Re: Die Fluch der Karibik Filme
Verfasst: 21. Juni 2015 18:51
Besser spät als nie...
Pirates of the Caribbean: Dead Man’s Chest (2006, Gore Verbinski)
„I love those moments. I like to wave at them as they pass by.”
Nachdem Verbinskis Disney-Piratenabenteuer 2003 mit seiner einfallsreichen Frische und seinem unwiderstehlichen Charme die Kinogänger fast einhellig in Begeisterung versetzt hatte war es nur eine Frage der Zeit, bis das Sujet in Form einer Fortsetzung weiter ausgeschöpft wird. Das Ergebnis war eine fast sechs Stunden dauernde Fortsetzungsgeschichte in zwei Filme unterteilt, deren erster Abschnitt unter dem Titel Dead Man’s Chest im Jahre 2006 in den Kinos anlief. Mit der berechtigten Frage konfrontiert, auf welche Art und Weise man denn überhaupt an den ganz gut alleinstehenden und in sich abgeschlossenen Curse of the Black Pearl anknüpfen könnte, wagte sich das Team um Blockbuster-Produzent Jerry Bruckheimer, Drehbuchschreiberlinge Ted Elliot und Terry Rossio sowie Regisseur Gore Verbinski in thematisch düstere und narrativ verkomplizierte Gefilde vor, versuchte aber gleichzeitig, die typischen Stilelemente des ersten Films nicht zu vernachlässigen. Heraus kam eine Rechnung, die trotz dieser beiden tollen Summanden nicht wirklich aufging, und von der ich mir wünschte, dass Verbinski sie stattdessen multipliziert hätte.
Die altbekannte Mannschaft blieb nicht nur hinter sondern auch vor der Kamera weitgehend unverändert. So schlüpft Johnny Depp hier ein zweites Mal in die skurrile Rolle der abgehalfterten Piratenlegende Jack Sparrow und erneut macht es meistens Spass, ihm bei den ganzen exzentrischen und fast schon befremdlichen Manierismen zuzuschauen. Köstlich sind vor allem die völlig schrägen Dialoge, beispielsweise über die „Zeichnung eines Schlüssels“, die Depp bzw. Sparrow mit einer solchen Selbstverständlichkeit vom Stapel lässt, dass man einfach nur schmunzeln muss. Andererseits verkommt Sparrow in manchen Teilen der zweiten Filmhälfte schon fast zu einem aufdringlich in die Handlung eingegliederten Nebencharakter, denn der narrative Fokus, der sich im Vorgänger immer auf eine passende Weise an der Sparrow-Figur zu orientieren schien, weiss hier oft nicht, wohin er denn genau will. Aber Verbinski weiss diese dramaturgischen Löcher zu stopfen, denn während Depps Figur in Dead Man’s Chest teilweise abbaut, wächst gleichzeitig Blooms Charakter. Blooms Darbietung des heroischen Abenteurers und zugleich auch dessen Verankerung im Drehbuch wirken um einiges feuriger und ambivalenter als noch im ersten Film. Keira Knightleys ehemalige „Disney-Prinzessin“ dagegen will als hemdsärmeliger Frauentyp irgendwie nicht so recht funktionieren, ihre Flucht aus dem Gefängnis und die selbstständige Reise schauen mir zu sehr danach aus, als hätte man der guten Elizabeth auf Biegen und Brechen noch mehr Screentime und Handlungsrelevanz zuschreiben „müssen“ bzw. wollen, die holde Maid in Nöten, die falls erforderlich auf tapfer sein konnte, gefiel mir da wesentlich besser als die Rollenauslegung im zweiten Teil. Der vierte im Bunde, Geoffrey Rushs diabolisch-ironischer Piratenkapitän, muss sich hier mit einem Cameo-Auftritt zufriedengeben, was anhand der Überfrachtung des Films mit alten und neuen Charakteren auch eine gute Entscheidung ist. Das altbekannte Supporting-Personal dagegen macht auch in Dead Man’s Chest wieder munter mit, wobei Jack Davenport von allen die meisten Akzente setzt, wenn er die süffisante Überheblichkeit seiner Figur mit der heruntergekommenen Wildheit eines Piraten verschmelzen lässt.
