Ich habe deshalb gefragt, weil ich Max im Road Warrior sehr gut vergleichbar mit Clint Eastwood in den drei Leone-Italowestern finde - und in denen macht er jeweils meines Erachtens auch keine tatsächliche Charakterentwicklung durch, bestenfalls eine sehr oberflächliche im Sinne von: "Er ändert seine Entscheidung und macht statt A jetzt B." Letztlich sehe ich in beiden den Archetypus eines einsamen Wolfs, der nach außen kalt und egoistisch zu agieren scheint, in entscheidenden Momenten aber seine mitfühlende Ader beweist. Eastwoods Figur zeigt beispielsweise, als er grade einer von zwei glorreichen Halunken ist, Mitgefühl beim Massaker auf der Brücke und äußert sich dementsprechend, später gibt er dem einen sterbenden Poncho-tragenden Soldaten noch ein paar Züge vom Glimmstängel ab. Ähnlich würde ich das beim ausgeflippten Maximilian auch sehen: Das ist ein Typ, der in dieser kaputten Welt stark abgehärtet wurde, und deshalb überleben konnte, der aber anders als die wirklich verrückten Psychos rund um Hummungus noch einen Teil seiner Menschlichkeit bewahrt hat und im entscheidenden Moment hilft. Er trägt in allen Filmen noch Teile seiner Polizeiuniform, hat diese Vergangenheit also nie ganz abgelegt.AnatolGogol hat geschrieben: 6. Juni 2024 13:26Die Entwicklung, die ich wahrnehme ist die, dass Max sich zumindest wieder in Teilen der bzw. einer Gesellschaft zuwendet (und damit nicht mehr gänzlich egoistische Motive verfolgt), nachdem er zu Beginn und in der ersten Filmhälfte sich komplett davon losgelöst hat. Ob er keine andere Wahl hat: ich weiss nicht, weil was könnte er sich denn für einen Deal erhoffen? Sein Wagen ist hinüber, damit ist auch das Benzin nicht mehr wirklich attraktiv. An einem Teilhaben an Papagallos Truppe hat er ja auch kein wirkliches Interesse, wie das Ende zeigt. Bliebe als Motivation nur noch Rache und die kann ich dann tatsächlich auch nicht gänzlich von der Hand weisen. Dadurch, dass Miller Maxs Beziehungen zum Gyro Captain und dem Feral Kid aber vergleichweise viel Zeit einräumt würde ich schon vermuten, dass gerade seine Rettung durch den Captain da in Bezug auf sein Verhalten anderen Menschen gegenüber ihn schon etwas nachdenklich gemacht hat. Andererseits hat er auch keine Skrupel das Kid bei vollem Tempo auf seinem rasenden Truck nach Munition fischen zu lassen.Casino Hille hat geschrieben: 6. Juni 2024 11:26 Welche Charakterentwicklung durchläuft Max im zweiten Teil?
Challenge accepted. Ich werfe mal gut gelaunt "Highlander 2", "Evil Dead 2" (und mehr noch: "Armee der Finsternis") und "Return to Oz" in den Raum. Ach ja, "Rocky Horror Picture Show" ist auch krass anders als die restlichen Filme der "Rocky"-Reihe.AnatolGogol hat geschrieben: 9. Juni 2024 20:14 Die Grimmigkeit weicht einer kindgerechten Albernheit und der Härte- und Brutalitätsgrad einer comichaften Überdrehtheit. Diese Abkehr findet dabei in einem Maße statt, dass mir persönlich keine filmische Fortsetzung bekannt ist, die sich so stark vom Stil seines/seiner Vorgänger unterscheidet (dagegen ist selbst Boormans Exorzist 2 in stilisticher Hinsicht eine geradezu lineare Fortsetzung der Friedkinschen Originals).
