Re: Zuletzt gesehener Film

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Casino Hille hat geschrieben: 11. April 2022 12:16 Naja, deshalb frag ich ja. Habe das nicht als Gimmick erfunden, sondern als Versuch, einer bekannten Dynamik (die zwei ehemaligen Freunde, die zu Feinden wurden) neue Aspekte (durch die nun hinzugekommene sexuelle Dimension) abzugewinnen.
Dann hätte man die beiden ja auch zu Stief- oder Adoptivbrüdern machen können. :wink:
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."

Re: Zuletzt gesehener Film

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AnatolGogol hat geschrieben: 11. April 2022 12:25 Teil 2 war so grottig, dass ich nach ner halben Stunde abbrechen musste. Dumbo kann daher nachsteigen, wem er will - ich bin aus der Viecher-Nummer aufgrund unterirdischer Qualität raus (obwohl Teil 1 noch ganz ok war). Wenn schon Empörung meinerseits, dann eher wie schnell Warner bei Johnny Depp eingeknickt ist. Ich will mir da kein Urteil anmaßen, wer da nun wen gekloppt hat. Aber der von Depp verlorene Medienprozess ist in meinen Augen keine Rechtfertigung ihn vor die Tür zu setzen. Warner beugt sich hier nicht nur einer Hexenjagd, sie tragen sogar noch in nicht geringem Maße dazu bei ("wenn Warner ihn schon rausschmeisst, dann mus da ja was dran sein!"). Vielleicht bin ich da ein klein wenig altmodisch, aber war da nicht irgendwann mal was von wegen Unschuldsvermutung solange bis das Gegenteil bewiesen ist?
Vor allem finde ich es unfair, dass die Johnny Depp rausgeschmissen haben, aber Amber Heard für "Aquaman 2" nicht.
"Verstehen Sie mich nicht falsch es ist nichts persönliches, es ist was rein geschäftliches."

Re: Zuletzt gesehener Film

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Normalerweise könnte man die Diskussion über Beasts 3 im Potter-Thread weiterführen. Werde mir "Beasts 3" heute Abend im Kino ansehen. Es ist zwar schade, dass Johnny Depp als gleichwohl Opfer/Täter über die toxische Weiblichkeit Amber Heards gestolpert ist, aber als großer Fan von Mads Mikkelsen freue ich mich über die Neubesetzung. Da Grindelwald ja ohne Probleme seine Gestalt wandeln kann und dies bereits von Colin Farrell zu Johnny Depp getan hat ist der Wandel zu Mikkelsen auch absolut kein Problem.

Die in den Filmen integrierte Homosexualität bzw. verflossene Liebesbeziehung von Dumbledore und Grindelwald, die mit einem quasi Blutschwur besiegelt worden ist, gibt der ganzen Reihe durchaus eine gewiss spannende und auch tragische Note.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Zuletzt gesehener Film

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HCN007 hat geschrieben: 11. April 2022 13:56 Da Grindelwald ja ohne Probleme seine Gestalt wandeln kann und dies bereits von Colin Farrell zu Johnny Depp getan hat
Har har, da sollte er sich aber in dritter Instanz eigentlich in Jude Law verwandeln, der ist ja leider schon Dumbledore, aber immerhin dabei.

Dr. Parnassus, wer es nicht gleich versteht.
We'll always have Marburg

Let the sheep out, kid.

Re: Zuletzt gesehener Film

10041
Agent 009 hat geschrieben: 9. April 2022 13:09 Gestern Citizen X gesehen. (Danke Anatol)
:D Ja, toller Film irgendwo zwischen Gorky Park und Das Schweigen der Lämmer mit viel Gespür für Atmosphäre und grandiosen Darstellern. Sutherland, Rea, Ackland, Von Sydow und DeMunn sind absolut herausragend. Leider blieb der Film immer weitgehend unter dem öffentlichen Radar.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Zuletzt gesehener Film

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iHaveCNit: A Hero (2022) – Asghar Farhadi – Neue Visionen Filmverleih
Deutscher Kinostart: 31.03.2022
gesehen am 12.04.2022
Arthouse-Kinos Frankfurt – Kleine Harmonie – Reihe 3, Platz 9 – 20:00 Uhr


Natürlich gehört auch der neue Film von Asghar Farhadi zu den für mich interessanten Kinostarts aus dem März 2022, den ich nun auch mit „A Hero“ abschließen kann. Genau wie Anfang Februar „Die Ballade von der weißen Kuh“ sind Filme mit gesellschaftskritischen und moralisch sehr ambivalenten Themen genau das Ding des modernen iranischen Arthouse-Films. Und Beide Filme aus diesem Jahr haben mir ähnlich gut gefallen.

