Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Was ich an Verhoeven mag ist sein ungeheuchelter Zugang zu Sex und Gewalt, die er als knalliges Spektakel und ohne moralische Verbrämung auf die Leinwand donnert. Aber seine Gewaltdarstellungen mag ich von der Inszenierung her nur selten, und finde sie im Kontext der jeweiligen filme oft eher daneben. wie auch seine Vorstellungen von Erotik ganz andere sind als meine. Und ästhetisch geben mir seine Filme ohnehin nur wenig.

Was sehe ich! Was sehe ich! - / 10
Türkische Früchte 7 / 10
Das Mädchen Keetje Tippel - / 10
Der Soldat von Oranien - / 10
Spetters - / 10
Der vierte Mann 6 / 10
Flesh and Blood 7 / 10
Robocop 3 / 10
Total Recall 5 / 10
Basic Instinct 7 / 10
Showgirls 3 / 10
Starship Troopers 6 / 10
Hollow Man 6 / 10
Black Book 7 / 10

So siehts aus ...
Zuletzt geändert von Maibaum am 17. August 2015 23:11, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Maibaum hat geschrieben:In den 90gern waren sensationelle Sexszenen kaum noch mit kommerziellem Erfolg verbunden, und Basic Instinct war vielleicht schon der letzte Film mit spektakulärem Sex der auch Kasse machte. Oder war da noch was seitdem?
Levinsons ebenfalls sehr erfolgreicher Enthüllung zwei Jahre danach haute auch noch mal kräftig auf die Marketingpauke mit den heissen Szenen zwischen Demi Moore und Michael Douglas. Aber du hast schon recht, schaut man sich an wie häufig bis in die frühen 90er Jahre Filme mit skandalträchtigen Sexszenen wie geschnitten Brot liefen ist seither auf dem Gebiet wirklich absolute Flaute. Vermutlich war sogar Basic Instinct mit Schuld daran, dass fast alle nachfolgenden Filme mit „tabulosen Sexszenen“ niemanden wirklich hinterm Ofen vorlocken konnten, Showgirls, Color of Night oder Body of Evidence machten diese Erfahrung dann auf die ganz harte Tour.
Maibaum hat geschrieben:Was ich an Verhoeven mag ist sein ungeheuchelter Zugang zu Sex und Gewalt, die er als knalliges Spektakel und ohne moralische Verbrämung auf die Leinwand donnert. Aber seine Gewaltdarstellungen mag ich von der Inszenierung her nur selten, und finde sie im Kontext der jeweiligen filme oft eher daneben. wie auch seine Vorstellungen von Erotik ganz andere sind als meine. Und ästhetisch geben mir seine Filme ohnehin nur wenig.

Was sehe ich! Was sehe ich! - / 10
Türkische Früchte 7 / 10
Das Mädchen Keetje Tippel - / 10
Der Soldat von Oranien - / 10
Spetters - / 10
Der vierte Mann 6 / 10
Flesh and Blood 7 / 10
Robocop 6 / 10
Total Recall 5 / 10
Basic Instinct 7 / 10
Showgirls 3 / 10
Starship Troopers 6 / 10
Hollow Man 6 / 10
Black Book 7 / 10

So siehts aus ...
Ich lese deine Einstufungen immer wieder mit höchstem Interesse! Besonders fällt mir diesmal auf, wie verhältnismäßig gut Flesh and Blood bei dir wegkommt, der ja normalerweise eher als durchschnitlliches Werk angesehen wird (was ich allerdings auch nicht so sehe). Was gefiel dir denn an dem Film besser als an den meisten anderen Verhoeven-Hollywoodfilmen?

