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Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 19. Oktober 2021 22:38
von HCN007
iHaveCNit: Fly (2021) – Katja von Garnier - Studiocanal
Deutscher Kinostart: 14.10.2021
gesehen am 19.10.2021
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kinosaal 11 – Reihe 16, Platz 16 – 18:45 Uhr


Als quasi letzten für mich interessanten Film des vollgepackten Kinostartwochenendes um den 14.10.2021 habe ich mir nun noch den deutschen Tanzfilm „Fly“ von Katja von Garnier angesehen. Auch wenn ich nicht unbedingt der Typ für Streetdance-Filme bin, so hat mich unter anderem im letzten Jahr auch „Into The Beat“ begeistert und hier habe ich „Fly“ auf meine Liste gesetzt, der für einen ähnlich entspannten Kinobesuch gesorgt hat.

Die junge Bex sitzt im Knast. Im Rahmen von Resozialisierungsprogrammen muss sich Bex widerwillig in eine Tanzgruppe begeben, die neu von der ehemaligen Streetdancerin Ava trainiert wird. Im Rahmen des Tanzkurses gibt es für alle Beteiligten diverse Herausforderungen, die Bex, Ava und die Tanzgruppe gemeinsam bewältigen müssen.

Auch wenn das Story- und Handlungskonstrukt von „Fly“ relativ dünn, oberflächlich und teilweise absurd ist, dient es natürlich für einen passenden Unterbau für die Tanzsequenzen, die gleichermaßen cool choreographiert und auch mitreißend inszeniert worden sind. Darüber hinaus war die Dynamik der ganzen Gruppe und der Darsteller cool und auch das engagierte Schauspiel von Svenja Jung in der Rolle der Bex. An dieser Stelle möchte ich mich auch kurz halten, weil mit der Film gefallen hat ich an dieser Stelle auch nicht viel mehr schreiben könnte.

„Fly“ - My First Look – 7/10 Punkte.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 29. Oktober 2021 22:24
von HCN007
iHaveCNit: Online für Anfänger (2021) – Gustave Kervern/Benoit Delepine – Warner
Deutscher Kinostart: 28.10.2021
gesehen am 29.10.2021
Arthouse Kinos Frankfurt – Cinema Petit – Reihe 4, Sitz 1 – 18:30 Uhr


Neben einem großen deutschen Film der diese Woche in den Kinos startet hat mich auch ein französischer Film interessiert - „Online für Anfänger“ der Regisseure Gustave Kervern und Benoit Delepine, dessen interessante Grundidee letztlich nicht ganz ausgespielt werden kann.

Marie muss die Trennung von Mann und Kind verkraften, sie hält sich mit dem Verkauf der Möbel finanziell über Wasser. Doch nach einer verhängnisvollen Nacht wird sie von einem jungen Mann erpresst, der den Beischlaf gefilmt hat und ins Netz stellen möchte. Doch auch in ihrer Nachbarschaft läuft es nicht ganz rund. Bertrand setzt alles daran, gegen das Cybermobbing gegen seine Tochter vorzugehen, verliebt sich jedoch in die Stimme einer Callcenter-Agentin, die ihn abzockt. Und Christine kämpft als „Uber-Fahrerin“ gegen schlechte Bewertungen und den Jobverlust. Gemeinsam möchten sie nun gegen die gemeinsamen digitalen Probleme vorgehen.

„Online für Anfänger“ bzw. „Delete History“ im Original ist eine sehr sympathische, französische Komödie geworden, die einen feinen Blick auf normale, alltägliche Situationen und Probleme hat und diese mit einer guten Situationskomik darstellt, mit der man sich auch stellenweise als Zuschauer identifizieren kann. Jedoch wirkt der Film in seinem Gesamteindruck und der Dramaturgie etwas holprig. Die Charaktere selbst bleiben dann doch etwas blass und naiv. Darüber hinaus werden dann doch insgesamt thematisch zu viele Baustellen und Fässer aufgemacht. So bleibt die Kritik am System und der Gesellschaft dann doch sehr oberflächlich und verfehlt sein Ziel.

„Online für Anfänger“ - My First Look – 6/10 Punkte.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 30. Oktober 2021 22:32
von HCN007
An dieser Stelle hole ich noch passenderweise zum Film meinen Eintrag für die Sneak vor 10 Tagen nach und hänge direkt die hauptsächliche Kritik zum Film an.

Sondervorstellungen
iHaveCNit: Spotlight – Die Arthouse-Sneak (20.10.2021) – Überraschungsfilm
Deutscher Kinostart: ???
gesehen am 20.10.2021 in OmU
Arthouse Kinos Frankfurt – Kleine Harmonie – Reihe 3, Sitz 9 – 21:00 Uhr


Wie immer gibt es hier einen Überraschungsfilm zu sehen, den man am Ende benoten kann und das Kino ein eigenes Ranking aufstellt für die Filme, die hier gespielt werden.

Das aktuelle Ranking sieht wie folgt aus:

1. The Father (1,4)
2. Promising Young Woman (1,9)
3. Helden der Wahrscheinlichkeit – Riders Of Justice (2,1)
4. Minari (2,3)
5. Je Suis Karl (2,4)
6. Falling / Auf alles, was uns glücklich macht (2,5)

Für den Film gab es diesmal folgenden Hinweis:

+++ Spotlight-Hinweis +++
Auch wenn man vom heutigen Filmemacher noch keinen einzigen Film selbst gesehen hat, kann man seinen Namen problemlos einigen Titeln zuordnen, ist er doch die letzten Jahre für einige Publikumshits verantwortlich. Außerdem hat der gute Mensch parallel zu seinem Film, den wir in Kürze starten, auch seinen ersten Roman veröffentlicht. Künstler eben. Und noch dazu haben wir den Hauptdarsteller in diesem Monat gleich mit zwei Filmen im Programm. Neugierig geworden? Dann ratet mit oder lasst euch überraschen. Wir sehen uns heute Abend zur Spotlight-Sneak!

Des weiteren hat das Kino durch eine kleine Nachlässigkeit auf der eigenen Internetseite auf der Seite für die Spotlight-Sneak vom 20.10.2021 zufällig Informationen zum „Überraschungsfilm“ geliefert. Ich habe das gesehen, es aber für einen Fehler seitens des Kinos gehalten und das Ganze grundsätzlich nicht weiter verfolgt.

