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von AnatolGogol
Agent
Winnetou und sein Freund Old Firehand (1966) – Alfred Vohrer
Nachdem auch die teilweise Rückbesinnung auf die stilistischen Wurzeln in Winnetou und das Halbblut Apanatschi an der Kinokasse nicht die erhoffte Wirkung gezeigt hatte und die Serie mehr denn je auf der Kippe stand entschloss sich Horst Wendlandt bei seinem zweiten Karl May-Film des Jahres 1966 zu noch weitreichenderen Änderungen. Entsprechend dem immer populärer werdenden Subgenre des Italo-Western sollte der neue Film (noch) mehr Härte und Action als seine Vorgänger aufweisen und im Gegenzug dafür auch noch das letzte bisschen an Wildromantik geopfert werden. Auf Zuschauermagnet Winnetou wollte man dabei aber verständlicherweise dennoch nicht verzichten und so taucht in dem Versuch einer stilistischen Neuausrichtung der edle Apachenhäuptling als Konzession an den Publikumsgeschmack dann doch noch einmal auf – wenngleich jedoch eher als unpassend erscheinender Anachronismus denn als wirklich integrierter Teil des angepassten Konzepts. Immerhin wurde so wohl auch so ziemlich dem letzten Fan der Serie klar, dass die Zeit der großen Karl May-Filmerfolge endgültig abgelaufen war.
Es ist schon erstaunlich, wie stark die Veränderungen in Firehand gegenüber seinen Serienkollegen sind, gerade auch gegenüber den sich ja ebenfalls bereits ans Italo-Subgenre anbiedernden direkten Vorgängern Surehand und Halbblut. Im Grunde sind es dann auch viele der Veränderungen gegenüber der Standardformel die Firehand zumindest ansatzweise noch halbwegs interessant machen. Am Erfreulichsten ist hier sicherlich die Tatsache, dass man endlich mal das abgenutzte Handlungsklischee „Böse Weisse spielen Indianer und gute Weisse gegeneinander aus“ gegen eine – zumindest im Karl May-Kosmos – neue Storyidee ausgetauscht hat. Zwar wird auch mit diesem Die Glorreichen Sieben-meets-Rio Bravo-Konstrukt das filmische Rad nun wahrlich nicht neu erfunden, aber angesichts der erschütternden Repetition von Handlung und Elementen in den Vorgängern wirkt selbst dies wie eine langersehnte Abwechslung.
Ähnliches setzt sich auch bei den Figuren fort, die zwar allesamt wie Klischees aus dem Wild-West-Bilderbuch daherkommen, aber immerhin dann doch eine Abweichung zu den immer wiederkehrenden Standards der Mayfilme darstellen. Zudem setzt man bei Firehand ähnlich wie beim Serienauftakt Silbersee auf Ensemblecharakter denn auf Starpower – vermutlich nicht zuletzt deswegen, da eben diese dem Film erkennbar abgeht. Denn Firehand-Darsteller Rod Cameron war selbst in seinen damals bereits beachtlich lange zurückliegenden Glanzzeiten weit entfernt von den internationalen Meriten eines Lex Barker oder gar dem Weltruhm eines Stewart Granger. Daher wurde wohl eine Rollenverteilung auf mehr als ein halbes Dutzend nahezu gleichberechtigt agierender Charaktere gewählt, in welchem der von Cameron als gemütlich-betulichem Trapperroutinier angelegte Old Firehand allerhöchstens einen primus inter pares darstellt.
