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von AnatolGogol
Agent
Nachdem hier schon einige Vermutungen zu einem alternativen Verlauf der Bondhistorie angestellt worden sind nutze ich mal die Gelegenheit, zwei Thesen etwas näher zu betrachten:
These 1: Wäre Dalton bereits in AVTAK eingestiegen, wäre seine Zeit als Bond erfolgreicher gewesen
Dass ausgerechnet Moores mit Abstand umsatzschwächster Film das richtige Sprungbrett für eine komerziell erfolgreichere Ägide Daltons gewesen wäre ist ein recht kühner Gedanke. Zunächst mal muss man die Frage stellen, warum AVTAK gegenüber seinem Vorgänger so drastisch eingebrochen ist. Ich sehe hier im Wesentlichen drei Faktoren: zum einen war Moores fortgeschrittenes Alter wohl tatsächlich mittlerweile hinderlich, um das jüngere Zielpublikum anzusprechen. Ich würde vermuten, dass in einer demographischen Betrachtung der Anteil des wichtigen Teenager-Publikums in AVTAK deutlich geringer wäre als in anderen Bondfilmen. Der zweite Faktor ist für mich die allgemein eher verhaltene Aufnahme des Filmes. Die Qualität des Films wurde gemeinhin eher unter dem Seriendurchschnitt eingestuft und die daraus resultierende Mund-zu-Mund-Propaganda hat dem Einspiel sicher massiv geschadet. Faktor 3 hängt nur indirekt mit AVTAK selber zusammen, aber ich denke, dass die große Publicity um das „Duell der Bonds“ in den Jahren 83/84 und die daraus resultierende Konkurrenz zwar einerseits zu einem sehr erfolgreichen Abschneiden von OP (und in geringerem Maße auch von NSNA) beigetragen, gleichzeitig den Appetit des Publikums aber auch gesättigt haben. Und kaum zwei Jahre später schon der nächste Film ohne erkennbare Neuerungen oder Änderungen. Auch das dürfte sich negativ aufs Einspiel bemerkbar gemacht haben.
In wieweit hätte ein anderer Darsteller diese Effekte also abmildern können? Ich denke, Faktor 2 wäre so oder so weitgehend außerhalb des Einflusses eines neuen Darstellers gewesen. Hätte allein Dalton die Qualität von AVTAK gesteigert in einem ansonsten weitgehend gleichen Film? Das würde ich eher bezweifeln bzw. den daraus resultierenden positiven Einfluss als nicht allzu groß einstufen. Der Sättigungseffekt aus Faktor 3 und vor allem das Problem des dem jüngeren Publikum nicht mehr vermittelbaren Hauptdarstellers wären aber vermutlich durch einen neuen Schauspieler effektiv gemindert bzw. komplett egalisiert worden. Allerdings denke ich eher, dass sich diese Effekte im Idealfall gegenseitig aufgehoben hätten, in jedem Fall aber keinen weiteren Umsatzanstieg gegenüber OP (welcher ja auch schon ein „Kraftakt“ war, da alle Ressourcen bemüht wurden (incl. eines nochmals teuer eingekauften Moore), um die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen). Somit wäre das Einspiel dieses potenziellen AVTAK unter dem Einspiel des „echten“ TLD, womit Dalton einen schwächeren Start als „in echt“ gehabt hätte.
