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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Die Frau hinter der Wand
Die Nachwuchsredaktion "Das kleine Fernsehspiel" gab 2013 jungen Regie-Talenten aus Deutschland unter dem Motto "Stunde des Bösen" die Gelegenheit, sich im Thriller-Genre einmal selbst auszutoben und Erfahrungen zu sammeln. Herausgekommen ist dabei unter anderem ein kleines düsteres Kammerspiel, mit dem vielsagenden und doch geheimnisvollen Titel "Die Frau hinter der Wand". Das Regiedebüt des Newcomers Grzegorz Muskala, welches gleichzeitig auch sein Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin ist, kommt dabei mit allen Stärken und Schwächen dahin, die man allgemein von einem solchen Debüt erwarten darf. Der Einstieg ist arg holprig und einiges wirkt gar übereifrig und aufgeregt erzählt, dafür sind unkonventionelle Kameraperspektiven und ein gewagter Inszenierungsstil durchgehend an der Tagesordnung. In diesem speziellen Fall zeichnet sich Muskalas Werk allerdings durch eines aus, was vielen solcher Debüts gerne abgeht: Atmosphäre.
Doch der Reihe nach: "Die Frau hinter der Wand" gewinnt selbstverständlich weder inhaltlich (Muskala zeichnete sich gemeinsam mit Robby Dannenberg auch für das Drehbuch verantwortlich) noch filmisch den großen Innovationspreis. Die Vorbilder sind sogar offensichtlich, bzw. das eine große Vorbild: Alfred Hitchcock, der Master of Suspense, schwebt wie eine dunkle Vorahnung über dem Geschehen. Ein Vergleich, den der Jungregisseur nicht gewinnen kann - überraschenderweise ist es aber dennoch einer, der ihm durchaus schmeichelt. Muskala gelingt es, seine deutlich abgekupferte Geschichte stringent und ohne Schörkeleien oder Mäanderungen pointiert in 95 Minuten ungehetzt und schlüssig zu erzählen. Zwar ist die Handlung um den schüchternen Studenten vom Land, der in der Stadt an eine Femme Fatale (hier sogar seine Nachbarin) und damit in eine verzwickte und beängstigende Kriminalgeschichte gerät bereits so ausgelutscht, dass man auch hier den Ausgang relativ früh im Groben schon erraten kann, doch dank gängiger Spannungsmechanismen und dem Auslassen etwaiger Nebenhandlungen ist "Die Frau hinter der Wand" insgesamt ein gut konzentriertes Personendrama. Einen größeren unvorhersehbaren Twist gibt es dann tatsächlich und dieser ist sogar glaubhaft und authentisch in das Gesamtbild eingewoben, dass erfreulichen Rätselcharme zu wecken weiß und damit auch wenig inhaltliche Eigenständigkeit behaupten kann.
Wie bereits angekündigt: Groß auftrumpfen tut das eigenwillige Debüt aufgrund seiner Atmosphäre. Und hier hat Muskala mit wenig Aufwand bemerkenswerte Arbeit geleistet. Das Setdesign ist clever und effizient (so wird in tristen und auffälligen Farben gefilmt, die nur von roten Korridor-Wänden und einem gelben Regenmantel immer wieder gebrochen werden), die eingespielte Musikuntermalung von Portishead laut und eindringlich, die sich oftmals wiederholenden Bilder mit zunehmender Laufzeit verstörend und der eigentliche Soundtrack Conrad Oleaks beunruhigend, sodass von Vornherein das benötigte Unwohlsein vorhanden ist, dass hier benötigt wird, um auf der Klaviatur der Angstzustände des Zuschauers zu spielen. Besonders gelingt das durch verstörende Details, etwa wenn ein langer Flur nur zu einem roten Sessel führt oder der aus dem Fenster schauende Protagonist plötzlich aus der Dunkelheit beobachtet wird. Auch die Schauspieler sind passend besetzt: Vincent Redetzki ist als Martin der richtige Zwischenpol aus jugendlichem Leichtsinn, erwachender sexueller Unabhängigkeit und scheuer Introvertiertheit, während die blonde Katharina Heyer als Simone ein verführendes Biest ist, wie es das deutsche TV schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hat. Die beiden alleine sind es, auf die sich die Kameras fokussieren und zurecht, spielen beide entfesselt und gekonnt mit den Erwartungen des Zuschauers. Die Sympathien verschieben sich dabei durchaus mal zwischen Martin und Simones aggresivem Freund Sebastian, zwischen durch überrascht auch noch Robert Stadlober mit einem sehr speziellem Gastauftritt, gerade dann, wenn die Handlung sich zu verlieren droht. So geht das!
Dennoch wäre es vermessen, "Die Frau hinter der Wand" wirklich auf eine Stufe mit Hitchcock zu stellen. Dazu fehlt natürlich noch eine ganze Menge. Das fängt vor allem mit einigen handwerklichen Dingen an - ganz besonders die Raumgeographie ist schwach, muss vom Zuschauer erahnt werden. Wieso Simone gleichzeitig neben Martin und gegenüber von ihm wohnt, erschließt sich nicht wirklich, auch weil von dem Wohnblock, in dem der Thriller spielt, keine Außenaufnahmen gezeigt werden. Im Mittelteil beginnt man sich zudem zu fragen, in welche Richtung das ganze eigentlich gehen soll: Etwas zu sehr ist "Die Frau hinter der Wand" der schwierige Versuch, ein Spagat zwischen dem Drama, dem Thriller, dem Horrofilm und dem Erotikgenre zu sein. Eine klarere filmische Positionierung (in anderen Worten, eine Straffung weniger überflüssiger Minuten und Elemente) wäre daher wünschenswert gewesen und das direkte Hitchcock Zitat (Stichwort: Dusche) hätte angesichts der Auswirkungen auf den Gesamtplot nicht wirklich sein müssen. Der Showdown ist dann zudem doch eine Spur zu viel, trägt übertrieben dick auf und verschiebt den Höhepunkt ein Mal zu oft, sodass dieser die aufgemachten Versprechungen nicht so recht zu halten weiß. Angesichts der Tatsache, unter welchen Umständen und mit welchem Hintergrund hier jedoch gearbeitet wurde, lassen sich viele dieser Details verschmerzen und auch die gröbsten Sachen entschuldigen, erst recht unter Eingedenk der Tatsache, dass hier für ein solches Anfängerwerk äußerst löblich bereits das Timing für subtilen Horror und suggestive Beklommenheit dort sitzt, wo es hingehört.
Fazit: Mit einfachen Mitteln beeindruckender Spielfilm, der die Thriller-Regeln und Gesetze sowohl verstehen als auch anwenden kann und deswegen auch deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, als er wohl erhalten wird. Korinthenkacker werden darauf hinweisen müssen, dass hier nur gängige Genrekost nach dem Einmaleins des Filmemachens geboten wird und dieser Einwand mag berechtigt sein, schmälert aber nicht die Tatsache, dass man sich 95 Minuten angenehm gruselnd ins Bett verkrochen eine interessante Zeit mit "Die Frau hinter der Wand" haben kann. Und um das viel verwendete "Eingedenk seiner Entstehung" einmal zu relativieren: "Die Frau hinter der Wand" ist auch ganz ohne jeden Hintergrund ein souveränes kleines Experiment, dass einen Blick durchaus wert ist. Wer es besser könnte, der werfe den ersten Stein!
6/10
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Let the sheep out, kid.