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Re: iHaveCNit – Der HCN-Review-Sammelthread

Verfasst: 7. März 2025 17:15
von HCN007
iHaveCNit: Hundreds Of Beavers (2025) – Mike Cheslik – Lighthouse
Deutscher Kinostart: 13.02.2025
gesehen am 05.03.2025
Mal Sehn Kino Frankfurt – Reihe A, Platz 7 – 22:00 Uhr

Jean Kayak ist ein gesellschaftlich anerkannter Apfelschnapsbrenner, doch er ist auch dem Schnaps selbst sehr zugetan, so dass er es nicht bemerkt, dass ihm Biber das Geschäft ruinieren und seine Farm in Rauch aufgeht. In einem harten Winter schwört er Rache an den Bibern, denn damit könnte er nicht nur seinen Ruf wiederherstellen, sondern auch um die Hand der Tochter des örtlichen Händlers anhalten, der nichts geringeres als hunderte Biberfelle dafür fordert.

Letztes Jahr konnte ich mal etwas von meiner Kino-Bucket-List abhaken – einmal an einem Fantasy Filmfest teilnehmen und dabei das komplette Programm des Wochenendes mitnehmen. Gerade an dem Wochenende des Fantasy Filmfest White Nights 2024 war vor allem ein Film das ganz große Highlight und ein Fest, diesen in einem vollen Kinosaal mit großartiger Stimmung zu erleben. Umso mehr freue ich mich, dass er hierzulande dann ein Jahr später eine Veröffentlichung in den deutschen Kinos bekommen hat und ich ihn offiziell auch in die Wertung des Filmjahrs 2025 nehmen darf. Denn damit ist schon jetzt der erste Kandidat für die Top 10 des Jahres gesetzt. Denn „Hundreds Of Beavers“ von Mike Cheslik mit Ryland Brickson Cole Tews in der Hauptrolle ist einfach ein kreatives und originelles Fest eines Films und ein absoluter Spaß geworden. In der freien Interpretation ist der Film ein Stummfilm in Schwarz-Weiß, bei dem es nur zu wenigen Texttafeln und mehr zu grafischen Einblendungen kommt und der audielle Ausdruck nur durch Töne, Geräusche und Laute komplett ohne gesprochenes Wort auskommt. Der Film verbindet klassischen Humor der Looney Tunes mit Humor der klassischen Ära von Buster Keaton und Charlie Chaplin und kombiniert das ganze mit moderner Gamification, Crafting und einem Trial-and-Error-Prinzip. Damit sorgt der Film im nahezu Sekundentakt für Gags, die für mich immer treffsicher, dynamisch, kreativ und nie langweilig und redundant gewirkt haben. Das, was den Film auch total absurd macht, ist dabei, dass wir es hier nicht mit echten oder computergenerierten Bibern und Tieren zu tun haben, sondern mit Menschen in Kostümen oder auch Plüschtieren bei kleineren Tieren. Es ist schön, dass ich diesen abgefahrenen Spaß mal wieder im Kino erleben konnte.

„Hundreds Of Beavers“ - My Second Look – 10/10 Punkte

Re: iHaveCNit – Der HCN-Review-Sammelthread

Verfasst: 7. März 2025 18:09
von HCN007
Special – 2024
iHaveCNit: Anora (2024) – Sean Baker – Universal
Deutscher Kinostart: 31.10.2024
gesehen am 06.03.2025
Kinopolis MTZ – Kino 11 – Reihe 16, Platz 21 – 19:25 Uhr

Der große Gewinner der Oscarverleihung mit 5 Preisen – Bester Film, Beste Regie, Bester Schnitt, Bestes Originaldrehbuch und Beste Hauptdarstellerin – und einer meiner Top3-Filme des Jahres 2024 hat einen kleinen Re-Release im Kino bekommen und ich habe es mir nicht nehmen lassen, den Film erneut einer weiteren Sichtung im Kino zu unterziehen – einfach weil er so unfassbar gut ist und ich ihm den Erfolg gönne, den dieser fieberhafte Rausch und die Tour de Force von der von Mikey Madison gespielten Sexworkerin Anora in dieser perfekten bodenständigen, vielschichtigen Antithese von Pretty Woman auslöst.
Anora“ - Multiple Look – 10/10 Punkte