Da dir Türkische Früchte und vor allem Black Book scheinbar gut gefallen haben würde ich dir unbedingt noch Der Soldat von Oranien empfehlen. Der Film ist fast so etwas wie eine Alternativversion von Black Book (bzw eigentlich ist es ja genau umgekehert) und besticht durch herausragende Darsteller (Hauer und Krabbé sind ein Wucht!), spannende Handlung und epischen Touch. Für eine niederländische Produktion ist es zudem sehr aufwändig.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Ich werde mir demnächst "Der Soldat von Oranien" und Türkische Früchte" ansehen, die ich beide noch nicht kenne. Flesh and Blood, Holllow Man und Showgirls bedürfen bei mir dagegen dringend einer Auffrischung, da ich diese drei seit Jahren nicht mehr gesehen habe (deshalb kann sich an den Wertungen noch etwas ändern, da sie nur einer vagen Erinnerung entspringen :wink: ):

Flesh and Blood (6/10)
Robocop (9/10)
Total Recall (9/10)
Basic Instinct (9/10)
Starship Troopers (9/10)
Showgirls (4/10)
Hollow Man (6/10)
Black Book (9/10)
http://www.vodkasreviews.de


https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/

Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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AnatolGogol hat geschrieben:
Ich lese deine Einstufungen immer wieder mit höchstem Interesse! Besonders fällt mir diesmal auf, wie verhältnismäßig gut Flesh and Blood bei dir wegkommt, der ja normalerweise eher als durchschnitlliches Werk angesehen wird (was ich allerdings auch nicht so sehe). Was gefiel dir denn an dem Film besser als an den meisten anderen Verhoeven-Hollywoodfilmen?
Keine Ahnung. Hat vielleicht noch einen etwas anderen Stil.
Wir haben den kürzlich bei einem unserer Film Abende geschaut. Ich hätte den noch höher gewertet, aber am Ende gehen Verhoeven etwas die Ideen aus. Das Dezimieren der Protagonisten Gruppe lief zu schematisch ab, dem Film fehlte ein Ende das auf das Vorhergehende noch Einen draufsetzt.

Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Noch mehr Verhoeven, eine Meldung von Januar 2013 in welcher er ernsthaftes Interesse am Regiesessel der geplanten Conan-Fortsetzung "The Legend of Conan" mit Arnold Schwarzenegger bekundet:
http://www.movieweb.com/news/paul-verho ... d-of-conan

Sollte es dazu kommen werde ich auf die Knie fallen und lauthals jubilieren! Aber es ist irgendwie viel zu schön um wahr zu werden. Vermutlich werden die Hollywood-Mechanismen greifen und stattdessen vertraut man die Regie den erfahrenen Händen eines 23jährigen Videoclip-Regisseurs an. :roll: :evil:
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Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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AnatolGogol hat geschrieben:Noch mehr Verhoeven, eine Meldung von Januar 2013 in welcher er ernsthaftes Interesse am Regiesessel der geplanten Conan-Fortsetzung "The Legend of Conan" mit Arnold Schwarzenegger bekundet:
http://www.movieweb.com/news/paul-verho ... d-of-conan

Sollte es dazu kommen werde ich auf die Knie fallen und lauthals jubilieren! Aber es ist irgendwie viel zu schön um wahr zu werden. Vermutlich werden die Hollywood-Mechanismen greifen und stattdessen vertraut man die Regie den erfahrenen Händen eines 23jährigen Videoclip-Regisseurs an. :roll: :evil:
:lol:

Ne, eher noch wird niemand nach den letzten "Erfolgen" vom Herrn A.S. einen Big Budget Blockbuster mit ihm grünes Licht geben
"It's been a long time - and finally, here we are"

Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Total Recall (1990)

Um einen möglichst facettenreichen Sci-Fi-Thriller zu produzieren hat Verhoeven die Schreiberlinge von Alien antanzen lassen. Das Drehbuch ist entsprechend originell, verfügt über mehrere Ebenen und wird nie ganz aufgelöst. Jedoch steht sich Verhoeven bei seinem komplexen Mindfucker selbst im Weg und zwar mit dem trashigen Arniespektakel, das er nicht gleichzeitig, sondern als Teil davon machen will. Eigentlich wird die Doppeldeutigkeit der Filmhandlung nur in der Szene mit Roy Brocksmith und Sharon Stone vertieft, die zugleich der intensive Höhepunkt des Moment des Films ist. Des Weiteren ist Arnold Schwarzenegger bezogen auf seine darstellerischen Fähigkeiten auch nicht wirklich geeignet für eine Tiefe, wie sie Total Recall zumindest vordergründig besitzt.

