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von AnatolGogol
Agent
FYEO ist in meinen Augen zweifelsohne einer der drei besten Beiträge der Serie. Der back-to-Earth-Ansatz nach MR war der einzig richtige Schritt, nicht etwa weil MR nicht funktioniert hätte, sondern weil es zu diesem BigBudget-Spektakel keine weitere Steigerungsmöglichkeit mehr gab in Bezug auf noch abgehobenere Stories, noch größere larger-than-life-Schurken, noch exotischere Locations. Schon allein deswegen war der Ansatz sich wieder den frühen Filmen zu nähern unvermeidlich. Wobei ich die damalige Kurskorrektur nie als derart drastisch empfand, da die meisten bekannten Zutaten ja durchaus vertreten waren. Aber der Reihe nach.
Die Story ist unverkennbar angelehnt an den Plot von FRWL, ein „Objekt der Begierde“ (hier ATAC, damals Lector) als Zankapfel zwischen Ost und West. Kein Weltbedrohungsszenario, und genau das empfand ich schon immer als angenehme Abwechslung, welche dem Film nach all den Formel-Bonds beginnend ab Mitte der 60er eine erfreuliche Frische verlieh. Eben mal was anderes. Das gerade das Fehlen eines „bond-typischen“ Bedrohungsszenarios häufiger als Negativkritikpunkt angeführt wird kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Ebenfalls als großen Pluspunkt der Story empfand ich schon immer die undurchsichtige Gegner-/Verbündeten-Situation. Gerade weil es sich um einen Bondfilm handelt tappt man beim Erstkontakt doch viel leichter in die dramaturgische Falle, dass eben nicht wie bis zur Hälfte des Films vermittelt Columbo sondern der undurchsichtige Kristatos Bonds Gegenspieler ist. Hier gilt für mich das gleiche wie beim Grundsszenario: mal was erfrischend anderes.
Die Grundstimmung des Films ist ja doch um einiges ernsthafter als in den Vorgängerfilmen, aber nichtdestotrotz handelt es sich ja immer noch um einen Film aus der Mooreschen Ära. Und folgerichtig ist der Film auch nicht im Stile eines LTK oder gar der jüngsten Craigfilme angelegt, sondern glücklicherweise trotzdem immer mit einem Augenzwinkern und hier und da auch mit der ein oder anderen Albernheit. Einen harten, ernsthaften Thriller ohne jedes Augenzwinkern mit einem eiskalten James Bond dargestellt durch den zum damaligen Zeitpunkt bereits zum eigen Klischee gewordenen Roger Moore hätte meines Erachtens nie funktioniert und wäre auch nie glaubwürdig gewesen. Ihm stattdessen zusätzlich zu seinem Gentleman-Image die ein oder andere härtere Facette zu verpassen (wie die Beseitigung Loques) funktionierte hingegen sehr gut und war für die Mooresche Bondfigur eine echte Bereicherung. Ebenfalls als ganz großen Pluspunkt empfand ich schon immer die Tatsache, dass Moore in FYEO endlich mal als Agent wirklich gefordert wird. Bei seinen früheren Einsätzen kam es einem immer eher so vor, als ob er zwischen Wodka Martinis und Schäferstündchen so nebenbei auch mal noch ein bisschen seine Gegenspieler ausgeschaltet hat. Anders in seinem 81er Einsatz: hier sieht man ihn endlich auch mal als gehetzten, geforderten und eben nicht immer völlig überlegenen Agenten. Auch die hintergündigeren Facetten der Bondfigur werden hier mal tiefer beleuchtet: Bonds Sympathie zu Columbo und Ferrara, seine glaubwürdige Bestürzung nach den Ermordungen Lisls/Lisas und Ferraras, seine Nachdenklichkeit am Grab Teresas. All das im Paket mit der gewohnten Souveränität und humorvollen Leichtigkeit macht FYEO für mich zur schauspielerisch besten Leistung von Roger Moore als 007.