Re: iHaveCNit – Der HCN-Review-Sammelthread

Verfasst: 7. März 2025 19:06
von Casino Hille
Bin mit beiden Wertungen vollkommen einverstanden. "Hundreds of Beavers" war einer der lustigsten Kinobesuche meines Lebens und "Anora" hat mich sehr berührt. Mikey Madison ist brillant, und der Film macht nach 45 Minuten eine Wandlung durch, die man nach dem Marketing niemals kommen gesehen hätte.

Re: iHaveCNit – Der HCN-Review-Sammelthread

Verfasst: 7. März 2025 21:04
von HCN007
Ja und ich habe im Nachhinein noch einmal genauer reflektiert, warum auch der Oscar für Mikey Madison mehr als nur verdient gewesen ist.

Statistisch gesehen mag eine Demi Moore mit dem Gewinn bei den Globes, bei den Critics Choice Awards und den SAG Awards einer Mikey Madison, die vorab nur BAFTA gewonnen hat überlegen gewesen sein.

Bei anderen Faktoren ist es ausgeglichen:

x Das Momentum liegt näher bei Mikey Madison, weil die Fristabgabe der Ballots näher an den BAFTAs gewesen ist.

x Beide Performances sind in einem für Best Picture nominierten Film.

x Keine Performance basiert auf einer realen Person (wobei ich dazu gleich bei meiner ergänzenden Analyse noch dazu komme)

x Performance ist mit einer Transformation verbunden - Hier war Demi Moore durch die Nominierung/Auszeichnung von The Substance im Bereich Make-Up/Hairstyling im Vorteil.

Das würde folgende statistische Bepunktung (Siehe meinen Eintrag im Beitrag zu den Oscars) ergeben:

Demi Moore:
Globes (+1)
Critics Choice (+0,5)
SAG (+1,5)
Best Picture Nominierung (+0,5)
Transformativ (+0,5)
Gesamt: 4 Punkte

Mikey Madison:
BAFTA (+1)
Momentum (+0,5)
Best Picture Nominierung (+0.5)
Gesamt: 2 Punkte

Aber gehen wir einmal die nicht statistischen Fakten durch:

Die Performance des Charakters in "The Substance" ist eine Summe aus mehreren Teilen (Demi Moore + Margaret Qualley + Make-Up/Hairstyling) und kann in dem Narrativ des Charakters und des Films selbst ein zweischneidiges Schwert sein (entweder ist die gesellschaftskritische Komponente des Charakters am Puls der Zeit oder zu düster und im Kern auch der symbolische Spiegel der Karriere einer Demi Moore (womit der Charakter schon an einer reellen Person orientiert sein könnte), womit Demi Moore performativ eben nur sich selbst verkörpert und da wenig persönlicher Einsatz drin stecken mag - unabhängig davon wie großartig das ist, was man von ihr im Film erleben darf - inklusive dem furchtlosen Mut zur Nacktheit, zur Verletzlichkeit und zur Hässlichkeit.

