Re: Depeche Mode - cult in black

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Ich halte "Spirit" für das beste Mode-Album seit Ultra (1997).

Hier mal meine Rezension, die ich an anderer Stelle veröffentlich habe:

"Songs of Maze and Emotion"

Depeche Mode war nie eine gute Laune Band im Sinne fluffigen Wohlfühlpops. Gut, das neue Album ist mal wieder etwas düsterer ausgefallen, aber es gab schließlich auch Ultra und Black Celebration. Vor allem aber war Depeche Mode nie eine Band, die sich irgendwelchen Trends anbiederte, oder die eigene Historie verwaltete indem sie sich in Dauerschleife wiederholte und zunehmend langweilte (wie beispielsweise so einige überlebende Dekade-Kollegen wie U2 oder Bon Jovi). Nein, Depeche Mode klangen immer anders und waren bestrebt sich weiter zu entwickeln. Natürlich gefällt das nicht allen Fans der 80er Großtaten, zumal Bombast und druckvolle Beats immer mehr dem Blues und sperrigeren Songstrukturen wichen.
Aber mal ehrlich. Ein Depeche Mode-Album nach dem ersten Hördurchgang als Ohrwurmbrett abzufeiern, war schon immer eine Herkulesaufgabe. Die Songs entfalteten erst nach und nach ihre Sogwirkung und offenbarten ihr Gänsehautpotential. So gesehen ist "Spirit" ein klassisches Mode-Album und reiht sich wunderbar in die Discographie ein. Sicher hat man früher, vor allem unter der Ägide von Entdecker, Mentor und Mute-Chef Daniel Miller, etwas deutlicher auf 1-2 potentielle Single-Hits hingearbeitet, sich allerdings beim restlichen Songmaterial wieder recht deutlich von dieser Attitüde entfernt.

Viel wird dieser Tage auch über die neu entdeckte politische Seite der Band diskutiert, als hätte es "Everything Counts" oder "People are People" nie gegeben. Das wirklich Interessante an "Spirit" sind weniger die teilweise politischen Anspielungen, sondern der Sound. Nach drei Alben mit Ben Hillier hatte sich eine klangliche Stagnation eingeschlichen, die weniger vordergründig (die Alben sind klar unterscheidbar), als vielmehr von den Arrangements erkennbar wurde. Mit James Ford klingen Depeche Mode wieder klarer, mehr auf den Punkt und strukturierte in der musikalischen Progression innerhalb der Songs. Man könnte auch sagen, Ford hat die Songs wieder spannender und kantiger gemacht. Vor allem aber ist es ihm gelungen einen roten Faden emotional zu erzeugen und nicht wie Hillier diesen soundtechnisch zu kreieren. Das verbindet "Spirit" mit den Alben "Songs of Faith and Devotion" und "Ultra", beides inzwischen erklärte Fanlieblinge und beide bei Erscheinen äußerst kritisch aufgenommen.

Klar, ein schräges, Sound-verzerrtes Monstrum wie "Scum" will erst einmal verdaut werden. Das war auch bei "I feel you" und "Barrel of a Gun" keine leichte Aufgabe gewesen. Entschlackte, fast schon spartanisch anmutende Finsterlinge wie "The worst Crime", oder "Eternal" werden nicht sofort umarmt. Die Single "Where's the Revolution" ist noch am eingängigsten, aber bestimmt keine Hymne, die sofort packt. Und die Melodien? Gibt es wirklich keine? Hat Martin Gore sein Händchen verloren und wäre ohne Gahans immer besser werdenden Input völlig aufgeschmissen? Doch!, Doch! und Nein!, Nein!. Unter der schwarz schimmernden Oberfläche verbergen sich mal wieder äußerst hartnäckige Melodien, wenn man sie erst einmal erschlossen hat. Bei dem kraftvollen Gore-Opener "Going backwards" geht dieser Prozess sehr schnell, genauso wie bei Gahans "No more". Bei anderen Songs dauert es etwas länger. Es braucht also Zeit, um den Spirit hinter den 12 Songs zu erspüren, aber er ist da. Versprochen.
Für das 14. Studioalbum einer seit fast 40 Jahre bestehenden und erfolgreichen Band ist "Spirit" eine beeindruckende Leistung. Wuchtig, düster, packend, berührend und mutig. Ein musikalischer Irrgarten der besonderen Art, bei dem der Weg hinaus nicht nur akustisch, sondern vor allem emotional spannend ist wie lange nicht mehr. Danke, Depeche Mode. Ihr habt nichts verlernt.
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Re: Depeche Mode - cult in black