Den Überraschungsfilm werde ich noch ein zweites Mal im Kino mit einer Begleitperson sehen und noch einmal grundsätzlich werten, nachdem ich sowohl den Film als auch sein französisches Original gesehen habe.

+++ Spotlight-Sneak Auflösung vom 20.10.2021 +++
In der gestrigen Spotlight-Sneak haben wir euch Sönke Wortmanns neuen Film CONTRA mit Drehort Frankfurt am Main gezeigt. Die bissige Komödie basiert auf dem politisch-inkorrekten französischen Original DIE BRILLANTE MADEMOISSELE NEILA und handelt von einem zynischen Juraprofessor, der eine Studentin coachen muss, um sich selbst zu rehabilitieren. Wir starten CONTRA am 28.10.
Eure Bewertung = 3,0
Note 1 = 3x
Note 2 = 13x
Note 3 =11x
Note 4 = 10x
Note 5 = 3x
Note 6 = 1x
Die kommende Spotlight-Sneak gibt es dann wieder am 3.11. in der Harmonie. Wir freuen uns auf euch!

Meine Wertung war rein abhängig von meinem Gefühl und beantwortet meine Stimmung direkt nach der Sichtung des Films, die zwischen 1 und 2 gelegen hat und wer meine Wertungsmaxime kennt, weiß, dass ich immer die bestmögliche Wertung zücke und habe eine 1 vergeben. Bei der 10er-Wertung wird der Film sicherlich nach reiflicher nachträglicher Überlegung bei einer 8 landen.

Überraschungsfilm – My First Look – 8/10 Punkte.

iHaveCNit: Contra (2021) – Sönke Wortmann – Constantin Film
Deutscher Kinostart: 28.10.2021
gesehen am 20.10.2021 im Rahmen der Spotlight - Arthouse-Sneak
Arthouse Kinos Frankfurt – Kleine Harmonie – Reihe 3, Sitz 9 – 21:00 Uhr
gesehen am 30.10.2021
Arthouse Kinos Frankfurt – Eldorado - Balkon – Reihe 1, Sitz 10 – 18:00 Uhr


Im Jahre 2018 zur deutschen Veröffentlichung ist der kleine französische Arthouse-Film „Die brillante Mademoiselle Neila“ von Yvan Attal trotz etwas Interesse an mir vorbeigegangen. Sönke Wortmann sei Dank kam ich dann doch noch in die Gelegenheit mir den Film anzusehen und mich etwas mit ihm auseinanderzusetzen, denn Wortmann hat sich diesem Film angenommen und ihn in den deutschen Raum transferiert. Nicht nur das, er hat ihn sogar direkt im internationalen, multikulturellen Frankfurt am Main spielen lassen – meiner Heimatstadt. Da ist es auch klar, dass ich mir den Film bereits 2 mal angesehen habe – im Rahmen einer Sneak und mit Begleitung. Und mir hat sowohl „Contra“ als auch sein französisches Original sehr gut gefallen.

Naima Hamid hat sich den ersten Tag und den Start in ihr Jurastudium sicherlich anders vorgestellt. Aufgrund privater Umstände kommt sie direkt zu spät und nicht nur das, der Dozent ihrer ersten Vorlesung, Richard Pohl, macht sie für diesen Umstand im gesamten Hörsaal rund – mit höchst rassistischem und demütigenden Unterton. Pohls Verhalten bleibt nicht unbemerkt, so dass ihm als letzten Ausweg vor einer Entlassung die Mentorenrolle für den kommenden Debattierwettbewerb angeboten wird und er dafür genau Naima Hamid fit machen soll.

Wortmann sorgt für eine einigermaßen vorlagengetreue Neuverfilmung des französischen Originals, die sich jedoch nicht ganz als reine Kopie des französischen Films anfühlt. Das liegt an diversen Faktoren. Nicht nur, dass hier klar die Handlung von Paris nach Frankfurt am Main verlegt worden ist. Auch die familiären Hintergründe der beiden Hauptcharaktere werden leicht abgeändert bzw. wesentlich vertieft und an deutsche Begebenheiten angepasst – und einer Nebenrolle wird spürbar mehr Raum gegeben. Bedingt durch diese Details und diversen noch feineren Details fühlt sich „Contra“ nicht wie eine 1:1-Kopie von „Die brillante Mademoiselle Neila“ an. Die Handlung und das Thema an sich ist ja wie gemacht fürs Kino. Denn das Aufeinandertreffen von „Kulturen“, eine klassische Underdog-Geschichte und das typische Mentor/Schüler-Thema passt immer und kann in der heutigen Zeit natürlich noch um gesellschaftskritische Themen wie Rassismus ergänzt werden. In den Hauptrollen, die im Original von Daniel Auteil und der wundervollen Camelia Jordana gespielt worden sind, sehen wir hier Nilam Farooq und Christoph Maria Herbst, die sich ähnlich gute Wortgefechte liefern und eine tolle Dynamik entwickeln. Darüber hinaus muss ich aber für mich selbst sagen, dass mir Hassan Akkouch in der Nebenrolle des Mo irgendwie am Besten gefallen hat, denn er ist in gewisser Art und Weise ein bodenständiger, positiver Teil der Geschichte. Diese Bodenständigkeit und Positivität des Films selbst sorgt natürlich in seinem gesamten Verlauf zu einem Feelgood-Film, der einem eben mit gutem Gefühl aus dem Kino entlässt. Doch dieser Ansatz des Wohlfühlkinos kann natürlich auch dem ein oder anderen sauer aufstoßen, denn der gesellschaftskritische Unterbau der Geschichte wird damit nicht vollständig konsequent ausgespielt. Wenn es hier um die Figur des Richard Pohl geht ist es natürlich auch für einen vollständig konsequenten Umgang diskussionswürdig, ob genau eine einzige Rolle als Mentor mit relativ positivem Ergebnis die gesamten rassistischen, sexistischen und zynischen Entgleisungen der Vergangenheit ausgleichen kann. Genauso ist auch die Botschaft diskussionswürdig dass es jeder schaffen kann wie im Beispiel von Naima Hamid. Denn mit einem weitestgehend realistischen Blick auf die Lebensverhältnisse von jungen Menschen mit ihrem kulturellen Hintergrund ist sie nur einer von sehr wenigen Einzelfällen, die einen Zugang zu diesen Möglichkeiten bekommen, etwas aus sich machen können und quasi gesellschaftlich ankommen. Und hier haben sowohl „Contra“ als auch sein französisches Original dieses Potential für eine ausführliche Debatte über das Thema nicht vollständig ausgeschöpft. Trotzdem hat der Ansatz des Wohlfühlkinos bei mir seine gewollte Wirkung erzielt, so dass der Film mir sehr gut gefallen hat.

