Selbst wenn jemand – so wie mein Kumpel – sich mit James-Bond-Filmen nie auseinandergesetzt hat und die Filme quasi überhaupt nicht kennt, hat man bereits von "Goldfinger" gehört. Im gewissen Sinne ist dieser Film bis heute der Bond aller Bonds, der bekannteste Titel des Franchise. Es mag sich bei DN und insbesondere bei FRWL um sehr gute bis exzellente Kinoabenteuer gehandelt haben, aber zum modernen popkulturellen Ereignis wurde 007 erst beim dritten Anlauf. Auf gewisse Art und Weise ergibt das aus heutiger Sicht, fast 60 Jahre später, sehr viel Sinn und dann doch irgendwie wieder so gar nicht. Einerseits hat GF nämlich alle Zutaten, die der Ottonormalverbraucher heute mit Bond in Verbindung bringt: Da ist Sean Connery so cool wie eh und je als Macho-Womanizer (und in keinem Film ist Bond so sehr Macho wie hier), da ist der größenwahnsinnige und charismatische Oberschurke, der kultige Henchman mit dem besonderen Gadget, der Aston Martin DB5 mit all den üblichen Q-Extras, die selbstbewusste aber letztlich doch hingebungsvoll dem Helden ergebene Bondine, das große Finale samt Atombombe im Anschlag und der explosive Cocktail aus Action, Sex, Charme und Humor, den die Reihe über die nächsten Jahrzehnte quasi perfektionieren sollte.
Und dennoch: Wäre er nicht durch seinen Einfluss der große Überklassiker, dann würde GF wohl als einer der ungewöhnlicheren Bond-Filme betrachtet werden, denn trotz all dieser Elemente ist er dann irgendwie wieder gar nicht so sehr auf Linie mit vielen seiner Nachfolgern. Der gemeinhin bekannte omnipotente Alleskönner 007 bekommt in seinem wohl bekanntesten filmischen Outing nämlich erstaunlich wenig geschissen, und wird entweder fortlaufend gefangengenommen oder mindestens k.o. geschlagen. Von der erfolgreichen Verführung zweier Frauen und einem etwas schelmischen Betrug beim Golfspiel gelingt Bond so gut wie nix im Verlauf der fast zwei Stunden. Schlimmer noch: Obwohl sich Guy Hamilton auf dem Regiestuhl sowie die Drehbuchautoren Richard Maibaum und Paul Dehn alle erdenkliche Mühe geben, einen anderen Eindruck zu erwecken, ist Bond über weite Teile der zweiten Hälfte des Films zur Passivität verdammt und befindet sich als unfreiwilliger Gast auf Goldfingers Pferderanch. Sicher ist dies der Romanvorlage von Ian Fleming geschuldet, die hier wie in den Vorgängern noch halbwegs als Gerüst für den Film taugte, ehe dann spätestens ab TB und YOLT seitens der Filmemacher Tabula rasa mit dem literarischen Erbe veranstaltet wurde.
GF ist ein ikonischer Film, und das hat sicherlich mit seiner Berühmtheit zu tun, aber auch sehr viel damit, wie Momente seitens Kamera und Regie ausgestellt werden. Anders als bei Regie-Vorgänger Terence Young, dessen Regie sich stets dem Pacing, also dem Hochhalten des Tempos verpflichtet fühlt, setzt Guy Hamilton einige Bilder und Momente länger in Szene und inszeniert sie wie ein Bühnenkünstler, der seinen nächsten Trick so lange händeringend anpreist, bis der Applaus verstummt ist. Die vielleicht berühmteste Szene aus über 60 Kinojahren Bond, in der Sean Connery fassungslos die tödlich vergoldete Jill Masterson vorfindet, wirkt heute so, als sei sie im Zusammenspiel mit der pompösen John-Barry-"Enthüllungsmusik" von Anfang an als ikonisch konzipiert gewesen, als ein Filmmoment, an dem man sich noch in 60 Jahren erinnern soll. Besonders amüsant ist dieser Franchise-prägende Augenblick im direkten Kontrast zur vorherigen Einführung der titelgebenden Schurkenfigur: Gert Fröbe kommt da einfach ohne Glanz und Glorie im Pool-Outfit eine Treppe runter gewatschelt. Dafür, dass er einer der bekanntesten Bösewichte des 60s Kinos ist, schreit sein erster Auftritt nicht wirklich nach einem Darth Vader oder Hannibal Lecter.