Rahim Soltani ist aktuell in Haft, weil er seinen zu hohen Schuldenberg nicht bewältigt bekommt. Bestandteil seiner Haftstrafe sind auch immer 2 Tage in Freiheit. Neben der Zeit mit seiner Familie und seiner Freundin versucht er auch alles Mögliche finanzielle Mittel aufzutreiben, damit er sich freikaufen und auch seine Schulden loswerden. Seine Freundin hat durch Zufall eine Tasche mit Goldmünzen gefunden, die eigentlich durch einen Tausch bei einem Pfandleiher zu Geld gemacht werden sollen, doch beim Pfandleiher kommt Rahim eine Idee, die trotz aller guter Absichten ihn in eine Abwärtsspirale befördern, bei der er nicht ahnt, was für ein großer Rattenschwanz sich damit in Bewegung gesetzt hat.

Farhadi hat mit „A Hero“ ein gesellschaftlich sehr dichtes, kritisches und durchaus auch menschliches Drama geschaffen, dass im Kern die Geschichte eines einfachen Mannes ist, der das Richtige tun will und nicht ahnt, in welche falsche Richtungen sich das alles entwickeln kann. Diese Geschichte über Menschlichkeit, Schuld und Sühne, Moral und Ethik sowie den Ehrbegriff in der iranischen Kultur hat mir gut gefallen, auch wenn natürlich der ein oder andere Schlenker in der Handlung selbst vielleicht ein wenig zu viel gewesen sein kann und der Film mich nicht ganz emotional ergriffen hat. Erfrischend finde ich es aber durchaus, dass der Film mit seiner interessanten Thematik und dem Handlungsverlauf doch relativ unvorhersehbar und damit auch spannend ist.

„A Hero“ - My First Look – 8/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Zuletzt gesehener Film

10044
iHaveCNit: The Lost City (2022) – Adam Nee / Aaron Nee – Paramount
Deutscher Kinostart: 21.04.2022
gesehen am 13.04.2022 in der Sneak
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kino 9 – Reihe 9, Platz 15 – 21:00 Uhr


Von meiner Kino-Bucket-List kann ich nun auch einen weiteren Punkt streichen. Ich hatte einfach mal vor, eine ganz normale Sneak-Preview zu besuchen. Für einen Ticketpreis von 4,50 Euro und einem freien Mittwoch Abend ist das auch eine sichere Bank und einfache Entscheidung gewesen. Wie immer sind die Regeln bei einer Sneak-Preview klar – man weiß, dass man in Kino geht, nur nicht um welchen Film es sich handelt, bis er dann auch tatsächlich auf der Leinwand erscheint. Dieses Mal hat es sich gut getroffen, denn „The Lost City“ stand tatsächlich auf meiner Planung für die Starts vom 21.04.2022 und so habe ich mich nach reiflicher Überlegung dazu entschieden, den Film mit der Sneak von meiner Liste abzuhaken und nicht noch einmal extra in einer normalen Vorstellung zu sehen. Warum ? Das wird man anhand meiner Meinung zum Film ableiten können.

Loretta Sage ist Buchautorin. Nach dem Tod ihres Mannes, der Ärchäologe war, hat sie eine erfolgreiche Buchreihe geschaffen, in der die Titelcharakterin ihr selbst empfunden zu sein scheint und in der es um Abenteuer, Action und Romanzen geht. Ihr männlicher Gegenpart ist dem Männermodel Alan empfunden, mit dem sie eigentlich gar nicht harmoniert. Bei einer Promotour für das neue und letzte Buch der Reihe wird Loretta von dem reichen Briten Fairfax entführt, der ihr offenbart, dass scheinbar das im neusten Buch enthaltene Rätsel mit einem tatsächlich existierenden Schatz zu tun hat und er mit ihrer Hilfe diesen Schatz finden will. Währenddessen macht sich Alan mit einem kampferprobten Trainer auf die Suche nach Loretta.

