AnatolGogol hat geschrieben:Mel führt Regie in einem WWII-Film? Wie grossartig ist das denn!? Na wenn das kein Film für Vaters Sohn ist weiss ich es auch nicht.
Dann möchte ich hier doch noch auch noch meine Eindrücke nachlegen, obwohl ich sie etwas knapper zu halten gedenke. HCN hat eigentlich das meiste schon in Reviewform gut auf den Punkt gebracht und in erster Linie möchte ich seine Kritik unterstreichen, da ich den Grossteil seiner Eindrücke sowieso teile. Nur dass es sich bei Hacksaw um Gibsons vierten Film handelt ist falsch, ein kleiner Blick in die Filmografie sagt mir, dass es sein fünfter ist.
HCN007 hat geschrieben:[„Hacksaw Ridge“ ist ganz großes Kino.
, dem ist eigentlich schon nicht mehr viel hinzuzufügen. Gibson strukturiert seinen Film in zwei Teilen, wobei die erste Hälfte den Weg der Hauptfigur Desmond Doss hin zur Armee verfolgt und seine Motivation, auf seine eigene Weise im Weltkrieg mitzumischen, sowie seine Überzeugung, keine Waffe zu tragen und die damit verbundenen Widerstände auf die er mit diesem Idealismus stösst, gründlich erforscht. Mit am erstaunlichsten an dieser Prämisse ist, wie geschickt Gibsons Inszenierung dramaturgische Stereotypen umschifft, obwohl viele der inhaltlichen Elemente, wie zum Beispiel die raue Kindheit des Protagonisten oder sein "Ausgestossenen-Dasein" in der Kompanie mit Sicherheit keine Innovation darstellen. Gibson gelingt es, diese Geschichte gleichermassen sanftmütig und spannend zu erzählen und sich genügend Zeit für die Entwicklung der Hauptfigur zu nehmen. Überhaupt fokussiert sich der Film sehr konsequent auf seinen Protagonisten, und der ausrangierte Spiderman Andrew Garfield nutzt den ihm zugeteilten Raum optimal und glänzt in einer Rolle, die gleichzeitig integer, konfliktbehaftet und dreidimensional ist. Die Nebenfiguren haben vornehmlich eine dienende Funktion und lenken nie zu sehr von der Hauptrolle ab, dennoch setzt Hacksaw Ridge auch in diesem Bereich einige Highlights, hauptsächlich in Form von Hugo Weaving, der Desmonds Vater verkörpert. Weaving triumphiert förmlich - aber wie bereits angemerkt, ohne das Gleichgewicht der Rollenverteilung zu stören - als strenger, saufender und gebrochener Patriarch und WW1-Veteran, und hat einige darstellerisch unglaublich imposante Szenen auf seiner Seite, gerade wenn er die Verletzlichkeit seiner Figur offenbaren darf.
Zum Beispiel beim Abendessen, als er erfährt dass sein Sohnemann Hal sich zum Kriegsdienst gemeldet hat, oder wenn er sich dann doch dazu entscheidet, Desmond in seinem Vorhaben zu unterstützen und an seiner Seite vor dem Kriegstribunal erscheint.
Eher ungewöhnlich mutet die Besetzung von Komödiant Vince Vaughn als Drill-Sergeant an, eine Besetzung, die entgegen aller Erwartungen aber umso besser funktioniert. Auch hier weichen Gibson (und Vaughn) den gefährlichen Klischees gekonnt aus und schaffen es, dass der Sergeant den ihm zugeteilten Rollentypus des strengen, militärischen Instruktors ausfüllt, ohne zur Karikatur zu werden. Stattdessen liefert die Figur gerade die richtige Prise schwarzen Humor und ergänzt die Handlung wunderbar.
Die zweite Hälfte fokussiert sich dann nahezu ausschliesslich auf die "Combat-Szenen" an der japanischen Kriegsfront und entwickelt damit die Figur des Desmond, der nun seine Wundertaten als Sanitätssoldat vollbringen darf, konsequent weiter. Das geschieht logischerweise nicht ohne eine gehörige Portion an Pathos, aber Gibson vermeidet es, sich durch übermässige Glorifizierung oder Dämonisierung im heiklen Kriegsthema und dessen Stereotypen zu verstricken. Stattdessen bleibt er seinem Protagonisten treu und liefert ehrlichen und gut gemachten Pathos, der im Dienst der narrativen Prämisse steht. Essentieller Bestandteil dieser zweiten Hälfte sind wie gesagt die Schlachtenszenen an der Kriegsfront "Hacksaw Ridge" in Japan, und die sind kurz gesagt sagenhaft und von einer audiovisuellen Intensität, die einen in den Kinosessel drückt. Gibson ist daran interessiert, den Krieg als chaotisches und brutales Gemetzel zu zeigen, setzt an den richtigen Stellen aber auch dramaturgische Variationen und Spannungsbögen, die dem Bilderrausch zusätzliches Gewicht verleihen.
Hacksaw Ridge ist genau der starke Kriegsfilm geworden, den sich die Forengemeinde hier herbeigesehnt hat, und es ist ein Film, an dem Vaters Sohn fürwahr seine Freude haben dürfte. Auszusetzen gibt es lediglich einige Kleinigkeiten, zum Beispiel die gelegentliche Sprunghaftigkeit der Inszenierung in der ersten Hälfte oder dass einige der interessant angerissenen Nebenfiguren irgendwann etwas ins Hintertreffen geraten (was im Kontext der Dramaturgie zwar Sinn ergibt, da sich der zweite Akt eben voll und ganz auf die Fronterlebnisse von Desmond fokussiert, einige Handlungselemente dann aber doch etwas im Nirgendwo verlaufen lässt). Am meisten profitiert Hacksaw Ridge inszenatorisch von seiner emotionalen Intensität, die keineswegs frei von Breitseiten-Pathos ist, diesen aber als emotionales Instrument geschickt einzusetzen weiss, sowie von seinen bildgewaltigen und dramaturgisch effizienten Kriegsszenen und seiner treffend eingesetzten Besetzung. Für mich starke 8,5 Punkte.