Re: Senses of Wonder – Die Filme des Steven Spielberg

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vodkamartini hat geschrieben: 6. Februar 2023 16:14 Ich würde die endgültige Zäsur allerdings erst 1993 ansetzten (auch wenn natürlich Lila, Always, Hook und Empire ein übles Quartett sind) als zum letzten Mal der viel zitierte Sense of Wonder nicht nur aufblitzte. Gemeint ist natürlich Jurassic Park,
Das ist für mich ein mixed bag. Einerseits steht JP sicherlich in der Tradition des Überwältigungskino des frühen Spielbergs, andererseits spielt hier schon seine krude Moralmissionierung stark mit rein (Kinderhasser wir überzeugt davon, dass das Glück der Erde im Lachen der Kinder liegt oder so ähnlich :mrgreen: ). Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen: diesbezüglich mag ich Hook (der zweifellos auch alles andere als perfekt ist) sogar etwas mehr, da er wenigstens von Anfang an mit offenen Karten spielt und sich zu seiner Agenda (Kinder und Family yoho) bekennt bzw. es ja das eigentliche Thema des Films ist, während man bei JP sehr gut darauf verzichten könnte, aber Onkel Steven eben nicht von seiner Missionierung lassen konnte/wollte. Ist ein ähnlich rotes Tuch für mich wie seine ausgewogene historische Differenzierung in seinem Weltkriegsmärchen. :wink:
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Re: Senses of Wonder – Die Filme des Steven Spielberg

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Ihr habt beide recht, mich stört die Familienkeule in "Jurassic Park" allerdings auch gewaltig – obwohl ich keine grundsätzliche Abneigung gegen das Thema und Spielbergs Herangehensweise an das Thema habe, denn in anderen Filmen fällt es mir weitaus weniger negativ auf. Es ist explizit "Jurassic Park", an den ich zu aller erst denken muss, wenn es um Spielbergs missionarischen Eifer geht. Anatol hat auch recht gut umschrieben warum: "Jurassic Park" braucht dieses Thema nicht. Es ist ein vollkommen überflüssiger Subplot, der nebenbei verhandelt wird, aber nichts zu den größeren Themen und Ideen des Films beiträgt. Man könnte die Kinder ersatzlos streichen, und an den essentiellen Motiven und Inhalten des Films würde sich nichts ändern. Viele Spielberg-Filme handeln direkt vom Thema "Familie", "Verantwortung der Eltern" und "Kindliche Unschuld" (dazu zähle ich unter anderem "E.T.", "Hook", "BFG", "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug", "A.I." etc.), aber "Jurassic Park" ist eigentlich ein ganz anderer Film. Der spannende Teil des Dino-Abenteuers liegt in der Begegnung zwischen Mensch und Urwesen, und den Konsequenzen und Gefahren daraus (und Spielberg legt darüber die Frage, ob man in die Natur und ihre Ordnung eingreifen, also Gott spielen sollte). Was haben da zwei Blagen zu suchen, die ihren Ersatzpapi finden? Warum hat die Figur am Anfang eine ablehnende Haltung gegenüber Kindern und entdeckt im Laufe des Abenteuers, wie toll es doch sein kann, Vater zu sein? Das passt für mich nicht, da ist kein Zusammenhang. Und das lässt es ganz schrecklich missionarisch und aufgezwungen wirken. In keinem anderen Spielberg-Film ist es für mich so penetrant.
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Re: Senses of Wonder – Die Filme des Steven Spielberg

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JP ist für Samstag vorgesehen, ich werde mal darauf achten. Bisher ist mir die "Familienkeule" nie negativ aufgefallen.
Casino Hille hat geschrieben: 9. Februar 2023 13:07 Was haben da zwei Blagen zu suchen, die ihren Ersatzpapi finden?
Die Funktion von Kindern in Filmen ist doch aber nichts Neues, oder? Stichwort Zielgruppe, Marketing, Identifikation, "Familienfilm", Dramaturgie etc. pp.
Casino Hille hat geschrieben: 9. Februar 2023 13:07 Warum hat die Figur am Anfang eine ablehnende Haltung gegenüber Kindern und entdeckt im Laufe des Abenteuers, wie toll es doch sein kann, Vater zu sein?
Das soll schon dem einen oder anderen späteren Vater passiert sein. :wink:
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Re: Senses of Wonder – Die Filme des Steven Spielberg

