Re: Der Park Chan-wook Thread

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Ich denke, auch wenn ich jetzt bislang nur den "Sympathy"-Film kenne, Parks bisheriger Output ist dermaßen komplex und vor allem abstoßend, dass es ganz normal ist, dass eine derart eigenwillige Art eben auch auf viel Ablehnung stößt, jedenfalls auf mindestens genauso viel, wie sie begeisterte Anhänger finden wird. Das liegt dann denke ich auch in der Natur der Sache und ist deshalb völlig in Ordnung. Ich möchte auch noch mal äußern, dass mir Sympathy irgendwann regelrecht unangenehm wurde, dass es kein Film ist, den ich mir gerne angesehen habe, im Sinne von, dass ich das Gefühl des Spaßes empfunden hätte. Aber darin liegt ein Teil seiner Faszination, deswegen hat er mich dann doch auch interessiert, geweckt und angesprochen, ich verstehe aber sofort, wenn das mal nicht mehr der Fall sein sollte.
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Re: Der Park Chan-wook Thread

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Oldboy (2003, Chan-wook Park)

Nur wenige koreanische Filme geniessen auch in der westlichen Welt eine solche Popularität und Anerkennung unter Filmfreunden wie Chan-wook Parks zweiter Teil seiner losen Trilogie zum Thema Rache; das düstere Actiondrama Oldboy. Und das obwohl der Film in seinen Inhalten und deren filmischer Darstellung nicht gerade zimperlich vorgeht. Es geht um einen Mann, der unter mysteriösen Umständen entführt und 15 Jahre lang gefangen gehalten wird, ohne den Grund dafür zu erfahren, und sich nach seiner ebenso rätselhaften und plötzlichen Freilassung auf die Suche nach seinen Peinigern macht, mit nichts als Rache im Sinn, dabei aber in ein weiteres dubioses Puzzlespiel hineingezogen wird. Um die erschreckende Auflösung der Geschichte nicht zu verraten will ich hier nicht näher drauf eingehen, aber die zentralen Themen und Motive des Films sind allesamt dermassen abgründig und derbe, dass es einem schon Mal an die Nieren gehen kann.

Ähnlich wie der indirekte Vorläufer Mr. Vengeance ist auch Oldboy ein schwieriger Film, der eine regelrecht hässliche Erzählung zur Kunst stilisiert. Und zumindest in diesem Punkt lässt sich dem Südkoreaner Park keinerlei Vorwurf machen, denn photographisch und inszenatorisch hält Oldboy die Kinnlade des Zuschauers fast durchgehend unten. Park erzählt jede Szene ganz anders als es wohl jeder durchschnittliche Regisseur tun würde, er findet filmische Ausdrucksformen in der Montage, den Abläufen und dem Schnitt, die die Einstellungen in einem kunstvollen visuellen Tanz zur Szene werden lassen und die Szenen zum gesamten Film, und schafft sich so einen konsequenten Stil. Gleichzeitig wird die Spannungsschraube mehr und mehr angezogen und dramaturgisch formidabel auf das verstörende Ende hingearbeitet. Eine weitere Glanzleistung zeigt Hauptdarsteller Choi Min-sik mit seinem eindringlichen mimischen Spiel, und denkwürdige Soundtrack ist trotz seines gelegentlich etwas zu pompös-aufdringlichen Einsatzes eine wahre Perle.

Bei aller stilistischen Brillianz hat mich die dramatische Kernsubstanz des Films aber gerade zum Ende hin nicht völlig überzeugen können. Auch wenn der finale Twist durch seine Aufbereitung und Inszenierung wirklich denkwürdig und verblüffend einschlägt, so wirkt sein thematischer Aufhänger jeder Toleranz gegenüber Freiheiten in der Logik zum Trotz etwas zu absurd und verrückt, und die davon ausgelösten Ereignisse ebenfalls regelrecht extrem überzeichnet. Auch wenn die formal bravouröse Präsentation durch Parks Regie weitgehend über diese merkwürdigen Ausflüge ins Reich der Fantasie und das letzten Endes zu konstruierte Plotgerüst hinwegtäuschen, so sind es dennoch diese Punkte, die Oldboy für mich wohl nicht in den erlesenen Kreis der makellosen Meisterwerke werden aufsteigen lassen.

