Re: Die Filme des Woody Allen

91
Ich sehe den etwas positiver. Klar: "Wonder Wheel" hat a) große Pacing-Probleme im Mittelteil, ist b) nur eine oberflächliche Kopie des sehr viel besseren "Match Point" und außerdem dürfte c) Justin Timberlake nie so dermaßen fehlbesetzt gewesen sein wie hier als Erzähler, Philosoph und Bademeister in einem. Trotzdem hat Allen hier finde ich Charaktere geschaffen, die mir mehr Spaß machten als in den meisten anderen seiner letzten paar Filme. Kate Winslet zum Beispiel ist wunderbar besetzt und auch gut geschrieben, ihr Gebaren macht Laune und Belushi ist als Kotzbrocken super, ja, da gucke ich gerne auch mal ein paar Minuten länger als nötig zu. Und der Plot ist alles in Allem nicht sensationell neu, aber stimmig.
https://filmduelle.de/

Let the sheep out, kid.

Re: Die Filme des Woody Allen

92
Casino Hille hat geschrieben: 9. Mai 2022 10:29 Ich sehe den etwas positiver. Klar: "Wonder Wheel" (...) ist b) nur eine oberflächliche Kopie des sehr viel besseren "Match Point"
Welcher seinerseits nur eine oberflächlichere Kopie des sehr viel besseren Crimes and Misdemeanors ist. :wink: Und da spiegelt sich finde ich auch ein generelles Allen-Problem gut wieder: mit jeder Wiederholung einer Idee wird er blangloser. Aber zugegeben, ich habe die große Ehrerbietung die ihm gerade bei dem in meinen Augen nur pasablen Match Point wiederfahren ist eh nie recht verstanden. :)

Casino Hille hat geschrieben: 9. Mai 2022 10:29und außerdem dürfte c) Justin Timberlake nie so dermaßen fehlbesetzt gewesen sein wie hier als Erzähler, Philosoph und Bademeister in einem.
Ja und nein. Ich finde angesichts der eh sehr oberflächlichen Figuren ist er dann - obwohl im Grunde natürlich tatsächlich fehlbesetzt - dann doch wieder kein Problem.
Casino Hille hat geschrieben: 9. Mai 2022 10:29 Trotzdem hat Allen hier finde ich Charaktere geschaffen, die mir mehr Spaß machten als in den meisten anderen seiner letzten paar Filme. Kate Winslet zum Beispiel ist wunderbar besetzt und auch gut geschrieben, ihr Gebaren macht Laune und Belushi ist als Kotzbrocken super,
ja, da gucke ich gerne auch mal ein paar Minuten länger als nötig zu. Und der Plot ist alles in Allem nicht sensationell neu, aber stimmig.
Kann ich leider nicht sagen, da wie gesagt die Figuren mir wenig gaben und die Geschichte reizlos war. Winslet gefiel mir am Anfang wirklich gut, aber mit zunehmender Dauer wurde mir das dann zuviel und aufdringlich. Das war oft hart an der Grenze zum Overacting (manchmal auch drüber) und erinnerte mich an ihre Leistung in Der Gott des Gemetzels. Nur da passte es inhaltlich deutlich besser, ihr Spiel in WW nahm mir doch einiges von der Ernsthaftigkeit des Films.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Woody Allen

93
Die Winslet fand ich ja mal auf Dauer richtig nervig und den Belushi und den Timberlake angenehm charismatisch in diesem für 100 Minuten ganz netten aber auf Dauer ziemlich belanglosen Allen-ich-bring-jedes-Jahr-was-raus-Film. Im Falle der Kate habe ich das als penetranter in Erinnerung als im Gott des Gemetzels, weil sie da, soweit ich mich entsinne, von der Frau Foster noch einmal überboten wurde.
We'll always have Marburg

Let the sheep out, kid.