„The Lost City“ ist klassisches Popcorn-Kino mit einer Mischung, die im Kino nur allzu gut aufgeht. Mit Elementen von Abenteuer, Action, Comedy und Romanze garniert mit einem bekannten Staraufgebot mit Sandra Bullock, Channing Tatum, Daniel Radcliffe und Brad Pitt kann eigentlich nichts schief gehen. „Eigentlich“, denn der doch relativ schnörkellose Plot und das Abenteuer ist sehr generisch nach Schema F gestrickt und so unterhaltsam und witzig die Situationen sind, in die vor allem das Duo aus Bullock und Tatum geschmissen werden, umso nervig, überdreht und unfreiwillig komisch können diese sein. Ich hatte meinen Spaß mit „The Lost City“, auch wenn er nicht ganz der große Wurf gewesen ist.

„The Lost City“ – My First Look – 6/10 Punkte
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Dieselbe Prozedur wie jeden Tag

10045
Was vom Tage übrigblieb

„Ein guter Butler verfügt über Würde im Einklang mit seiner Position“, heißt es in einer Schlüsselszene von „Was vom Tage übrigblieb“. In diesem Moment, irgendwann in den 1930er Jahren, sitzt das Personal des Landsitzes Darlington Hall zusammen bei Tisch. Am Kopfende spricht der den Ton angebende Butler James Stevens. Sein ganzes Lebensziel, so wird in dieser Szene sehr deutlich, ist die des Dieners. Alles was er tut, verfolgt die Ambition, seinem Arbeitgeber, den angesehen Lord Darlington nach besten Kräften zu versorgen. Mit am Tisch sitzt sein Vater Stevens Senior, der ebenfalls sein ganzes Leben lang gedient hat und seinem Sohn – ihre Dynamik zeigt es – nur diesen Wert vermitteln konnte: Immer die Würde wahren. Um jeden Preis.

Als später der Senior sehr krank wird und schließlich verstirbt, findet in Darlington Hall gerade eine wichtige politische Konferenz statt. Die Haushälterin Miss Kenton zieht Stevens zur Seite: „Es tut mir sehr leid. Ihr Vater ist vor vier Minuten von uns gegangen“, sagt sie mitfühlend. „Ich verstehe“, antwortet Stevens. Auf die Frage, ob er seinen toten Vater sehen möchte, meint er nur: „Ich habe im Moment sehr viel zu tun“ und „Mein Vater würde wünschen, dass ich mit meiner Arbeit fortfahre“. Die ganze Szene ist er nur im Dunkeln oder von hinten zu sehen. Selbst wenn Mr. Stevens hier für eine Sekunde eine Gefühlsregung gezeigt haben sollte: Die Kamera wahrt für ihn sein Gesicht.

Die vielfach preisgekrönte, gleichnamige Romanvorlage des japanisch-britischen Autoren Kazuo Ishiguro ist ein Werk der Introspektive. Alle Erkenntnisse, alle Gedanken formulieren sich aus dem Inneren der Figuren heraus. Deswegen galt das Buch gleich bei seiner Veröffentlichung als „unverfilmbar“. Um das Gegenteil zu beweisen, trat das Triumvirat der Produktionsstätte „Merchant Ivory Productions“ an: Regisseur James Ivory, sein Lebensgefährte und Produzent Ismail Merchant sowie die Drehbuchautorin Ruth Prawer Jhabvala. Zusammen hatten sie zwischen 1961 und 2005 über zwanzig Produktionen verwirklicht, viele davon urbritische Kostümfilme, zumeist Literaturadaptionen.