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vodkamartini hat geschrieben:Ich halte "Spirit" für das beste Mode-Album seit Ultra (1997)
Interessant. Vielleicht sollte ich mich intensiver mit Spirit beschäftigen. Hab nur mal reingehoert und fand das Album langweilig. Wenn ich ehrlich bin, geht mir das aber seit Ultra so. Wenn ich Dir jetzt sage, dass ich die Alben Delta Machine und Sound of the Universe weder habe noch kenne, hältst Du mich wahrscheinlich für verrückt. :)

Exciter und Playing the Angel besitze und kenne ich und finde sie eher schwach. Deshalb habe ich DM die letzten Jahre weitestgehend ignoriert. Aber durch unseren schönen Thread hier habe ich die alten Sachen wieder lieben gelernt.
#Marburg2025

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Re: Depeche Mode - cult in black

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:twisted: Da ist aber Nachholdbedarf. Exciter hat schon seine Momente, aber ich verstehe, wenn man es etwas "plätschernd" finde. Ich habe lange gebraucht, bis ich es mocht und es gehört nach wie vor nicht zu meinen Lieblingsalben. PTA ist ein halbes Retro-Album, und mindestens bis zur Hälfte stark, dannach fällt es leider ein wenig ab. SOTU ist das einzige der neueren Mode-Alben, das bei mir incht über Mittlemaß hinaus komt, obwohl es seinerzeit sehr positiv besprochen worden war und sich auch prächtig verkauft hatte. Delta Machine ist da wesentlich besser gelungen mit einer Reihe sehr starker Songs (Broken, Alone, Secret to the End, Should be higher) und einem erkennbaren Konzept.
Mein Problem ist ohnehin immer mehr Produzent Ben Hillier (3 Alben am Stück zu produzieren halte ich für keine gute Idee) gewesen, der für einen sehr komprimierten, teilweise lärmigen und frickeligen Sound sorgte, was mir nicht so sehr gefiel. Da ist "Spirit" eine wahre Wohltat.
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Re: Depeche Mode - cult in black

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DonRedhorse hat geschrieben:Hab nur mal reingehoert
Großer Fehler, du weißt doch, dass das bei Depeche Mode nicht klappt. :D Ich fand Violator beim ersten Anhören übrigens recht langweilig. Mir gefielen nur die beiden bereits bekannten Singles (PJ und ETS) sowie Policy of truth. :wink:

Und ja, SOFAD ist ein Kracher, das Konzert war phänomenal, bis heute das beste, das ich gesehen habe. Aber dazu ein ander Mal mehr, da gibt es viel zu sagen.
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Re: Depeche Mode - cult in black

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vodkamartini hat geschrieben: Und ja, SOFAD ist ein Kracher, das Konzert war phänomenal, bis heute das beste, das ich gesehen habe. Aber dazu ein ander Mal mehr, da gibt es viel zu sagen.
Ja, kann mich noch sehr gut an das Konzert erinnern, 25. Juni 1993 in Stuttgart (sagt Wiki). Hab auch die Devotional-DVD. Grandios.
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Re: Depeche Mode - cult in black

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Die "Global Spirit Tour" rollt heute in Köln ein. Am Samstag war endlich auch mal wieder die Heimat begeistert:

http://www.nme.com/news/music/depeche-m ... ig-2083739

Kleiner Auszug:
The only UK show announced so far for heir 2017 ‘Spirit’ tour, the synth pop legends took East London by storm during their colourful and dramatic set at the stadium. Backed by cinematic footage created by Anton Corbijn, the ever-animated Dave Gahan was on the finest of form as he led the trio through an epic and career-spanning set – packed with rock classics and fan favourites.