„Contra“ - My Second Look – 8/10 Punkte.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 5. November 2021 23:23
von HCN007
iHaveCNit: Ammonite (2021) – Francis Lee – Tobis
Deutscher Kinostart: 03.11.2021
gesehen am 04.11.2021
Arthouse Kinos Frankfurt – Cinema Studio – Reihe 3, Sitz 1 – 17:45 Uhr


In einem mit 3 interessanten Arthouse-Filmen gespickten Wochenende ging es für mich als erstes in Francis Lees historisches Liebesdrama „Ammonite“ mit Kate Winslet und Saoirse Ronan in den Hauptrollen, der mir überaus gut gefallen hat.

Mary Anning ist Paläontologin, doch um 1840 herum darf sie als Frau weder studieren noch sich in entsprechenden wissenschaftlichen Kreisen bewegen. So ist sie gezwungen an der Küste von Dorset im kleinen Örtchen Lyme Regis sich neben der Pflege ihrer Mutter mit dem Sammeln und Verkaufen von Fossilien finanziell über Wasser zu halten. Ihre Funde locken Touristen aus dem gesamten Land an – auch Roderick Murchison, der auf der Durchreise ist und seine durch einen Schicksalsschlag an Melancholie leidende Frau Charlotte für ein paar Wochen bei Mary Anning gegen ein üppiges Entgelt einquartiert. Die beiden gefühlsmäßig versteinerten und distanzierten Damen werden mit der Zeit merken, dass ihre Begegnung weitreichende Folgen haben wird.

Der Film ist zum einen eine semibiografische Präsentation der Paläontologin Mary Anning und damit verbunden auch eine Aufarbeitung, wie hart das Leben und auch die berufliche Seite sowie der gesellschaftliche Status von Wissenschaftlerinnen gewesen ist. Der Film wirkt von der Inszenierung wie eine raue Küste von ungeschliffenen und ungereinigten Fossilien. Erst sehr kühl und distanziert bedingt durch einen grauen und blauen Farbstich, der sich im Laufe des Films zu immer lebendigeren, wärmeren Farben entwickelt. So ähnlich ist es auch mit dem Charakter von Mary Anning und auch mit Charlotte Murchison, die erst sehr kühl und distanziert wirken, bis sich die beiden öffnen und zusammenfinden. Hier ist das Schauspiel von sowohl Kate Winslet als auch Saoirse Ronan großartig und die Chemie der Beiden in Bezug auf die plausible Entwicklung der sich aus der Dynamik heraus entwickelnden Liebe ist großartig. Mir hat „Ammonite“ richtig gut gefallen.

„Ammonite“ - My First Look – 9/10 Punkte.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 5. November 2021 23:58
von GoldenProjectile
Hast du Portrait de la Jeune Fille en Feu gesehen? Den direkten Vergleich - der sich nun mal aufdrängt - verliert Ammonite natürlich. Für mich ein solider Film.

In Erinnerung geblieben sind die expliziten Sexszenen. Man sieht eigentlich fast nichts, aber Winslet und Ronan spielen das ziemlich expressiv und mit stöhnen.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 7. November 2021 13:12
von HCN007
"Porträt einer jungen Frau in Flammen" liegt noch bei mir rum, wird aber demnächst gesichtet.

iHaveCNit: Bergman Island (2021) – Mia Hansen-Love – Weltkino
Deutscher Kinostart: 03.11.2021
gesehen am 06.11.2021
Arthouse Kinos Frankfurt – Cinema Petit – Reihe 4, Sitz 1 – 17:15 Uhr


Auch wenn ich mit sowohl dem Werk von Ingmar Bergman als auch der Regisseurin Mia Hansen-Love nicht vertraut bin, hat mich alleine der Trailer und das Konzept ihres Films „Bergman Island“ angesprochen und so war es für mich klar, den Film zu sichten. Der Film hat mir sehr gut gefallen, wobei ich mich frage wie gut er mir gefallen hätte, wäre ich mit dem Werk von Bergman als auch der Regisseurin Hansen-Love vertraut gewesen.

Das Filmemacherpaar Christine und Anthony verbringen im Rahmen der Bergman-Woche einen gemeinsamen Urlaub auf der Insel Faro, damit sie sich neue Inspirationen für neue Projekte holen. Während Anthony keine Probleme mit seinen Ideen hat, muss Christine erst mit einer Blockade kämpfen, bis sie an einer Geschichte über eine Liebe aus der Vergangenheit arbeitet, die im Rahmen einer Hochzeit auf Faro erneut aufflammt.

