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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Erbarmungslos
Manchmal ist der Originaltitel eines Films zutreffender als sein deutsches Pendant. „Erbarmungslos“, so heißt der Western, mit dem Clint Eastwood sich 1992 vom Genre verabschiedete, durch welches er zur Ikone wurde. „Erbarmungslos“, das ist ein Charakterzug, der auf viele Charaktere von Clint Eastwood zutrifft, auf seinen Poncho-tragenden Italowestern-Helden aus der „Dollar-Trilogie“ von Sergio Leone oder auf „Dirty Harry“, den abgebrühten Cop aus San Francisco, den er 1971 erstmals unter der Regie von Don Siegel verkörpert. Am Schluss von „Erbarmungslos“ ist ein Grabstein zu sehen, darunter wird eine Widmung eingeblendet: „Für Sergio und Don.“ In Ehren an seine Lehrmeister endet Eastwood, sein Film steht aber als Beweis dafür, was ihn als Filmemacher von seinen Vorbildern unterscheidet. „Erbarmungslos“ waren die Eastwood-Helden von Leone und Siegel, seinen eigenen Protagonisten umschreibt der englische Originaltitel besser: „Unforgiven“, also „Unverziehen“.
William Munny ist der Charakter, den Clint Eastwood für seinen letzten Western-Auftritt wählt. Er ist ein Pistolero vergangener Tage. Einst ein Postkutschendieb und Mörder haben ihn die Liebe weich und die Zeit alt werden lassen. Verwitwet lebt er als Schweinefarmer mit seinen Kindern in einer Zeit, als der Westen langsam die Gestalt einer Zivilisation annahm. Ein junger Reiter klopft an seine Tür, er kennt Munny nur aus Legenden. Er will sich einen Namen machen, und hat ihn bereits eigenmächtig ausgesucht: Scofield Kid. Munny soll ihn in die Kleinstadt Big Whiskey begleiten, um dort 1000 Dollar zu verdienen. Prostituierte haben ein Kopfgeld auf zwei Cowboys ausgesetzt, die einer von ihnen das Gesicht zerschnitten haben. Da seine Schweinezucht finanziell vor dem Ende steht, willigt Munny ein.
Doch Munny trifft bei Schießübungen selbst einfachste Ziele nicht. Auf sein Pferd kann der armselige, greise Mann nur mit viel Mühe steigen. Einen ehemaligen Partner, Ned Logan, bittet er darum, hin und wieder nach seinen Kindern zu sehen. Der hat so viel Mitleid mit ihm, dass er sich dem Recken anschließt. Gemeinsam reiten sie, Clint Eastwood und Morgan Freeman, der den Ned Logan spielt, Seite an Seite im Licht des Sonnenuntergangs, übernachten am Lagerfeuer, erschließen in fantastischen Landschaftsaufnahmen das unbefleckte Amerika. Doch die Westernklischees haben ihren Glanz verloren: Über das Töten spricht Ned wie ein traumatisierter Heimkehrer aus einem bitteren Krieg, Munny kann sich an seine Ruhmestage kaum erinnern. Er war die meiste Zeit betrunken, in seinen Träumen verfolgen ihn seine vielen sinnlosen Opfer. Als Mann ist er nicht länger aktiv, aus Treue zu seiner verstorbenen Frau masturbiert er nicht einmal mehr.
Schnell wird klar, was Munny sich wirklich von seinem Trip erhofft: Vergebung, Absolution von seinen Gräueltaten. Seine Frau liebte ihn, obwohl er ein kaltherziger, ruchloser Mörder gewesen ist. Sie sah etwas in ihm, dass sie lieben konnte. Munny versucht, diesen Mann zu finden, der er in den Augen seiner Frau war. Er hat sich, um mit dem Begriff des Originaltitels zu sprechen, seine Historie des Tötens nie verziehen. Das Töten, bzw. die Nachwehen des Tötens stehen im Zentrum dieses brillanten Films, der zum allerbesten gehört, was in den 1990ern in den Lichtspielhäusern zu sehen war. Eastwood gelingt in „Erbarmungslos“ die vollständige Dekonstruktion seines Leinwandimages als cooler Held mit dem lockeren Colt, aber ihm gelingt auch die Demontage eines Genres. Das Drehbuch des „Blade Runner“-Autoren David Webb Peoples ist eine in ihrer Essenz zutiefst verstörende Tragödie: Es ist die Geschichte eines Mörders, der seinem Wesen entkommen will, aber sich damit nur selbst verleugnet. Er ist dazu verdammt, ein Mörder zu sein, verdient es vielleicht nicht besser.
„Erbarmungslos“ ist einer der finstersten Filme, die das Westerngenre hervorgebracht hat. Kameramann Jack N. Green taucht nahezu alle Bilder fast vollständig in Schwarz, die Musik von Lennie Niehaus erklingt nur in wenigen Szenen. Ein einziges Mal gibt es etwas Licht, wird es kurz humorvoll. Da sitzt ein Brite, formidabel gespielt von Richard Harris, in einem Zug, nebst seinem Biographen, und fabuliert über die Vorzüge der Monarchie. Vor einem König habe man zu viel Ehrfurcht, um ihn zu töten. Einen Präsidenten lässt es sich hingegen leicht ermorden. Der Gentleman ist English Bob, ein Held des Wilden Westens, der selbst am Kopfgeld der Huren interessiert ist. Sein Biograph schreibt über dessen Abenteuer Pulp-Literatur, zum Beispiel über English Bobs Aufeinandertreffen mit Two Gun Corcoran, den er im Duell erlegte. Wie der Autor später erfährt, ist das jedoch alles gelogen: Bob war damals in Wahrheit sturzbesoffen, konnte seinen Gegner nur dank dessen Ladehemmung töten. Die Moral: Die alten Mythen des Westens sind verlogene Träume. Die Helden hat es nie gegeben.