Wertung: 8 / 10
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Oldboy

Ein preisgekrönter Manga aus dem Japan der 80er Jahre diente dem Regisseur Park Chan-wook 2003 als Vorlage für "Oldboy" - dem vielbeachteten zweiten Teil seiner Rache-Trilogie, die ein Jahr zuvor mit "Sympathy for Mr. Vengeance" ihren Anfang nahm. Inhaltlich von seinem nur durchs Thema Vergeltung verwandten Vorgänger unabhängig, erzählt "Oldboy" erneut von Verlust, Rache, Hass und Perspektivlosigkeit. Brutal, schonungslos und komplex aufbereitet entführt Park sein Publikum in eine Welt, die keiner Sinnhaftigkeit zu Grunde zu liegen scheint, in der Mord, Selbstverstümmelung und Totschlag so nötig wie Essen und Schlaf erscheinen. Es ist eine Welt, in die niemand sich freiwillig begibt - "Oldboy" ist damit weit davon entfernt, als Unterhaltungsmedium bezeichnet werden zu können. Nein, "Oldboy" bereitet körperliche und psychische Schmerzen, "Oldboy" vollendet das, was Park bereits im ersten Teil immer wieder sequenzartig gelang: Er wird zur Zelebrierung von Folter, zum einem eigenartigen Sog aus abstoßenden Reaktionen, die nicht jeder Zuschauer bis zum Ende durchhalten wird.

Park gelingt mit "Oldboy" eines der effektvollsten Intros der Filmgeschichte. Die ersten 15 Minuten (in denen 15 Jahre erzählt werden) sind ein einziger pechschwarzer und depressiver Albtraum, in denen die Kamera wie besessen einen einzigen Gewaltakt dermaßen ausdehnt, dass zusätzlich zur beängstigend spürbaren Faszination am Unerträglichen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Schwindel auftreten können. Wenn Hauptdarsteller Choi Min-sik auf winzigem Raum eingesperrt durch die Hölle geht, leidet man nicht nur, es scheint einen regelrecht aufzufressen. In diesen Momenten ist "Oldboy" die direkteste Filmerfahrung, die man machen kann und pure verstörende Ästhetik, so rein geformt, dass es nicht auszuhalten ist. Der allzu oft inflationär verwendete Begriff der Brillanz erfährt hier seine eigentliche Definition - und bricht "Oldboy" damit das eigene Genick. Es ist der absolute Superlativ, mit dem Park seinen Film eröffnet, kafkaesk, einzigartig. So verliert die Erzählung jede Möglichkeit, sich noch einmal zu steigern und wenig überraschend gelingt dies auch nicht. Doch hier steckt noch nicht das wahre Problem der Inszenierung. "Oldboy" will eine Ballade über die niedersten menschlichen Triebe sein sowie ein Konstrukt, dass die erschreckende Unverhältnismäßigkeit von Zivilisation und Animalismus portraitiert. Und genau so ist er geworden: konstruiert, zerpflückt, unverhältnismäßig.

Visuell ist Park begnadet wie versiert: Stilmittel unterschiedlichster Art wendet er zielsicher an, geht mit Totalen wie extremen Nahaufnahmen ohne jegliche Mühen um und hat ein bemerkenswertes Gespür für Tiefenverhältnisse, kann klaustrophobische wie allumfassende Raumeindrücke visuell perfekt vermitteln. So sind es besonders diese Kniffe und aufeinander abgestimmten Zahnrädchen der Erzählung, abgeschmeckt mit einem gekonnt (vielleicht etwas zu prätentiös lautem) Score von Cho Young-wuk. Es ist die inhaltliche Komponente, an der "Oldboy" zunehmend zu scheitern anfängt. Mit ansteigender Spannungskurve wird die Handlung deutlich umfangreicher, komplexer, vielschichtiger - ohne dahinter tatsächlich etwas zu verbergen. Der eindeutige mystische Charakter der Erzählung steigert sich in eine immer verworrenere Montage unterschiedlicher Gräueltaten und dahinter steckt...? Gar nichts? Es kommt einem wie Hohn vor, wenn im letzten Drittel mit erstaunlicher Regelmäßigkeit ein Twist den nächsten jagt und an einer Stelle sogar die gesamte bisherige Geschichte komplett auf den Kopf stellt, um... ja, was eigentlich zu erreichen? "Oldboy" scheint hin und wieder als Versuch gedacht zu sein, die von ihm als "sinnlos" erkannte Brutalität eines hasserfüllten Mätyritums auf extreme Ausstiegssituationen oder gar alternative Bewältigungsmethoden hin zu untersuchen, allerdings steht dem eine letzte halbe Stunde gegenüber, die sich selbst im puren Fatalismus ertränkt und kalte Ästhetik predigt. Ein bemerkenswerter Entschluss ist dies auf jeden Fall, doch emotional will diese Rechnung beim besten Willen nicht aufgehen.