Wie schon erwähnt bin ich mit sowohl Ingmar Bergman als auch Mia Hansen-Love nicht vertraut und kann daher entsprechende Referenzen an Werke von Bergman und auch deren Wirkung, Inspiration und das Leben allgemein auf die Regisseurin nicht bewerten. Trotz allem ist genau diese Wirkung und Inspiration über den gesamten Film zu spüren und so wirkt der Film als eine Liebeserklärung der Regisseurin an ihr großes Idol und das kann ich absolut wertschätzen. Es fühlt sich auch im Film absolut natürlich an, genau wie das Spannungsfeld aus Karriere und Familie , indem sich Filmemacherinnen bewegen und damit natürlich einem gewissen Druck ausgesetzt sind. Des weiteren fühlt sich damit der Film auch an wie eine semibiographische Aufarbeitung des Lebens von Hansen-Love an, was ich auch sehr interessant in seiner Konzeption finde. Das Filmemacherpaar wird von Vicky Krieps und Tim Roth sehr natürlich und großartig gespielt und die entsprechenden Konflikte umschiffen relativ gut entsprechende Klischees und fügen sich sehr natürlich in die Handlung ein. Darüber hinaus und das ist für mich kein Spoiler, da es direkt im Trailer bereits angemerkt wird, finde ich es ganz interessant, wie man hier verschachtelt noch die Handlung des von Christines ausgearbeiteten Films auf der Leinwand entfalten lässt und mit Mia Wasikowska und Anders Danielsen Lie in den Hauptrollen ein wundervolles Liebesdrama geboten bekommt, bei dem dann sogar auch einmal die vierte Wand innerhalb des Films gebrochen wird und dieses Film- in Filmkonzept mit einem Meta-Kommentar zum Filmemachen selbst auch als weitere Liebeserklärung der Regisseurin gelten kann, so dass mir „Bergman Island“ insgesamt auch mit Faro als toll bebilderten Drehort sehr gut gefallen hat.

„Bergman Island“ - My First Look – 9/10 Punkte.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 7. November 2021 22:38
von HCN007
iHaveCNit: Die Geschichte meiner Frau (2021) – Ildiko Enyedi – Alamode Film
Deutscher Kinostart: 03.11.2021
gesehen am 07.11.2021
Arthouse Kinos Frankfurt – Cinema Studio – Reihe 3, Sitz 1 – 16:45 Uhr


Aktuell ist das Gesicht einer französischen Schauspielerin sehr präsent in den Kinos vertreten – Lea Seydoux. Neben ihrer Rolle im großen James-Bond-Blockbuster und Daniel Craigs Abschied „No Time To Die“ und ihrer Rolle im Ensemble des neuen Wes Anderson „The French Dispatch“ ist sie auch Dreh- und Angelpunkt einer Literaturverfilmung eines Romans von Milan Füst, der von der Ungarin Ildiko Enyedi inszeniert worden ist.

Der niederländische Schiffskapitän Jakob Störr bekommt nach mehrmaligen Auftreten der Seemannskrankheit empfohlen eine Frau zu suchen. Bei einem Treffen mit einem alten Freund in einem Restaurant geht er die Wette ein die erste Frau zu heiraten, die ab sofort das Restaurant betritt. Hier handelt es sich um die junge, schöne, rätselhafte Lizzy, die er kurze Zeit nach dem Treffen ehelicht. Doch einige kleine Details nach längeren Aufenthalten auf hoher See lassen sein Unbehagen wachsen und er stellt sich die Frage ob ihm Lizzy untreu geworden ist und ob er ihr trauen kann.

„Ein Mann, der in seinem Beruf sehr gut und kontrolliert ist, sich dann aber auf ein Liebesabenteuer mit Lea Seydoux einlässt und nicht weiß ob er ihr trauen kann“ - Man könnte meinen, ich habe mir erneut den aktuellen James Bond angesehen, aber nein, es ist eben ein kleines Epos im Arthouse-Sektor. Mit knapp 3 Stunden ist „Die Geschichte meiner Frau“ ein sehr langes und durchaus auch mal zähes Unterfangen, durch das man sich in gewisser Art und Weise durchkämpft. Aber der sehr lange Film sorgt mit seiner guten Struktur in quasi 7 Kapitel für einen roten Faden, an dem man als Zuschauer auch entlang geführt wird. Gerade die Optik und Ausstattung des Films sorgt richtig dafür, dass man als Zuschauer knapp 100 Jahre zurück in die 1920er-Jahre versetzt wird und die Atmosphäre des Films damit komplett verdichtet und stimmig ist, was mir sehr zusagt. Das, was diesem Film auch ein wenig Dynamik und Spannung verleiht ist die Darstellung von Lea Seydouxs Lizzy, die durch die Inszenierung und Seydouxs Schauspiel als konstant rätselhafte Person verkörpert wird, die man als Zuschauer auch nur schwer bis gar nicht durchschauen kann. Mit Gijs Nabers Jakob Störr tue ich mich aber etwas schwer. Der eher introvertierte, raue und kontrollierte Kapitän ist in seiner Gefühlswelt selbst wenn ich persönlich auch eher seinem introvertierten Typus entspreche, nicht ganz greifbar und vor allem in der Dynamik von Jakob Störr gegenüber Lizzy ist es durchaus auch ein problematisches Bild von Männern und auch der Dynamik mit Frauen, dass uns hier präsentiert wird, denn aus rationaler Sicht ist es bei Männern nie gut, stark bedürftig zu wirken und sich emotional von Frauen abhängig zu machen – so wie es Nabers Störr hier offenbar tut, wenn es um Lizzy geht. Auch wenn mir gerade wenn es um Themen wie Untreue und Eifersucht geht Filme wie Kubricks „Eyes Wide Shut“ wesentlich besser gefallen, so haben sich durchaus anfängliche Bedenken, dass ich mich regelrecht durch einen thematisch um sich selbst drehenden knapp dreistündigen Film über einen eifersüchtigen Mann durchquälen muss nicht bestätigt.

„Die Geschichte meiner Frau“ - My First Look – 7/10 Punkte.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 7. November 2021 22:44
von GoldenProjectile
HCN007 hat geschrieben: 7. November 2021 22:38 iHaveCNit: Die Geschichte meiner Frau (2021) – Ildiko Enyedi – Alamode Film
Ihr hättet mich im Kino sehen sollen als ich den Trailer gesehen und damit zum ersten Mal von dem Film gehört habe.

"Von Ildiko Enyedi" - Hurra! (Körper & Seele ist für mich einer der besten Filme der letzten zehn Jahre)
"Mit Léa Seydoux" - Nein!