Zu dieser Truppe aber gesellen sich noch insgesamt vier verschiedene Neuzugänge, welche für die filmübergreifende Handlung der Teile zwei und drei relevant sind. Der britische Akteur Tom Hollander legt seinen adligen Obermotz wunderbar arrogant, hochmütig und theatralisch an, ohne dabei zu übertreiben, dass es eine wahre Freude ist. Dann wäre da die grossartige Naomie Harris, die als geheimnisvolle und undurchsichtige Zauberin eines der kleinen Highlights des Films darstellt. Ihr erster Auftritt mit der vorangehenden Reise der Protagonisten durch ein exotisches, nächtliches Flussdelta hat etwas Rätselhaftes und Magisches an sich, und sticht in der visuellen Atmosphäre besonders positiv heraus.
Mit den beiden anderen Neulingen im Cast verhält es sich allerdings ein wenig anders. An diesem Punkt machen Verbinski und Konsorten ein komplett neues Fass auf und führen Davy Jones, einen Dämon der Meere als neuen Antagonisten ein. Dargestellt wird Jones als bizarre Kreuzung zwischen Mann, Tintenfisch und Krake, der ein mit Meeresgetier überzogenes, von maritimen Kreaturen bevölkertes Geisterschiff kommandiert, und wird vom britischen Schauspielass Bill Nighy im Motion-Capture-Verfahren verkörpert. Auf dem Papier hört sich das alles schön und gut an, und die digitale Umsetzung der „Fischköpfe“ kann sich auch rundum sehen lassen. Leider aber lässt es sich Nighy nicht nehmen, die Möglichkeiten, welche ihm die Figur in Sachen Bewegung und Mimik gibt voll und ganz auszukosten und diesen Teufel der Meere stimmlich, mimisch und gestisch unverhältnismässig zu übertreiben, vermutlich, um mit dem bewusst von Anfang als Clown angelegten und als solcher auch weitaus besser funktionierenden Sparrow um die Wette zu chargieren. Auch seine Truppe aus korallenverkrusteten Schreckgespenstern ist viel zu häufig und zu sehr mit Herumgehüpfe und gackerndem Gelächter beschäftigt, um wirklich einen beängstigenden oder ernstzunehmenden Eindruck zu hinterlassen. Schade dabei ist vor allem, dass Verbinski viel zu oft auf das verschenkte Potential hinweist, welches in der Idee gesteckt hätte. Die sehr lange Aufbauphase des Davy Jones durch das Erzählen und Andeuten eines schaurigen und tragischen Mythos‘ – beispielsweise in der bereits erwähnten nächtlichen Dschungelszene mit Naomie Harris – und die schaurig-wehmütigen Musikstücke, mit denen Davy Jones‘ Schlaf an der Orgel und die Zerstörungswut seines Kraken urgewaltig akzentuiert werden, sowie die grundlegende Atmosphäre, die um Jones und seine Gefolgsleute – vor allem in deren ersten Auftritt – beschworen wird, lassen nämlich mehr als deutlich erahnen was hier möglich gewesen wäre: Ein sehr dunkles, geheimnisvolles und beeindruckendes Kapitel um einen Verdammten der Meere, eine wirklich gruslige und auch rätselhafte Sagengestalt. So bleiben aber nur die Ansätze davon übrig, die in meinen Augen eine wirklich konsequente und stimmige Verwertung zu oft vermissen lassen.
