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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Endlich Sommerpause! Zeit für ein paar italienische Magendreher!
L'uccello dalle piume di cristallo (1970)
Argentos Regiedebüt bildet unverkennbar die Giallo-Blaupause zu seinem späteren Bravourstück Profondo Rosso, die Ähnlichkeiten in der Struktur der Handlung sind nicht zu übersehen, so verstecken beide die Auflösung zur Mordserie theoretisch schon ganz am Anfang und spielen im Schlussakt mit einem roten Hering in Form einer doppelten Täterenthüllung. Aber ähnlich wie bei Hitchcock, der in North by Northwest viele Elemente aus seinem früheren Film Saboteure verwendete und weiterentwickelte, kann man auch hier dem Erstling nicht ankreiden dass der Nachfolger es (noch) besser macht, da die jeweiligen Filme auch eigenständig funktionieren. Bei Argento sind es wie gewohnt die stilvolle Inszenierung von Spannungs- und Mordszenen und der charismatische Protagonist, die den Unterhaltungspegel hoch halten. Letzterer darf sogar mit dem ermittelnden Polizisten zusammenarbeiten und mit diesem eine zunehmend vertrauensvolle Bande bilden, ein schöner Kontrast zum Klischee des rumschnüffelnden Zeugen der üblicherweise von den Behörden dazu gedrängt wird, seine Nase aus der Sache rauszuhalten. Ebenfalls gelungen ist der Score von Maestro-Morricone, dessen klangvolles und grusliges Lalalala-Gesinge die unheilvolle Slasher-Stimmung treffend akzentuiert. Wobei die Nerven hier aber trotzdem nie so richtig zerfetzt werden, und das ist dann wohl auch die grösste Schwäche gegenüber dem ausgetüftelten Nachfolger, denn der Kontrast zwischen charmanten oder sogar humorvollen Ermittlungsszenen und atemstockenden Horrormomenten ist verglichen mit Profondo Rosso kleiner und so läuft auch die Achterbahnfahrt der Gefühle wesentlich entspannter und ruhiger ab. Übrigens ist der italienische bzw. englische Titel Der Vogel mit dem Kristallgefieder herrlich und vor allem viel besser als das banale deutsche Geheimnis der schwarzen Handschuhe, nur leider passt letzteres mit Wissen um das Filmende wesentlich besser zur Geschichte.
Wertung: 7,5 / 10
Aura (1993)
Aura folgt ebenfalls Argentos altbekannten Genre-Präferenzen, auch wenn die italienischen Einflüsse durch die Tatsache, dass der Film in den Staaten produziert wurde, diesmal fehlen und er so mehr wie ein "normaler" Slasher anmutet. So normal wie ein Argento-Film um einen Serienkiller, der Köpfe absägt und als Trophäen behält nun mal sein kann. Der Film ist immer noch unverkennbar ein Werk seines Schöpfers, aber nicht nur das, auch der figürliche und dramatische Unterbau wirkt durch die suizidalen Tendenzen der Quasi-Hauptfigur – mit mitleiderregenden Kulleraugen von Darios Töchterchen gespielt – deutlich ernster und gewichtiger als gewohnt. Einige Szenen gehen an die Nieren, aber meist sogar weniger durch ihre stilisierten Gewaltdarstellungen sondern mehr durch die Dramatik und Energie von Handlung und Figuren, trotzdem gibt es natürlich auch viele ruhigere Momente in denen sich zwischen den rumschnüffelnden Jungspunden Christopher Rydell und Asia Argento ein erstaunlich gute Chemie entwickelt. Mir hat Aura eigentlich viel Spass gemacht, der Film ist gespickt mit starken Ideen und Momenten, sei es die beunruhigende Szene in der Irrenanstalt, die hochspannende Einbruchsszene am Schluss mit nerventerrorisierender Musik, die tragisch-schöne Wasserszene, aber auch der tolle Score und der superbe Subplot mit dem Nachbarsjungen, der das Fenster des Täters beobachtet, oder der kurze Auftritt von Brad Dourif. Der Film hätte als Ganzes noch besser sein können, aber durch die vielen guten Sachen kann man auch über die teilweise ziemlich sprunghafte Handlungsentwicklung hinwegsehen, sowie über den etwas wirren und konstruierten Schluss (der bei Argento aber häufig etwas seltsam ist). Oder über die Tatsache, dass die abgehackten Köpfe jeweils noch weiterplaudern und Zeit finden, zu schreien während der restliche Körper schon lange weg ist…