Im Kräftemessen zwischen Bond und Goldfinger liegt die gesamte Spannung des dritten 007-Films. Direkt nach dem Bond süffisant und ultra lässig dem Schurken erst sein Kartenspiel versaut und dann sein Mädchen ausgespannt hat, schlägt dieser zurück und lässt Jill über die Klippe springen. Von nun an liefern sich die beiden ein Ego-Duell, ob auf dem Golfplatz, in der bedenklichen Nähe eines Laserstrahls, auf Goldfingers Veranda oder in einem Privatjet in Richtung des Weißen Hauses. Es ist ein absoluter Genuss, Fröbe und Connery dabei zuzuschauen, wie sie sich gegenseitig die (Golf-)Bälle zuspielen. Es hilft, dass die Dialoge zwischen den beiden durchweg deliziös sind (ein persönlicher Liebling: "Beautiful animal, isn't she?" – "Certainly better bred than the owner"
). Fans nennen den intellektuellen Schmuggler regelmäßig als einen der Topschurken der Reihe und das ergibt vollkommen Sinn, ist doch in keinem anderen Bond-Film der Antagonist selbst so sehr die zentrale Hürde, die Bond überwinden muss. Ein ganz toller, oft übersehener Moment ist jener, in dem Bond seinem Kontrahenten das Unternehmen Grand Slam vorrechnet, nur um nach und nach dadurch hinter Goldfingers Absichten zu kommen – was dieser mit diebischer Freude beobachtet und ihn sogar lobend unterstützt. Zwei Gegenspieler auf Augenhöhe!
In erster Linie ist GF mehr noch als andere Bonds ein Dekor-Film. Seine Ausstattung macht einen elementaren Teil seines Spaßes aus. Ken Adam übertrifft sich mit vielen Sets selbst, absolut fantastisch ist die unglaubliche Mischung aus goldener Kathedrale und Goldbarren-Knast, die das Innere von Fort Knox darstellt. Ähnlich opulent sind Goldfingers Büro (in dem ein herrlich naives Treffen von Klischee-Mafiosi stattfindet), das Laserstrahl-Laboratorium und der Privatjet der Pussy Galore. Im Zusammenspiel mit Hamiltons betont ruhiger, ausstellender Inszenierung harmoniert das sehr gut. Viele lange Szenen, die man so heute auf keinen Fall mehr machen würde (die lange Vergasung der Fort-Knox-Soldaten, die pressante Verabredung des Mr. Solo), charakterisieren GF als einen Film, der aus seiner Ausführlichkeit Energie schöpft, der Rhythmus über alles andere gewichtet. John Barry bekommt so genügend Möglichkeiten, als allen Rohren zu feuern und die Zuschauer regelrecht vor sich her zu treiben. Nirgendwo zeigt sich der Hang des Films für die brillante Mixtur aus Hochglanz und Gefahr besser als im Vorspann von Robert Brownjohn, in dem auf vergoldete Frauenkörper Szenenschnipsel projiziert werden. Ein hinreißendes Opening so kurz nach der prägnanten Bond-Einführung per Miniepisode, und sicherlich der prägnanteste Vorspann im Bond-Universum – nicht zuletzt, da Shirley Bassey einem ihren Titelsong mit fulminanter Wucht entgegen schmettert.