Ich weiß nicht, ob ich da ganz mitgehen kann. Die Welt, die da mit Bartertown aufgemacht wird, ist gar nicht so uninteressant - und ich weiß nicht, ob Miller und Ogilvie das tatsächlich "nicht ernst nehmen". Die zweigepolte Stadt, die in Ober- und Unterschicht zerfällt und auf Schweinescheiße aufgebaut ist, ist schon ein - auch im Rahmen einer solchen Dystopie, die schon im Vorgänger einer gewissen Comiclogik folgte - ernstes und nicht uninteressantes Szenario. Man kann darüber streiten, ob der aufgemachte Kontrast und die gewählte Symbolik den Bogen überspannt, aber bewusst selbst parodierende Ansätze sehe ich da (noch) nicht. MasterBlaster ist zum Beispiel eine - wie ich finde - herrliche Idee, die sehr gut in einer Linie mit Toecutter und Hummungus passt.AnatolGogol hat geschrieben: 9. Juni 2024 20:14 Das beginnt schon mit dem ersten Drittel in Bartertown, einer Art maximal-überdrehter-und-albernen Version von Big Trouble in Jabbas Palast des Todes, bei dem schon beinahe jeglicher Anflug von Ernsthaftigkeit – oder sagen wir besser sich-selbst-Ernstnehmen – getilgt wird (beinahe, da zumindest der Tod von Blaster für einen kleinen und raren Moment inhaltlichen Tiefgangs sorgt). Einziges Highlight in dieser albernen Rummelplatz-Orgie ist der Kampf in der Donnerkuppel zwischen Max und Blaster, der zwar nicht hart oder brutal ist, aber zumindest einigermaßen einfallsreich (btw: MasterBlaster ist eine ganz ordentliche Referenz an Ben-Hur – auch ganz passend, da Frank Thring hier ja auch mitmischt – jedenfalls deutlich ordentlicher als die diversen eher weniger geglückten Lawrence-Anspielungen). Bereits hier fällt auf, wie einfallslos die Inszenierung das zwar aufwändige, aber auch extrem inhaltsleere Treiben abfilmt. Auch gelingt es den beiden Regisseuren nicht, die elementaren Figuren (also Max und Gegenspielerin Aunty) einzuführen. Sie werden gezeigt, aber nicht charakterisiert – etwas, was sich leider auch durch den Rest des Films zieht.
Der Kampf in der Donnerkuppel ist dann richtig großartig, bis er aufgelöst wird. Das war der erste Moment, in dem der Film mich aktiv verärgert hat: Nur weil Blaster sich als einer mit Trisomie 21 oder sonstiger psychischer Behinderung entpuppt, hat Max Skrupel, ihn zu töten? Echt jetzt? Obwohl er weiß, dass er seinen Deal mit Aunty ansonsten brechen würde und ihm dementsprechend mutmaßlich der Tod erwartet? Schwachsinn. Das kaufe ich dem Film nicht ab. Eine sehr gute Beobachtung deinerseits ist übrigens, dass der Film es verpasst, vor allem Max vernünftig einzuführen. Direkt nachdem ihm seine Kamele gemopst werden rennt er auf die Kamera zu und wird von da an wie eine ikonische Figur behandelt - ist er nach den Vorgängern vielleicht auch, aber auf einen charakterdefinierenden Moment zu Beginn wartet man vergeblich. Dass es sich bei "Jenseits der Donnerkuppel" um eine Fortsetzung handelt, ist da auch keine Entschuldigung. Jeder Bond- und jeder Indy-Film leistet diese "Re-Introduction" nichts desto trotz.
Ganz so vernichtend wie du (2/10 sind wirklich sehr hart - aber du erklärst total verständlich, wie du zu dem Urteil kommst!) sehe ich den dritten Maxi nicht (siehe Review oben), aber im Kern triffst du den Nagel auf den Kopf. Grundsätzlich ist die Idee, den einstigen Papa aus Teil 1 auf eine Bande Kinder treffen zu lassen gar nicht so abwegig, aber leider ist die Umsetzung wirklich misslungen. Als Max auf die Kiddies trifft, ist erstmal fünfzehn Minuten Pause und kompletter erzählerischer Stillstand. Da passiert nix mehr, es gibt keine Entwicklungen, es gibt keine interessanten Dynamiken. Ein paar der Bälger müssen extra Reißaus nehmen, damit Max überhaupt noch was zu tun bekommt. Skriptseitig ist das mindestens schluderig gearbeitet.AnatolGogol hat geschrieben: 9. Juni 2024 20:14 Weiter geht’s mit dem Mitteldrittel, einer Art Max im Peter-Pan-Land. Nachdem bereits die Bartertown-Passage extrem kindgerecht daherkam, nimmt der Film nun endgültig einen Schwenk in Richtung Kinder-/Jugendfilm a la Goonies – nur leider nicht annähernd so munter und unterhaltsam. Hinzu kommt, dass Miller hier am ganz großen dramaturgischen Rad dreht und den wie erwähnt zuvor nicht eingeführten Max nun als Messiasfigur stilisiert. Zusammen mit dem infantilen Lost-Kiddies-Plot hat das leider doch sehr viel Ähnlichkeiten mit dem vielfach zitierten der Farbe beim Trocknen Zuschauen. Es ist lahm, uninteressant und doof – nur leider noch nicht mal zum Lachen doof.
