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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten
Nur wenig wusste am großen Finale von Gore Verbinskis "Pirates of the Caribbean"-Trilogie zu gefallen. Nach einem unterhaltsamen Piratenspaß, der 2003 zurecht viele Kinogänger begeisterte, manövrierte Produzent Jerry Bruckheimer mit einem stark überfrachteten Zweiteiler seine eigene Filmreihe schneller wieder ins Aus, als man sich hätte vorstellen können. In der Hoffnung, dass Franchise auf den letzten Metern wieder etwas Leben einhauchen zu können, engagierte man Rob Marshall als neuen Regiemann, dämpfte das Budget und besann sich 2011 wieder auf die Werte des ersten Teiles zurück. In einfacheren Worten bedeutet das: Weniger Action, weniger Seeschlachten, keine riesigen Monster oder epische Ereignisse mehr und dafür mehr Abenteuertouch und mehr Jack Sparrow. Doch was weder Johnny Depp noch Bruckheimer oder Marshall erkannten, macht Teil 4 der Piratensaga umso deutlicher: Der Lack ist ab.
Mit einer Laufzeit von 136 Minuten ist "Fremde Gezeiten" der kürzeste Ableger, den die Filmreihe bislang hervorbrachte. Und dennoch muss man zur Erkenntnis kommen, dass er einfach viel zu lang ist. Während das sündhaft lange Intro in London sich aufgrund seiner hohen Humordichte und der schnellen Action noch verhältnismäßig frisch anfühlt, ist alles ab dem Beginn der Hetzjagd durch die Karibik eine wenig spannende und regelrecht einschläfernde Odyssee. Auf alte Charaktere zu verzichten hätte die richtige Entscheidung sein können, doch mit den Besetzungen von Penélope Cruz, Ian McShane oder Sam Claflin als neuen Hauptcast tat man sich leider keinen großen Gefallen. Besonders Claflin und McShane wissen nichts aus ihren schwach geschriebenen Figuren zu machen und eine Cruz leidet ebenfalls darunter, keinerlei bedeutende Funktionen für den Film zu haben. Noch schlimmer ist da nur noch, dass sogar Johnny Depp als Jack Sparrow hier um einiges lustloser als in der Trilogie rüberkommt und man teilweise den Eindruck bekommt, dass er selbst keinen Spaß mehr an der Figur hat. Dass Marshall zudem Rückkehrer Geoffrey Rush, der wie immer eine tolle Mimik präsentiert, für einen Nebenplot verheizt, lässt das Interesse an den wesentlichen Charakteren noch weiter sinken.
Das eigentliche Problem ist jedoch, dass die Stereotypen nicht nur für sich genommen wenig interessant sind, sondern auch die Handlung des Romanes "On Stranger Tides", die hier als Vorlage genutzt wurde, fürchterlich vorhersehbar ist. Zu keinem Zeitpunkt passiert irgendetwas, dass nicht entweder auf lauter Desinteresse stößt, weil man den Schema-F-Charakteren ihre Konflikte nicht so recht abnimmt, oder man in einem der Vorgänger nicht bereits gesehen hat. Der Quasi-Remake-Ansatz im Bezug zum Erstling mag im Prinzip eine sinnvolle Idee gewesen sein, krankt allerdings daran, dass so keinerlei Innovation erkennbar ist. Ein bisschen Mystik hier, ein wenig Humor da, dann noch ein bisschen Romantik und der ein oder andere Degenkampf dazwischen hätte 10 Jahre früher vielleicht noch neuartig gewirkt, hat aber das besondere Element längst verloren. Dass Marshall sich in den Zwischenphasen außerdem voll auf die Wirkung des längst ausgelutschten Sparrow-Charakters verlässt, ist der zusätzliche Todesstoß. Marshalls Regie fällt ansonsten erstaunlich einfallslos aus: Er hat weder das Gespür für prächtige Farben und ausgefallene Exotik wie Verbinski, noch ein echtes Talent für Slapstick. So ist "Fremde Gezeiten" oft ein merkwürdiger Klon des ersten "Fluch der Karibik"-Filmes, der ohne jeden Glanz seelenlose Sequenzen aneinander heftet.
Die auffallende Lustlosigkeit, die sich vom Film schnell auf den Zuschauer überträgt, macht sich hinzukommend auch musikalisch bemerkbar. Während Hans Zimmer in vielen schwachen Szenen des Vorgängers durch seine fantastische Orchester-Musik einiges an Wirkung retten konnte, schaltet auch er hier auf kreativen Autopilot und bietet praktisch überhaupt nichts, an das man sich später erinnern könnte. Hinzu kommt, dass erst "Fremde Gezeiten" wieder offensichtlich macht, warum "Fluch der Karibik" ein solcher Erfolg war. Man hatte nicht nur einen Ausflug in ein totes Genre und eine spritzige Herangehensweise, sondern einen ausgewogenen Mix aus Komik und Ernsthaftigkeit, präsentiert durch den albernen Jack Sparrow und den klassischen Helden Will Turner. So eine Figur fehlt dem neuesten Film komplett und so mangelt es an einer echten charismatischen Identifikationsperson. Durch die schleppende Erzählweise stellt sich hingegen sogar echte Langweile ein, die nur ganz selten mal durch einen mäßig gelungenen Gag aufgefangen werden kann. Einzig eine mittlere Episode, in der ein Heer von Meerjungfrauen eine Gruppe Piraten attackiert, blitzt der alte Charme der Reihe auf und für ein paar Minuten glaubt man, dieselbe Spur kindlicher Begeisterung in Teil 4 ausmachen zu können, von der besonders der Erstling so profitiert hattte. Leider ein Einzelfall zwischen einem bemerkenswerten Mix aus Eintönigkeit und Unkreativität.
Fazit: "Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten" ist der ideale Prototyp des sprichwörtlichen Hausfrauenfilmes. Perfekt dafür geeignet, daheim beim Bügeln oder Staubsaugen konsumiert zu werden, da man nie wirklich durchgehend zum Bildschirm schauen muss und dennoch alles wichtige mitbekommt. Insgesamt ist "Fluch der Karibik" mit Rob Marshall und seinem Rettungsversuch endgültig auf einem kreativen Tiefpunkt angekommen, an dem altbekanntes nur noch müde wiederholt wird und nichts mehr Spannung oder Rasanz garantiert, sondern trotz mehrerer Schauplatzwechsel eine regelrechte Monotonie an Bildern entsteht, die allesamt in einem bemerkenswert unbemerkenswerten Vakuum neben einander koexsitieren. "Fremde Gezeiten" ist somit mehr noch als sein Vorgänger die Beerdigung einer anfangs vielversprechenden Filmreihe mit zusätzlichem Leichenschmaus und in diesem Abschnitt nur noch mit einem Überraschungsei ohne Inhalt, Pommes ohne Salz oder Sex ohne Partner gleichzusetzen. Für einen möglichen fünften und letzten Versuch bleibt daher nur noch eine Empfehlung an alle Beteiligten: Weniger lieblose Massenproduktion und endlich wieder mehr Esprit, Begeisterung und Seele! Die letzten übrigen Fans hätten es verdient.
3/10
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Let the sheep out, kid.