Aber was genau definiert GF bis heute als den Bond-Film, der die Figur, die Reihe und all ihre Errungenschaften in absurd kulturelle Höhen schleuderte? Erst recht, da zuvor FRWL doch eigentlich schon die perfekte Rezeptur präsentierte. Es klingt banal, aber vieles hat damit zu tun, dass GF vor allem eines ist, und für diese Eigenschaft hat die englische Sprache den perfekten Begriff: "Silly". Man kann dieses Wort mit "Dumm", "Albern", "Lächerlich" oder "Beknackt" übersetzen, aber keiner dieser Ausdrückte trifft GF so perfekt wie das englische Pendant. In GF wird der unsterblich coole Superagent mit der Lizenz zum Töten eingeführt, wie er sich unter Wasser an eine Basis anschleicht – mit einem
Entenhelm auf dem Kopf. Im späteren Verlauf wird eine Frau, die er mir nichts dir nichts ins Bett bekommen hat als Racheaktion
vergoldet. Sein Gegenspieler hat einen Handlanger, der Menschen tötet, in dem er seinen
rasiermesserscharfen Hut auf sie wirft. Bond selbst kann so viel tüftlerische Extravaganz mit einem
Sportwagen mit Schleudersitz kontern, und als dieser ihm versagt, muss er sich erneut auf seine Verführungskünste bei der Pilotin
Pussy Galore verlassen …
Als Fan, der mit Bond aufgewachsen ist, nimmt man all diese Elemente in GF und späteren Filmen hin, sie sind "typisch Bond". Guckt man die Filme aber mit einem Freund, der mit Bond nie irgendwelche Berührungspunkte hatte, öffnet einem das nochmal ganz frisch die Augen: GF ist ein völlig absurder Film, voll mit ausgeflippten Comic-Strip-Elementen.
Young nahm die überzogenen Elemente, die Bond von Beginn an hatte, immer noch in ihrem filmisch internen Universum ernst. Hamilton hingegen macht sich gemeinsam mit dem Publikum über all das lustig. Für ihn ist Bond ein großer Jux, ein herrlicher Nonsense, und genau den liefert er – mit Trompeten und Fanfaren. "Wenn wir die Herzensdame schon Pussy Galore nennen, warum dann nicht ihre ganze Fliegerstaffel mit blonden Atombusen besetzen?" – Ungefähr so müssen viele von Hamiltons Gedankengängen damals abgelaufen sein. "Ich scherze nie, wenn es um meine Arbeit geht", sagt Q in seiner großen Szene im Film, aber für den Regisseur gilt das Gegenteil: Seine Arbeit ist ihm ein einziges Scherzen, ein lustvoller Spaß am Überdrehen. Die professionell gemachten Actionszenen (besonders geglückt: die Jagd mit dem Aston Martin DB5 und Bonds finaler Kampf gegen Oddjob) sorgen für Spannung, viel mehr interessieren Hamilton aber die absurden Momente: Wenn Bond nach und nach alle Gucklöcher an Bord des Privatjets versperrt, wenn er blöd grinsend den Wachmann vor seiner Zelle foppt, wenn Felix Leiter und sein Kollege wie die letzten Deppen Goldfingers Scharade nicht durchschauen, wenn Bond und Pussy im Stall ihren Karateunterricht vollziehen, wenn der finale Atombomben-Counter bei "007" stehenbleibt oder wenn bei der Schlacht um Fort Knox ein unglücklicher Schurke dooferweise von der Tresortür gegen das Gitter gequetscht wird, dann formvollendet Hamilton genau das, was Bond für ihn ausmacht.
Natürlich ist bei GF nicht alles rund, und kleinere Kritikpunkte meines Mitguckers trafen den Nagel auf den Kopf: Tilly Mastersons Figur ist reichlich überflüssig, inkohärent gespielt und geschrieben, und so unvermittelt wieder raus aus dem Film wie sie reingekommen ist. Und Bonds Passivität über weite Strecken der zweiten Hälfte ist erstaunlicherweise nur selten ein Problem, sorgt aber dafür, dass es zu lange an den richtig gefährlichen Situationen mangelt. Alleine: Es spielt keine große Rolle, sind nur kleine Schönheitsflecken eines ansonsten überlebensgroßen Films. Mein persönlicher Lieblingsbond wird "Goldfinger" nie werden, denn wie es als Fan oft so ist, sind die eigenen individuellen Highlights selten die, auf die sich ohnehin alle einigen können. Aber GF ist eben genau das: Der eine Bond-Film, auf den wir uns irgendwie alle einigen können. Er ist ein großartiger Spaß, er ist die Geburtsstunde des durchweg selbstironischen Bond-Kinos, und irgendwie der Film, an dem sich alle Franchise-Einträge messen lassen müssen. "The film with the midas touch", wenn ihr so wollt.