Überwiegend präsentiert sich Total Recall jedoch als quietschbuntes, einem Comic entsprungenes Spektakel mit trashigen Gimmicks, skurillen Splattereffekten und typischen Arnie-Sprüchen, und macht als solches auch Spass. Arnie ist immer wieder in seinem Element und die witzigen Actionsequenzen im überdrehten Stil präsentieren sich als gelungen. Die in meinen Augen markanten Negativpunkte bleiben folgende: in den grellen Farben, den trashigen Effekten und der Vermengung von Action mit Humor lässt sich weder die Dystopie noch die zu wenig tief thematisierte psychologische Komplexität wirklich ernst nehmen. Und so bleibt es bei einem spassigen, auch aussergewöhnlichen Actionfilm, der jedoch hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.

7/10
We'll always have Marburg

Let the sheep out, kid.

Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Interessante Kritik. Ein paar Anmerkungen: es war nicht Verhoeven, der Shusett und O´Bannon anheuerte, sondern die beiden Drehbuchautoren adaptierten díe Dick-Kurzgeschichte auf eigene Faust bereits Ende der 70er Jahre und ihr Ur-Script machte ein Jahrzehnt lang in ganz Hollywood die Runde, während die unterschiedlichsten Regisseure und Hauptdarsteller mehrere male munter an- und abheuerten. Nachdem das Projekt fast vor dem Aus stand sicherte sich Carolco auf Wunsch von Schwarzenegger die Rechte. Es war ebenfalls Schwarzenegger, der mit Verhoeven seinen Wunsch-Regisseur für das Projekt durchsetzte – hauptsächlich aus dem Grund, weil ihm der Comichafte Stil von Robocop imponiert hatte. Verhoevens erste Amtshandlung war die Überarbeitung der bisherigen sage und schreibe 45 Drehbuchversionen (O Bannon war zu dem Zeitpunkt längst nicht mehr an Bord), hierzu holte er Gary Goldman als Scriptdoctor hinzu. Verhoeven war klar, dass viele der eigentlichen Ausgangspunkte der Geschichte angesichts der Tatsache dass Big Arnie nun für die Hauptrolle vorgesehen war massiv umgestaltet werden mussten. So nahm die Story einen weit comichafteren Charakter an, viele Dinge wurden bewusst übertrieben angelegt, der unscheinbare, mit Selbstzweifeln behaftete Büro-Normalo (für den ursprünglich passenderweise Dustin Hoffman und Richard Dreyfuss vorgesehen waren) wurde gegen einen muskelstrotzenden, omnipotenten Bauarbeiter (!) ausgetauscht. Kurz: der ganze Film wurde durch Verhoeven an seinen Hauptdarsteller angepasst – was letztlich zu dem Film führte, den wir heute kennen. Verhoeven setzte statt der ursprünglich angedachten düsteren Schizophrenie-Allegorie auf knalliges Comicspektakel mit einer konsequenten zweiten Interpretationsebene, in welcher der originäre Schizophrenie-Gedanke weiterleben konnte. Folgerichtig ist der fertige Film durchsetzt mit Hinweisen aller Art auf die beiden Interpretationsebenen, so bekommt man beispielsweise bereits nach 10 Minuten bei Quaids Besuch bei Rekall den gesamten folgenden Film en Detail vorab erzählt – ohne dass man es wirklich im späteren Verlauf realisiert. Das gleiche Spiel wiederholt sich bei der Schlüsselszene mit Dr Edgemar, in welcher wiederum das Finale des Films vorweggenommen wird. Wenn dann in der Schlusseinstellung des Films dieser nicht wie erwartet mit einer Abblende ins Schwarze sondern in ein gleissendes Weiss endet erfüllt sich endgültig Dr Edgemars Prophezeiung: Quaid´s virtuelle Reise auf dem Rekall-Sessel endete mit einer Lobotomie – oder vielleicht doch nicht? Möglicherweise hätte der einfache Bauarbeiter doch besser auf die Warnung seines Kollegen Harry hören und nicht an seinem Gehirn herumspielen lassen sollen. Und war die ganze Marssituation inklusive extraterristische Auflösung nicht doch eine spur zu phantastisch als dass sie – selbst in einem in der Zukunft spielenden Science Fiction Film – wahr sein könnten? Letztlich überlässt es Verhoeven dem Zuschauer zu entscheiden und lässt genügend „Beweise“ für beide Möglichkeiten zurück.