Re: Die Filme des Woody Allen

94
GoldenProjectile hat geschrieben: 9. Mai 2022 11:28 und den Belushi (...) angenehm charismatisch
unbedingt, ich mag den ollen Jimbo eigentlich eh in allem was er macht. Aber wenn ich halt den bereits angesprochenen Antother Woman als Beispiel für Allens frühere Schauspielerauswahl nehme, da tut sich dann tatsächlich ein darstellerischer Klassenunterschied auf. Denn bei aller Freundschaft zu Belushi, aber Ian Holm und Gene Hackman sind da halt andere Kaliber. :) Und Winslet kann weder Mia Farrow und schon gar nicht Gina Rowlands das Wasser reichen. Und da ist WW keine diesbezügliche Ausnahme im jüngeren Allen-Schaffen.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Woody Allen

95
Noch 2 Anmerkungen zu WW: wir sprachen letzte Woche bei The House Of Gucci darüber, dass nicht so wirklich klar wird ob Riddelraddel seinen Stoff nun ernst oder als launige Farce verstanden haben möchte. Bei WW ist das finde ich ein ähnlicher Fall, hauptsächlich wegen dem aufgekratzten Spiel von Winslet. Dazu kommen dann so Momente wie der mit den beiden Mafiosi und ihrem verpassten Austern-Mahl, wodurch schon eine gewisse Komik entsteht. Wenn man bedenkt, auf welch fatales Ende der Film hinsteuert frägt man sich schon, ob Allen das bewusst eingebaut hat bzw. hat laufen lassen oder eben nicht. Ich würde Allen eigentlich schon zugesetehen, dass im fertigen Film nichts landet, was er so nicht will. Aber das macht es nicht besser, denn das Aufgekratzte und die Ernsthaftigkeit harmonieren hier wie ich finde einfach nicht recht miteinander.

Und noch was zu den Figuren: in WW gibt es wirklich 0,0 Figurenentwicklung. Winslet ist von Anfang an unglücklich und b.a.rsch gegenüber ihren Mitmenschen, Temple ist egoistisch und lässt sich nix sagen, Sohnemännchen zündelt durchgängig alles ab. Allein bei Belushi könnte man eine kleine Entwicklung zugestehen, da er im Mittelteil ein wenig glücklich sein darf wegen der Anwesenheit seiner Tochter. Aber ansonsten passiert da figrülich gar nix. Gut, auch das kann bzw. wird wohl Absicht sein (nach dem Motto: da kann die Welt untergehen, die Menschen bleiben letztlich immer gleich), aber es ist dem Film nicht dienlich. Erneut lohnt ein Blick zu Another Woman: Rowlands Figur wird im ersten Drittel als selbstbewusste, allgemein anerkannte Frau gezeigt, im zweiten Drittel wird dies als kompletter Selbstbetrug entlarvt damit sie sich dann im letzten Drittel aus ihrer emotionalen Eiszeit befreien kann. DAS ist Charakterentwicklung und sie ist in AW der Antrieb des ganzen Films.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Woody Allen

96
AnatolGogol hat geschrieben: 9. Mai 2022 10:53
Casino Hille hat geschrieben: 9. Mai 2022 10:29 Ich sehe den etwas positiver. Klar: "Wonder Wheel" (...) ist b) nur eine oberflächliche Kopie des sehr viel besseren "Match Point"
Welcher seinerseits nur eine oberflächlichere Kopie des sehr viel besseren Crimes and Misdemeanors ist. :wink: Und da spiegelt sich finde ich auch ein generelles Allen-Problem gut wieder: mit jeder Wiederholung einer Idee wird er blangloser. Aber zugegeben, ich habe die große Ehrerbietung die ihm gerade bei dem in meinen Augen nur pasablen Match Point wiederfahren ist eh nie recht verstanden. :)
Den "Crimes & Misdemeanors" sehe ich zwar als verwandt mit "Match Point", aber die Ähnlichkeiten sind weit weniger offensichtlich für mich als beim Vergleich zwischen "Match Point" und "Wonder Wheel". Die große Ehrerbietung für "Match Point" ergibt doch Sinn – ein wunderschöner Film, sehr zynisch und stark darin, einen mit dem "Bösen" (sofern man es so nennen will) mitfiebern zu lassen. Ein Top Allen für mich, bin aber auch nicht ganz so Woody-bewandert wie andere.

Kritik an Winslet ist für mich schwer zu akzeptieren. :wink: Die ist ein richtiges Schauspielschwergewicht und ich würde sie locker und ohne zu zögern als die Meryl Streep der 2000er bezeichnen. In "Wonder Wheel" gibt sie vielleicht keine Glanzleistung, aber das, woran ich mich erinnere, war schon sehr stark (bzw. so stark, wie das Drehbuch ihr erlaubt zu sein).
https://filmduelle.de/

Let the sheep out, kid.