Selbiges gilt für Parks größte Stärke im Umgang mit der eigens ein zweites Mal auferlegten Thematik: Neutralität. Wenn Protagonist Oh Dae-su mit einem Hammer Zähne aus den Mäulern seiner Opfer zieht, wenn Zungen abgeschnitten und Hände abgetrennt werden, dann geschieht all das nie als voyeuristischer Exkurs oder verherrlichendes Spektakel, sondern ist das was es ist: Abgefilmte Exzesshaftigkeit, die durch ihre filmisch unkommentierte Art erst wirklich zur Grausamkeit wird. Jedoch ist gerade diese emotionslose Ader dafür verantwortlich, wenn einem der ganz große Knalleffekt der Handlung nicht zu packen weiß - schlicht und ergreifend deshalb, weil die Figuren fremd bleiben, sie bleiben (trotz der wirklich eindringlichen Darsteller) Strichmännchen auf zweidimensionaler Ebene. Einzig den ambivalent gehaltenen Antagonisten kann Parks Inszenierung im Zusammenspiel mit dem Akteur Yoo Ji-tae die Aura der Dreidimensionalität sichern, nur um ihn im Ende in der Gigantomanie des klassischen "James Bond"-Schurken zu versäuern. Auch dies ist visuell gerne ein Fest am Spiel mit den Sehgewohnheiten, verflacht dafür aber zum entrückten dramaturgischen Scheiterhaufen, der nur deshalb nicht völlig lahmt, weil der Stil ohnehin die eigentliche Substanz sein will. Dem Filmfreund wird dabei das Wasser im Mund zusammenlaufen - die Frage ist, ob ihm dies zwangsläufig gefallen wird. So wie der eine die Dunkelheit fürchtet, fürchtet ein anderer das Licht und so wie der eine "Oldboy" vergöttert, wird der nächste ihn verstoßen müssen.

Fazit: Visuell ein Meisterwerk? Vielleicht. "Oldboy" ist eine einmalige Sinneserfahrung, die ihren Tribut fordert und sein Publikum spalten wird... vermutlich auch will. Es ist ein gewählter und einprägsamer filmischer Ausdruck eines Ausnahme-Regisseurs, der von seiner Handschrift eindeutlich gezeichnet ist, diese aber auch über alles andere stellt. Hier liegt die Tücke der Bilderflut, die als unorganische Stücksetzung in Erinnerung bleibt: Inszenatorisch hüllt Park einen Graben aus, den der Inhalt nicht füllen kann. Begeistert schaut man unter die Oberfläche und findet ... nichts. So ist "Oldboy" leider als einzige bedeutungsschwangere Hybris nur allzu leicht zu enttarnen, beeindruckt aber durch seine Kompromisslosigkeit und den hauseigenen Umgangston, die ihrem erzeugtem Schmerz kein Subjekt gelungen beimengen kann.