Doch obwohl viele ihrer Arbeiten, darunter Hits wie „Die Damen aus Boston“ und „Zimmer mit Aussicht“ sowohl Publikum als auch Kritiker begeistern konnten, sollte erst „Was vom Tage übrigblieb“ ihr Magnum opus werden, ein Film von so meisterlicher Eleganz, dass er wie seine Vorlage als brillant einzustufen ist, diese in Teilen gar übertrifft. Erst wollte Mike Nichols das Projekt übernehmen und die Protagonisten, Butler Stevens und Haushälterin Kenton, mit Jeremy Irons und Meryl Streep besetzen. Als Ivory an Bord kam, vereinte er stattdessen wieder das Traumpaar seines vorherigen Films „Wiedersehen in Howards End“: Anthony Hopkins und Emma Thompson.

Der Film beginnt 1956: Nach dem Tod von Lord Darlington wird sein Anwesen an den US-amerikanischen Ex-Politiker Jack Lewis versteigert. Er übernimmt die gesamte Belegschaft, darunter den treuen Stevens. Durch einen Briefwechsel mit Miss Kenton, die Darlington Hall vor langer Zeit den Rücken kehrte, erinnert sich Stevens an ihre gemeinsame Zeit. Er beschließt, nach Südwestengland zu fahren und sie nach Jahren wiederzusehen – vorgeblich, weil er sie erneut als Haushälterin anwerben will.

Ein Großteil des Films spielt nun in den Erinnerungen von Mr. Stevens. James Ivory zeichnet anhand des übertrieben aufopferungsvollen Butlers ein bestechendes Porträt der englischen Aristokratie und erzählt vom Klassensystem des imperialen Zeitalters: Stevens hat in Darlington Hall einen festen Platz, ein klar definiertes Schicksal. Sein einziger Traum darf darin bestehen, diese Rolle so perfekt wie möglich auszufüllen. Seinem Herrn vertraut er blind. Die Überzeugungen des Mannes spielen dafür keine Rolle, entscheidend ist allein das gesellschaftlich eindeutige Verhältnis zueinander. Großbritannien vor dem Zweiten Weltkrieg, zeigt Ivory auf, atmete die letzten Züge des Neo-Feudalismus.

Dabei legt er seine Finger in eine Wunde, mit der das Vereinigte Königreich nur ungerne konfrontiert wird: Die historische Rolle, die der englische Adel beim Aufstieg des deutschen Faschismus spielte. Darlington, piekfein von James Fox verkörpert, ist treuer Anhänger der Appeasement-Politik von Neville Chamberlain. Er empfand den Versailler Vertrag als Verrat am deutschen Volk. Seine Sympathien für das im Ersten Weltkrieg besiegte Deutschland verpflichten ihn, so glaubt er, in Friedensgesprächen zwischen Großbritannien und den Nationalsozialisten zu vermitteln. Über die Jahre gehen viele Herrschaften in Darlington Hall ein und aus, darunter fanatische Anhänger der Schwarzhemden-Organisation, die offen von einem faschistischen Putsch träumen, und Botschafter des Deutschen Reichs.

Obwohl Ivory auch Idealisten zeigt, darunter des Lords Patenkind, der Journalist Reginald Cardinal, oder jener Jack Lewis, der später in Darlington Hall wohnen wird, ist sein politisches Drama von einer lustvollen Janusköpfigkeit durchzogen: Zum einen ist seine makellose, durchweg inspirierte Regie von einer nostalgischen Sehnsucht geprägt, die jede Möglichkeit erlaubt, sich in der sentimental-verklärten Bourgeoisie zu suhlen. Zum anderen genießt er es, diese Idylle des Upper Class Großbritanniens aufzubrechen, sie einzureißen. Mag der Film anfangs noch Bewunderung für Mr. Stevens auslösen, der beharrlich sein ganzes Dasein dem Dienen widmet, schlägt es in Frustration um, als klar wird, wie fehlgeleitet seine Loyalität Darlington gegenüber ist.

In einer phänomenal deprimierenden Szene etwa zitiert der Lord seinen Butler zu sich, um über die deutschen Flüchtlingsmädchen Elsa und Irma zu sprechen, die unter Mr. Stevens als Dienstmädchen arbeiten. Der Lord wünscht, dass die Mädchen entlassen werden. Als Stevens Bedenken äußert, platzt es aus Darlington heraus: „Sie sind Juden.“ Miss Kenton ist schockiert. Sie droht mit Kündigung. Und auch Stevens ist dabei nicht wohl. Dennoch führt er den Befehl aus. Sein Herr und er sind gar nicht so verschieden: Sie beide sind vor lauter Prinzipientreue zu blind, um zu sehen, auf welche Irrwege sie geführt werden.

