Die Filme des Quentin Dupieux

1
Nicht nur Tarantino, auch noch ein anderer Quentin weiß seinen Zuschauern manche verwirrenden Filmmomente zu generieren - und kaum einer ist dabei sinnloser wie berechnender zugleich am Werke als Quentin Dupieux, auch bekannt als Mr. Oizo (sein Künstlername als französischer Musiker). Dieser Franzose ist einer der wohl eigenwilligsten Filmmacher, die momentan in Lichtspielhaus wie Heimkino ihr Unwesen treiben: Dupieux stellt in seinen Filmen die Sinnlosigkeit des Mediums in den Vordergrund und ist ein postmoderner Künstler, wie er im Buche steht. Seine Filme sind allesamt als Meta-Filme angelegt. Wo andere Künstler ihren Werken eine tiefere Aussage über die Gesellschaft, politische Zustände oder philosophische Themen einimpfen wollen, handeln seine Werke vom Medium Film und von der eigenen Willkürlichkeit, die ihnen durch ihrem Schöpfer "angeboren" ist. Was nicht heißt, dass seine Filme tatsächlich willkürlich sind, oft ist eher das Gegenteil der Fall. Mit "Steak" machte er sich bereits einen Namen, in dem ein Stück Fleisch zum Protagonisten wird, doch erst mit "Rubber" konnte er wirklich einen Indie-Erfolg landen, der leider oft fälschlicherweise in die Trash-Ecke gesteckt wird, aber doch einerseits deutlich intelligenter ist und andererseits künstlerisch durch die starke visuelle Bildsprache der Regie eindeutig wertvoller, als man bei der Handlung (ein mordender Autoreifen... mordet halt Mensch und Tier) annehmen würde. Dupieux macht damit Kino für Cineasten, für Filmliebhaber, die einerseits etwas ganz anderes sehen und erleben wollen und andererseits fähig sind, über sich selbst und ihr liebstes Hobby nachzudenken oder auch einfach mal drauf loszulachen. Oft schwingt in seinen Werken auch eine subtile Kritik an Hollywood und kommerzialisierten Großprojekten mit, der Freunde unkonventioneller Filmkunst sicher zustimmen werden. Auch die Besetzung seiner Filme ist klein aber fein: in "Wrong Cops" etwa spielt Marilyn Manson eine tragende Rolle, ferner arbeitet er gerne mit dem wunderbaren Jack Plotnick zusammen, den Krimi-TV-Fans aus "The Mentalist" kennen werden. Seine Filme ab "Rubber" sind allesamt in Deutschland erschienen, seine beiden vorherigen Werke leider nur aus dem Ausland erhältlich. Demnächst möchte ich euch einen meiner derzeitigen modernen Lieblingsregisseure nach und nach vorstellen und hoffe, der ein oder andere Freund der besonders eigenwilligen humoristischen Bespaßung kommt da eventuell mal auf den Geschmack. :)

Filmografie:
2001 – Nonfilm
2007 – Steak
2010 – Rubber
2012 – Wrong
2013 – Wrong Cops
2014 – Réalité
https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/

Let the sheep out, kid.

Der Mörder war wieder der Autoreifen...

2
Rubber

Vielfach ist "Rubber", jener 2010er Independent-Film von Regisseur Quentin Dupieux, als unsinniges, albernes oder groteskes Werk beschrieben worden. Surrealistisch und vordergründig sinnlos scheint das Treiben der 82 minütigen Meta-Film-Erfahrung in der Tat angelegt zu sein. Schon zu Beginn erklärt der Polizist Chad bei einem Monolog direkt in die Kamera, dass das wohl am häufigsten eingesetzte Stilmittel der Filmgeschichte das Element der Willkür sei und das "Rubber" eine Hommage an jene Willkür seitens der kreativen Köpfe hinter der Kamera biete. Doch er erklärt es nicht nur uns im Kinosaal, sondern auch den Zuschauern. Denn "Rubber" handelt von einer Bande von Zuschauern, die mitten in der Wüste mit Ferngläsern einem Schauspiel beiwohnen. Ob der Film in schwarz-weiß ist, möchte eine von ihnen noch wissen, als der Film im Film (in Farbe) bereits beginnt: ein verlassener Autoreifen namens Robert macht seine ersten rollenden Gehversuche und entdeckt im Umgang mit Tier und Mensch seine telekinetischen Fähigkeiten, mit denen er die Köpfe anderer Lebewesen zum platzen bringen kann.

Willkür um der Willkür Willen? Eine Stilübung vor dem Hintergrund einer selbst eingestandenen Inhaltslosigkeit? Wen "Rubber" unvorbereitet trifft, der kann den Eindruck erhalten, es hier mit einer besonders albernen Schwarzen Komödie zu tun zu haben und die Werbung mit dem Slogan "Der beste Killerreifenfilm, den Sie je gesehen haben..." füttert diese falsche Erwartung noch zusätzlich. Doch ganz im Gegenteil, der einleitende Monolog ist die erste große Lüge, die Dupieux dem Zuschauer vorsetzt. "Rubber" ist keinesfalls willkürlich, er ist genaustens durchgeplant und akzentuiert seine eigenwillige Idee perfekt: "Rubber" ist kein Film über einen Autoreifen, er ist ein Film über das Medium Film und über die Beziehung des Zuschauers zum Geschehen auf der Leinwand. Roberts Mordzug ist daher nicht mehr und nicht weniger als eine völlig belanglose, und hierin in der Tat vermeintlich willkürliche Abfolge von immer gleich gestalteten Einzelszenen, viel wichtiger ist Dupieux die zweite Ebene des Narrativs, das Verhalten der Zuschauer in der Wüste. Ein kleiner Junge fragt seinen Vater, wann denn endlich mal etwas spannendes passiert, zwei andere Zuschauer debattieren darüber, ob ein Autoreifen schwimmen könnte oder im Wasser unterginge, zwei junge Mädchen hingegen wollen einfach nur in Ruhe goutieren, was sich vor ihnen abspielt. Sie alle hängen gebannt am Fernglas und sehen Robert bei seinen Gräueltaten zu. Sympathie oder Antipathie scheinen sie weder für Reifen noch Opfer zu haben, sie bleiben unparteiisch, neugierig, teilnahmslos.