http://www.telegraph.co.uk/music/what-t ... um-review/

Kleiner Auszug:
The 1986 single Stripped went down a storm, but it was the 1983 fan-favourite that preceded it that provided the night’s highlight. There can’t be many songs about corporate greed and corruption in the Eighties that prompt 80,000-strong mass singalongs. But in Everything Counts, Depeche Mode have such a song. It’s a ridiculously catchy slice of stadium pop. As was 1987’s Never Let Me Down Again, which closed the main set.
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Re: Depeche Mode - cult in black

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Olympiastadion München (9.6.2017)

FOS 1, 7. Reihe hinter der Bühne, fast mittig, was soll man noch mehr wollen? Nach all den widrigen Umständen - Organisations-Chaos bei Coldplay zwie Tage zuvor, rigide Einlass-Bestimmungen, drohende Gewitter mit Hagel etc., knappes Wegkommen vom Wohnort - war eine gewisse Anspannung da. Am Ende löste sich aber auch alles in Wohlgefallen auf. Parkplatz in der auf 4000 PLätze beschränkten Harfe beim Stadion bekommen. Die vor Einlassbeginn um 17.15 bereits 200 Meter lange Schhlange flugs um 195 Meter verkürzt, da früher angereiste Freunde Plätze frei gehalten hatten. Trotz vergebener Early Entry Tickets sehr weit nach vorn gekommen. Nette Leute drumherum kennen gelernt. Etwas Regen bei der gar nicht so schlechten Vorband, riesiger Regenbogen inklusive. Keinerlei weitere Störungen von der Wetterfront. Temperaturen angenehm, Getränke wurden bis ganz nach vorn geliefert. Und dann der Auftritt.

Dave in absoluter Höchstform, stimmlich, körperlich animatorisch. Ständiges Shakern mit dem Publikum inklusive. Setlist dramaturgisch stimmig inszneniert. Die neuen Songs funktionierten prächtig, v.a "Going Backwards", "So much Love" und "Cover me". Die erste Hälfte vielleicht ein klein wenig zu ruhig gehalten, aber das Publikum ging trotzdem mit. Verzichtbar waren lediglich "Barrel of a Gun" (einfach nicht so recht live-tauglich) und das inzwischen etwas nervige "I feel you" (ein Geschenk für die Metal-Fans?). Dafür Martin Gore mit sehr stimmungsvollen Balladen, "Everything Counts" endlich mal wieder und mit neuem Intro, "Wrong" ebenfalls neu arrangiert, das Bowie-Cover "Heroes" schön dem eigenen Stil angepasst und "Personal Jesus" als Rausschmeißer.

Will man kritiseren, kommt man auf altbekannte Schwächen, die mit der Musik und Bandperformance nichts zu tun haben. Die Bühne ist für solch riesige Stadien zu klein und zudem spartanisch ausgestattet. Anton Corbijns Visuals pendeln zwischen lustlos und kreativlos (Tiefpunkt war das peinliche Tiervideo zu "Enjoy the Silence"). Aber der auch von U2 verehrte Holländer scheint bei der Band sakrosankt zu sein, obschon längst klar ist, dass er hauptsächlich gut photographieren kann.

Ansonsten unbedingte Empfehlung für allle, die DM noch nie live geshen haben. Im Winter kommen bestimmt ein paar Hallentermine. Und da passt dann auch die Bühne. Bei dem Rock-Potential der eigentlich elektronisch basierten Band ist aber auch das egal. "See you next time!" - "Definitely!"
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Re: Depeche Mode - cult in black

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Danke für den Konzertbericht. Hört sich gut an. Lustigerweise bin ich gestern auf der Heimfahrt am Olympiastadion vorbeigefahren. Ein Hallenkonzert würde ich mir mal wieder anschauen, Open Air ist nicht so meins. Wobei ich gar nicht weiß, ob es für Frankfurt noch Karten gibt.
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Re: Depeche Mode - cult in black

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Wusste gar nicht, dass du in der Gegend warst. Das nächste Mal kannst du gerne mal vorbei schauen. :)

Im Winter wird es eine Hallentour geben, warte stündlich auf die D-Termine. Wäre dann sicher auch für dich eine lohnende Sache. Mindestens einen möchte ich mitnehmen. Sollte einer am Samstag in irgendeiner interessanten Stadt sein, bin ich auch einem Wochenendtrip gegenüber nicht abgeneigt. Hat gestern wieder richtig Spaß gemacht, war aber auch sehr nahe dran.
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