Re: Zuletzt gesehener Film
Verfasst: 9. Januar 2015 20:21
Don Jon
Manchmal findet man, fernab von den großen Action-Blockbustern und den romantischen Komödien, in kleinen und unscheinbaren Filmen plötzlich und unverhofft wichtige und relevante Inhalte. "Don Jon", das Regiedebüt von Joseph Gordon-Levitt, der sich hiermit auch als Drehbuchautor und Hauptdarsteller präsentiert, ist ein solcher Film. Die Handlung klingt erstmal nicht sonderlich innovativ: Jon Martello, charismatischer Frauenaufreißer, langweilt sich bei echtem Sex und kommt nur bei pornografischen Videos so richtig in Fahrt. Er trifft zwei Frauen, gespielt von (der unter anderem aus "The Island - Die Insel" bekannten) Scarlett Johansson und Julianne Moore, die sein Leben maßgeblich verändern wollen. Eigentlich die ideale Voraussetzung für platte Kalauer und billige Sprüche. Doch was Gordon-Levitt sich hier einfallen lässt, ist nicht einfach nur die nächste Komödie zum Thema Pornografie, sondern auch ein beeindruckendes Psychogramm, gespickt mit unwahrscheinlicher bissiger Gesellschaftskritik.
Die erste große Überraschung: der Begriff "Porno" ist in "Don Jon" keinesfalls negativ besetzt. Viel mehr bekommt es eine gewisse Ästhetik, wenn die Regie nahezu mit euphorischer Begeisterung in Montagen die Ausschnitte aus den Pornos mit dem gebannten Gesicht Gordon-Levitts aufflackern lässt und dabei immer schneller wird, bis das Tempo dem Ejakulationsrhythmus Martellos gleichkommt. Mit enormer Präzision wird dem Zuschauer hier vor Augen geführt, wie unpersönlich und animalisch dieser Prozess vonstatten geht und wie sich das fleischliche Element einer Beziehung plötzlich nur noch durch Bilder herstellen lässt, ohne seine Wirkung zu verfehlen. Dass den Protagonisten echter Sex langweilt und er nur in der Masturbation (und auch nur zu Pornos) seine wirkliche Befriedigung findet, ist nicht nur eine Analogie zur immer "unpersönlicheren neuen Generation" des 21. Jahrhunderts, sondern beinhaltet sogar eine gewisse Komik, wenn genau dieser Mann von seiner Selbstbefriedigung Woche um Woche dem Pastor in der Kirche beichtet. Überhaupt entpuppt sich dabei ein grandioser Einfall der Regie, denn immer und immer wieder wiederholt Gordon-Levitt die selben Einstellungen, Szenenabfolgen, Montagen und macht ganz deutlich zu erkennen, dass der Protagonist ein absolut geregeltes Leben führt. Auto fahren - Kirche - Essen mit den Eltern - Fitnessstudio - Disco - Frau aufreißen - Sex - Porno gucken - Schlafen. Und daran kann vorerst auch niemand etwas ändern.
Doch nach und nach brechen diese festgefahrenen Muster langsam auf, nämlich stets dann, wenn eine Frau ins Spiel kommt. Als erste gibt sich Scarlett Johansson die Ehre, die mit ihrem sinnlichen und erotischen Spiel erst nur das Objekt der Begierde darstellt (Jons Freunde beurteilen sie optisch auf einer Skala von 1-10 als eine 10), später aber immer mehr Charaktereigenschaften zeigt. Als fest im Leben stehende Frau inszeniert, verleiht Gordon-Levitt ihr die Aura des verführerischen, löst diese aber auf, sobald der erste Sex geschehen ist und sie auch für den Protagonisten plötzlich langweiliger zu werden scheint. Später stellt er sie sogar als die Verkörperung der Moral und Verurteilung dar, die dem vermeintlichen Don Juan klar macht, wie widerlich sein Verhalten eigentlich ist. Es ist sehr dünnes Eis, auf dem der Film sich hier bewegt. Schnell könnte das ganze Geschehen lächerlich oder absurd, sogar anstößig wirken, doch weder wird der pädagogische Zeigefinger erhoben, noch kann man Johansson und Gordon-Levitt ihre ausgezeichnete Chemie absprechen. Die beiden stehlen sich gegenseitig ein ums andere Mal die Schau und stehen zurecht lange alleine im Fokus. Wichtiger ist aber, dass die Symbolik und die Aussagen keinesfalls plakativ übermittelt werden oder zu verschachtelt daherkommen, sondern der gesamte Prozess ein spielerischer, aber noch viel wichtiger selbstironischer Akt ist, dem der Zuschauer mit allergrößtem Interesse folgt.