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ollistone hat geschrieben: 9. Februar 2023 14:49 Die Funktion von Kindern in Filmen ist doch aber nichts Neues, oder? Stichwort Zielgruppe, Marketing, Identifikation, "Familienfilm", Dramaturgie etc. pp.
Das sind alles Gründe "hinter den Kulissen", aber ein vernünftiger Geschichtenerzähler sollte jeder Figur auch eine Funktion und Bedeutung für die Handlungsentwicklung geben. Ansonsten bleibt genau das, was hier kritisiert wird: das Gefühl, Spielberg habe in einen Abenteuerfilm mit Dinosauriern, die auf Dino-Experten losgehen, Kinder und einen thematischen Familienüberbau nur integriert, um seinem eigenen Sendungsbewusstsein gerecht zu werden. Aber wenn er das predigen will, kann er ja einen Film über genau dieses Thema machen ODER muss eben die Extrameile laufen, und die Familienbotschaft sinnvoll mit den Themen verknüpfen, die sich aus dem Dinosaurierfreizeitpark-Plot ergeben. Ansonsten läuft es bloß neben- statt miteinander.
vodkamartini hat geschrieben: 9. Februar 2023 15:10 Finde Grants anfängliche Ablehnung bzw. seine Kehrtwende durchaus glaubwürdig.
Das habe ich missverständlich formuliert: Glaubwürdig mag das sein, keine Ahnung, bestimmt. Aber was hat es mit dem zu tun, worum es in "Jurassic Park" geht? Was macht das da? In "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" ist die Wiedervereinigung von Vater und Sohn das zentrale Thema des Films, so sehr, dass der Heilige Gral selbst zu einer Metapher dafür wird (im Finale will Indy gar nicht mehr den Gral als solchen haben, er dient nur noch dazu, dem angeschossenen Papa das Leben zu retten). Aber was genau macht diese Idee eines kinderlosen Zynikers, der das Papasein in sich entdeckt, in einem Film um einen Freizeitpark, in dem Wissenschaftler Gott spielen und Dinosaurier erschaffen haben? Für mich sind das zwei Ideen, die "Jurassic Park" nie schlüssig zusammenbringt.
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Re: Senses of Wonder – Die Filme des Steven Spielberg

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Ich denke, da ist die Frage wer oder was ist die Henne, wer oder was das Ei. ;) Ich habe diesen Plotpoint nie so zentral empfunden und schon gar nicht als die zentrale Botschaft des Films. Stört man sich aber generell an Missionierungstendenezn bei diesem Thema, fällt es einem natürlich wesentlich unangenehmer und prominenter auf. Hammonds Enkel kommen auch in Crichtons Roman vor. Und auch da überleben sie.
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Re: Senses of Wonder – Die Filme des Steven Spielberg

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Casino Hille hat geschrieben: Das sind alles Gründe "hinter den Kulissen", aber ein vernünftiger Geschichtenerzähler sollte jeder Figur auch eine Funktion und Bedeutung für die Handlungsentwicklung geben. Ansonsten bleibt genau das, was hier kritisiert wird: das Gefühl, Spielberg habe in einen Abenteuerfilm mit Dinosauriern, die auf Dino-Experten losgehen, Kinder und einen thematischen Familienüberbau nur integriert, um seinem eigenen Sendungsbewusstsein gerecht zu werden. Aber wenn er das predigen will, kann er ja einen Film über genau dieses Thema machen ODER muss eben die Extrameile laufen, und die Familienbotschaft sinnvoll mit den Themen verknüpfen, die sich aus dem Dinosaurierfreizeitpark-Plot ergeben. Ansonsten läuft es bloß neben- statt miteinander.
Da machst du es dir ein wenig zu schwer, finde ich. Was haben denn typischerweise "Sidekicks" für eine Funktion im Film, außer für ein paar Lacher, Spannungsmomente oder Identifikation zu sorgen? Ist für mich ein ganz klassischer Kunstgriff aus dem Repertoire des Filmemachens. So gesehen könntest du auch einen Shorty aus TotD streichen.
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Re: Senses of Wonder – Die Filme des Steven Spielberg