Miss Kenton macht ihr Vorhaben nicht wahr. Sie bleibt, und es wird mit jeder Szene klarer, wieso. Sie entwickelt Gefühle für den ihr so rätselhaften Mr. Stevens. Wiederholt drängt sie nun um seine Zuneigung, doch er flieht davor. Er kann und will sie nicht an sich heranlassen – dabei ist längst klar, dass auch er etwas fühlt. Kein Wunder also, dass Ivory für diesen enorm schwierigen Part unbedingt Anthony Hopkins wollte. Er liefert ab: Der Jahrhundertschauspieler war nie besser, seine Leistung ist nuanciert, grandios, wahrhaftig. Dasselbe gilt für Emma Thompson, die die aufkeimende Liebe und ihre verwirrende Faszination für den Butler hervorragend spielt und einem gar das Herz bricht, als sich bei ihr die Erkenntnis breit macht, dass diese Gefühle nie eine Zukunft haben werden.

Die restliche Besetzung ist nicht weniger großartig. Als verliebtes Hausmädchen ist Lena Headey in einer ihrer ersten Rollen zu sehen, sie wurde zwanzig Jahre später durch die Fantasyserie „Game of Thrones“ zum Star. Charakterdarsteller Michael Lonsdale mimt grandios einen französischen Abgesandten, der – statt über Politik zu diskutieren – ausschließlich über seine geschwollenen Füße lamentiert. „Superman“-Ikone Christopher Reeve repräsentiert in der Rolle des Lewis die Stimme der Vernunft, als er seiner Lordschaft vorwirft, er sei ein Amateur und ihn vor „Frieden um jeden Preis“ warnt. Der integre Reginald Cardinal wird zudem exzellent vom jungen Hugh Grant verkörpert, der erst ein Jahr später durch „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ zum englischen Superstar avancierte.

Nicht genug Lob lässt sich über die Ausstattung verlieren: Die Kostüme allein sind über jeden Zweifel erhaben und geprägt von einem weitreichenden Verständnis für die traditionsreiche britische Hochkultur. Mehrere englische Landhäuser zum Einsatz für die edlen Aufnahmen des Kameramanns Tony Pierce-Roberts. Über die vollen 134 Minuten begeistert außerdem die gefühlvolle Musik des Pianisten Richard Robbins, der regelmäßig an Merchant Ivory Produktionen mitwirkte. Dennoch ging Ivorys Romanadaption bei den großen Preisverleihungen 1993 leer aus. Zu in sich gekehrt, zu ruhig, konzentriert, langsam und introvertiert war sie, als dass sie gegen andere, in ihrer Absicht direktere Werke wie das Holocaustdrama „Schindlers Liste“ oder den Liebesfilm „Das Piano“ eine Chance gehabt hätte.

Ivorys Herzschmerzkino ist ein großer Abgesang auf vertane Lebenschancen. Der finale Geniestreich erschließt sich aber erst im Vergleich zur Romanvorlage. Dort erlebt Mr. Stevens auf den letzten Seiten als alter, gebrochener Mann ein Umdenken. Er beschließt, die alte steife Butler-Ideologie loszulassen und seine letzten Lebensjahre zu genießen. Der Film jedoch endet fatalistisch, tragisch und tieftraurig. Stevens beharrt auf seiner Würde, wählt seine Pflichten und damit die Einsamkeit. „Es hat keinen Sinn, über vergossene Milch zu klagen“, sagt er einmal. Und so verbleibt er in Darlington Hall, wahrt vermeintlich den längst vergangenen Stolz der britischen Aristokratie, und bleibt allein mit der Frage, was vom Tage übrigblieb.
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Re: Zuletzt gesehener Film

10047
iHaveCNit: The Innocents (2022) – Eskil Vogt – Capelight Pictures
Deutscher Kinostart: 14.04.2022
gesehen am 14.04.2022
Arthouse-Kinos Frankfurt – Große Harmonie – Parkett - Reihe 4, Sitz 9 – 20:45 Uhr


Oft reichen nur wenige gute Wertungen im Vorfeld dazu, dass mein Interesse an einem Film geweckt wird. Im Fall von Eskil Vogts „The Innocents“ war das so. Und selten war eine Vorfreude auf einen Film so gerechtfertigt gewesen wie bei „The Innocents“, der eines der ganz großen Highlights des Filmjahres 2022 ist.