Wertung: 7 / 10
Non ho sonno (2001)
Mit Non ho sonno kehrt Argento in heimische Giallo-Gefilde zurück, nur deutlich moderner und - tatsächlich - noch blutiger, die Mordszenen sind an derber Gewalt kaum mehr zu überbieten (etwa die Rückblende in der einem Opfer wiederholt eine Oboe mit voller Härte in den offenen Mund gerammt wird) aber wie gewohnt mit einem hohen Grad an Kunstfertigkeit in Szene gesetzt, wenn auch mit weniger heimeligem Oldschool-Flair als frühere Produktionen. Die geradezu groteske Story um einen mordenden Zwerg bietet dabei eine schöne Variation typischer Giallo-Muster, vor allem mit der Art wie auf die früheren Taten des schon siebzehn Jahre zuvor wütenden Zwergs Bezug genommen wird und die damaligen Hintergründe nach und nach in die Gegenwartshandlung mit eingewoben werden. Dieser Kniff gibt der Schlachterhandlung im Vergleich zu den immer leicht anonym gebliebenen Mordserien früherer Argento-Filme eine komplexe und persönliche Note. Mit Max von Sydow als charismatischem Ex-Ermittler ist ein schauspielerisches Schwergewicht und ein toller Protagonist an Bord, einmal mehr absolut grossartig ist zudem der Soundtrack von Goblin, der Erinnerungen an Profondo Rosso weckt. Da ist er auch nicht der einzige, in der ersten Stunde (und ganz besonders in den ersten rund zwanzig Minuten) brennt Argento förmlich ein visuelles und atmosphärisches Feuerwerk ab und liefert eine gleichermassen vertraute und nostalgische wie neue und modernere Variation seines Stammgenres sowie seines 1975er-Wunderwerks. Leider lässt die Inszenierung in der zweiten Hälfte stellenweise doch arg nach und mutet mancherorts ziemlich bieder an, auch wenn die Geschichte um den mordenden Zwerg bis zur gewohnt grotesken und wendungsreichen Auflösung spannend bleibt. So bleibt Non ho sonno unterm Strich leider doch nur ein richtig guter Film, der aber Potential zu einem noch besseren gehabt hätte.
Wertung: 7 / 10
The Mother of Tears (2007)
Oje, The Mother of Tears ist das filmische Äquivalent zu einem Teller mit Blumenkohl: Man kann es schon irgendwie runterwürgen, aber schmecken tut es halt auch nicht gut. Argento mischt Blut und Gore mit biblisch-esoterischem Humbug und erweckt einen alten Hexenkult, der Rom in Sünde und Chaos stürzt, und das Ganze ist noch blöder als es sich anhört. Vor allem gelingt es dem einstigen Giallo-Papst nicht, die Prämisse interessant umzusetzen, geschweige denn spannend oder unheimlich. Seine Inszenierung ist diesmal bieder und lahm und erinnert mehr an eine mittelmässige TV-Produktion als an einen Argento-Film, Kulleraugen-Töchterchen darf wieder die Hauptrolle spielen, allerdings so hölzern und stumpf dass sich einem die Zehennägel aufrollen. Die nuttigen, dauerkreischenden Hexendienerinnen, die so böse und verkommen sind dass sie am Flughafen Koffer umschubsen (!) scheinen den tiefsten Trashgefilden entsprungen, noch besser ist lediglich der Affe, der für die Hexe die Lakaienarbeit erledigt. Zwischen langweiligem Geplapper und pseudodramatischem Versteckspiel gibt es dann auch ein paar bizarre Blutbäder, die von Argento mit schmieriger Sadomaso-Erotik aufgepumpt werden, bis hin zu dem Punkt an dem die mit grossem Brimborium angekündigte Oberhexe wie eine Pornodarstellerin in Szene gesetzt wird und ihr finaler Auftritt ist so antiklimaktisch wie nur möglich. Punkte gibt es dafür, dass einige vereinzelte Szenen Trash-Massstäbe setzen, aber leider hält der Film nicht einmal diesen Ansatz konsequent und ist über weite Strecken belangloser Quatsch. Ein echter Reinfall, Signor Argento.
Wertung: 2,5 / 10
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.