Da stehe ich bekanntlich völlig hinter dir, wie mein nun auch schon ein Jahr (
) zurückliegendes Review näher ausführt:
John Wick
Für die Besetzung des titelgebenden Berserkers "John Wick" haben sich die beiden Regie-Debütanten und ehemaligen Stuntmänner Chad Stahelski & David Leitch einen ganz besonderen Gag überlegt, denn wer wäre wohl besser für den Job des ehemaligen Profikillers, der nach längerer Abwesenheit wieder in sein Geschäft einsteigt (bzw. einsteigen muss) besser geeignet als der kanadische Ex-"Matrix"-Star Keanu Reeves? Und tatsächlich: Reeves erfüllt alle Erwartungen, die man an ihn haben konnte und gibt die eiskalte, gebrochene und verbitterte Kampfmaschine mit zynischer Härte, schafft es, trotz der moralisch arg fragwürdigen Auslegung "seiner" Taten durch angedeutete menschliche Züge der Sympathieträger zu bleiben. Und so manche Actionszene muss man doch glatt zwangsläufig stilistisch mit so manch legendären Ballerorgien der "Matrix"-Trilogie vergleichen. Eigentlich die besten Voraussetzungen für einen modernen Klassiker des Genres, doch auch, wenn es dazu nicht unbedingt reicht, ist "John Wick" eine Überraschung der positiven Art.
Was Strahelski & Leitch im Vergleich zu ähnlich gelagerten Filmen jüngerer Zeit (wie etwa "Taken - 96 Hours") wirklich gut gelingt, ist die Tunnelblick-artige Exposition und Reduzierung der Handlung und Hintergrundinfos auf ein absolutes Minimum, sodass man als Zuschauer gerade genug erfährt, um die Motivation für den anschließenden Rachetrip Wicks nachvollziehen zu können. Wenngleich der Auslöser den ein oder anderen vielleicht anfangs irritieren könnte, entpuppt sich "John Wick" mit fortschreitender Laufzeit immer mehr als ein sehr effektiv gedachter Aufhänger für etwas, dass einmal ein ganzes Franchise werden könnte: Mit simplen, aber geschickten Mitteln entwerfen die beiden Regisseure ein beeindruckend-stylisches Negativ von New York City und gestalten durch oft nur angedeutete in der Vergangenheit liegende Ereignisse ein stimmiges lebendiges Universum im Gangstermillieu, welches optisch (durch seine kalte merkwürdig mechanisch-blaue Optik) nicht nur emotional unterkühlt wirkt, sondern oft die graphische Kraft und Atmosphäre einer Graphic Novel atmet und diesbezüglich gerne aus den Vollen schöpft. Da gibt es symmetrische Einstellungen, extravagante Kamerapositionen und natürlich eine gesunde Portion Mythik. Wenn John Wick seine kooperativeren Zeitgenossen mit Goldmünzen bezahlt, bekommt der wie ein Totengräber gekleidete Protagonist schnell den mythologischen Touch eines antiken Fährmannes.
Auch der Soundtrack von Tyler Bates und Joel J. Richard ist angenehm auffallend stilisiert und aggressiv, trifft aber auch gerne atmosphärische Töne und bleibt - dankenswerterweise - an entscheidenden Stellen auch einfach einmal ganz aus. Aufgesetzte Sentimentalitäten oder Subplots haben in "John Wick" keinen Platz, bis auf Reeves spielen alle Darsteller austauschbare Abziehbilder, die nur für ein wenig notwendige Interaktion vorhanden sind. Hierin liegt die vermutlich große Schwäche des Actionthrillers: Die meisten seiner Charaktere, Konstellationen und Situationen sind hinlänglich bekannt und die vielen Klischees und Stereotypen helfen zwar dabei, gemäß der gewünschten Reduziertheit die Fronten immer klar zu verhärten, rauben aber auch einiges an Spannung und Überraschung. Nur selten ist nicht abzusehen, worauf "John Wick" hinausläuft, was man in weiten Teilen auch dem Script anrechnen muss: Zwar ist die Mystifizierung der Figuren und Settings oftmals geglückt und mutet überaus gekonnt an, dennoch fällt die Handlung selbst unglaublich repetitiv aus, immer wieder folgt auf eine Ansicht von New York aus der Vogelperspektive eine Ruhepause, die in einem plötzlichem Actionfiasko endet. Nun mag man anmerken, dass dies bei diesem Genre quasi das erste Gebot sei, doch das die einzelnen Abschnitte in etwa immer exakt gleich lang sind und somit der Rhythmus schnell eindeutig heraus zu kristallisieren ist, sorgt besonders im Mittelteil für ein paar deutliche Längen.
Doch Strahelski & Leitch wissen, was ihr Publikum will und in diesem Bereich liefern sie ab: Die Actionszenen erreichen teilweise das Prädikat "Augenweide" und sind (wenn man noch mal den Vergleich zu "Taken" bemüht) im direkten Vergleich zu anderen Genrevertretern absolute Referenz. Dreckig, düster, brutal, aber dennoch zu jedem Zeitpunkt übersichtlich und kinetisch inszeniert präsentiert Keanu Reeves sein gesamtes Oeuvre an Wurf- und Schusstechniken. Dies geschieht stehts ideenreich gefilmt und mit einigen netten Kniffen angereichert, sodass es richtig Laune macht, wenn Wick als Ein-Mann-Armee schon mal einen Nachtclub voller russischer Gangster zerlegt. Die energischen Choreographien wandeln dabei stets geschickt auf dem schmalen Grad zwischen "zu langsam und schwerfällig" und "zu schnell und klinisch steril ausgeführt", der Bodycount erreicht je weiter man voranschreitet immer atemberaubendere Höhen. Aus dem direkten Vergleich mit "Matrix" kann man hier zwar nicht als Sieger herausgehen, nichts desto trotz ist kaum zu bestreiten, dass jeglicher gewaltsamer Ausflug hier dermaßen stilvoll und ultracool aufgezogen wird, dass Actionfans in jeder Hinsicht auf ihre Kosten kommen. Schön ist zudem, dass "John Wick" dem Hang zur Überdramatisierung widersteht und im Showdown nicht um jeden Preis einen draufsetzen will, sowie der ein oder andere unerwartete Moment (meist, wenn Wicks Selbstjustiz übende Kollateralschäden von der Außenwelt reflektiert werden) leiser Selbstironie für den ein oder anderen Schmunzler sorgt. Schade ist es aber um Willem Dafoe, dessen Auftritt mit einer Laufzeit von ungefähren fünf Minuten den wohl überflüssigsten Quasi-Cameo des Jahres 2015 abgeben könnte.
Fazit: Müsste man "John Wick" in eine Schublade stecken, er läge wohl irgendwo zwischen John Woo und den Wachowski-Geschwistern, zwischen "Taken" und "Die Hard". Spaß machen ein auf jeden Fall bestens aufgelegter Keanu Reeves in physischer Höchstform, eine organische und tänzelnd-imposante Actioninszenierung, die kompromisslose Gangart und vornehmlich dreckige Gewaltdarstellung sowie der durchgehende Style over Substance Charakter des Thrillers, der einen in eine interessant angedeutete Parallelwelt entführt, allerdings nicht ganz verbergen kann, dass man inhaltlich das Ganze leider schon viel zu oft gesehen hat, um es noch wirklich aufregend zu finden. Für Genrefans eine Empfehlung, alle anderen sollten mit gesunder Skepsis aber ebenfalls mal einen Versuch wagen.
7/10