Rückblickend betrachtet hat Verhoeven wohl genau die richtige Entscheidung getroffen den Film auf dem Höhepunkt des Schwarzenegger-Booms um ihn herum zu schneidern und nicht sklavisch an der möglicherweise ambitionierteren, aber eben auch angesichts des Hauptdarstellers unpassenderen Vorlage festzuhalten. Total Recall mag nicht den bösartigen Biss von Robocop oder Starship Troopers haben, ist durch das Spiel mit Realität und Einbildung aber dennoch eine clevere Parabel auf psychische Erkrankungen – ähnlich wie es auch Verhoevens Der vierte Mann und Basic Instinct sind. Dass der Film trotz dieses von Verhoeven geschickt subkutan versteckten Aspekts für einen Großteil des Publikums als reinrassiger Actionfilm funktioniert ist für mich um so erstaunlicher.
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Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Hoppla, das hätte ich eigentlich wissen sollen, mein Fehler. Immerhin hat Arnie selbst den Sachverhalt in seiner Autobiografie dargelegt. Es war halt auch schwierig, einen Einstieg für den Text zu finden. Aber danke für die ausführliche Korrektur.

Was du sagst hat alles Hand und Fuss, aber ich kann mir nicht helfen dass das im fertigen Film für mich etwas unausgegoren daherkommt. In meinen Augen stehen der mehrdeutige Ansatz und die dem Zuschauer überlassene Interpretationsmöglichkeit schon fast im Widerspruch zu dem grellbunten Comicspektakel auf der Leinwand.
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Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Der Soldat von Oranien (1978) – Paul Verhoeven

Bevor Verhoeven während seiner Zeit in Hollywood mit Filmen wie Robocop, Total Recall oder Starship Troopers weitgehend in die Science-Fiction-Schublade gesteckt wurde versuchte er sich in seinen holländischen Filmen der 70er und 80er Jahre in sehr unterschiedlichen Genres – und das nahezu durch die Bank mit großem Erfolg und auf enorm hohem Niveau. Der Soldat von Oranien ist Vehoevens Variante eines Kriegsepos und auch hier gelingt es ihm dem Genre eine ganze Reihe interessanter und eher ungewöhnlicher Aspekte abzugewinnen. Der Film dreht sich um eine Gruppe junger holländischer Studenten und die Handlung folgt ihnen vor, während und nach der deutschen Besatzung. Einige schliessen sich idealistisch dem Widerstand an, andere kämpfen auf Seite der deutschen Besatzer, einige bekommen die Verfolgung des Besatzerregimes zu spüren und einer hält sich aus allem raus. Verhoeven zeichnet dabei seine Figuren rasiermesserscharf, er gelingt ihm jeder Figur eine unverwechselbare Eigenständigkeit zu verleihen und darüber hinaus erliegt er erfreulicherweise nicht der üblichen Versuchung des Genres ein schwarzweissgemaltes Helden vs Schurken-Szenario zu entwerfen. Verhoevens Sicht der Dinge ist nüchtern, objektiv und entsprechend sind alle Figuren ambivalent mit Stärken und Schwächen – lebensecht eben. Angesichts des häufig angespannten Verhältnisses zwischen Holländern und Deutschen mag Verhoevens wertungsfreie und zuweilen auch positive Zeichnung der deutschen Charaktere auf den ersten Blick überraschen (wie auch sein häufig wenig schmeichelhafter Blick auf seine Landsleute), tatsächlich ist es aber nur die konsequente Fortführung (bzw. Vorwegnahme) dessen, was Verhoeven während seiner ganzen Karriere über gemacht hat: Filme und Figuren zu erschaffen fernab von jeglicher schwarz-weiss-Malerei. Das Darstellerensemble macht einen famosen Job, allen voran die großartigen Rutger Hauer und Jeroen Krabbé, die völlig in ihren Rollen aufgehen. Eine der ganz großen Stärken des Filmes – wie generell vieler von Verhoevens holländischer Filme – ist die Tatsache, dass man nie das Gefühl hat Schauspielern bei der Arbeit zuzusehen, wie es in Hollywoodfilmen häufig festzustellen ist. Es wirkt alles lebensecht und realistisch, dazu trägt auch die fast schon dokumentarische Kameraarbeit von Jost Vacano bei. Verhoeven gelingt darüberhinaus das Kunststück seinen zweieinhalb stündigen Film durchgängig auf hohem Spannungsniveau zu halten. Jede noch so kleine Szene hat dabei ihre Bedeutung (was der Audiokommentar von Verhoeven auf der DVD eindrucksvoll bestätigt) und trägt entweder zur tieferen Figurenzeichnung oder zur konsistenten Handlungsentwicklung bei. Trotz aller Dramatik frönt Verhoeven auch in diesem Film seiner Vorliebe für deftigen Humor und frivole Szenen – immer absolut passend und „in tone“ zum Rest des Filmes. Obwohl der Film ein vergleichbar geringes Budget von 2,5 Millionen Dollar hatte (was seinerzeit trotzdem mit Abstand der teuerste holländische Film aller Zeiten war) sind Ausstattung und die mit hilfe der niederländischen Armee realisierten Actionszenen dennoch mehr als gelungen.