Dupieux, der auch als Cutter, Kameramann und Drehbuchautor an "Rubber" beteiligt war, komponierte gemeinsam mit Gaspard Augé einen naturalistischen Score, der Robert immer wieder ein Eigenleben einimpft, wenn er da so ruhig und ohne emotionale Regungen zur aufgehenden Sonne durch den Wüstensand streift. Dass die Mimik dieses eigenwilligen Hauptdarstellers etwas steif bleibt, versteht sich von selbst, dennoch wird Robert zu einem eigenen Individuum, er trinkt und schläft wie andere Menschen und hadert mit sich. In einer der besten Szenen des Films im Film bleibt Robert vor einem Spiegel stehen und erkennt, dass er selbst nur ein Autoreifen ist und daraus die Abneigung seiner Umwelt zu ihm resultiert. Oder dominiert hier doch nur die reine Willkür seines Schöpfers? Der große Clou dieser Handlungsebene bleibt, dass man bei aller Abstraktheit nicht drumherum kommt, dem Geschehen einen tieferen Sinn geben zu wollen, das Gesehene zu interpretieren und die Absicht der Regie zu suchen. Statt sich einfach nur der Ästhetik der wunderschönen Kamerafahrten zu erfreuen, fühlt man sich gezwungen, nach dem "Warum?" zu fragen, obwohl Dupieux einem bereits anfangs erklärt hat, dass ein "Warum?" hier nicht zielführend sein kann. Genau darin liegt dann auch die Antwort auf die Sinnfrage des Zuschauers verborgen: Dupieux hält der Konsumkultur den Spiegel vor und verspottet sie regelrecht, in dem er einerseits die Vierte Wand bricht und sie andererseits in sein Werk als etwas in sich Geschlossenes einbindet. Damit verleiht er seinem Film nachwirkend doch eine Substanz durch die bewusste Abwesenheit einer solchen. Ein Teufelskreis. Ein verdammt lustiger Teufelskreis.

Der Zuschauer wird in und durch "Rubber" also dazu gedrängt, hinzunehmen und zu konsumieren, und nicht nach dem "Warum?" zu fragen, weil es ein solches nicht gibt (bzw. nur dann gibt, wenn nach dem "Warum?" gefragt wird und keine Antwort darauf erfolgt). Die Einzigartigkeit des Films liegt weniger in seiner Machart, als in seiner philosophischen hyperselbstreferenziellen Grundhaltung: In "Rubber" herrschen weder Sinn noch Verstand, weder Physik noch Logik und hinter der sinnlosen extremen Brutalität und prätentiösen Aufmachung steckt nur die simple Erkenntnis, dass der Film von Dupieux genau das ist: Ein Film! Und dieser gefällt oder er gefällt eben nicht. Und er ist gut, wenn er gefällt oder eben nicht gefällt. Und er muss auch von niemandem gesehen werden, um gut oder schlecht zu sein. In seiner Schlusseinstellung erweist sich der französische Experimentalfilm als ganz direkter Angriff auf Hollywood, denn wo der Wahnsinn sich zuspitzt und die Sinnlosigkeit dominiert, kann der Zuschauer nicht bloß Zuschauer bleiben, sondern wird selbst Opfer der Bildabfolgen, ganz so wie Robert sein blutiges Werk irgendwann auch an den Voyeuristen in der Wüste begehen wird. Dass der eigentliche Mörder der Zuschauer nicht Robert, sondern Quentin Dupieux ist, bleibt für den aufmerksamen Zuschauer (jetzt der im Kinosaal) natürlich nicht vergessen, macht das Ausmaß der Zerstörung der letzten Minuten aber umso witziger.

Fazit: In seiner abschließenden Szene bietet "Rubber" den Produzenten Hollywoods sich selbst für eine Fortsetzung an. Oder ein Reboot. Oder ein Remake. Oder vielleicht ein Prequel über die Herstellung des Autoreifens. Wie auch immer Roberts filmisches Schicksal wohl verlaufen wird, ist vermutlich nicht mehr oder minder willkürlich als seine bisherige Historie. Und so ergötzt sich diese herrlich absurde Persiflage auf Filmschaffende und Filmschauende zugleich ganz darin, über jede aufgeworfene Frage nur den (Reifen-)Mantel des Schweigens zu hüllen. Bleibt nur noch zu erwähnen, dass "Rubber" als in der Tat "bester Killerreifenfilm" freilich eine runde Sache von einem vielversprechenden Indie-Regisseur geworden ist, die in ihrer zeitlosen Problematisierung einem Aristoteles zu Ehren gereicht: Brennt im Kühlschrank auch noch Licht, wenn niemand sieht, ob die Tür geschlossen ist?

8/10

https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/

Let the sheep out, kid.