Mikey Madisons Anora ist jedoch ein komplett aus dem Nichts geschaffener, origineller Charakter, bei dem ich noch im Nachgang ein paar Interviews von Madison gesehen habe, die offenbaren, wieviel kreativer Eigenanteil in der Erschaffung des Charakters steckt - mal abgesehen von den Monaten Training wenn es ums Tanzen am Kunden und der Stange geht sowie auch die Zusammenarbeit mit Sexworkerinnen sind selbst kleinste Details im Make-Up / Hairstyling ihr überlassen worden, was das Gesamtwerk Anora inklusive der absolut vielschichtigen Performance, der Furchtlosigkeit, der Schlagfertigkeit, der unter Druck freigesetzten Energie, dem Strotzen vor Stolz und Selbstbewusstsein, der durchsickernden Menschlichkeit und Verletzlichkeit, all das macht Anora und Mikey Madison zu einer Rolle und Performance, die mit zum Besten gehört, was ich auch 2024 gesehen habe und sie auch als Charakter der titelgebende Kern des gesamten Films ist - und jeder vergebene Preis im Bereich Schnitt, Originaldrehbuch, Regie und Bester Film auch ein Teil ihres Verdiensts ist.
Hinzu kommt vielleicht auch der Stone-Effekt, weil man glaube ich nicht daran gedacht hat, Emma Stone nach La La Land noch einmal den Preis als Best Leading Actress zu geben (damals wusste man noch nichts von Poor Things und einer noch viel besseren Stone), womit man hier den Moment genutzt hat, Madison auszuzeichnen ohne zu wissen, ob man früher oder später noch einmal die Gelegenheit bekommt. Aber von Madison werden wir denke ich noch sehr lange etwas hören.

Re: iHaveCNit – Der HCN-Review-Sammelthread

Verfasst: 10. März 2025 12:49
von HCN007
iHaveCNit: Sing Sing (2025) – Greg Kwedar – Weltkino
Deutscher Kinostart: 27.02.2025
gesehen am 09.03.2025
Cineplex Wiesbaden – Apollo Kinocenter – Gamma – Reihe 5, Platz 1 – 12:15 Uhr


John „Divine G“ Withfield ist schon sehr lange im Hochsicherheitsgefängnis „Sing Sing“ inhaftiert. Dort ist er Teil einer Theatergruppe und auch für einen Teil der kreativen Umsetzung zuständig. Nach dem erfolgreichen Projekt „Der Sommernachtstraum“ ist ein neues Projekt geplant, bei dem für „Divine G“ nicht nur neu in die Gruppe gekommener „Divine Eye“ für Konflikte sorgt, auch seine Gesuche auf vorzeitige Entlassung und die Freundschaft zu einem weiteren Mithäftling stellen John vor Herausforderungen.

Es gibt und gab in der Vergangenheit schon einige Filme über Rehabilitations- und Resozialisierungsprogramme in Gefängnissen. Zuletzt fällt mir da vor allem die von Emmanuel Courcol inszenierte, französische Komödie „Ein Triumph“ ein, der auf wahren Begebenheiten aus Schweden basiert. Konzipiert als französische Feelgood-Komödie war das ganze zwar unterhaltsam, berührend, aber auch ein wenig oberflächlich und hat die Tragik der Situation ein wenig vermissen lassen. Für ein thematisches Doppelpack ist „Ein Triumph“ aber durchaus auch sehenswert in Kombination mit „Sing Sing“ und da bin ich nicht der einzige, der irgendwie bei „Sing Sing“ an den französischen Film denken musste. Aber beide Filme haben andere tatsächliche Begebenheiten, auf denen sie basieren. Das, was „Sing Sing“ hier ein wenig spezieller macht ist, dass er nicht nur teilweise am Originalschauplatz gedreht wurde, sondern auch ehemalige Häftlinge von dort und Teilnehmer der Theatergruppe ihre Rollen von damals im Film verkörpern. Das gibt dem Film etwas Rohes, Bodenständiges und Authentisches. Ein Wort, dass mir nach dem Film inmitten der doch sehr kreativen, philosophischen, poetischen und berührenden Note des Films in den Sinn gekommen ist, ist „Eskapismus“. „Eskapismus“ hat hier sehr viele Bedeutungen. Die Flucht in den kreativen Prozess. Die Flucht aus dem Gefängnis. Die Flucht wieder zu sich selbst. Und auch dem Vertrauen in diesen Prozess. Und dass man hier Colman Domingo in der letzten Awardsaison durchgehend mit Nominierungen gewürdigt hat, ist absolut gerechtfertigt, denn seine nuancierte, vielschichtige Performance hat mir sehr gut gefallen.