Ähnlich verschenkt ist auch der vierte der Neuzugänge, der Schwede Stellan Skarsgård, als Turners Vater und Sklave des Davy Jones. Wenn man die Hintergrundgeschichte von Curse of the Black Pearl, welche im ersten Film immer wieder als eine Art Märchen erzählt wurde berücksichtigt, wäre es nicht unbedingt notwendig gewesen, deren Protagonist „Bootstrap-Bill“ noch persönlich einzuführen, und der Figur damit ihre Geheimnisse zu nehmen. Ausserdem legt Skarsgård den Charakter als vollkommen ausdruckslose Schlaftablette an. Das mag im Kontext der Filmhandlung passen, immerhin hat „Bootstrap“ hier sozusagen seine Seele dem Teufel verkauft, ändert für mich jedoch nichts an seiner blassen und langweiligen Darbietung, vor allem wenn man bedenkt, wie hysterisch und überdreht sich seine „Schiffskameraden“ aufführen.
Dead Man’s Chest leidet generell unter dem Problem der Episodenhaftigkeit. Wo Curse of the Black Pearl über alle Massen stimmig, konsequent und in seiner Simplizität einfach goldrichtig war, hat die Fortsetzung des Öfteren Mühe, einen roten Faden zu spinnen und sich zwischen der Legende des Davy Jones, einem Nacheifern des Erstlings und der Vielzahl an Charakteren zu entscheiden. Entsprechend ist Dead Man’s Chest auch vielmehr als die Summe zahlreicher Einzelteile zu betrachten, während der Vorgänger seinen Spass in erster Linie aus seiner Funktion als Gesamtpaket zog. Und diese Einzelteile funktioniere mal mehr, mal weniger gut, verwehren aber die meiste Zeit die elegante Verzahnung und häufig auch den Charme und die Frische des Erstlings. In der ersten Hälfte seines zweieinhalbstündigen Epos‘ hält sich Verbinski gerne mit Nebensächlichkeiten auf, wie der bereits erwähnten Schiffsreise von Elizabeth und – noch viel schlimmer – der sehr langen Episode auf der Kannibaleninsel. Diese ist grundlegend eine nette Idee, als blosses Wiedersehen zwischen Sparrow und Turner aber viel zu umständlich und lang. Die Szene scheint im Gesamtkontext des Films von allen mit Abstand am wenigsten reinzupassen und ist dazu noch vollgestopft mit plakativem Klamauk und absurder Selbstparodie. Das Kunststück des ersten Films, alles mit Komik zu unterlegen und trotzdem immer ganz knapp nicht zu übertreiben, wird hier mit Füssen getreten. Auch die im ersten Teil von mir so hochgelobte Ausstattung und Detailverliebtheit, wird in Dead Man’s Chest nie wirklich erreicht, und das obwohl hier erneut eine Menge Arbeit in den Kulissen, Effekten und Schauplätzen zu stecken scheint. Der im Vorgänger noch unverschämt sprühende Charme derselben hält sich zumindest um Einiges mehr zurück.
Was ich abgesehen von den bereits erwähnten Darstellungen und Umsetzungen einiger Charaktere am gelungensten an Dead Man’s Chest betrachte, ist die grandios geschnittene Anfangsszene mit der Ankunft der Briten im strömenden Regen, einige tolle visuelle Einfälle wie der Match Cut von Tia Dalmas Muscheln auf die identisch angeordnete Inselgruppe und vor allem das verfrühte Ende auf der Strandinsel, mit der Schatzsuche und dem Dreikampf zwischen Norrington, Turner und Sparrow. Dies ist im Prinzip der einzige Teil des Films, der voll und ganz den Geist und den Charme des Vorgängers atmet, wenn sich die drei Streithähne in der für mich tatsächlich schönsten Kulisse des gesamten Films, einem verwahrlosten Kirchturm ein fantasievolles und wendungsreiches Degengefecht liefern, ihren Kampf auf einem lose umherrollenden Mühlrad fortsetzen und alles mit der abenteuerlichen Musik und einer leisen, fast schon stummfilmartigen Slapstick-Komik unterlegt wird, wie z.B. den mit der Schatztruhe davonrennenden Pintel & Ragetti, Elizabeths vorgetäuschtem Ohnmachtsanfall um gegen die Streitsucht „ihrer“ drei Männer zu protestieren und dem Running Gag des verlegenen Grinsens, wenn einer der Kontrahenten mal wieder an seinen leeren Schwertgürtel greift.