Re: Die Filme des Woody Allen

97
Ich finde "Crimes & Misdemeanors" (gerade erst wiedergeglotzt) und "Match Point" auf demselben starken Level was die Qualität betrifft, aber da Crimes deutlich mehr in Richtung Komödie geht sind das keine 2 Filme die ich direkt zusammen in einen der diversen Woody Töpfe werfe. Beide so um die 9/10

Re: Die Filme des Woody Allen

98
Hab momentan wieder richtig Lust auf Allen-Filme bekommen und gestern September nachgeschoben. Guter Film, aber schon sehr schwere Kost. Und teilweise auch sperrig, aber mit tollen Figuren und einem dynamischen Beziehungsgeflecht. Irgendwo so zwischen 7 und 7,5 Punkten.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Woody Allen

101
Und weiter geht's mit der Aufarbeitung des (halbwegs) jüngeren Allen-Werks, diesmal Vicky, Cristina, Barcelona. Hatte ich irgendwie nie so groß Lust drauf, vermutlich wegen Woodys damaliger jahrelang-andauernder und doch ein bisschen gimmick-hafter filmischen Europa-Rundreise im Allgemeinen sowie dem Massenauflauf an trendigen Stars bei V,C,B im Speziellen.

Die große Stärke von V,C,B ist fraglos, dass er sehr süffig dargereicht wird und dennoch kein oberflächlicher Film ist. Sicherlich erreichen Geschichte und Figuren nicht die Tiefe von Allens Kernwerk, aber hinter dem munteren Beziehungs-Hin-und-her findet sich dann doch deutlich mehr als nur ein launiger Liebesreigen.

Zwei Probleme halten mich am Ende aber doch davon ab den Film als wirklich gelungen anzusehen. Zum einen sind die Figuren sehr unterschiedlich gelungen in meinen Augen. Während Bardems und Halls Figur interessant ausgearbeitet werden und folgerichtig auch das inhaltliche Zentrum des Films bilden, enttäuschen mich die beiden anderen großen Figuren von Johansson und Cruz eher. Johanssons Cristina bleibt weitgehend oberflächlich und daher auch uninteressant. Man mag Film und Figur zu Gute halten, dass genau das Absicht ist, dass nämlich die oberflächliche Cristina das kompensierende Bindeglied zwischen dem heissblütigen spanischen Paar Fatale ist. Allerdings schadet die Oberflächlichkeit der Cristina-Figur dem Film trotzdem, da (auch) dadurch die einen gehörigen Teil der zweiten Hälfte einnehmende Dreiecksgeschichte um Johansson, Cruz und Bardem nicht wirklich zündet.

Das wäre dann auch mein zweites Problem, nämlich dass die zweite Filmhälfte deutlich schwächer ist als die amüsant-leichte erste, in welcher Figuren und Grundkonstellation sehr souverän eingeführt werden. In Hälfte 2 dagegen passiert nicht mehr so viel an figürlicher Bewegung bzw. das was passiert (die Menage-à-trois) ist eher uninteressant. Und letzteres - und das führt mich wieder zurück zum ersten Problem - liegt in nicht unerheblichem Maß auch an dem völlig enthemmt-überdrehten Spiel von Penelope Cruz. Sicher, V,C,B ist eine Komödie, aber das war mir einfach zu viel und auf Dauer zu nervig, dieses aufgedrehte Furien-Festival. So bleibt der Film dann für mich am Ende doch nur nette Einmalunterhaltung.
6 / 10
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Woody Allen

102
Nebenbei bemerkt: Am beeindruckendsten an VCB fand ich damals, wie unerhört wandlungsfähig Javier Bardem ist. Vom Psycho-Druckluft-Killer in "No Country For Old Men" zum charmanten, charismatischen Liebhaber in VCB (in anderen Rollen kannte ich ihn damals noch nicht).
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."