Gut, man könnte argumentieren, dass ausschliesslich Dalton in TLD für den Umsatzzuwachs gegenüber AVTAK verantwortlich war und daher dieser Zuwachs iHv ca. 40 Millionen dann auch gegenüber OP in AVTAK zustandegekommen wäre. Das halte ich aber für sehr unwahrscheinlich angesichts der angeführten Faktoren und der generellen Abwärtstendenz im Einspiel der Bondfilme in den 80ern. Zudem war das Zwischenhoch in TLD letztlich auch durch das „Zwischentief“ in AVTAK bedingt. Oder anders gesprochen: wäre AVTAK nicht so verhältnismäßig schlecht gelaufen, dann wäre das Ergebnis von TLD auch gar nicht so übermäßig positiv aufgenommen worden. Oder noch anders: TLD hat nicht wirklich 40 Millionen mehr eingespielt, sondern AVTAK 40 Millionen weniger – wenn man versteht, was ich meine. Von daher würde ich eher behaupten, dass ein vorzeitiger Einstieg in AVTAK Dalton das Leben schwerer gemacht hätte, im Idealfall aber zumindest nicht einfacher. Denn ein früherer Einstieg Daltons hätte vermutlich eher negativen Einfluss auf das Einspiel von TLD gehabt, da der „Neulingseffekt“ da schon weitgehend verpufft gewesen wäre. Größere Auswirkungen auf LTK sehe ich keine, doch dazu gleich noch etwas ausführlicher in These 2.
Meine Einspielprognose für These 1 wäre daher:
AVTAK: 180 Millionen
TLD: 175 Millonen
LTK: 156 Millionen
These 2: Mit Brosnan wären die Daltonfilme deutlich erfolgreicher gewesen.
Da zum Zeitpunkt von Brosnans Verpflichtung Mitte 1986 erstens das Drehbuch von Richard Maibaum und Michael G. Wilson bereits fertig war und zweitens die über viele Jahre bewährte Crew hinter der Kamera auch in unserem fiktiven Szenario zum Einsatz gekommen wäre kann man davon ausgehen, dass ein potentieller Brosnan-TLD sich filmisch und inhaltlich nicht wesentlich vom „echten“ TLD mit Tim Dalton unterschieden hätte. Man kann gleichwohl davon ausgehen, dass man hinsichtlich Brosnans Remington Steele-Vergangenheit ihm ausreichend Gelegenheit gegeben hätte seinen Charme und seinen Humor auszuspielen. Die auch im Dalton-Film zahlreich vorhandenen Verweise auf die Mooresche Ära wären daher ganz sicher beibehalten worden und vielleicht sogar noch etwas ausgebaut worden. Dennoch: die Entwicklung hin zu realeren und zeitgemäßeren Themen, welche in den Drehbüchern von Maibaum und Wilson seit FYEO eindeutig erkennbar ist, wäre auch mit Brosnan beibehalten worden. Bedenkt man zusätzlich, dass in der usrprünglichen Drehbuchfassung die beiden noch viel weiter gehen wollten und Bond zu seinen Anfängen zurückführen wollten (und damit dem Reboot-Gedanken von CR gut 20 Jahre zuvor kamen) wird deutlich, dass Maibaum und Wilson zum damaligen Zeitpunkt weit von etwaigen Over-the-Top-Spektakeln (wie sie in den 90ern dann ein Revival erleben sollten) entfernt waren. Brosnans Bondinterpretation wäre vermutlich dadurch von Beginn an etwas seriöser gewesen, als man sie von seiner echten Ära ab 1995 kennt. Den aalglatten Snob, den Brosnan ab TND perfektionierte hätte man vermutlich in TLD nicht zu sehen bekommen, da die Geschichte rund um seine Beziehung zu Kara dies nicht erlaubt hätte. Wahrscheinlicher ist, dass seine Interpretation Ähnlichkeit mit seinem GE-Auftritt gehabt hätte, vor allem durch die Parallelen in der Beziehung zu Natalya (wobei Kara der deutlich unselbständigere Charakter ist und dadurch vermutlich auch noch mehr den Beschützeraspekt in Brosnans Bondcharakter erfordert hätte).