Gänzlich aus dem Zentrum von Film und Handlung herausgefallen ist Pierre Brice als titelgebender Winnetou, der noch weit mehr als in den direkten Vorgängern zum Statisten und Erfüllungsgehilfen von Firehand degradiert wird. Nicht nur das, die Figur wurde zudem um praktisch sämtliche Charaktereigenschaften erleichtert, nichts ist mehr übrig vom entrückt-edlen Friedenshäuptling. Was so übrig bleibt ist ein besserer Nebendarsteller, der ein paar kleinere Actioneinlagen zugestanden bekommt, jedoch auch eine der merkwürdigsten Szenen seiner „Ägide“ absolvieren muss, nämlich als ausgerechnet der ansonsten so körperbeherrschte Winnetou fast schon tollpatschig von seinem Gaul in eine Grube fällt - ein trauriger Abgang der Figur innerhalb der Rialtoreihe. Wirklich negativ macht sich die Degradierung der Winnetou-Figur im Film aber zugegebenermaßen eigentlich nie bemerkbar, dafür werden die Prioritäten eh ganz wo anders gesetzt. Beispielsweise bei einer ausgedehnten Familiengeschichte rund um eine ehemalige Verflossen Firehands, einen bislang unbekannten Sohnemann und einen tuckig-hampeligen Nebenbuhler. Diese Handlungsepisoden nehmen dann auch einen erklecklichen Teil der Laufzeit in Anspruch, wodurch der Film teilweise mehr zum Familienkomödchen mutiert mit einem bedauerlichen Hang zur Geschwätzigkeit, allerdings auch einigen halbwegs amüsanten Momenten.
Im Zentrum des Films steht aber ganz klar die Thematik des durch eine Desperadobande bedrohten Mexikanerdorfes und die sich daraus entwickelnden diversen Actionszenen. Dieses dem berühmten Sturgeswestern entnommene Motiv bietet sich dann auch förmlich an den Film in Richtung Italo-Western zu positionieren und so ist dieses mal bei Karl May alles ein ganzes Eck dreckiger, sonnenverbrannter und heruntergekommener. Hauptschauplatz ist das angesprochene Mexikanerörtchen Miramar, welches von Setdesigner Vladimir Tadej und seiner Truppe gewohnt solide – und eben ganz im Stile bekannter Italowestern – errichtet wurde. Leider lässt sich hier nicht übersehen, dass Miramar an gleicher Stelle errichtet wurde wie seinerzeit New Venango im zweiten Teil der Winnetou-Trilogie und man sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hat, dies durch andere Kameraeinstellungen oder einfallsreichere Setanordnung zu kaschieren. Ähnliches findet sich leider durchgängig vor allem in der zweiten Filmhälfte, so geben sich diverse aus den Vorgängerfilmen bekannte Landschaften förmlich die Klinke in die Hand, vor allem die bildlichen Doubletten zum ebenfalls von Vohrer inszenierten Old Surehand sind unverkennbar und lassen den Film – zumindest im Auge des Serienkenners – nicht unbedingt wertiger ausschauen.
Die Actionszenen, welche sich weitgehend aus den diversen Kämpfen um Miramar zwischen den Banditen und den Protagonisten sowie einigen Schlägereien und Schiessereien zusammensetzen, sind von Vohrer gewohnt solide und routiniert in Szene gesetzt, ohne dass jedoch echte Begeisterung aufkommen kann. Dennoch wirkt alles runder und auch zügiger als in Philipps lahmendem Halbblut. Wirklich gelungen sind Vohrer die beiden einführenden Actionszenen, namentlich die Verfolgung der Indianer durch die Desperados während der Titelsequenz sowie der anschliessende Hinterhalt, in den Firehands Leute die Ganoven locken. Diese ersten gut zehn Minuten des Films sind tadellos inszeniert mit diversen guten Kameraeinfällen und vor allem unter erstklassiger Ausnutzung der Landschaft. Wie Vohrer hier die Prärie von Vrlika und das anschliessende Gebirgspanorama einzufangen weiss gehört für mich zu den diesbezüglich besten Momenten der Serie und braucht sich vor den besten Szenen Reinls nicht zu verstecken. Hier macht der Film richtig Spass und Lust auf mehr davon, leider kann er dieses gegebene Versprechen im Anschluss nicht halten.