Dieses Interesse ebbt auch dann nicht ab, wenn die dritte Hauptfigur und damit Julianne Moore auf der Bildfläche auftaucht. Dass sie grandios spielt, ist bei einer derart gestandenen Schauspielerin ja zu erwarten. Dennoch glaubt man anfangs nicht so recht daran, wie sie in das Konzept des Filmes passen soll. Doch wenn sie dann wirklich zum wichtigen Teil von Jons Leben wird, ergibt alles einen Sinn und die Geschichte spielt ihre größte Stärke aus. Denn natürlich muss es am Ende eine Form von Wandlung geben. Diese fällt allerdings komplett anders aus, als man es sich vorab hätte denken können. "Don Jon" ließ sich bereits vorher keinem echten Genre zuordnen, für eine Komödie zu wenig auf Humor fokussiert, für ein Drama zu locker im Erzählton. Das zahlt sich hier schließlich aus, denn genau diese fehlende Orientierung an irgendwelchen Vorbildern macht es schwer, zu erahnen, wohin die Reise geht. Toll ist, wie Gordon-Levitt auch am Ende noch mit großen Ideen aufwarten kann. Etwa, wenn er plötzlich Sexszenen genauso schneidet wie die anfänglichen Masturbationen und zeigt, dass fleischliches Miteinander eben nichts anderes ist, aber lebendiger sein kann. Auch gelungen, dass viele Handlungsbögen am Ende nicht richtig abgeschlossen werden, allerdings mit einem gewissen Ausblick enden, sodass der Zuschauer sich selbst Gedanken machen kann, wie die Reise weiter gehen könnte.
Fazit: "Don Jon" hat Witz, "Don Jon" hat Handlung, aber viel wichtiger: "Don Jon" hat Sex. Filmischen Sex. Eigentlich ist alles, was Gordon-Levitt zeigt ein Lustspiel in Bildern, ohne sich billigen Trieben hinzugeben. Tatsächlich ist mit diesem kleinen Independent-Streifen ein sehr seltener Glücksfall gelungen. Ein Film, der intelligent ist, sich selbst aber nicht zu ernst nimmt, von Sex handelt, aber diesen nicht einfach nur billig abfilmt, ein kontroverses Thema beinhaltet und es als so gewöhnlich begreift, dass es gar nicht mehr allzu kontrovers wirkt. Dazu kommen eine grandiose Besetzung und ein Spiel mit den Sehgewohnheiten und Konventionen moderner Filme, gewürzt mit knackiger Gesellschafts- und Generationssatire. "Don Jon" hat genau das, was Jon Martello bei seinen sexuellen Abenteuern zu fehlen scheint: eine Seele. Prädikat: Großartig!
9/10
Manchmal findet man, fernab von den großen Action-Blockbustern und den romantischen Komödien, in kleinen und unscheinbaren Filmen plötzlich und unverhofft wichtige und relevante Inhalte. "Don Jon", das Regiedebüt von Joseph Gordon-Levitt, der sich hiermit auch als Drehbuchautor und Hauptdarsteller präsentiert, ist ein solcher Film. Die Handlung klingt erstmal nicht sonderlich innovativ: Jon Martello, charismatischer Frauenaufreißer, langweilt sich bei echtem Sex und kommt nur bei pornografischen Videos so richtig in Fahrt. Er trifft zwei Frauen, gespielt von (der unter anderem aus "The Island - Die Insel" bekannten) Scarlett Johansson und Julianne Moore, die sein Leben maßgeblich verändern wollen. Eigentlich die ideale Voraussetzung für platte Kalauer und billige Sprüche. Doch was Gordon-Levitt sich hier einfallen lässt, ist nicht einfach nur die nächste Komödie zum Thema Pornografie, sondern auch ein beeindruckendes Psychogramm, gespickt mit unwahrscheinlicher bissiger Gesellschaftskritik.
Die erste große Überraschung: der Begriff "Porno" ist in "Don Jon" keinesfalls negativ besetzt. Viel mehr bekommt es eine gewisse Ästhetik, wenn die Regie nahezu mit euphorischer Begeisterung in Montagen die Ausschnitte aus den Pornos mit dem gebannten Gesicht Gordon-Levitts aufflackern lässt und dabei immer schneller wird, bis das Tempo dem Ejakulationsrhythmus Martellos gleichkommt. Mit enormer Präzision wird dem Zuschauer hier vor Augen geführt, wie unpersönlich und animalisch dieser Prozess vonstatten geht und wie sich das fleischliche Element einer Beziehung plötzlich nur noch durch Bilder herstellen lässt, ohne seine Wirkung zu verfehlen. Dass den Protagonisten echter Sex langweilt und er nur in der Masturbation (und auch nur zu Pornos) seine wirkliche Befriedigung findet, ist nicht nur eine Analogie zur immer "unpersönlicheren neuen Generation" des 21. Jahrhunderts, sondern beinhaltet sogar eine gewisse Komik, wenn genau dieser Mann von seiner Selbstbefriedigung Woche um Woche dem Pastor in der Kirche beichtet. Überhaupt entpuppt sich dabei ein grandioser Einfall der Regie, denn immer und immer wieder wiederholt Gordon-Levitt die selben Einstellungen, Szenenabfolgen, Montagen und macht ganz deutlich zu erkennen, dass der Protagonist ein absolut geregeltes Leben führt. Auto fahren - Kirche - Essen mit den Eltern - Fitnessstudio - Disco - Frau aufreißen - Sex - Porno gucken - Schlafen. Und daran kann vorerst auch niemand etwas ändern.