Re: Die Filme des Woody Allen

103
GoldenProjectile hat geschrieben: 10. Mai 2022 11:41 Die Frage ist natürlich ob Rainy Day in New York hier noch folgen wird.
Da ich gerade so gut im Flow bin gings gestern weiter mit A Rainy Day in New York. Mein Gesamturteil in einem Wort: nett. Bäume reisst auch dieser neuere Woody-Streifen nicht aus, aber hier stimmt endlich mal wieder das Gesamtpaket weitgehend. Die Geschichte um ein junges Pärchen, das eigentlich nicht zueinander passt und das sich unabhängig voneinander bei einem turbulenten New York-Abstecher über die Zukunft ihrer Beziehung klar wird, ist ein recht originelles und vor allem tragfähiges Konzept. Vor allem weist ARDINY endlich mal wieder die pointierten, typisch Allenschen Dialoge auf, welche die diversen (nicht allesamt gleichgut gelungenen Szenen) deutlich aufwerten.

Darstellerisch ist alles ok, wobei es mal wieder etwas merkwürdig anmutet, dass Allen seinen Figurenschwerpunkt auf junge Leute Anfang 20 legt, die figürlich entweder oft deutlich reifer agieren oder aber nicht selten das Backfisch-Klischee bedienen (vor allem Fanning). Das ist nichts neues bei Allen, zB Anything Else hatte diesen merkwürdigen figürlichen Anachronismus auch schon. Da merkt man dann halt schon, dass hier ein Über-80jähriger eine Geschichte über junge Leute geschrieben hat. Ist aber kein echtes Handicap, eher eine kleine Merkwürdigkeit.

Sehr positiv wirkt sich einmal mehr aus, dass Allen sein New York perfekt in Szene zu setzen weiss. Enstprechend macht ARDINW dann auch in Sachen Atmosphäre eigentlich alles richtig. Eigentlich, denn ein wenig konterkariert die knallbunt-gelblich-digitale Bildgestaltung das dann leider schon. Signore Storaro ist definitiv der falsche Kameramann für Allen, keine Ahnung warum sich Woody gerade diesen eigensinnigen Bild-Exzentriker immer und immer wieder an Bord holt, einen Gefallen tut er seinen Filmen damit nicht. Dennoch: unterm Strich ist ARDINY sicher einer der besseren unter des Meisters jüngeren Werken, wenngleich auch nie wirklich mehr als eben – nett.

Wertungstechnisch irgendwo zwischen 6,5 und 7 Punkten.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Woody Allen

104
Woodys jahrzehntelange deutsche Stimme Wolfgang Draeger ist im Alter von 95 Jahren verstorben. Die Kombination Allen/Draeger ist für mich eine der besten und perfektesten Synchronbesetzungen überhaupt und um so schöner ist es, dass Draeger Allens schauspielerische Karriere nahezu vollständig vertonen konnte. Vielen Dank für die vielen schönen Stunden mit Woody, an denen Draegers Stimme bei mir maßgeblichen Anteil hatte!

https://www.spiegel.de/kultur/kino/wolf ... 7c1404a346
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Woody Allen

105
Ich war ja früher ein beinharter Woody-Allen-Fan, das ging so weit, dass ich 1995 in New York stundenlang nach der Stelle suchte, wo die Aufnahme für das Filmplakat von "Manhattan" entstanden ist (und sogar fand). Bei seinem gigantischen Output habe ich allerdings ein wenig den Anschluss verloren und war teilweise auch nicht mehr so begeistert von jüngeren Werken, was möglicherweise mit der Phase zusammenfällt, ab der er selbst nicht mehr mitspielte. "Matchpoint" oder "Midnight in Paris" gefielen mir sehr gut, andere wie "Magic in the Moonlight" fand ich ziemlich durchschnittlich.

Am Wochenende haben wir dann aber mal zwei neuere Werke nachgeholt, und zwar "A Rainy Day in New York" und "Cafe Society". Letzterer gefiel mir ziemlich gut, ersterer sogar noch besser, ohne dass einer von ihnen zu den ganz großen Würfen zählen würde. Aber beide machen enorm Spaß, und ich bewundere Woody Allen immer wieder für seine Kurzweiligkeit. (Und die kurze Laufzeit, die ich mittlerweile wirklich schätze.) Nichts ist langweilig, nichts ist zäh, alles ist im Flow. Da verzeiht man die eine oder andere Handlungsschwäche wirklich gerne. Großartige Besetzung in beiden Fällen. Storaros Bilder finde ich übrigens einfach magisch.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."