Entscheidend zur verglichen mit dem Rest der Serie sehr unterschiedlichen Wirkung von Winnetou und sein Freund Old Firehand trägt auch die musikalische Untermalung durch Edgar Wallace-Mastermind Peter Thomas bei. Erstmals also in einem Rialto-May keine Böttchermusik – und das muss man im Nachhinein wohl als absolut richtige Entscheidung bewerten. Denn Böttchers langsam-romantischer Stil hätte zu Vohrers actiongeladener Italo-Variante wohl wirklich nicht gepasst und wäre ähnlich deplaziert gewesen, wie es der „Rest-Winnetou“ ist. Thomas gelingt es mit einem formidablen Score dem Film einen ganz eigenen Stempel zu verpassen und variiert stilistisch mit scheinbarer Leichtigkeit. Mal klingt es ein bisschen nach Morricone, mal ein bisschen nach Wallace, oft auch ganz anders – aber immer gut und passend zum Geschehen. Eine hochinteressante und vollkommen eigenständige musikalische Interpretation des „deutschen Western“, der man lediglich einen etwas besseren Film gewünscht hätte.
Darstellerisch ist bei Old Firehand alles sehr ordentlich, ohne jedoch wirkliche Ausreisser nach oben oder unten aufbieten zu können. Cameron spielt solide, verströmt aber mehr die Aura eines gemütlichen Pensionärs, denn einer echten Wild-West-Identifikationsfigur. Leipnitz meistert auch seinen zweiten May-Schurken routiniert und legt seine Rolle komplett konträr zum dandyhaften Ölprinzen an. Leider gibt ihm das Drehbuch wenig Gelegenheit mehr aus seiner Rolle als den skrupellosen und unbarmherzigen Desperado rauszuholen. Todd Armstrong und Rückkehrerin Marie Versini harmonieren als Loveinterests gut miteinander, die Karl May-Standards Baloh, Medar und Battaglia überzeugen in ihren Rollen mit routinierter Qualität, letzterer darf sogar mal aus seinem üblichen Rollenklischee ausbrechen. Für den Humor ist dieses mal ausgerechnet das darstellerisch wohl größte Schwergewicht des Films zuständig, UFA-Legende Viktor de Kowa, der vollkommen schmerzfrei einen tapsig-tuckig-eingebildeten Kolonialoffizier und verschmähten Freier spielen darf. Das ist zuweilen hart an der Grenze des Erträglichen, manchmal aber auch äußerst witzig. Der heimliche Star des Films ist Aleksandar Gavric, der als zynisch-cooler Unterboss von Leipnitz zu glänzen versteht – man hätte ihm mehr Screentime und seiner Rolle mehr Bedeutung gewünscht.
Winnetou und Old Firehand ist in meinen Augen nicht der katastrophale Tiefpunkt der Serie, als der er oft hingestellt wird. Der Film geht seine eigenen Wege innerhalb der Serie, leider nicht immer ganz konsequent, so hätte man die diversen landschaftlichen Doubletten zu den Vorgängern besser vermeiden sollen und auf einen Winnetou in dieser Form besser ganz verzichtet. Gemessen an den Standards des Italo-Western, an welchen sich der Film ja unübersehbar orientiert, ist der Film dann letztlich auch zu zahm und brav, Härte und vor allem Zynismus sind hier zugunsten eines oftmals biederen Familienfilms deutlich reduzierter. Dennoch ist der Film in sich homogener und auch qualitativ einheitlich als die direkten Vorgänger, nur dass er leider die Durchschnittlichkeit nie wirklich durchbrechen kann. Immerhin verfügt er über eine halbwegs interessante und einfallsreiche Geschichte (zumindest innerhalb der Serie), einen tollen Soundtrack, ein routiniert-souveränes Darstellerensemble und über eine Handvoll wirklich gelungener Szenen, wie beispielsweise das Gespräch zwischen Vater und Sohn Firehand in der Nacht vor dem finalen Angriff, herrlich stimmungsvoll im schummrigen Zwielicht festgehalten und vor allem von Cameron sehr schön gespielt. Vohrer lässt seine Klasse immer wieder aufblitzen, leider gelingt es ihm hier nicht diese durchgängig zu zeigen.
Wertung: 5 / 10
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"