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ollistone hat geschrieben: 9. Februar 2023 15:51 Was haben denn typischerweise "Sidekicks" für eine Funktion im Film, außer für ein paar Lacher, Spannungsmomente oder Identifikation zu sorgen? Ist für mich ein ganz klassischer Kunstgriff aus dem Repertoire des Filmemachens. So gesehen könntest du auch einen Shorty aus TotD streichen.
Na, du hast ja alle Funktionen von Sidekicks schon sehr hübsch aufgeführt. Die wichtigste Funktion solcher Charaktere fehlt aber: Interaktion mit dem Protagonisten. Wenn Indy immer auf sich gestellt wäre, hätte er niemanden, mit dem er reden und sich austauschen kann. Selbst in "Stirb langsam", dem filmischen Prototyp eines auf sich alleingestellten Helden, hat Bruce Willis fast immer jemanden, mit dem er reden kann – Walkie-Talkies machen es möglich. Diesem Zweck dienen die Sidekicks von Indy und diesem Zweck dienen die Kids in "Jurassic Park". Die Frage ist dann nur, wie gut ist es umgesetzt und wie organisch setzt sich alles zusammen, was im Film passiert und abgehandelt wird. Und da kommt dann mein vorheriger Beitrag ins Spiel. :)
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Re: Senses of Wonder – Die Filme des Steven Spielberg

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Ich habe JP gestern nochmal gesehen, einen "missionarischen Eifer" Spielbergs zum Thema Familie und Kinder kann ich beim besten Willen nicht entdecken. Dr. Grant mag keine Kinder, am Ende, nachdem er notgedrungen ein paar Abenteuer mit ihnen bestehen und sie beschützen musste, findet er sie ganz okay. That's it.

Etwas daneben lag ich mit meiner Behauptung, die Kinder wären klassische Sidekicks. Das trifft so nicht zu. Ihre Hauptfunktion liegt doch auf der Hand: Durch die Augen von Kindern staunen wir und erschrecken wir in einem ganz anderen Ausmaß als es bei Erwachsenen der Fall wäre. Kindliches Überwältigtsein und kindliche Angst wirken einfach emotional stärker. Du siehst das erste Mal einen echten Dino? Versetz dich mal in das Kind! Auch die Raptorenjagd in der Küche entwickelt eine ganz andere Spannungsebene, wenn Kinder in Gefahr sind. Wenn dieser "Kunstgriff" nicht so offensichtlich wäre, könnte man Spielberg fast loben für seine Entscheidung, die Kinder quasi als Verstärker zwischen Geschehen und Zuschauer zu schalten.
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Re: Senses of Wonder – Die Filme des Steven Spielberg

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Dann ist es aber etwas dusselig vom Steven, die Kinder erst in den Film einzuführen, nachdem wir die ganz große "Staunende Augen"-Szene schon gesehen haben. :mrgreen: Die Kinder sind eben keine PoV-Charaktere, sie sind tatsächlich nur beim Abenteuer dabei. Spielbergs Intention für die Kinder ist btw tatsächlich kristallklar: Sie kommen in der Romanvorlage vor, also gibt es sie auch im Film.

Was du schreibst, stimmt volle Kanne für "Jurassic World". Da gibt es den Plot um zwei minderjährige Brüder tatsächlich vor allem, um das Staunen und die kindliche Begeisterung zu porträtieren, während der eigentliche Plot mit anderen Figuren ausgetragen wird. Einer der wenigen Aspekte, in denen "Jurassic World" dem Original konzeptionell überlegen ist.
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