Der Soldat von Oranien ist ein mustergültiges Kriegsepos voll großartiger Figuren und bietet neben einer gleichermaßen emotionalen wie unterhaltsamen Charakterstudie einen höchst ambivalenten (und gerade deshalb wohl realistischen) Blick auf die holländisch-deutsch-englische Geschichte des 2. Weltkrieges. Dank Verhoevens charakteristischer Inszenierung und der bis zuletzt spannenden Story ist der Film ein Highlight des Genres und da sein Schwerpunkt auf Figuren und Handlung statt auf großangelegten Schlachtengemälden liegt auch für Filmfans, die gemeinhin mit dem Genre Kriegsfilm nichts anzufangen wissen ein echter Geheimtipp. Ein Film, der nicht zuletzt aufgrund seiner vielen Details mit jeder Sichtung besser wird.
Wertung: 9 / 10

P.S. Von Der Soldat von Oranien war übrigens seinerzeit Steven Spielberg derart begeistert, dass er seinem Kumpel George Lucas permanent in den Ohren lag Verhoeven doch die Regie von Die Rückkehr der Jedi-Ritter anzuvertrauen. Spielberg lud Verhoeven Anfang der 80er Jahre deshalb auch nach Hollywood ein wozu der sich geschmeichelt gefühlte Verhoeven voller Stolz seinen neuesten Film Spetters mitbrachte und Spielberg vorspielte. Der unverblümte dreckig-realistische Blick auf Hollands motorradfahrende Arbeiterjugend muss den wohl auf ein ähnliches Epos wie Der Soldat von Oranien hoffende Spielberg (man bedenke seine abgöttische Begeisterung für Lean) getroffen haben wie ein Keulenschlag, Verhoeven berichtete Jahrzehnte später in seiner typischen humorvollen Art Spielberg sei entsetzt gewesen und hätte sich anschliessend nie wieder gemeldet (man stelle sich den entgleisenden Gesichtsausdruck des spiessigen Spielberg bei den diversen "saftigeren" Profantitäten von Spetters vor! :mrgreen: ). Diese launige Episode sagt eine ganze Menge über die beteiligten Personen und ihre Denkweise aus.

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Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Black Book (2006) – Paul Verhoeven

Fast 30 Jahre nach Der Soldat von Oranien stattete Verhoeven dem Genre Kriegsepos einen weiteren Abstecher ab: und was für einen! Black Book ist dabei fast so etwas wie eine Alternativversion von Verhoevens Resistance-Klassiker aus den 70ern, weist nichtsdestotrotz aber auch enorme Eingenständigkeit auf. Zunächst ist fest zu halten wie edel und aufwändig die europäische Co-Produktion wirkt. Das Den Haag der 40er Jahre wurde absolut authentisch und jederzeit glaubhaft zum Leben erweckt. Der Look und Stil des Films wirkt deutlich weniger dokumentarisch und grob als noch im Soldat von Oranien sondern ähnelt deutlich mehr der visuellen Handschrift einiger von Verhoevens amerikanischen Filmen (Basic Instinct kommt mir hier vor allem in den Sinn). Gleichzeitig gelingt es den tollen edlen Bildern von Karl-Walter Lindenlaub und der herausragenden Filmmusik von Anne Dudley aber auch dem Film den Touch von Filmproduktionen der 40er Jahre zu geben – was ebenfalls enorm zur Authentizität des Films beiträgt und zudem den epischen Aspekt des Filmes betont. Der Film ist deutlich düsterer angelegt, launige Episoden wie beim Soldat von Oranien gibt es hier nicht. Der Ton von Black Book wirkt dadurch um einiges dramatischer.

