007.
8/10