5/10
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Re: Der Park Chan-wook Thread

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Maibaum hat geschrieben:Ach was OldBoy steigert sich sehr wohl, und der Anfang ist sicherlich nicht der beste Teil des Films, sondern, genau, das Ende.
Die letzte halbe Stunde ist eine leider überzogene Selbstzerstörung, die einer vielversprechenden Idee endgültig den Gar ausmacht. Das ausgerechnet diese Handlungsentwicklung vielerorts gelobt wurde, halte ich für enorm erschreckend, steht sie doch für alles, was ich an Filmtwists nicht mag. Da bricht jegliches Konstrukt endgültig in sich zusammen und offenbart die aufgemachte Ästhetik als Berechnung, denn als sinnige Formalität.

Sympathy for Mr. Vengeance ist um Längen überlegter und weiß mit seiner Thematik mehr anzufangen, ist aber auch unkonventioneller und der schwierigere Film.
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Re: Der Park Chan-wook Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben:Nicht in meiner Welt. Oldboy beginnt visuell und erzählerisch wirklich stark und seine unverblümte Ultra-Über-Brutalität fesselt bis zum Schluss. Aber die konstruierte und unpassende Auflösung dämpft das Erlebnis dann doch etwas ein.
Ist weder konstruiert noch unpassend, sondern sehr befriedigend.

Als brutal habe ich ihn nie wirklich empfunden, obwohl er es ist.

Re: Der Park Chan-wook Thread

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Casino Hille hat geschrieben: Die letzte halbe Stunde ist eine leider überzogene Selbstzerstörung, die einer vielversprechenden Idee endgültig den Gar ausmacht. Das ausgerechnet diese Handlungsentwicklung vielerorts gelobt wurde, halte ich für enorm erschreckend, steht sie doch für alles, was ich an Filmtwists nicht mag. Da bricht jegliches Konstrukt endgültig in sich zusammen und offenbart die aufgemachte Ästhetik als Berechnung, denn als sinnige Formalität.
Ich habe nicht die geringste Idee was du meinst.

Ich sehe das auch nicht als Twist, sondern als eine logische Antwort auf die Frage. Twists sind ja eher die Sachen mit denen man nicht rechnet, oder nicht rechnen soll. Hier ist aber eine Geheimnis, und das muß/kann aufgelöst werden, und das funktioniert in Oldboy inhaltlich wie ästhetisch ganz wunderbar.

Sympathy for Mr. Vengeance ist um Längen überlegter und weiß mit seiner Thematik mehr anzufangen, ist aber auch unkonventioneller und der schwierigere Film.
Nein, Oldboy ist schwieriger. Mr Vengeance ist auch ein sehr guter Film, aber an die anderen beiden reicht er nicht ganz heran. Die sind noch komplexer, noch positiv verrückter.

Hmm, die Lösung: ihr habt beide nur das Remake gesehen ...

Re: Der Park Chan-wook Thread

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Ich fand diese merkwürdige Erklärung mit der Hypnose total unpassend im Olboy-Universum und an den Haaren herbeigezogen. Praktisch für Park, die gesamte Handlung so zu erklären aber abgekauft habe ich es nicht. Auch die radikale Selbstdemütigung des Protagonisten empfand ich als überzeichnet. Insgesamt gefällt mir der Film ja, er ist spannend, er ist visuell, er ist konsequent, aber ähnlich wie Hille - wenn auch viel weniger drastisch - bin ich der Meinung dass er am Ende narrativ einknickt.
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Re: Der Park Chan-wook Thread

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Ach, am Ende passt wirklich nicht viel zusammen Maibaum. Das James Bond Schurken Ambiente mit Klischee Hideout (ja, das Design ist sehr auffällig gigantomanisch), die Motivation des Gegners erinnert an Oberhausers Bruder-Probleme, der Hypnose Kram ist totaler Humbug und eine billige Ausrede und die "Konsequenzen" sind so unaufrichtig wie nichtssagend. Klar, ästhetisch steckt da viel drin, aber es ist kalte, berechnete Ästhetik. Keine filmische Farbe, keine eigene Sprache, es ist bloßes Tabubrechen um des Tabubrechens Willen.

Das du Oldboy aber für komplexer und unkonventioneller als Sympathy hältst, dass überrascht mich. Alleine, weil Sympathy keinem normalen Handlungsaufbau folgt, ist dieser für mich sehr eindeutig der mutigere Film, während Oldboy letzten Endes eine klassische Geschichte chronologisch erzählt.
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