Programkino sei Dank habe ich jetzt endlich mal Barry Lyndon nachgeholt. Ich schon immer geahnt, dass mir der Film wahrscheinlich zusagen würde, denn man hat ja so seine Erwartungen durch Regisseur, Genre und Bilder. Eigentlich wusste ich aber auch gar nicht viel über Barry Lyndon, und war noch einmal ein Stück überrascht, wie gut und vor allem auch wie "leicht" der eigentlich ist. Den Ruf der ultra-sperrigen Schlaftablette, den einige Foristen pflegen, kann ich mir in diesem Ausmass wirklich nicht erklären. Über die volle Laufzeit von drei Stunden kommt eigentlich keine Länge auf, die tolle Geschichte geht voran und schlägt immer wieder Haken, ohne den Zusammenhang zu verlieren. Es geht von der kleinen Dorfgeschichte in die Flucht, dann Siebenjähriger Krieg, dann Desertion und Abenteuer, dann preussische Armee, dann Spionagemission, dann Hochstapelei, dann Glücksspiel, dann Hochzeit, dann Palastintrigen, dann Tragödie bevor alles fast schon mit einer spöttischen Banalität zu Ende geht und es ist beeindruckend, wie abwechslungsreich und stimmig Kubrick diese Klaviatur spielt. Ein Wirrwarr an Nebencharakteren bleibt einem erspart, Kubrick erzählt die Geschichte sehr einfach, sehr fokussiert, hübsch eins nach dem anderen, auch mit einer gewissen konzentrierten Ruhe, aber eben nie langatmig oder zu ausschweifend. Die Ausstattung, Kostüme, Locations und Musik entführen einen geradezu in diese Zeit und machen sie zugänglich, in dieser Hinsicht gefiel mir die Abenteuer-orientiertere erste Hälfte in Wäldern und Wiesen noch etwas besser als die ebenfalls sehr gute zweite Hälfte, die mehr "Indoor" abläuft. Die zweite Hälfte hat dafür die beiden besten Einzelszenen, nämlich die hochemotionale und erschütternde
Sterbeszene von Bryan
und das nervenzerreissende Duell mit Lord Bullingdon, das fast schon ein bisschen an ein Leone-Duell erinnert mit seinem langsamen Aufbau, rhythmisch gegliedert durch die endlose, unheilvoll pochende, minimalistisch arrangierte Sarabande - und in den umwerfenden Bildkompositionen flattert das Federvieh, dass John Woo seine Freude hätte. Barry Lyndon rockt gepflegt die Hütte.
Wertung: 9 / 10