:)

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 7. November 2021 22:48
von Casino Hille
HCN007 hat geschrieben: 7. November 2021 22:38 Mit Gijs Nabers Jakob Störr tue ich mich aber etwas schwer. Der eher introvertierte, raue und kontrollierte Kapitän ist in seiner Gefühlswelt selbst wenn ich persönlich auch eher seinem introvertierten Typus entspreche, nicht ganz greifbar und vor allem in der Dynamik von Jakob Störr gegenüber Lizzy ist es durchaus auch ein problematisches Bild von Männern und auch der Dynamik mit Frauen, dass uns hier präsentiert wird, denn aus rationaler Sicht ist es bei Männern nie gut, stark bedürftig zu wirken und sich emotional von Frauen abhängig zu machen – so wie es Nabers Störr hier offenbar tut, wenn es um Lizzy geht.
Bei Frauen ist es genauso wenig gut, bedürftig zu wirken und sich von Männern emotional abhängig zu machen. Natürlich ist das Verhalten des Protagonisten hier hoch problematisch (für ihn selbst), aber ich hatte recht wenig Mitleid mit ihm. Großartig ist an diesem Film, dass er von Männern handelt und von "Männlichkeit" bzw. einer alten Vorstellung von Männlichkeit, und wie diese Vorstellung und diese Perspektive einen Blick auf das Weibliche erzeugen, der wenig mit der Wirklichkeit beider Geschlechter zu tun hat. Und dann wird dieser Blick auf das Männliche, bzw. der Blick auf das Männliche, welches selbst das Weibliche betrachtet, noch mehr dadurch unterfüttert, dass der Film a) selbst von einer Frau inszeniert wird, die mit ironischer Distanz die sogenannte Männlichkeit untersucht und b) die Frau des Films für Zuschauer jedweden Geschlechts nur eine Chiffre bleibt, ein Rätsel, ein Mysterium. Nicht aber, weil sie gar eine Femme Fatale wäre, sondern weil sie eine sehr moderne Frau ist, eine Frau des 21. Jahrhunderts, während der Mann noch im frühen 20. Jahrhundert und in den Rollenerwartungen seiner Zeit an ihn gefangen ist. Ein berauschender Film, der einen eh schon tollen Roman noch besser adaptiert. Mindestens 9/10, wenn nicht mehr.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 9. November 2021 13:52
von HCN007
Vielleicht an dieser Stelle noch ein kleiner Ausblick, was bei mir in 2021 noch so im Kino geplant ist.
- Dear Evan Hansen (heute)
11.11.2021 - Last Night in Soho / Die Rettung der uns bekannten Welt / Lieber Thomas
18.11.2021 - Ghostbusters: Legacy / Mein Sohn / Eiffel in Love / Große Freiheit / Das Land meines Vaters / Encanto
25.11.2021 - Resident Evil - Welcome To Raccoon City / A La Carte / Hannes / ggf. Das Schwarze Quadrat
02.12.2021 - Gunpowder Milkshake / House Of Gucci / Plötzlich aufs Land / Benedetta
07.12.2021 - Die Fabelhafte Welt der Amelie
09.12.2021 - West Side Story
16.12.2021 - Spider-Man 3: No Way Home / Wunderschön / Annette
19.12.2021 - Bolshoi - Der Nussknacker
23.12.2021 - Matrix Resurrections / Caveman

Wobei ich mir durchaus vorbehalte den ein oder anderen Film vielleicht noch zu streichen und ggf. durch andere Starts auszutauschen, da ich ein Brainstorming noch vornehme, welche Filme der in 2021 gestarteten ich aufgrund keinen verfügbaren, zeitlich passenden Spielzeiten ich noch im Heimkino sofern verfügbar nachholen werde. Und da bin ich ein Freund von runden Zahlen.
Dazu gibt es noch 4 Spotlight-Sneaks in den Arthouse-Kinos-Frankfurt mit Überraschungsfilm (bei dem ich mir zum aktuellen Zeitpunkt die Frage stelle, diese Reihe in meine reguläre Planung mit aufzunehmen !)

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 9. November 2021 22:38
von HCN007
iHaveCNit: Dear Evan Hansen (2021) – Stephen Chbosky - Universal Pictures
Deutscher Kinostart: 28.10.2021
gesehen am 09.11.2021
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kinosaal 12 – Reihe 16, Platz 15 – 17:00 Uhr


Vom Musical „Dear Evan Hansen“ habe ich bis zum Film noch nichts gehört, aber der Trailer der Verfilmung hat mich einigermaßen angesprochen und da habe ich mich entschieden, den Film noch mitzunehmen – gerade auch wenn man sich einen Teil der Leute vor und hinter der Kamera ansieht, da mir von schauspielerische Seite vor allem Julianne Moore und Amy Adams gefallen und auch die bisherigen Filme mit Beteiligung der Songwriter und Komponisten Justin Paul und Benj Pasek gefallen haben.

Evan Hansen ist ein total verschüchterter Jugendlicher, der mit Angst- und Panikattacken sowie sozialen Phobien zu kämpfen hat. Eine Aufgabe seines Psychotherapeuten ist es, sich selbst positive Briefe zu schreiben. Als eines Tages der Brief in die Hände des drogensüchtigen Außenseiters Connor Murphy gerät, der sich auch noch am selben Tag das Leben nimmt, nimmt eine tragische Geschichte ihren Lauf. Die Eltern von Connor finden den Brief und glauben an eine Freundschaft zwischen Connor und Evan. Evan jedoch traut sich nicht die Situation aufzuklären und baut das Lügenkonstrukt weiter auf, womöglich auch, weil er somit Zoe nahe sein kann – Connors Schwester, in die er heimlich verliebt ist.

„Dear Evan Hansen“ nimmt sich vielen Themen an – über Trauerverarbeitung, psychischen Erkrankungen, Mobbing und Ausgrenzung in der Schule und auch im digitalen Raum ist der Film und auch das Musical eines, das den heutigen Zeitgeist und Nerv trifft. Auch wenn der Film in seiner Tonalität nicht immer ganz stimmig und holprig wirkt und auch mit 137 Minuten zu lang geraten ist, hat mir der Film einigermaßen gefallen. Das mag vor allem daran liegen, dass ich mich ein wenig in meine eigene Vergangenheit zurück versetzt gefühlt habe, denn mit einem Teil meines persönlichen Hintergrunds konnte ich mich vor allem mit dem von Ben Platt gespielten Hauptprotagonisten Evan Hansen identifizieren und reinfühlen. Da ich den Film „leider“ in der deutschen Fassung gesehen habe, ist mir eine Sache missfallen, die ich dem Gefühl speziell meiner Kinosichtung, aber nicht dem Film als solches anrechnen möchte. Die in die Handlung verwobenen Musikstücke wurden in der deutschen Fassung mit synchronisiert statt zum Beispiel im Originalton zu belassen und mit Untertiteln zu versehen. Denn hier wirkt die Vertonung nicht immer Synchron zum Bild und auch nicht immer sicher im Treffen der Töne, wobei das vielleicht auch die Authentizität in Bezug auf Evan Hansen mit seinem sehr zögerlichen Sprechen unterstützt.
Vielleicht gebe ich dem Film irgendwann im Heimkino eine weitere Sichtung – dieses Mal dann in der Originalfassung.