Der Western ist der Heimatfilm der Vereinigten Staaten. Die besten Filme des Genres behandeln die amerikanische Identität, den Kampf alttestamentarischer Gebärden gegen das aufkeimende Korsett der Zivilisation und des Kapitalismus. Schonungslos zeigt dieser Spätwestern den hässlichen Kern des Frontiermythos. Verkörpert wird das im Antagonisten des Films: Little Bill, dem Sheriff von Big Whiskey. Er will verhindern, dass Kopfgeldjäger in seiner Start Jagd auf die Nutten-Schlitzer machen – und verbietet Schusswaffen in der Stadt. Nur er als Repräsentant des Gesetzes darf noch einen Revolver tragen. In diesem Plot liegt weitaus mehr verborgen als die Skepsis des bekennenden Republikaners Clint Eastwood über Waffenverbote und Gewaltmonopole. 1992 erschien „Erbarmungslos“ kurz nach dem Golfkrieg von George Bush – und das Gebaren der selbsternannten Weltpolizei USA entpuppt sich urplötzlich als Erbe des Wilden Westen.
Little Bill ist eine der faszinierendsten Figuren, die das postmoderne Kino hervorgebracht hat. Auch er ist ein ehemaliger Kopfgeldjäger wie William Munny, doch auf der Seite des Gesetzes kann er durch Gesetze geschützt weitermorden. Zwei Männer prügelt er fast tot, um den Frieden der Stadt zu wahren. Wie Munny träumt er von einem Leben ohne Gewalt: In der Natur zimmert er sich eine erbärmliche, schief geratene Hütte, über die ganz Big Whiskey lacht. Gene Hackman gewann für seine Darstellung von Little Bill den Oscar und trumpft einmalig gut auf: Fast eingeschnappt wirkt er, als jemand seine Fähigkeiten als Tischler kritisiert, überzeugt gibt er den „Herrscher“ über die Stadt. In einer erschütternden Szene wird er gar zur dämonischen Verkörperung des korrumpierten Rechts: Mit einer Peitsche misshandelt er den Charakter von Morgan Freeman, und wie diese unerträgliche Szene durch die Gitterstäbe einer Gefängniszelle gefilmt wird, weckt Assoziationen an die Ära des Ku-Klux-Klans. Vor dem Hintergrund der Unruhen in Los Angeles 1992, als weiße Polizisten mit der Misshandlung des Afroamerikaners Rodney King ungeschoren davonkamen, gelingt Eastwood ein unter die Haut gehendes Exempel für filmischen Revisionismus.
Sein Meisterwerk ist ein Film voll brutaler Ruhe, in der das Akt des Tötens existenziell wirkt. Als das zentrale Trio einen der zwei Cowboys tödlich verwundet, sitzen sie alle in ihrer Deckung und hören dem schreienden Opfer beim Aushauchen seines Lebens zu. Als Scofield Kid schließlich zum ersten Mal selbst tötet, wird er damit nicht fertig – und greift zum Alkohol. Big Whiskey, der Name des Kaffs, in dem ein Großteil des Plots spielt, ist nicht zufällig gewählt. In „Erbarmungslos“ trinken die Männer, um morden zu können – und trinken, um ihre Taten zu verarbeiten. Den ganzen Film über entsagt Munny dem Alkohol, doch als er Kid schließlich die Flasche ab- und einen großen Schluck nimmt, weiß der Zuschauer auch dank der perfektionierten spartanischen Mimik des ikonischen Darstellers Clint Eastwood: Der Rausch des Tötens hat wieder von ihm Besitz ergriffen. Er hat sein inneres Monster akzeptiert.
Ironischerweise hat der Ausnahme-Künstler Eastwood mit diesem entmythologisierenden Western seinen eigenen Mythos genährt: Als Schauspieler, Regisseur und Produzent schuf er ein famoses, reflektiertes und melancholisches Epos, entkam mit einem Film über Männer, die ihrer Vergangenheit nicht entkommen, seiner Vergangenheit als coolster Gunslinger des Kinos. Das obligatorische finale Duell von „Erbarmungslos“ hat nichts Erbauendes. William Munny rettet nicht bei tiefhängender Sonne die Schwachen vor den Starken, auch seine Rache für den getöteten Ned ist nur faule Ausrede: Er richtet im strömenden Regen ein Massaker an Little Bill und dessen Deputys an. Dann kehrte er ganz wie Clint Eastwood dem Western den Rücken zu, und zieht mit seinen Kindern nach San Francisco. Doch sein Film entlarvt auch diese Flucht als scheinheilig. Erst als Munny zum Schluss wieder der Massenmörder vergangener Tage geworden ist, lässt Eastwood zynisch im Hintergrund die US-Flagge wehen. Denn – so die Kernaussage seines Films – wie sehr sich die USA auch anstrengen, ihre Historie zu verdrängen, bleibt sie dennoch unverziehen, bzw.: Unforgiven.
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Let the sheep out, kid.