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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Gravity
Wieder einmal haben die Kritiker und das US-amerikanische Publikum einen anderen Film gesehen als ich. Ich verstehe das einfach nicht, warum werden mir immer andere (schlechtere) Werke vorgesetzt, als dem Rest der Welt? All die Lobhudeleien, all die Ehrungen und ich würde sogerne laut mit einstimmen, aber... eigentlich ist bei "Gravity" letzten Endes nur wenig zu finden, was man im angemessenen Grade loben kann. Da wäre der beeindruckende und prächtig in Szene gesetzte Anfang, praktisch die erste halbe Stunde des Films hat den Anschein, als sei sie nur mit einer einzigen Kamera komplett ohne Schnitt gedreht worden. Natürlich ist das nicht gänzlich neu, tatsächlich verwendete Regisseur Cuarón selbst diese "Technik" in seinem Endzeit-Thriller "Children of Men", aber nie war es so imposant wie in diesen anfänglichen Szenen, die man filmisch besser wohl kaum gestalten kann. Da haben wir einen beispiellosen Spannungsaufbau, pointierten Humor, famose Effekte und für die fortlaufende Handlung ausreichend Exposition. Doch wie viel ist nachher noch davon übrig und kann die Regie über die gesamte Laufzeit retten? Im Ernst: Genau genommen gar nichts. Eine Geschichte, die man erzählen und in der man verblüffen könnte ist eigentlich gar nicht vorhanden, was aber noch nicht so das Problem ist, da den Aktionen und der Protagonistin eh die eigentliche Aufmerksamkeit gebürt. Viel schlimmer ist, dass man im Mittelteil mehrmals versucht, uns mit Wendungen zu überraschen, die dem Zuschauer im Grunde aber völlig gleich sind, weil die Story an Vorhersehbarkeit nicht zu überbieten ist. Traurig auch, dass die langen Kamerafahrten immer weniger werden und der Schnitt zum Ende hin nahezu konventionell geworden ist. Hier hätte ich mir mehr Konsequenz in der Inszenierung gewünscht. Die Special-Effects bleiben die gesamte Laufzeit über grandios, aber reicht das, um gute Kritiken einzufahren? Sowas sollte im Jahr 2013 eigentlich Voraussetzung und damit selbstverständlich sein. Die darstellerischen Leistungen haben mir gefallen, auch wenn Bullock etwas zu hoch gelobt wurde, sie macht ihre Sache ordentlich und gibt ihrem Charakter trotz eingeschränkter Möglichkeiten eine gehörige Portion Natürlichkeit mit auf dem Weg. Aber auch sie ist nicht fähig über die zahlreichen Defizite in der Dramaturgie und im Aufbau hinweg zu täuschen. Irgendwann habe ich mich beispielsweise nur gefragt, wie oft man diese optischen Tricks jetzt noch einsetzen will... Es flogen gefühlte 40-mal in der Schwerelosigkeit kleine Objekte vor meinem Gesicht rum, mindestens die halbe Laufzeit des Filmes wird im Hintergrund mit der Musik ein Laut-Leise-Kontrast erzeugt, der nichts in einem auslöst, außer leicht aufkommende Aggressionen, wenn es einen mal wieder aus der Atmosphäre herausreißt, obwohl die Melodien insgesamt ganz schön sind. Das süßliche Hollywood-Ende würde ich dann nicht so wie einige wenige als negativ berwerten, dies ist aber möglicherweise einfach der Tatsache geschuldet, dass es sich schon sehr früh abgezeichnet hat und somit alles andere eine Verwunderung sondergleichen gewesen wäre.
Fazit: Ja, so ernüchternd ist der erste Eindruck und die Enttäuschung ist aus diesen Zeilen sicherlich deutlich heraus zu lesen. Denn alles im allen ist "Gravity" ein Film, der optimal mit der 3D-Technologie spielt und im Kino gesehen werden muss, da er nur da ein Erlebnis sein kann. Doch wenn namenhafte Personen wie James Cameron oder Quentin Tarantino in den höchsten Zeilen von dem "Film des Jahres" schwärmen, dann darf ich auch etwas mehr erwarten, als unterhaltsame Sci-Fi-Standartkost. Dies möchte ich noch einmal betonen: "Gravity" ist nicht langweilig und hält den Zuschauer irgendwie dann doch immer bei der Stange, zumal er im Mittelteil anders als sonstige Kinofilme viel Abwechslung bietet. Vielleicht war das mein Hauptproblem: Der Gedanke dahinter hatte soviel Potenzial, man hätte eine spirituellere Erfahrung daraus machen können und sollen, quasi eine Weltraum-Version von "Life of Pi". So läuft es am Ende dann doch nur auf ein (zugegeben) nicht uninteressantes Spektakel hinaus, dass mit guten Darstellern in gut geschriebenen Rollen aufwartet, dem Zuschauer gute Dialoge serviert, einen gut hörbaren Soundtrack hat und durch gute Einzel-Ideen nie in die Belanglosigkeit abdriftet. "Gravity" ist ein guter Film. Aber mehr nicht!
7/10 (Sonderbonus für das brillante erste Drittel.)
https://filmduelle.de/
Let the sheep out, kid.