„Dear Evan Hansen“ - My First Look – 7/10 Punkte.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 12. November 2021 01:21
von HCN007
iHaveCNit: Die Rettung der uns bekannten Welt (2021) – Til Schweiger - Warner
Deutscher Kinostart: 11.11.2021
gesehen am 11.11.2021
Kinopolis Main-Taunus-Zentrum – Kinosaal 12 – Reihe 16, Platz 15 – 19:50 Uhr


So ab und an schaue ich mir gerne auch mal einen Film an, der von Til Schweiger inszeniert und weitestgehend gefühlt in Personalunion als Filmprojekt umgesetzt worden ist. Nachdem ich aber mit den letzten „Klassentreffen“-Filmen absolut nichts anfangen konnte, hat mich zumindest der Aufhänger für seinen neuen Film „Die Rettung der uns bekannten Welt“ interessiert und ins Kino gelockt.

Hardy Lasker ist Jahre nach dem Tod seiner Frau mit seinen 3 Kindern alleinerziehend und hat vor allem mit dem großen Sohn Paul seine Probleme. Paul leidet an einer bipolaren Störung, die mit ihren wechselnden Schüben für weitreichende Probleme sorgt bis ein verhängnisvoller Vorfall und ein Selbstmordversuch zu einer Einweisung in ein Therapiezentrum kommt. Dort lernt Paul die an Tourette erkrankte und traumatisierte Toni kennen. Nach einem Zwischenfall büchsen Beide aus.

Schweigers neuer Film hat alle üblichen Macken zu bieten, denen man in Schweigers Filmen begegnet. Hektische und unsaubere Schnitte, eine doch etwas zu ausufernde Nutzung von Filtern und Color-Grading, die eine inkonsistente Mischung aus Sepia und einem Blau-Grau bieten, dazu viele sehr oberflächliche und teils sehr mit Klischee behafteten Themen und relativ unauthentische Dialoge, die wie bedeutungsschwangere Kalendersprüche rüberkommen und so wirken als würde Til Schweiger glauben, Menschen würden tatsächlich so reden. Auch wenn der Einstieg in den „kritischen“ Teil dieser Review vernichtend klingt, so komme ich nicht umher zu sagen, dass mich der Film unterhalten, emotional bekommen und gefallen hat. Das liegt vor allem am wenn auch nicht ganz klischeebefreiten und oberflächlich abgehandelten Thema, mit dem ich mich aufgrund vergangener persönlicher Ereignisse durchaus identifizieren und wiederfinden konnte.

„Die Rettung der uns bekannten Welt“ - My First Look – 6/10 Punkte.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 13. November 2021 12:35
von HCN007
iHaveCNit: Lieber Thomas (2021) – Andreas Kleinert – Central
Deutscher Kinostart: 11.11.2021
gesehen am 12.11.2021
Arthouse Kinos Frankfurt – Cinema Petit – Reihe 1, Sitz 6 – 20:15 Uhr


Es ist im Kino immer wieder interessant, interessante Persönlichkeiten über biografische Filme kennenzulernen. Und da hat mich vor allem aufgrund der Besetzung von Albrecht Schuch der von Andreas Kleinert inszenierte Film „Lieber Thomas“ interessiert. Und das Interesse war berechtigt. Denn „Lieber Thomas“ gehört mit zu den besten Filmen, die in diesem Jahr aus Deutschland im Kino gestartet sind.

Der unangepasste Thomas Brasch ist schon sehr früh mit seiner Einstellung vielen ein Dorn im Auge. Sowohl im Journalismusstudium als auch als Sohn eines hochrangigen SED-Mitglieds eckt er immer wieder an, selbst Haftstrafen halten ihn nicht von seinem gedanklichen Treiben ab, so dass er vorzeitig in den Westen ausreisen darf. Doch ist der Westen auch das Richtige für ihn ?

Thomas Brasch war eine sehr interessante, aber auch sehr schwer zugängliche Persönlichkeit. So unangepasst und kritisch würde ich ihn als eine Art Rebell und Punk beschreiben, der stets rastlos auf der Suche war und im Wahn des eigenen Anspruchs nie wirklich angekommen zu sein scheint. Hier finde ich es richtig gut, dass der Film sich auf sehr spannende, schillernde und elektrisierende Art und Weise vielen Aspekten im Leben von Brasch nähert – von seiner Kindheit und Jugend über das Verhältnis zu seiner Familie, sein Verhältnis zu Frauen und den vielen Stationen seines Lebens vom Studium, Untergrundaktivismus nach dem Prager Frühling, von seiner Zeit als Häftling und im Arbeiter im Straflager, von seiner Autorentätigkeit, von ihm als Filmemacher. Im mit über zweieinhalb Stunden langen Film wirkt der Film selbst nie lang oder langweilig, denn der Film gibt einem als Zuschauer das Gefühl selbst sehr rastlos zu sein. Die Einbindung von stellenweise auftretenden Traumsequenzen lassen auch die Grenze zwischen Realität und Wahnvorstellungen etwas verschwimmen. Optisch ist der Film mit seinem Schwarz-Weiß-Look für heutige Zeit genauso mutig und unangepasst, wie es seinerzeit Brasch gewesen ist. Und für die Rolle des Brasch passt Albrecht Schuch mit einer so vielseitigen und vielschichtigen Darstellung perfekt, so dass es sicherlich auch interessant sein wird, ob der Film und seine Leistung bei der nächsten Verleihung des deutschen Filmpreises Beachtung finden wird.

„Lieber Thomas“ - My First Look – 9/10 Punkte.

