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von craigistheman
Agent
Ich habe ihn gestern Abend gesehen, und kann mich Anatol und Vodka nur anschließen. Ich verstehe nicht, wie dieser höchst durchschnittliche Film, der wiedermal alle Kästchen der Netflixschen Gefälligkeitsdramaturgie abhakt, so hochgelobt wird. Remarques Roman habe ich zu meiner großen Schande bis heute nicht gelesen, daher kann ich den Film nur auf Grundlage dessen bewerten, was auf der Leinwand zu sehen ist. Dass sich ein filmisches Werk von der Literaturvorlage emanzipiert, begrüße ich prinzipiell jedoch weitestgehend - anderes Medium, andere Gesetze.
Wer sich in Erinnerung rufen muss, was für ein menschenverachtendes Schlachthaus der 1. Weltkrieg war, oder sich noch nie mit ihm auseinandergesetzt hat, der*die hat nach Sichtung des Filmes ein grobes Bild vor Augen. Das war‘s aber auch schon.
Das Fehlen tieferer Charakterzeichnungen fällt bei der ohnehin ganz auf das visuelle und akustische
Spektakel ausgerichteten Inszenierung nicht weiter ins Gewicht. Ein paar pseudo-andächtige Naturaufnahmen sollen dem ganzen dann einen künstlerischen Touch verpassen. Davon abgesehen bekommen wir hier den Krieg von der Stange, die meisten Dialoge arbeiten sich bis auf wenige Ausnahmen an den üblichen Genreklischees ab. Natürlich darf hier auch die obligatorische Auflockerungsszene mit französischen Frauen nicht fehlen, ganz wie das Sinnieren über die Heimkehr und einem blutrünstigen Zweikampf, der die Absurdität des Geschehens nochmals hervorhebt…
Ich fühlte mich oft an Saving Private Ryan erinnert, Schnittgewitter, Pathos und Kitsch ausgenommen.
Und das führt mich auch zum Kern meiner Kritik: In seiner brachialen Inszenierung liefert der Film meines Erachtens viel zu starke Bilder, um so etwas wie einen Dialog oder Selbstreflexivität zuzulassen. Eine selbstbezogene Auseinandersetzung mit dem Genre „Kriegsfilm“, wie sie Kubrick etwa in seinem Full Metal Jacket anstrebt, fehlt ebenfalls.
So bleibt ein recht belangloser Film, der über seinen Tellerrand nicht hinausblickt und dramaturgisch fragwürdige Entscheidungen zu Gunsten beabsichtigter Effekte trifft - siehe das dann doch sehr konstruierte Filmende.
Auch den Soundtrack empfand ich als störend, da leider wieder einmal stark emotionalisierend und lenkend, noch dazu mit diesen anachronistischen übersteuerten Klängen, die die ohnehin schon wuchtige Szenerie noch wuchtiger machen wollen. Das ist billig und meines Erachtens auch schlechter Geschmack. Ich hätte ganz auf extradiegetische Musik verzichtet.
Angetan war ich im Großen und Ganzen von den spielerischen Leistungen, angefangen bei Felix Kammerer, dessen fantastischen Mimiken mehr aussagen als jedes gesprochene Wort. Etwas enttäuscht hat mich hingegen Devid Striesow, den ich schon fulminanter habe aufspielen sehen.
Edward Bergers Film ist irgendwo zwischen Spielbergs Saving Private Ryan und Kubricks Paths of Glory angesiedelt, erreicht aber weder die Intensität des ersten, noch den Tiefgang des zweiten. Immerhin verschont uns Berger mit allzu kitschigen Betrachtungen zu Heldentum und Ehre, in seinem Film stecken wirklich alle bis zum Hals im Morast. Somit eignet er sich, gerade dem jüngeren Publikum der Generation Tik Tok mit einer Aufmerksamkeitsspanne von 30 Sekunden vor Augen zu führen, wie ein Krieg grob aussehen könnte. Ob er aber durch seine drastischen Kampf- und Gewaltdarstellungen, die überdies noch durch bedeutungsträchtige Landschaftstotalen wie aus dem Pinterest-Archiv unterbrochen werden, nicht eher Faszination denn Abschreckung erzeugt, lässt sich schon hinterfragen.
Vielleicht sollten einfach mehr Filmemacher*innen endlich offen damit umgehen, dass Krieg, Zerstörung und Gewalt immer auch verführerische, faszinierende Aspekte bergen, und eher diese Ambivalenzen untersuchen, als pädagogisch verwertbare „Antikriegsfilme“ oder was immer das auch sein mag, zu drehen, die dem Anliegen in ihrer Ausführung nicht Gerecht werden können.