Ida und ihre große Schwester Anna ziehen mit ihren Eltern in eine Hochhaussiedlung. Da Anna nonverbal autistisch ist und mehr Aufmerksamkeit ihrer Eltern benötigt und Ida dem Umzug nicht so wohlwollend gegenübersteht, geht sie nach draußen auf den Spielplatz und trifft den jungen Ben, der ihr im naheliegenden Waldstück seine feinen übernatürlichen Kräfte präsentiert. Nicht nur Ben scheint übernatürliche Kräfte zu besitzen – die ebenfalls im Wohnblock lebende Aisha scheint eine ganz besondere Verbindung zu Idas Schwester Anna zu haben. Je mehr sie diese Fähigkeiten ausloten, umso mehr entspinnt sich eine grausame Abwärtsspirale.

„The Innocents“ entführt uns mit einer unfassbar empathischen Art in die Welt der Kinder. Mit welchem Feingefühl der Regisseur Eskil Vogt hier sowohl die Regeln dieser Welt, die Gefühle der Kinder und auch die Grenzen von Moral auslotet ist großartig. So manch einer könnte bei der Idee des Films automatisch an Filme wie „Brightburn“ oder auch „Chronicle“ - den ich noch nicht gesehen habe – denken und vielleicht auch ein wenig an X-Men – aber der Film ist der extreme Gegenentwurf zu „X-Men“ und verbindet das Ganze mit einer feinen Milieu- und Sozialstudie. Der gesamte Aufbau des Films schafft eine Spannung und Unbehagen, wie ich es vor allem auch bei den Slowburnern „Hereditary“ und „Midsommar“ von Ari Aster erlebt habe. Die Spannungs- und Gewaltmomente, die ich in diesem Film erlebt habe sind sehr punktuell, kraftvoll und auch grausam und unangenehm. Getragen und unterstützt wird das alles von einem großartigen Quartett aus den Kinderdarstellern Rakel Lenora Flottum, Alva Brynsmo Ramstad, Sam Ashraf und Mina Yasmin Bremseth Asheim. Handwerklich ist der Film sowohl visuell durch die Kameraarbeit von Sturla Brandth Grovlen als auch audiell durch Pessi Levantos sehr unbehaglichen streicherlastigen Soundtrack und das feine Sounddesign auf Perfektion getrimmt. Über „The Innocents“ könnte man noch so viel mehr erzählen und schreiben, ich will es an dieser Stelle aber erst einmal sein lassen, denn der Film ist ein Highlight meines Filmjahres 2022 und für jeden halbwegs daran Interessierten ein Must-See.

„The Innocents“ - My First Look – 10/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Dieselbe Prozedur wie jeden Tag