Die von Verhoeven und Gerard Soeteman (dem Drehbuchautor aller holländischen Filme von PV) geschriebene Geschichte dreht sich um eine junge holländische Jüdin (großartig gespielt von Carice van Houten), die gegen Ende des 2. Weltkrieges bei dem Versuch einer Flucht ins bereits befreite Brüssel mitansehen muss wie ihre gesamte Familie in einem Hinterhalt von den vermeintlichen Fluchthelfern und deutschen SD-Angehörigen, die sich an den Habseligkeiten reicher flüchtiger Juden bereichern, umgebracht wird. Sie entkommt als Einzige, taucht mit Hilfe der Resistance unter und hilft dem holländischen Widerstand – nicht zuletzt aus Rache - den SD in Den Haag zu infiltrieren. Dabei geht sie eine Affäre mit einem hohen Offizier des SD ein (Sebastian Koch) und verliebt sich in ihn, was die Probleme für sie erst richtig auslöst. Letzteres klingt vielleicht nach unglaubwürdigem Pilcher-Geschwurbel ist aber tatsächlich so gut motiviert, inszeniert und gespielt, dass es völlig plausibel erscheint. Kern der toll entwickelten Geschichte ist die Frage nach den Hintermännern der Hinterhalte auf die reichen Juden und das Drehbuch weist dabei eine Vielzahl an unerwarteten Storytwists auf, so dass zu keinem Zeitpunkt Klarheit darüber besteht wer auf welcher Seite steht. Verhoeven-typisch sind die Figuren allesamt ambivalent, auch hier gibt es wieder statt schwarz-weiss-Malerei eine tiefe Grauzone, in der sich Opfer, Täter, Widerstand, Besatzer und Befreier tummeln. Bestes Beispiel ist die Tatsache, dass einer der Oberschurken des Films als musisch begabter und durchaus charmanter Mann gezeigt wird.

Man kann das Drehbuch eigentlich nicht hoch genug dafür loben, dass es ihm gelingt die verschachtelte und komplexe Geschichte jederzeit schlüssig und nachvollziehbar zu entwickeln. Viele kleine, aber wichtige Details werden im Laufe der Geschichte subtil für eine spätere Wirkung eingeführt, zB die Kenntnisse über die Wirkung von Insulin und mögliche Gegenmaßnahmen. Verhoevens Inszenierung ist punktgenau und auf enorm hohen Spannungsniveau. Die Höhepunkte sind klug gesetzt und so bleibt der Film trotz seiner Laufzeit von fast zweieinhalb Stunden immer kurzweilig und packend. Die 1956 spielende Rahmenhandlung verleiht dem Film zudem weiteren Tiefgang und dem Thema der Geschichte eine zeitlose, hochaktuelle Note. Das Darstellerensemble bietet großartige Leistungen, allen voran Carice van Houten, die die vielen Facetten ihrer komplexen Rolle immer absolut glaubwürdig verkörpert. Verhoevens Rückkehr ins europäische Kino ist ein Triumph auf allen Gebieten und für mich sein wohl stärkster Film seit Robocop. Er ist zudem die perfekte Ergänzung zu dem genau so guten Soldat von Oranien und daher gilt auch hinsichtlich Black Book für alle Freunde historischer Thriller: absolute Empfehlung.
Wertung: 9 / 10

"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Verhoeven hat schon in seinen besten Momenten sehr gute Szenen gedreht. Leider folgen auf diese aber oft auch recht billige und einfallslose Einstellung. Kaum ein anderer Regisseur hat so qualitativ enorme Schwankungen in seinen Filmen, wie der gute Paule. Schönes Review Anatol, dem ich eigentlich komplett zustimmen möchte, auch wenn ich summa summarum einen Punkt weniger vergeben würde. Sicherlich einer der besten Verhoevens!
https://filmduelle.de/

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