„Sing Sing“ - My First Look – 9/10 Punkte

Re: iHaveCNit – Der HCN-Review-Sammelthread

Verfasst: 10. März 2025 12:51
von HCN007
iHaveCNit: The Brutalist (2025) – Brady Corbet – Universal
Deutscher Kinostart: 30.01.2025
gesehen am 09.03.2025
Kinopolis MTZ – Kino 11 – Reihe 16, Platz 13 – 19:25 Uhr


Der jüdisch-ungarische Architekt Lászlo Tóth flüchtet als Überlebender des Holocausts nach dem zweiten Weltkrieg in die USA um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Zunächst verdingt er sich in der Innenarchitektur als Möbelbauer bis er durch einen Auftrag auf den reichen und einflussreichen Harrison Lee Van Buren trifft, der für seine Gemeinde in Pennsylvania ein großes Bauprojekt realisieren möchte und in Tóth nun den richtigen Architekten gefunden zu haben scheint, denn das riesige Projekt eines Gemeindezentrums wird auch für die Beiden zwischenmenschlich zu einer Herausforderung.

„The Brutalist“ von „Brady Corbet ist für Architekten genau das, was „Oppenheimer“ von Christopher Nolan für Quantenphysiker ist oder sein könnte. „The Brutalist“ ist mit seiner Laufzeit von knapp 216 Minuten eine sehr lange Kinoerfahrung, die mit ihrer Laufzeit durchaus brutal ist. Der Film ist ein absolut wuchtiges, ambitioniertes, monumentales, epochales Mammutwerk geworden, dass audiovisuell vor allem mit seiner preisgekrönten Arbeit im Bereich der Kinematographie und der musikalischen Komposition einfach ein Fest für Auge und Ohr ist. Ich bekenne mich an der Stelle, dass ich nicht unbedingt der ganz große Adrien Brody-Fan bin und auch im Bereich Architektur und Ästhetik nicht unbedingt der ganz große Kenner, Nerd und Liebhaber bin, womit ich zwar absolut nachvollziehen kann, warum Brody der ganz große Gewinner der letzten Award-Saison gewesen ist, seine über jeden Zweifel erhabene Performance jedoch nicht vollends gefühlt habe. Das gleiche gilt eben auch für den Bereich der im Film dargestellten Architektur und Ästhetik, die zwar faszinierend war, sich aber in mir eine gewisse kühle Distanz zur Thematik aufgebaut hat. Die Struktur des Films selbst in eine Ouvertüre, ein erstes Kapitel, eine in den Film integrierte Intermission von 15 Minuten, ein zweites Kapitel und einen Epilog war durchaus interessant und hat mir auch gefallen, genau wie die interessante Art und Weise, wie der Film seine Credits integriert und visuell dargestellt hat. Eigentlich könnte man durch die Pause im Film sagen, dass der Film eigentlich nur eine Laufzeit von 200 Minuten hat und in 2 Blöcken von jeweils 100 Minuten aufgeteilt ist, was den Brocken eines Films durchaus verdaulicher werden lässt unabhängig der Schwere seiner Thematik. Mit einem neben Brody tollen Ensemble haben mir hier vor allem Felicity Jones und Guy Pearce gefallen, bei denen ich es absolut verstehen kann, dass diese mit Nominierungen gewürdigt worden sind. Dennoch komme ich für mich zu dem Ergebnis, dass „The Brutalist“ ein Mammutwerk ist, dass ein wenig zu überambitioniert gewesen ist. Denn mit nicht vollständig ausbuchstabierten und aufgelösten Konflikten und Zeitsprüngen in der Handlung sowie manchen Themen, die noch wesentlich tiefer hätten thematisiert und dargestellt werden können ist der Film – und diese Aussage ist gewagt – zu kurz. Für Freunde von Architektur, Ästhetik, Kunst und auch das Werk von Lászlo Tóth und für Cineasten jeglicher Art ist „The Brutalist“ jedoch ein Kinobesuch, der es Wert ist.

„The Brutalist“ - My First Look – 9/10 Punkte