Passend zu den anderen FRWL-Anleihen wurde mit Topol in der Rolle des Columbo auch eine Figur in der Tradition eines Kerim Bey eingeführt. Und genauso wie einst Pedro Armandariz verstand es auch Topol eben diesen rustikalen, jovialen Charme rüberzubringen (in der deutschen Fassung sogar noch verstärkt durch die großartige Synchronisation von Wolfgang Hess). Dieses Charisma kann Julian Glover als Kristatos nicht bieten, aber dafür verkörpert er mM perfekt den zwielichtigen, undurchschaubaren Doppelagenten. Kein angenehmer Typ, keiner der überall auffällt: aber gerade das macht die Figur ja aus. Natürlich wirkt eine solche Schurkenrolle blass im Vergleich zu den larger-than-life-Widersachern a la Goldfinger, Bolfeld oder Stromberg. Aber das ist nun mal rollenbedingt erforderlich (so wie es zB Lonsdales blasierte, gelangweilte Art in MR auch war). Carole Bouquet spielt den Racheengel Melina überzeugend, einziger Kritikpunkt: ihre kühle Ausstrahlung steht etwas im Kontrast zu ihren feurigen Racheplänen.
Die Actionszenen sind abwechslungsreich und nahezu durch die Bank erstklassig. Einzige Ausnahme: die Tauchszenen sowie die anschliessende U-Boot-Verfolgung. Ich fand schon immer, dass der Film in diesen knapp 10 Minuten das hohe Tempo nicht halten konnte und etwas einbrach. Aber der Rest ist famos: der Helistunt in der PTS, die Verfolgungsjagd mit der Ente, die Skiverfolgung mit dem Höhepunkt in der Bobbahn und natürlich die abschliessende atemberaubende Kletterpartie. Wobei letztere wohl eher eine Spannungs- denn eine Actionszene ist (aber was für eine! Angesichts des sichtbaren Abgrunds stockt mir heute noch der Atem. Spektakulärer in Bezug auf die wahrgenommene Gefahr des Stunts empfand ich eigentlich nur noch den Skisprung vom Asgard in der PTS von TSWLM).
Der musikalische Wechsel von Barry zu Conti ist für mich vielleicht die gravierendste Veränderung zu den Vorgängerfilmen. Als Dauerlösung hätte ich mir das sicherlich auch nicht gewünscht (hätte wohl eine ähnlich monotone Entwicklung genommen wie bei David Arnold), aber als einmaligen Einsatz finde ich es absolut ok. Zeitlose Musik ist sicherlich etwas anderes, Contis Score repräsentiert eben genau die Zeit aus der er stammt. Als musikalisch schwach will und kann ich die Musik von FYEO nicht einstufen, ich sehe keine wirklichen Schwächen. Ihm den Kontrast zum Barryschen Stil als Schwäche anzukreiden ist wohl eher eine Geschmacks- den eine Qualitätsfrage. Gerade die musikalische Untermalung der Actionszenen (Entenverfolgung oder auch die Skijagd) ist fetzig und treibt die Szenen bis zum jeweiligen Höhepunkt unterstützend voran. Dass man der Musik ihre Entstehungszeit anhört ist für mich genauso wenig ein Kritikpunkt wie Moores Schlaghosen in TSWLM oder seine Riesenkrägen in MR. Im Gegenteil empfinde ich es als immer wieder schön dadurch eine Art Zeitreise zurück in die Entstehungszeit des jeweiligen Filmes zu machen. Mag aber durchaus sein, dass man um diesen Effekt wirklich wahrzunehmen und genießen zu können die betreffende Epoche auch miterlebt haben muss.
Was die liebgewonnenen Klischees anbetrifft, so ist glücklicherweise vieles beim alten geblieben: der Flirt mit Moneypenney, die Missionsbesprechung mit Grey und Tanner in Vertretung für den verstorbenen Bernard Lee, die obligatorische Werkstattszene bei Q. Auf Gadgets wurde weitestgehend verzichtet, ich habe es nicht wirklich vermisst. Achja, die PTS fand ich immer schon witzig und im Hinblick auf das Blofeld/Teresa-Motiv sehr schlüssig. Eine wunderbare Verbindung zu den früheren Filmen, gerade weil Bond am Grab seiner Frau war konnte eigentlich niemand anderes als Blofeld den Anschlag ausüben.
Mein Fazit: auch nach fast 30 Jahren hat der Film für mich nichts an Reiz verloren. Die Rückbesinnung auf alte Tugenden aus der Anfangszeit der Serie, die ernsthaftere Herangehensweise bei gleichzeitiger Beibehaltung der Stärken der Moore-Ära wie humorvolle Leichtigkeit lassen FYEO eine Ausnahmestellung innerhalb der Moore-Bonds wie auch in der gesamten Serie einnehmen. Für mich ganz klar volle Punktzahl 10/10.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"