Läuft der alte Ford fort …

Verfasst: 14. November 2021 01:06
von Casino Hille
Auf der Flucht

Wie gelingt es Geschichtenerzählern, einen fiktiven Charakter in Windeseile liebenswert zu konstruieren? Mit dieser Frage hat sich der Dramaturg Blake Snyder beschäftigt und 2015 ein Sachbuch darübergeschrieben. Seine Antwort steht im Titel: „Rette die Katze! Das ultimative Buch übers Drehbuchschreiben“. Aber was bedeutet es, die Katze zu retten? Snyder erklärt, der einfachste Weg, die Zuneigung des Publikums für eine Hauptfigur zu gewinnen, sähe wie folgt aus: Gleich beim ersten Auftritt müsse die Figur sich selbstlos verhalten und so einen besonders guten Eindruck erwecken – zum Beispiel durch die Rettung eines Kätzchens von einem Baum. Schon sei dem Protagonisten die Sympathie der Zuschauer gewiss. Ein besonders effektiver Einsatz eines „Rette die Katze!“-Szenarios eröffnet den Actionfilm „Auf der Flucht“. Nur ist „die Katze“ ein verletzter Gefängniswärter und „der Baum“ ein verunglückter Bus, der auf Zugschienen liegengeblieben ist.

Denn obwohl dieser Bus den zum Tode verurteilten Chirurgen Dr. Richard Kimble zu seinem Termin mit der Giftspritze bringen sollte, hat er Mitgefühl, als er sich in dem überschlagenen Fahrzeug wiederfindet und ein Zug auf das Bus-Wrack zusteuert. Er stemmt den Wärter über seine Schulter, wirft ihn in Sicherheit und kann in letzter Sekunde selbst dem drohenden Unfalltod entrinnen. Von hier an kann das Publikum gar nicht anders, als für ihn Respekt zu empfinden. Ein kurzer Prolog hatte bereits die missliche Lage von Kimble vorgestellt. Eines Abends fand er in seinem Haus seine Frau ermordet vor und wurde daraufhin von einem einarmigen Mann attackiert. Die Polizei glaubte ihm die Geschichte jedoch nicht, war sicher: Er ist auf die Lebensversicherung seiner noch vermögenderen Gattin aus. Die Todesstrafe war schneller gesprochen, als Kimble die Situation verstehen konnte. Doch obwohl ihm die Justiz so übel mitgespielt hatte, findet er, als es um Sekunden geht und ein dampfender Zug ihn auszulöschen gedenkt, in diesem Moment die Kraft, einen Mann zu schützen, der alles repräsentiert, was Kimbles Leben zerstört hat. Die Katze ist gerettet – und ein Held geboren.

Dieser Held stammt eigentlich aus dem TV-Bildschirm: In 120 Folgen war „Dr. Kimble auf der Flucht“. Zwischen 1963 und 1967 etablierte sich die Geschichte um den zu Unrecht des Mordes an seiner Frau verurteilten Arzt zu einem Straßenfeger. Jede Episode zeigte Kimble mit neu angenommener Identität, wie er vor dem Gesetz floh und den Einarmigen suchte, der ihn entlasten könnte. Die letzte Folge, in der Kimble schließlich seine Freiheit zurückerlangte, hatte am 29. August 1967 in den USA Einschaltquoten von 71 Prozent. Dreißig Jahre nach Beginn der Serie sollte die Flucht erneut beginnen – dieses Mal auf der großen Leinwand. Serienvorkenntnisse brauchte das Publikum für „Auf der Flucht“ allerdings nicht. Sogar Publikumsmagnet Harrison Ford, der für die Filmversion den Kimble mimte, hatte vor Drehbeginn nie eine Folge der Serie gesehen.

Fords Charme lag stets in seinem unerschöpflichen Charisma und seiner Person selbst, vereinte er doch den Glamour eines Hollywood-Stars mit der Bodenständigkeit des US-amerikanischen Jedermanns. Damit war er perfekt für Kimble: Durch ihn wird der Arzt zum Überlebenskämpfer, der dennoch glaubhaft in der Realität verankert bleibt und nie zum plumpen Actionhelden verkommt. Er kann sich nicht durch sein Geschick mit Schusswaffen oder seine übermenschliche Physis behaupten, sondern muss einzig auf seine Intelligenz und eine Portion Glück vertrauen. Seine Verwundbarkeit erzeugt seine Fallhöhe – und Kimble fällt tatsächlich, sogar aus beträchtlicher Höhe, als ihn seine Flucht auf einen Staudamm führt. Dort in die Enge getrieben, weiß der verzweifelte Mann keinen anderen Ausweg, als sich in die Tiefe zu stürzen. Hier flieht kein Alphamännchen, sondern ein gepeinigtes Individuum, das nichts anders will als Gerechtigkeit für sich und seine ermordete Frau. Sein charakteristisches Humpeln ist übrigens kein Regieeinfall: Ford verletzte sich zu Beginn der Dreharbeiten bei Aufnahmen im Wald, verzichtete aber auf eine Operation, um im restlichen Film glaubwürdig zu hinken.

Ein so einvernehmender Held braucht einen mindestens ebenso großen Widersacher – und hier trumpft „Auf der Flucht“ mit dem grandiosen Tommy Lee Jones auf. Er spielt den Chief Deputy Marshal Samuel Gerard als zielstrebigen, fast schon sturköpfigen Kapitän Ahab, der nicht ruhen kann und will, ehe er sein Ziel erjagt hat. Viele grandiose kleine Momente schreiben ihm die Autoren Jeb Stuart und David Twohy, die aus ihm eine der vielschichtigsten Figuren ihrer Art macht. Brillant eine Szene, in der er einen seiner Deputys vor einem bewaffneten Mann rettet, in dem er diesen einfach aus der Deckung heraus erschießt – ohne dabei richtig zu zielen. Als sein Partner sagt: „Du hättest mich treffen können. Du hättest verhandeln sollen“, meint Gerard nur: „Ich verhandele nie mit Kriminellen.“ Gänsehaut generiert die erste Begegnung zwischen ihm und Kimble: Der Marshal verliert seine Waffe, Kimble hebt sie auf, richtet sie auf seinen Verfolger. Er brüllt: „Ich habe meine Frau nicht umgebracht.“ Gerard antwortet: „Das ist mir scheißegal.“

