Re: Zuletzt gesehener Film
Verfasst: 9. Juni 2015 08:57
Kind 44 (2015) – Daniel Espinosa
Kind 44 ist eine Bestsellerverfilmung, deren literarische Vorlage von Tom Rob Smith auf den berüchtigten Chikatilo-Massenmorden in der ehemaligen Sowjetunion basiert. Die hauptsächlich in den 80ern verübten Morde wurden vom Sowjetregime lange Zeit aus ideologischen Gründen ignoriert, da Mord und insbesondere Massenmord als typisch westliches Phänomen betrachtet wurde und man daher nicht zugeben konnte was nicht sein durfte. Genau dieser Punkt ist dann auch der zentrale Aspekt des Films (welcher die Mordserie in die stalinistische Ära der frühen 50er Jahre versetzt), da die von Tom Hardy gespielte Hauptfigur eines Polizisten dadurch immer wieder in Konflikt zwischen Moral und Regime gerät.
Ein Thriller ist Kind 44 trotz des zugrundeliegenden Themas jedoch nie wirklich, da die Massenmorde lediglich als roter Faden dienen, an denen sich die Entwicklung der Hauptfiguren entlang hangelt. Als Charakterdrama taugt der Film aber auch nur sehr bedingt, da dafür die Figuren allesamt zu blass bleiben und es Drehbuch und Inszenierung obendrein nie gelingt, das Publikum wirklich Anteil an der Malaisse der Hauptfiguren nehmen zu lassen. Stattdessen wird der Film nicht müde mit permament mahnendem Zeigefinger an die Schrecken der Stalinzeit zu erinnern, welche letztlich auch die beiden Hauptfiguren – Hardys Polizist und seine von Noomi Rapace gespielte Frau – am eigenen Leib zu spüren bekommen. Die grobkörnig in düsteren Brauntönen festgehaltene Tristesse der 50er Jahre Sowjetunion erweist sich dabei zu Beginn als äusserst effektiv, um eine bedrohliche und ausweglose Grundstimmung zu etablieren, nutzt sich aber leider im Verlauf des Filmes mehr und mehr ab. Hinzu kommt das Problem, dass Handlung und Figurenentwicklung oftmals einfach unglaubwürdig sind, so dreht sich die Beziehung der Eheleute Hardy/Rapace erst komplett, nur um dann nochmal eine 180 Grad-Drehung hinzulegen; – die ganze Beziehung der beiden wirkt einfach nur konstruiert. Nachdem die erste Hälfte des Films sich in erster Linie mit dem sozialen Niedergang der Haupftiguren beschäftigt, nimmt in der zweiten Hälfte dann die Mördersuche einen etwas größeren Teil ein, bleibt aber dennoch immer nur ein Randaspekt. Schade, denn gerade dies hätte dem faden Film wenigstens etwas Spannung verleihen können, aber so gibt es nur eine wiederum unglaubwürdige, weil sprunghaft-verkürzte Kurzermittlung durch Hardy/Rapace im Stile eines Hobbydetektiv-Pärchens .
Der Film hat drei kleinere Actionszenen, allesamt Kampfszenen, bei welchen die Inszenierung offensichtlich einen neuen „Unübersichtlichkeits“-Rekord in Punkto „Wackelkamera“ aufstellen will. Nicht nur, dass diese Stilistik einen kompletten Bruch zur ansonsten sehr ruhigen und konventionellen Kameraarbeit des Films darstellt, die wilden und scheinbar (?) unkontrollierten Kamerabewegungen lassen selbst die Actionszenen in diesbezüglichen Vorreitern wie den Bournes oder QOS geradezu statisch wirken. Die Intention der Regie dabei ist klar: machen wir den Film dynamisch, jetzt wird’s gefährlich, in einem wilden Kampf geht´s unübersichtlich zu – funktioniert hat es für mich trotzdem nicht. Ansonsten bleibt nicht viel Gutes zu berichten, Hauptdarsteller Tom Hardy ist als sowjetischer Polizist wirklich komplett fehlbesetzt und wirkt den ganzen Film über deplaziert. Seine Wirkung wird auch nicht gerade dadurch besser, dass aufgrund seiner übermäßig bulligen Statur die unvorteilhaft geschneiderte Sowjetuniform ausschaut, als ob sie beim Waschen eingegangen und nun mindestens zwei Nummern zu klein ist (kleiner Tipp am Rande: man kann für eine entsprechende Rolle auch mal ein paar Pfund abnehmen und muss nicht in jedem Film immer rumrennen wie King Schinken). Rapace ist solide, aber ihre Rolle ist trotz des immensen Aufwands, den Drehbuch und Inszenierung den Hauptfiguren widmen, höchstens anderthalbdimensional und ihre Entwicklung oftmals unglaubwürdig. Oldman hat eine gute Szene, wird ansonsten aber komplett verschenkt – was in noch verstärktem Maße auch für Vincent Cassel gilt. Die Hintergründe und Motive des Mörders werden – obwohl die Grundidee einer der zentralen Aspekte des Films ist – so gut wie gar nicht behandelt, sein Abgang ist geradezu lachhaft, genau wie das anschliessende „große Finale“ zwischen Hardy und seinem Antagonisten – man halte sich fest: seinem neidischen, „bösen“ Arbeitskollegen (kein Spoiler, sondern traurigerweise ein sich platt durch den ganzen Film schleppender „Konflikt“).
Am besten funktioniert Kind 44 noch als eine Art Sozialstudie der stalinistischen Zeit, aber auch dafür ist vieles einfach zu plakativ und komprimiert. Als Charakterdrama entbehrt der Film interessanter Figuren und glaubhafter Beziehungen, als Thriller widmet er sich der Mördergeschichte viel zu halbherzig und spannungslos. Am härtesten trifft Kind 44 aber die bleierne Inszenierung, die den deutlich über zwei Stunden dauernden Film gefühlt doppelt so lange wirken lässt.