Unterm Strich hat die Lange Rede wie so oft einen sehr kurzen Sinn. Mit Dead Man’s Chest präsentiert Gore Verbinski im Auftrag seiner Disney-Geldgeber eine Fortsetzung, die angesichts des hervorragend für sich allein funktionierenden Überraschungshits im Jahre 2003 keiner so wirklich gebraucht hätte, die aber dennoch mit einigen interessanten Neuerungen, wie der sehr düster ausgelegten Davy-Jones-Geschichte, einem dichteren Handlungsgeflecht und diversen Neuinterpretationen der beliebten Elemente aus dem ersten Film aufwartet. Insgesamt geht die Formel des Erstlings dieses Mal aber nicht wirklich auf. Zu sehr fehlt der Charme, die originelle Frische und die spassige, unkomplizierte Simplizität, zu sehr wird versucht, ein inhaltlich komplexeres Epos darzubieten und sich dabei im Drehbuch verheddert und zu sehr zerfällt Dead Man’s Chest in eine Vielzahl mal mehr und mal weniger gut zusammenspielender Episoden. Nicht alle Ansätze werden konsequent genug gefolgt, dafür will Verbinski insgesamt leider viel zu viel erreichen. Dead Man’s Chest ist nicht wirklich schlecht, dafür machen der Dreikampf sowie diverse Einfälle, Szenen und Dialoge zwischendurch zu viel Spass. Er ist aber auch nicht wirklich gut, denn dafür lahmt die umständliche erste Hälfte eindeutig zu sehr und werden Ideen wie die Davy-Jones-Geschichte zu halbherzig umgesetzt.
Wertung: 5,5 / 10
Pirates of the Caribbean: Dead Man’s Chest (2006, Gore Verbinski)
„I love those moments. I like to wave at them as they pass by.”
Nachdem Verbinskis Disney-Piratenabenteuer 2003 mit seiner einfallsreichen Frische und seinem unwiderstehlichen Charme die Kinogänger fast einhellig in Begeisterung versetzt hatte war es nur eine Frage der Zeit, bis das Sujet in Form einer Fortsetzung weiter ausgeschöpft wird. Das Ergebnis war eine fast sechs Stunden dauernde Fortsetzungsgeschichte in zwei Filme unterteilt, deren erster Abschnitt unter dem Titel Dead Man’s Chest im Jahre 2006 in den Kinos anlief. Mit der berechtigten Frage konfrontiert, auf welche Art und Weise man denn überhaupt an den ganz gut alleinstehenden und in sich abgeschlossenen Curse of the Black Pearl anknüpfen könnte, wagte sich das Team um Blockbuster-Produzent Jerry Bruckheimer, Drehbuchschreiberlinge Ted Elliot und Terry Rossio sowie Regisseur Gore Verbinski in thematisch düstere und narrativ verkomplizierte Gefilde vor, versuchte aber gleichzeitig, die typischen Stilelemente des ersten Films nicht zu vernachlässigen. Heraus kam eine Rechnung, die trotz dieser beiden tollen Summanden nicht wirklich aufging, und von der ich mir wünschte, dass Verbinski sie stattdessen multipliziert hätte.