Wie hätte sich also ein solcher Brosnan-TLD an der Kinokasse geschlagen? Zunächst kann davon ausgegangen werden, dass der reale Umsatzzugewinn gegenüber AVTAK aufgrund des Darstellerwechsels auch mit Brosnan erfolgt wäre. Darüberhinaus liegt die Vermutung nahe, dass der Film aufgrund Brosnans großer Popularität als Remington Steele vor allem im wichtigen US-Markt auf ein gesteigertes Interesse erzeugt hätte. Fest zu halten bleibt allerdings auch, dass sich die restlichen Einflussfaktoren auch mit Brosnan nicht wirklich geändert hätten. Bond wäre nachwievor seit über einem Jahrzehnt im regelmäßigen Turnus dauerpräsent gewesen, die „traditionelle“ Machart des Filmes hätte wie auch in echt im Gegensatz zu den damals zeitgemäßeren Veröffentlichungen wie Top Gun oder Miami Vice gestanden, die bewusst mit Videoclip-Ästhetik spielten und so ein großes, junges Publikum ansprachen. Ob allein ein neuer und in den USA populärerer Hauptdarsteller das Franchise wieder „hip“ hätte werden lassen muss doch eher bezweifelt werden, zumal die konventionelle Marketingkampagne des Films diesbezüglich wohl auch nur wenig hilfreich gewesen wäre. Dennoch: der Brosnan-TLD wäre ein Erfolgt gewesen und hätte vermutlich aufgrund des positiven Brosnan-Effekts auf den US-Markt ein höheres Einspiel gebracht als der echte Film mit Dalton. Einen weltweiten Kassenknüller wie bei Brosnans echtem Debüt mit GE würde ich aber aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen ausschliessen wollen.
Aufgrund des großen Erfolges von Filmen wie Die Hard, Lethal Weapon oder auch den Schwarzenegger- und Stallonefilmen ging die Tendenz in den späten 80er Jahren eindeutig in Richtung härtere Action auch im Mainstreambereich. Diese Tendenz wäre wohl auch an einem zweiten Brosnan-Bond nicht gänzlich vorübergegangen. Ob man auch in einem potenziellen Brosnan-LTK in Anbetracht seines bereits damals zementiertem Gentleman-Image aber genau so drastische Szenen wie mit Dalton gedreht hätte bezweifle ich eher. Selbst wenn man die Grundidee mit einem auf eigene Faust agierenden Bond beibehalten hätte wäre es wohl dennoch ein im Ton etwas leichterer Film geworden. Auf seinen Erfolg an der Kinokasse hätte dies aber wohl dennoch keinen entscheidenden Einfluss gehabt, da hier andere Faktoren weit wesentlicherer Natur waren. Setzt man voraus, dass genau wie im „echten Leben“ die Marketingbemühungen des Filmes mehr als kläglich ausgefallen wären, so muss man auch in diesem Szenario von deutlichen Umsatzeinbussen gegenüber dem Vorgängerfilm ausgehen. Auch ein Brosnanbond hätte angesichts der erdrückenden Konkurrenz von Filmen wie Batman, Indy 3, Lethal Weapon 2 und Ghostbusters 2 einen sehr schweren Stand gehabt – nicht umsonst war die direkte Konsequenz daraus künftig der Konkurrenz der großen Sommerblockbuster aus dem Weg zu gehen. Möglicherweise hätte der Film etwas von Brosnans größerer Popularität in den USA profitiert, da die reale Dalton-Variante ja gerade auf diesem Markt unterdurchschnittlich abschnitt. Aber angesichts des großen Verdrängungswettbewerbs in diesem „Jahrhundertsommer“ sehe ich auch hier nur ein überschaubares Potenzial. Meine Einspielprognose für These 2 wäre daher:
TLD: 215 Millionen
LTK: 170 Millionen
So gesehen würde These 2 also insofern stimmen, als dass potenziele Brosnan-Filme tatsächlich mehr Umsatz generiert hätten als ihre Dalton-Pendents. Allerdings wird durch die Zahlen auch deutlich, dass Brosnan einen weit schwereren Stand gehabt hätte, als in den „goldenen“ 90er Jahren (in denen man allerdings einen nicht zu unterschätzenden Anteil des Umsatzes mit deutlich höheren Budgets und Marketingkosten auch wesentlich teurer „eingekauft“ hat).
So jedenfalls meine Einschätzung im Rahmen meiner „alternativen Bondgeschichtsforschung“.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"