10048
AnatolGogol hat geschrieben: 14. April 2022 12:41
Casino Hille hat geschrieben: 14. April 2022 12:33 Was vom Tage übrigblieb
Hille, können Sie mir bitte eine Schüssel Wasser und etwas Salz bringen? :D
Einfach zu köstlich, wie unser Mr. Drax hier durch wirklich niemanden sich zu einem politischen Diskurs verleiten lässt und immer auf seine Wasserschüssel besteht. :mrgreen: Lonsdale ist auch deshalb so perfekt für diese Rolle, weil er eigentlich in jeden seiner Auftritte ein natürliches Phlegma eingebracht hat (einer der Gründe, warum ich seinen Bondschurken so genieße). Für diesen Part, der schon im Buch köstlich ist, konnte es eigentlich nur einen geben – umso schöner, dass es genau der geworden ist.
AnatolGogol hat geschrieben: 14. April 2022 12:41 Tolle Kritik eines grandiosen Films, stimme in allem mit dir überein (nur hätte ich es nicht so gut formulieren können).
Das freut mich sehr – obwohl ich gar nicht wusste, dass du auch so begeisterter Anhänger der Tagesreste bist! Ich hatte hier gar mal über einen Merchant Ivory Thread nachgedacht, aber war mir nicht sicher, ob der auf Resonanz stoßen könnte. Gefallen dir auch andere Merchant Ivory Produktionen? Wie findest du im Direktvergleich zu "Was vom Tage übrigblieb" den vorherigen Auftritt der Traumkonstellation Hopkins/Thompson in "Wiedersehen in Howards End"?
HCN007 hat geschrieben: 15. April 2022 12:14 „The Innocents“ - My First Look – 10/10 Punkte.
Wie ich dir privat schon schrieb: Dieses Jahr müsste viel passieren, damit der Film nicht in meinem Jahresrückblick auf dem ersten Platz landet. In Noten denke ich nicht mehr so gerne wie früher, aber 10/10 scheint mir die einzig vernünftige Beurteilung zu sein (gilt übrigens ebenso für "Was vom Tage übrigblieb", für alle, die es gerne in Zahlen mögen). Ich werde vielleicht auch mal die Chance nutzen, mehr zu dem zu tippen, allein es fehlt etwas die Zeit.
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Re: Dieselbe Prozedur wie jeden Tag

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Casino Hille hat geschrieben: 15. April 2022 13:44 Einfach zu köstlich, wie unser Mr. Drax hier durch wirklich niemanden sich zu einem politischen Diskurs verleiten lässt und immer auf seine Wasserschüssel besteht. :mrgreen: Lonsdale ist auch deshalb so perfekt für diese Rolle, weil er eigentlich in jeden seiner Auftritte ein natürliches Phlegma eingebracht hat (einer der Gründe, warum ich seinen Bondschurken so genieße).
Absolut. Und das gilt für den älteren Lonsdale noch viel mehr, weswegen er bei Remains dann auch so grossartig passt.
Casino Hille hat geschrieben: 15. April 2022 13:44 Das freut mich sehr – obwohl ich gar nicht wusste, dass du auch so begeisterter Anhänger der Tagesreste bist!
Ja, den Film liebe ich seit Erstsichtung heiss und innig. Hier stimmt einfach alles und ich muss auch sagen, dass ich das Film-Ende deutlich passender als das Roman-Ende (welches ich vor dem Lesen deiner Kritik gar nicht kannte) finde. Stevens kann sich nicht ändern und ich bin mir nicht einmal sicher, ob er es wirklich will. Denn es würde auch einem Eingeständnis gleichkommen sein Leben verschwendet zu haben. Er mag dies im Inneren fühlen, aber zugeben und entsprechend sein Leben ändern ist eine ganz andere Sache und in diesem Sinne erscheint mit das Film-Ende stimmiger zu dem Stevens-Charakter, wie wir ihn über 2 Stunden erleben.
Casino Hille hat geschrieben: 15. April 2022 13:44Ich hatte hier gar mal über einen Merchant Ivory Thread nachgedacht, aber war mir nicht sicher, ob der auf Resonanz stoßen könnte. Gefallen dir auch andere Merchant Ivory Produktionen? Wie findest du im Direktvergleich zu "Was vom Tage übrigblieb" den vorherigen Auftritt der Traumkonstellation Hopkins/Thompson in "Wiedersehen in Howards End"?
Ich bin gar kein allzu großer Merchant-Ivory-Kenner, ich kenne da nur einige der Filme ab 1985. Und neben Remains hat mich eigentlich nur Howard's End wirklich begeistert. Der kommt für mich zwar nicht ganz an seinen "Nachfolger" ran, aber ist auch ein grossartiger Film. Allein schon die Besetzung ist hervorragend, dazu die wunderbare Rekreation des Edwardian Britain und ein sehr leichtfüssiges Storytelling zwischen Humor und Drama. Remains würde ich unumwunden 10 Punkte geben, Howard's End irgendwo zwischen 8,5 und 9.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"