Den Vogel schiesst Miller dann im letzten Drittel ab, als er sein eigenes Finale vom Road Warrior plagiiert – nur in schlecht. Natürlich auch hier keine Härte und keine Brutalität. Schlimmer aber noch: es ist einfach nicht gut in Szene gesetzt. Hier ist nichts mehr übrig von der innovativen und der spektakulären Inszenierung der Actionszenen der beiden Vorgänger. Stattdessen darf man sich darüber wundern, warum er mitten im Klimax seines Films sich die Zeit nimmt das ohnehin nicht sonderlich hohe Tempo weiter zu drosseln, wenn er uns dabei zuschauen lässt, wie zwei der Lost Children ihre Unkenntnis über den Umgang mit einem Plattenspieler zum Besten geben.
Und auch beim Actionfinale teile ich deine Meinung in dem Umfang zwar nicht, bin im Kern aber an Bord. Mich stört kindlicher Slapstick nicht unbedingt (ob es zu Mad Max passt, ist wieder eine andere Frage), aber es ist schon merkwürdig, wie wenig Tempo Miller und Ogilvie in die Action bekommen. Wie du richtig sagst, wird da teilweise viel zu lange pausiert und man verstrickt sich in irrelevante Nebenepisoden, die auch kaum zur Charakterisierung der Kids beitragen, die für mich - um ehrlich zu sein - allesamt gesichtslos geblieben sind. Bis auf das eine Mädel, das am Ende die peinliche Schlussansprache halten darf, habe ich die alle nicht auseinander halten können und das darf nicht sein, wenn sie so elementar ins Geschehen eingebunden werden - was hier soweit geht, dass Max teilweise zum Beifahrer in seinem eigenen Showdown verkommt.
Hier sind wir jetzt doch mal grundlegend anderer Ansicht. Als Aunty zum Schluss das Mäxchen dann verschont, war das einer der wenigen coolen Momente in der zweiten Filmhälfte für mich. Das fand ich ehrlich gesagt ziemlich lässig, wie sie da anerkennend nickt und mit neu gewonnenem Respekt vor ihm kehrt macht. Ich verstehe, was du meinst, wenn du sagst, dass dir da das dramaturgische Gewicht fehlt, aber sie lässt ihn halt so oder so ohne Proviant oder sonstiges mitten im Wasteland stehen und lädt ihn nicht auf eine Cola zu sich ein. Das wäre dann wirklich etwas viel.AnatolGogol hat geschrieben: 9. Juni 2024 20:14 Exemplarisch auch, wie substanzlos die zuvor nur rudimentär eingeführte Figur von Bruce Spence samt Sohnemännchen bleibt. Oder wie die – zumindest in Papierform – Streithähne Max und Aunty am Ende einfach mal ohne Groll ihrer Wege ziehen.
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Btw: Wie seltsam bitte, Bruce Spence im dritten Teil wieder einen Piloten (plus Kind!) spielen zu lassen, wenn er gar nicht dieselbe Figur wie die aus dem Vorgänger sein soll. Ich weiß: Kontinuität muss man nicht überbewerten, aber in der ersten Szene war ich doch gut verwirrt, dass der Gyrocopter-Pilot jetzt mit eigenem Nachwuchs den ollen Gibson bestiehlt.