Doch nach und nach brechen diese festgefahrenen Muster langsam auf, nämlich stets dann, wenn eine Frau ins Spiel kommt. Als erste gibt sich Scarlett Johansson die Ehre, die mit ihrem sinnlichen und erotischen Spiel erst nur das Objekt der Begierde darstellt (Jons Freunde beurteilen sie optisch auf einer Skala von 1-10 als eine 10), später aber immer mehr Charaktereigenschaften zeigt. Als fest im Leben stehende Frau inszeniert, verleiht Gordon-Levitt ihr die Aura des verführerischen, löst diese aber auf, sobald der erste Sex geschehen ist und sie auch für den Protagonisten plötzlich langweiliger zu werden scheint. Später stellt er sie sogar als die Verkörperung der Moral und Verurteilung dar, die dem vermeintlichen Don Juan klar macht, wie widerlich sein Verhalten eigentlich ist. Es ist sehr dünnes Eis, auf dem der Film sich hier bewegt. Schnell könnte das ganze Geschehen lächerlich oder absurd, sogar anstößig wirken, doch weder wird der pädagogische Zeigefinger erhoben, noch kann man Johansson und Gordon-Levitt ihre ausgezeichnete Chemie absprechen. Die beiden stehlen sich gegenseitig ein ums andere Mal die Schau und stehen zurecht lange alleine im Fokus. Wichtiger ist aber, dass die Symbolik und die Aussagen keinesfalls plakativ übermittelt werden oder zu verschachtelt daherkommen, sondern der gesamte Prozess ein spielerischer, aber noch viel wichtiger selbstironischer Akt ist, dem der Zuschauer mit allergrößtem Interesse folgt.
Dieses Interesse ebbt auch dann nicht ab, wenn die dritte Hauptfigur und damit Julianne Moore auf der Bildfläche auftaucht. Dass sie grandios spielt, ist bei einer derart gestandenen Schauspielerin ja zu erwarten. Dennoch glaubt man anfangs nicht so recht daran, wie sie in das Konzept des Filmes passen soll. Doch wenn sie dann wirklich zum wichtigen Teil von Jons Leben wird, ergibt alles einen Sinn und die Geschichte spielt ihre größte Stärke aus. Denn natürlich muss es am Ende eine Form von Wandlung geben. Diese fällt allerdings komplett anders aus, als man es sich vorab hätte denken können. "Don Jon" ließ sich bereits vorher keinem echten Genre zuordnen, für eine Komödie zu wenig auf Humor fokussiert, für ein Drama zu locker im Erzählton. Das zahlt sich hier schließlich aus, denn genau diese fehlende Orientierung an irgendwelchen Vorbildern macht es schwer, zu erahnen, wohin die Reise geht. Toll ist, wie Gordon-Levitt auch am Ende noch mit großen Ideen aufwarten kann. Etwa, wenn er plötzlich Sexszenen genauso schneidet wie die anfänglichen Masturbationen und zeigt, dass fleischliches Miteinander eben nichts anderes ist, aber lebendiger sein kann. Auch gelungen, dass viele Handlungsbögen am Ende nicht richtig abgeschlossen werden, allerdings mit einem gewissen Ausblick enden, sodass der Zuschauer sich selbst Gedanken machen kann, wie die Reise weiter gehen könnte.
Fazit: "Don Jon" hat Witz, "Don Jon" hat Handlung, aber viel wichtiger: "Don Jon" hat Sex. Filmischen Sex. Eigentlich ist alles, was Gordon-Levitt zeigt ein Lustspiel in Bildern, ohne sich billigen Trieben hinzugeben. Tatsächlich ist mit diesem kleinen Independent-Streifen ein sehr seltener Glücksfall gelungen. Ein Film, der intelligent ist, sich selbst aber nicht zu ernst nimmt, von Sex handelt, aber diesen nicht einfach nur billig abfilmt, ein kontroverses Thema beinhaltet und es als so gewöhnlich begreift, dass es gar nicht mehr allzu kontrovers wirkt. Dazu kommen eine grandiose Besetzung und ein Spiel mit den Sehgewohnheiten und Konventionen moderner Filme, gewürzt mit knackiger Gesellschafts- und Generationssatire. "Don Jon" hat genau das, was Jon Martello bei seinen sexuellen Abenteuern zu fehlen scheint: eine Seele. Prädikat: Großartig!
9/10