Die altbekannte Mannschaft blieb nicht nur hinter sondern auch vor der Kamera weitgehend unverändert. So schlüpft Johnny Depp hier ein zweites Mal in die skurrile Rolle der abgehalfterten Piratenlegende Jack Sparrow und erneut macht es meistens Spass, ihm bei den ganzen exzentrischen und fast schon befremdlichen Manierismen zuzuschauen. Köstlich sind vor allem die völlig schrägen Dialoge, beispielsweise über die „Zeichnung eines Schlüssels“, die Depp bzw. Sparrow mit einer solchen Selbstverständlichkeit vom Stapel lässt, dass man einfach nur schmunzeln muss. Andererseits verkommt Sparrow in manchen Teilen der zweiten Filmhälfte schon fast zu einem aufdringlich in die Handlung eingegliederten Nebencharakter, denn der narrative Fokus, der sich im Vorgänger immer auf eine passende Weise an der Sparrow-Figur zu orientieren schien, weiss hier oft nicht, wohin er denn genau will. Aber Verbinski weiss diese dramaturgischen Löcher zu stopfen, denn während Depps Figur in Dead Man’s Chest teilweise abbaut, wächst gleichzeitig Blooms Charakter. Blooms Darbietung des heroischen Abenteurers und zugleich auch dessen Verankerung im Drehbuch wirken um einiges feuriger und ambivalenter als noch im ersten Film. Keira Knightleys ehemalige „Disney-Prinzessin“ dagegen will als hemdsärmeliger Frauentyp irgendwie nicht so recht funktionieren, ihre Flucht aus dem Gefängnis und die selbstständige Reise schauen mir zu sehr danach aus, als hätte man der guten Elizabeth auf Biegen und Brechen noch mehr Screentime und Handlungsrelevanz zuschreiben „müssen“ bzw. wollen, die holde Maid in Nöten, die falls erforderlich auf tapfer sein konnte, gefiel mir da wesentlich besser als die Rollenauslegung im zweiten Teil. Der vierte im Bunde, Geoffrey Rushs diabolisch-ironischer Piratenkapitän, muss sich hier mit einem Cameo-Auftritt zufriedengeben, was anhand der Überfrachtung des Films mit alten und neuen Charakteren auch eine gute Entscheidung ist. Das altbekannte Supporting-Personal dagegen macht auch in Dead Man’s Chest wieder munter mit, wobei Jack Davenport von allen die meisten Akzente setzt, wenn er die süffisante Überheblichkeit seiner Figur mit der heruntergekommenen Wildheit eines Piraten verschmelzen lässt.
Zu dieser Truppe aber gesellen sich noch insgesamt vier verschiedene Neuzugänge, welche für die filmübergreifende Handlung der Teile zwei und drei relevant sind. Der britische Akteur Tom Hollander legt seinen adligen Obermotz wunderbar arrogant, hochmütig und theatralisch an, ohne dabei zu übertreiben, dass es eine wahre Freude ist. Dann wäre da die grossartige Naomie Harris, die als geheimnisvolle und undurchsichtige Zauberin eines der kleinen Highlights des Films darstellt. Ihr erster Auftritt mit der vorangehenden Reise der Protagonisten durch ein exotisches, nächtliches Flussdelta hat etwas Rätselhaftes und Magisches an sich, und sticht in der visuellen Atmosphäre besonders positiv heraus.