Wertung: 3,5 / 10
Kind 44 ist eine Bestsellerverfilmung, deren literarische Vorlage von Tom Rob Smith auf den berüchtigten Chikatilo-Massenmorden in der ehemaligen Sowjetunion basiert. Die hauptsächlich in den 80ern verübten Morde wurden vom Sowjetregime lange Zeit aus ideologischen Gründen ignoriert, da Mord und insbesondere Massenmord als typisch westliches Phänomen betrachtet wurde und man daher nicht zugeben konnte was nicht sein durfte. Genau dieser Punkt ist dann auch der zentrale Aspekt des Films (welcher die Mordserie in die stalinistische Ära der frühen 50er Jahre versetzt), da die von Tom Hardy gespielte Hauptfigur eines Polizisten dadurch immer wieder in Konflikt zwischen Moral und Regime gerät.
Ein Thriller ist Kind 44 trotz des zugrundeliegenden Themas jedoch nie wirklich, da die Massenmorde lediglich als roter Faden dienen, an denen sich die Entwicklung der Hauptfiguren entlang hangelt. Als Charakterdrama taugt der Film aber auch nur sehr bedingt, da dafür die Figuren allesamt zu blass bleiben und es Drehbuch und Inszenierung obendrein nie gelingt, das Publikum wirklich Anteil an der Malaisse der Hauptfiguren nehmen zu lassen. Stattdessen wird der Film nicht müde mit permament mahnendem Zeigefinger an die Schrecken der Stalinzeit zu erinnern, welche letztlich auch die beiden Hauptfiguren – Hardys Polizist und seine von Noomi Rapace gespielte Frau – am eigenen Leib zu spüren bekommen. Die grobkörnig in düsteren Brauntönen festgehaltene Tristesse der 50er Jahre Sowjetunion erweist sich dabei zu Beginn als äusserst effektiv, um eine bedrohliche und ausweglose Grundstimmung zu etablieren, nutzt sich aber leider im Verlauf des Filmes mehr und mehr ab. Hinzu kommt das Problem, dass Handlung und Figurenentwicklung oftmals einfach unglaubwürdig sind, so dreht sich die Beziehung der Eheleute Hardy/Rapace erst komplett, nur um dann nochmal eine 180 Grad-Drehung hinzulegen;
Spoiler
vermeintliche Liebe wandelt sich in Abscheu und dann wieder in Bewunderung
Spoiler
(„Mensch, viele der Morde sind aber in der Nähe von Rostow!“ „Stimmt, der Mörder arbeitet bestimmt in der dortigen Traktorenfabrik!“ „Komm, wir gehen mal schnell hin und fragen den Vormann, wer der Mörder ist“ – zugegebenermaßen in meiner Wiedergabe etwas ironisiert, aber im Kern spielt sich die Mördersuche genau so ab)
Der Film hat drei kleinere Actionszenen, allesamt Kampfszenen, bei welchen die Inszenierung offensichtlich einen neuen „Unübersichtlichkeits“-Rekord in Punkto „Wackelkamera“ aufstellen will. Nicht nur, dass diese Stilistik einen kompletten Bruch zur ansonsten sehr ruhigen und konventionellen Kameraarbeit des Films darstellt, die wilden und scheinbar (?) unkontrollierten Kamerabewegungen lassen selbst die Actionszenen in diesbezüglichen Vorreitern wie den Bournes oder QOS geradezu statisch wirken. Die Intention der Regie dabei ist klar: machen wir den Film dynamisch, jetzt wird’s gefährlich, in einem wilden Kampf geht´s unübersichtlich zu – funktioniert hat es für mich trotzdem nicht. Ansonsten bleibt nicht viel Gutes zu berichten, Hauptdarsteller Tom Hardy ist als sowjetischer Polizist wirklich komplett fehlbesetzt und wirkt den ganzen Film über deplaziert. Seine Wirkung wird auch nicht gerade dadurch besser, dass aufgrund seiner übermäßig bulligen Statur die unvorteilhaft geschneiderte Sowjetuniform ausschaut, als ob sie beim Waschen eingegangen und nun mindestens zwei Nummern zu klein ist (kleiner Tipp am Rande: man kann für eine entsprechende Rolle auch mal ein paar Pfund abnehmen und muss nicht in jedem Film immer rumrennen wie King Schinken). Rapace ist solide, aber ihre Rolle ist trotz des immensen Aufwands, den Drehbuch und Inszenierung den Hauptfiguren widmen, höchstens anderthalbdimensional und ihre Entwicklung oftmals unglaubwürdig. Oldman hat eine gute Szene, wird ansonsten aber komplett verschenkt – was in noch verstärktem Maße auch für Vincent Cassel gilt. Die Hintergründe und Motive des Mörders werden – obwohl die Grundidee einer der zentralen Aspekte des Films ist
Spoiler
(Kindheitstrauma aufgrund der durch Stalins Politik verursachten Hungersnot in den 30ern)
Am besten funktioniert Kind 44 noch als eine Art Sozialstudie der stalinistischen Zeit, aber auch dafür ist vieles einfach zu plakativ und komprimiert. Als Charakterdrama entbehrt der Film interessanter Figuren und glaubhafter Beziehungen, als Thriller widmet er sich der Mördergeschichte viel zu halbherzig und spannungslos. Am härtesten trifft Kind 44 aber die bleierne Inszenierung, die den deutlich über zwei Stunden dauernden Film gefühlt doppelt so lange wirken lässt.
Wertung: 3,5 / 10