„Auf der Flucht“ ist ein fantastischer Actionfilm, weil er in erster Linie als psychologisches Katz-und-Mausspiel funktioniert. Kimble muss achtsam vorgehen, will er unentdeckt von der Polizei genug Informationen sammeln, um den Mörder seiner Frau aufzuspüren. Gerard wiederrum durchforstet Kimbles Vergangenheit, um dessen Psyche zu verstehen – und obwohl er langsam Zweifel an Kimbles Schuld entwickelt, kann er nicht anders, als diesen Mann aus purem Pflichtgefühl weiter zu jagen. Beide sind getriebene Männer, die mehr verbindet als sie ahnen. Der Kriminalplot um den Mord an Kimbles Frau ist dabei kompetent konstruiert und hält sich seine besten Wendungen vorbildlich für den Schluss auf. Die Nebenfiguren sind mit Joe Pantoliano als schlagfertigen Deputy, Julianne Moore als misstrauische Ärztin und Jeroen Krabbé als Kimbles Freund und Kollege exzellent besetzt, doch es sind die Schultern von Harrison Ford und Tommy Lee Jones, die diesen 130-minütigen, meisterhaften Exkurs in Spannungsaufbau zur Gänze tragen.

Regisseur Andrew Davis hatte ein Jahr zuvor mit dem „Stirb langsam“-Duplikat „Alarmstufe: Rot“ einen Publikumshit gelandet, schon darin überzeugte Tommy Lee Jones als Widersacher. Der Film gefiel Harrison Ford so gut, dass er Davis für „Auf der Flucht“ dabeihaben wollte, nachdem der ursprünglich angedachte Walter Hill lieber den Western „Geronimo“ drehte. Davis inszeniert „Auf der Flucht“ bedacht, findet die richtige Tonalität zwischen intelligentem Thriller und emotionalem Drama. Für die großen Kino-Momente scheute er vor riskanten Improvisationen nicht zurück: Eine Verfolgungsjagd durch die Häuserschluchten von Chicago führt Kimble und Gerard auf eine Parade am Saint Patricks Day. Um die echten Feierlichkeiten zu nutzen, ließ Davis seine Stars einfach durch die Menschenmengen laufen, filmte sie mit versteckten Handkameras.

Trotz der unbestreitbaren Qualität dieses modernen Klassikers war es eine Überraschung, als „Auf der Flucht“ schließlich für sechs Oscars nominiert wurde – darunter sogar als ‚Bester Film‘. Erklären lässt sich dies u. a. über die sozialkritischen Töne, die der Film anschlägt: Die Kritik an der Todesstrafe ist überdeutlich, auch wird die gefährliche Schwarm-Mentalität der Polizei vorgeführt, als im letzten Drittel bei Kimbles erneutem Kampf mit dem Einarmigen ein Polizist den Tod findet und Kimble fürchten muss, nun als „Polizistenmörder“ von jedem beliebigen Ordnungshüter über den Haufen geschossen zu werden. Die fesselnden Kameraaufnahmen von Michael Chapman sowie die mysteriöse Filmmusik von James Newton Howard, die klassisches Orchester mit atmosphärisch-leidenden Synthesizer-Klängen mixt (ohne Zweifel eine der besten Arbeiten seiner beeindruckenden Karriere!), gingen bei den Oscars leider leer aus. Immerhin durfte sich Tommy Lee Jones als ‚Bester Nebendarsteller‘ verdient den Goldjungen abholen. Seine Leistung war so herausragend, dass er fünf Jahre später für die Fortsetzung „Auf der Jagd“ zurückgeholt und sein Gerard darin zur Hauptfigur befördert wurde.

Das Beste, was sich über „Auf der Flucht“ formulieren lässt, ist, dass es sich um einen der wenigen Actionfilme seiner Art handelt, bei denen das mitreißende Finale im und auf dem Dach des Chicago Hilton Hotels einen bis an den Rand des Sitzes treibt, vor Anspannung gar elektrisiert, es aber die ruhigen, menschlichen Momente sind, die über das Filmende hinaus nachwirken. Etwa eine Szene, in der Kimble sich als Reinigungskraft in einem Krankenhaus tarnt und einen kleinen, schwerkranken Jungen beobachtet, dessen Arzt nur oberflächlich seine Symptome begutachtet und eine Fehldiagnose stellt. Kurzerhand bringt Kimble den Jungen eigenhändig in den OP und rettet ihm so das Leben. Seine Tarnung fliegt dadurch auf, er muss erneut seine Identität wechseln und um sein Leben fürchten. Trotzdem weiß das Publikum: Er würde es immer wieder so machen. Weil er als Held nun einmal „die Katze retten“ muss.

Re: Zuletzt gesehener Film

Verfasst: 14. November 2021 11:36
von vodkamartini
Es ist sehr schön, mal wieder so viel Positives über dieses Highlight sowohl innerhalb seines Genres wie auch in Fords Karriere zu lesen. The Fugitive ist in der Tat ein sehr präzises und ungemein fesselnd geschnürtes Paket Spannungskino. Der unschuldig Verurteilte Jedermann gegen den kaltschnäuzig jagenden Dobermann ist ganz nebenbei auch großes Schauspielkino. Der vermeintlich auf Abenteurer abonnierte und limitierte Ford zeigte nach Frantic und Presumed Innocent zum dritten Mal in Folge so nuanciert wie versiert einen verzweifelten und gehetzten Gatten, den die Umstände zu zermalmen drohen. Und Tommy Lee Jones positioniert den selbstbewussten Antagonisten messerscharf im Grenzgebiet von Arroganz und Kotzbrocken, nur um dann immer wieder dieses Image mit kleinen Gesten und Bemerkungen zu unterlaufen, so dass seine Figur bis zum Ende ungemein spanend bleibt. Ein hervorragender Supporting Cast, ein cleveres Skript, James Newton Howards treibender und zugleich stimmungsvoller Score sowie Andrew Davis Gespür für Locations, Atmosphäre und Actionhöhepunkte lassen den Film auch noch knapp 30 Jahre später makellos erstrahlen.