![Mr. Green :mrgreen:](./images/smilies/icon_mrgreen.gif)
Ich finde deine Interpretation der Entwicklung von Mad Max, vom Menschen zum Mythos bis zum Messias, ziemlich interessant und möchte dir das gar nicht unbedingt in Abrede erstellen. Es kommt mir aber unweigerlich die Frage: Ist der Schluss vom "Road Warrior"-Vorgänger nicht auch schon ein hoffnungsvoller? Die Truppe rund um den kleinen Jungen und den Gyrocopter-Piloten reist da doch auch in ein gelobtes Land jenseits der Wüsten-Einöde, und der Off-Erzähler berichtet uns, dass sie eine neue Gesellschaft aufgebaut haben und sie das Max und seinem Opfer zu verdanken haben. An sich wiederholt Miller (zusammen mit Ogilvie) diesen Schluss doch eigentlich im dritten Film nur, überhöht ihn aber zusätzlich durch diese religiöse Moses-Komponente. Das ist vielleicht dicker aufgetragen als zuvor, aber ist es so fundamental anders?vodkamartini hat geschrieben: 9. Juni 2024 21:17 Nihilismus, Pessimismus und Aporie sind nicht verschwunden, aber, so die entscheidende Botschaft, es gibt Hoffnung. Eine durchaus bemerkenswerte Neuorientierung im bis dato knallfinsteren Mad Max-Kosmos.
(...)
George Miller greift damit den aus aus vielen Religionen bekannten „Messias“-Mythos auf, was aber sowohl im Kontext seines Worldbuilding wie auch in dem seines Protagonisten sinnhaft erscheint. Die Apokalypse ist nicht nur mit dem Ende allen Lebens konnotiert, sie steht auch für Zeitenwende und Neuanfang. Die Figur des Max Rockatansky wiederum beginnt als aufrechter Familienvater, durchläuft dann die Stationen vom blindwütigen Racheengel zum mythischen Einzelgänger und wartet fortan auf irgendeine Form der Erlösung. Diese könnte natürlich durch Tod, aber eben auch durch eine weitere Metamorphose hin zu einem positiver eingestellten Charakter erfolgen. Miller entschied sich für letzteres und verfolgt diesen Weg fortan konsequent mit dem Trilogieabschluss.
Hierzu mal eine dumme Frage, mit der ich mich jetzt sicherlich blamiere: Müsste es nicht "Exil" statt "Gulag" heißen? Mit einem Gulag verbinde ich nicht, auf ein Pferd gesetzt und davon geschickt zu werden. Für mich hatte dieses Ergebnis auf dem Rad erst bedeutet, dass Max jetzt unten in der Unterwelt Schweinescheiße schaufeln muss, aber seltsamerweise bedeutet in der Postapokalypse Gulag wohl, jemanden einfach ins Nichts reiten zu lassen. Kann mir das jemand erklären?vodkamartini hat geschrieben: 9. Juni 2024 21:17Zur Auswahl stehen u.a. Death, Hard Labor, Gulag, Amputation und Life Imprisonment. Immerhin gibt es eine Chance von 1:9 auf „Freispruch“. Max, der sich weigerte seinen Gegner zu töten, landet auf „Gulag“. Dazu wird er rückwärts auf ein Pferd gesetzt und ohne Wasser in die Wüste getrieben.
Ja, es ist schräg, wie "wenig Tote" es im Donnerkuppel-Film gibt - und besonders schräg ist, dass eines der Kiddies so ganz nebenbei im Treibsand versinkt und krepiert, ohne das es eine der Figuren im Anschluss je wieder groß interessieren würde. Das wirkte auf mich, als wäre es entweder ein Überbleibsel aus Millers ursprünglich geplanter "Lord of the Flies"-Quasiadaption oder aus einem anderweitig früheren Skriptentwurf.Agent 009 hat geschrieben: 21. Mai 2015 10:13 So gibt es zwar Action, aber keine richtige Brutalität im Film, die in den beiden Vorgängern noch sehr präsent war. Hier überleben die 'Bösen' beinahe alles, ohne großen Schaden zu nehmen. Die Geschichte um die Gruppe von Kindern, die in der Wüste überlebt und eine Art Stamm hat, Max als ihren strahlenden Helden sieht ist sehr Familientauglich, wie der ganze Film an sich. Das ganze wirkt weichgespült um ein breites Publikum zu erreichen, was dem Film stellenweise nicht wirklich gut tut. Mehr Konsequenz in einigen Handlungen wäre sicherlich gut gewesen, aber das wäre nicht möglich gewesen, ohne den Film gleich 'härter' zu machen.