Mit den beiden anderen Neulingen im Cast verhält es sich allerdings ein wenig anders. An diesem Punkt machen Verbinski und Konsorten ein komplett neues Fass auf und führen Davy Jones, einen Dämon der Meere als neuen Antagonisten ein. Dargestellt wird Jones als bizarre Kreuzung zwischen Mann, Tintenfisch und Krake, der ein mit Meeresgetier überzogenes, von maritimen Kreaturen bevölkertes Geisterschiff kommandiert, und wird vom britischen Schauspielass Bill Nighy im Motion-Capture-Verfahren verkörpert. Auf dem Papier hört sich das alles schön und gut an, und die digitale Umsetzung der „Fischköpfe“ kann sich auch rundum sehen lassen. Leider aber lässt es sich Nighy nicht nehmen, die Möglichkeiten, welche ihm die Figur in Sachen Bewegung und Mimik gibt voll und ganz auszukosten und diesen Teufel der Meere stimmlich, mimisch und gestisch unverhältnismässig zu übertreiben, vermutlich, um mit dem bewusst von Anfang als Clown angelegten und als solcher auch weitaus besser funktionierenden Sparrow um die Wette zu chargieren. Auch seine Truppe aus korallenverkrusteten Schreckgespenstern ist viel zu häufig und zu sehr mit Herumgehüpfe und gackerndem Gelächter beschäftigt, um wirklich einen beängstigenden oder ernstzunehmenden Eindruck zu hinterlassen. Schade dabei ist vor allem, dass Verbinski viel zu oft auf das verschenkte Potential hinweist, welches in der Idee gesteckt hätte. Die sehr lange Aufbauphase des Davy Jones durch das Erzählen und Andeuten eines schaurigen und tragischen Mythos‘ – beispielsweise in der bereits erwähnten nächtlichen Dschungelszene mit Naomie Harris – und die schaurig-wehmütigen Musikstücke, mit denen Davy Jones‘ Schlaf an der Orgel und die Zerstörungswut seines Kraken urgewaltig akzentuiert werden, sowie die grundlegende Atmosphäre, die um Jones und seine Gefolgsleute – vor allem in deren ersten Auftritt – beschworen wird, lassen nämlich mehr als deutlich erahnen was hier möglich gewesen wäre: Ein sehr dunkles, geheimnisvolles und beeindruckendes Kapitel um einen Verdammten der Meere, eine wirklich gruslige und auch rätselhafte Sagengestalt. So bleiben aber nur die Ansätze davon übrig, die in meinen Augen eine wirklich konsequente und stimmige Verwertung zu oft vermissen lassen.
Ähnlich verschenkt ist auch der vierte der Neuzugänge, der Schwede Stellan Skarsgård, als Turners Vater und Sklave des Davy Jones. Wenn man die Hintergrundgeschichte von Curse of the Black Pearl, welche im ersten Film immer wieder als eine Art Märchen erzählt wurde berücksichtigt, wäre es nicht unbedingt notwendig gewesen, deren Protagonist „Bootstrap-Bill“ noch persönlich einzuführen, und der Figur damit ihre Geheimnisse zu nehmen. Ausserdem legt Skarsgård den Charakter als vollkommen ausdruckslose Schlaftablette an. Das mag im Kontext der Filmhandlung passen, immerhin hat „Bootstrap“ hier sozusagen seine Seele dem Teufel verkauft, ändert für mich jedoch nichts an seiner blassen und langweiligen Darbietung, vor allem wenn man bedenkt, wie hysterisch und überdreht sich seine „Schiffskameraden“ aufführen.
Dead Man’s Chest leidet generell unter dem Problem der Episodenhaftigkeit. Wo Curse of the Black Pearl über alle Massen stimmig, konsequent und in seiner Simplizität einfach goldrichtig war, hat die Fortsetzung des Öfteren Mühe, einen roten Faden zu spinnen und sich zwischen der Legende des Davy Jones, einem Nacheifern des Erstlings und der Vielzahl an Charakteren zu entscheiden. Entsprechend ist Dead Man’s Chest auch vielmehr als die Summe zahlreicher Einzelteile zu betrachten, während der Vorgänger seinen Spass in erster Linie aus seiner Funktion als Gesamtpaket zog. Und diese Einzelteile funktioniere mal mehr, mal weniger gut, verwehren aber die meiste Zeit die elegante Verzahnung und häufig auch den Charme und die Frische des Erstlings. In der ersten Hälfte seines zweieinhalbstündigen Epos‘ hält sich Verbinski gerne mit Nebensächlichkeiten auf, wie der bereits erwähnten Schiffsreise von Elizabeth und – noch viel schlimmer – der sehr langen Episode auf der Kannibaleninsel. Diese ist grundlegend eine nette Idee, als blosses Wiedersehen zwischen Sparrow und Turner aber viel zu umständlich und lang. Die Szene scheint im Gesamtkontext des Films von allen mit Abstand am wenigsten reinzupassen und ist dazu noch vollgestopft mit plakativem Klamauk und absurder Selbstparodie. Das Kunststück des ersten Films, alles mit Komik zu unterlegen und trotzdem immer ganz knapp nicht zu übertreiben, wird hier mit Füssen getreten. Auch die im ersten Teil von mir so hochgelobte Ausstattung und Detailverliebtheit, wird in Dead Man’s Chest nie wirklich erreicht, und das obwohl hier erneut eine Menge Arbeit in den Kulissen, Effekten und Schauplätzen zu stecken scheint. Der im Vorgänger noch unverschämt sprühende Charme derselben hält sich zumindest um Einiges mehr zurück.
