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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Robin Hood - König der Diebe
Mit historischer Genauigkeit nimmt es Regisseur Kevin Reynolds in seiner 1991er Filmversion des legendären Robin-Hood-Mythos nicht allzu genau. Doch warum sollte er auch? Wohl jedem Kind sind die Abenteuer der Bande aus dem Sherwood Forest ein Begriff und jeder kennt die Geschichten über Bruder Tuck, Lady Marian, den Sheriff von Nottingham, Little John und dem titelgebenden Bogenschützen, der den Reichen nimmt und den Armen gibt. Und nicht umsonst haben diese Geschichten Jahrhunderte überdauert, transportieren sie doch eben jene Werte und Ideale, nach denen wir uns auch heute noch sehnen. Dementsprechend tat Reynolds alles, um diese Eigenschaften in moderner Form einem heutigen Publikum nahezubringen. Das Ergebnis ist ein bemerkenswerter Abenteuerfilm, den fesselnde Actionszenen, sympathische Charaktere, eine rührende Liebesgeschichte und ganz viel Humor ebenso auszeichnen wie seine perfekte Besetzung.
Ganz hervorragend ist die Art und Weise, wie Reynolds sich der bekannten Geschichte annimmt und sie für sich interpretiert. Selbstverständlich orientiert sich die Regie am klassischen Gut-Böse-Szenario und an einer Gegenüberstellung zwischen der Gier nach Macht und dem heroischen Auflehnen gegen die Unterdrückung die mit dieser einhergeht. Doch mit einem leicht verspielten Touch findet er dabei äußerst geschickt einen gelungenen Mittelweg aus bedrohlichen und düsteren Tönen (besonders die ersten Szenen während des Kreuzzuges in Jerusalem oder spätere Momente im Kerker des königlichen Schlosses zeugen von einer beeindruckend-effizient erzeugten dramaturgischen Schwere) und selbstironischen Einschüben, welche die Erzählung um das nötige Maß an Leichtigkeit bereichern. Dabei ist am bemerkenswertesten, dass trotz einer relativen eindeutigen Figurenaufteilung, die manche Charaktere von vornherein als humoristische Stichwortgeber kennzeichnet, Reynolds ein paar Überraschungen im Petto hat und so selbst unscheinbarere Figuren immer wieder persönliche Momente und zwischenmenschliche Beziehungen zu gesprochen bekommen. So ist "Robin Hood" einer der Filme, der seine (obligatorische) Liebesgeschichte nicht nur dazu benötigt, eine "Jungfrau in Nöten"-Situation zu konstruieren, sondern durch einfache Gesten und rührende Dialoge ganz viel Gefühl zu verkaufen weiß, was nicht zuletzt auch Michael Kamens Score zu verdanken ist, der all jene Eigenschaften des Filmes perfekt zu untermalen weiß.
Authenzität ist letzten Endes das Zauberwort, wenn man einen Film in der Zeit des Mittelalters umsetzt. Und trotz zahlreicher Anachronismen gelingt "Robin Hood" genau dies ohne jeden Zweifel. Imposant sind die überaus aufwendigen Kulissen, schwelgend die breiten Panoramaaufnahmen des mittelalterlichen Englands und dreckig Darsteller und Kostüme. Die faulige Unterkunft einer Hexe wirkt da nicht minder zum anfassen nah wie die dichten Wälder des Sherwood Forest. Als sehr gelungen kann Reynolds Arbeit als Erzähler bezeichnet werden: Trotz einer beachtlichen Länge von 155 Minuten manövrierte er ohne jede Länge durch das Geschehen, hält den Spannungsbogen stets hoch und gleicht den Nachteil des bekannten geschichtlichen Verlaufs doch kreative Ideen aus. Toll ist, wenn die Kamera abgeschossenen Pfeilen folgt oder manche Darsteller oft direkt in die Kamera sprechen und dabei den Zuschauer anstarren, ebenfalls makellos umgesetzt sind sämtliche Stunteinlagen, die selbst im Showdown nie das Maß des Übertriebenen annehmen und so stets den Schein einer halbwegs realistischen Umsetzung wahren. Dennoch herrscht Abwechslung, ob Männer von Pferden fallen, brennend in den Abgrund stürzen, an Seilen von Baum zu Baum schwingen oder sich packende Schwertkämpfe liefern, nie hat man das Gefühl, dass sich die Elemente zu sehr wiederholen und der allzeit zündende Witz lässt den Spaß an den beliebten Abenteuereigenschaften gerade zu entflammen.
Doch ohne die Besetzung wäre dieser "Robin Hood"-Film wohl dennoch nur einer von vielen. Was soll man sagen? Bis in die kleinsten Nebenrollen ist hier jede Casting-Entscheidung goldrichtig gewesen. Allen voran natürlich Kevin Costner, der demonstrativ entspannt und lässig den Rächer der Enterbten gibt, dabei aber dennoch gerade die Entwicklung seines Charakters vom zögernden Impulsiv-Mensch zum verantwortungsbewussten Action-Helden ohne Probleme aufzeigt. An seiner Seite begeistert besonders Morgan Freeman als muslimischer Sidekick Azeem, der für die meisten lustigen Momente verantwortlich ist und schnell zum größten Sympathieträger gibt, jedoch auch die notwendige religiöse Aura auf hohem Niveau nach außen präsentiert. Michael McShane, Christian Slater (dessen Figur für einen besonders interessanten Twist sorgt) und Nicholas Brimble sind als Gefährten der Sherwood-Bande eine ungemein sympathische Truppe und Mary Elizabeth Mastrantonio ist als Lady Marian gleichermaßen entzückend wie überraschend schlagfertig. Doch die größte Sensation ist Alan Rickman als psychopathischer Sheriff von Nottingham, der dermaßen einvernehmend auftritt, dass er seinen legendären "Die Hard"-Antagonisten Hans Gruber fast in Vergessenheit geraten lässt. Alles an seinem Spiel ist exzentrisch, spektakulär und eine ganz ganz eigene Interpretation des berühmten Robin Hood Fieslings, die im Vorbeigehen schon mal aus einer Laune heraus das Weihnachtsfest abzusagen befiehlt und für sich genommen eine zweite Sichtung des "Königs der Diebe" wert ist. Und am Ende gibt sich dann ein Schauspieler sogar noch die (königliche) Ehre zu einem ganz besonderem Gastauftritt... doch um wen es sich handelt, soll hier natürlich nicht verraten werden.
Fazit: Das Überliefern eines allzu klassischischen Materials in ein modernes Zeitalter hätte im Falle Robin Hoods kaum spaßiger ausfallen können und schöpft aus den Vollen, die das Unterhaltungskino zu bieten hat. Die Männer im Saal träumen davon, den Bösewicht in die Flucht zu schlagen und die schöne Marian zu küssen, die Frauen sehnen sich nach echten Kerlen, welche sie in ihren starken Armen halten und die Kinder fürchten sich vor dem diabolischen Sheriff und lachen über die Scherze des mutigen Azeems. Mehr Abenteuer geht nicht!
9/10
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Let the sheep out, kid.