Was ich abgesehen von den bereits erwähnten Darstellungen und Umsetzungen einiger Charaktere am gelungensten an Dead Man’s Chest betrachte, ist die grandios geschnittene Anfangsszene mit der Ankunft der Briten im strömenden Regen, einige tolle visuelle Einfälle wie der Match Cut von Tia Dalmas Muscheln auf die identisch angeordnete Inselgruppe und vor allem das verfrühte Ende auf der Strandinsel, mit der Schatzsuche und dem Dreikampf zwischen Norrington, Turner und Sparrow. Dies ist im Prinzip der einzige Teil des Films, der voll und ganz den Geist und den Charme des Vorgängers atmet, wenn sich die drei Streithähne in der für mich tatsächlich schönsten Kulisse des gesamten Films, einem verwahrlosten Kirchturm ein fantasievolles und wendungsreiches Degengefecht liefern, ihren Kampf auf einem lose umherrollenden Mühlrad fortsetzen und alles mit der abenteuerlichen Musik und einer leisen, fast schon stummfilmartigen Slapstick-Komik unterlegt wird, wie z.B. den mit der Schatztruhe davonrennenden Pintel & Ragetti, Elizabeths vorgetäuschtem Ohnmachtsanfall um gegen die Streitsucht „ihrer“ drei Männer zu protestieren und dem Running Gag des verlegenen Grinsens, wenn einer der Kontrahenten mal wieder an seinen leeren Schwertgürtel greift.
Unterm Strich hat die Lange Rede wie so oft einen sehr kurzen Sinn. Mit Dead Man’s Chest präsentiert Gore Verbinski im Auftrag seiner Disney-Geldgeber eine Fortsetzung, die angesichts des hervorragend für sich allein funktionierenden Überraschungshits im Jahre 2003 keiner so wirklich gebraucht hätte, die aber dennoch mit einigen interessanten Neuerungen, wie der sehr düster ausgelegten Davy-Jones-Geschichte, einem dichteren Handlungsgeflecht und diversen Neuinterpretationen der beliebten Elemente aus dem ersten Film aufwartet. Insgesamt geht die Formel des Erstlings dieses Mal aber nicht wirklich auf. Zu sehr fehlt der Charme, die originelle Frische und die spassige, unkomplizierte Simplizität, zu sehr wird versucht, ein inhaltlich komplexeres Epos darzubieten und sich dabei im Drehbuch verheddert und zu sehr zerfällt Dead Man’s Chest in eine Vielzahl mal mehr und mal weniger gut zusammenspielender Episoden. Nicht alle Ansätze werden konsequent genug gefolgt, dafür will Verbinski insgesamt leider viel zu viel erreichen. Dead Man’s Chest ist nicht wirklich schlecht, dafür machen der Dreikampf sowie diverse Einfälle, Szenen und Dialoge zwischendurch zu viel Spass. Er ist aber auch nicht wirklich gut, denn dafür lahmt die umständliche erste Hälfte eindeutig zu sehr und werden Ideen wie die Davy-Jones-Geschichte zu halbherzig umgesetzt.
Wertung: 5,5 / 10