GoldenProjectile hat geschrieben: 21. Januar 2025 23:30
AnatolGogol hat geschrieben: 18. Januar 2025 18:27
Dennoch ist die Grundhandlung für meinen Geschmack etwas zu dünn
Es kommen zwar keine surrealen Handlungssprünge, Traumwelten oder fantastische Elemente vor, aber der ganze Film ist durchsetzt mit lupenreinem Lynch-Stil in visueller und akustischer Form.
Ich habe mit geschaut und kann nur sagen: Peak-Noir!
In "Blue Velvet" ist alles, wirklich alles drin, was Lynch ausmacht(e), in seiner ursprünglichen Form. Das idyllische 50s-Melodramen Americana, der Vorstadt-Himmel, in dem er aufgewachsen ist, ist zwar mit Nostalgie verbunden, aber mit einer trügerischen. Diese Welt hat nie existiert, sie war bloß eine Kindheitsfantasie – die Sentimentalität feiert nicht ihre Existenz, sondern trauert darüber, dass sie gar nicht existieren kann. Die Welt der Erwachsenen verdirbt alles: Alles Süße scheint vergiftet, pervertiert, zerstört zu werden. Bei Lynch ist die Wahrheit, die jeder kennt und immer verzweifelt zu verbergen versucht, am Anfang und am Ende, dass der Albtraum nie endet.
Lynch versteht, dass wir alle böse sind oder zumindest die Fähigkeit zu großem Bösen in uns tragen. Das Böse liegt tief unter der Oberfläche, ist verankert in unserem Fundament, wie die Würmer, die sich aus dem Boden winden. Lynchs Konzept "Ein Hardy Boy und Nancy Drew entdecken die wahre Dunkelheit der Welt“ ist der große Antrieb des ersten Akts, ehe Hopper auftritt, der als völlig wahnsinniger Frank Booth diese Düsternis in uns allen gänzlich auf die Spitze treibt. Er ist der möglicherweise gefährlichste und gewalttätigste Ausdruck des freudianischen Es in der gesamten Filmgeschichte.
Nach 12 Minuten oder so taucht erstmals Laura Dern auf und schreitet einfach aus der Dunkelheit ins Licht. Ihre Sandy ist eine Figur der Unschuld; strahlend, mutig, hilfsbereit. Sie unterstützt bei der Aufdeckung der Geheimnisse, bleibt aber an die Kleinstadtperspektive gebunden, klammert sich unbewusst an die Fassade. Sie ist die perfekte Spiegelung von Protagonist Jeffrey ("Du bist ein nettes Mädchen." - "Du auch... ich meine, du bist ein netter Kerl."), denn er hat gesehen, wovon sie nur hört, was sie sich gar nicht vorstellen kann, und er fühlt sich zu ihr hingezogen, um die strahlende Reinheit wiederzuerlangen, die Sandy symbolisiert, aber er kann nicht umkehren von dem, was er gesehen, und getan hat, von dem was er jetzt weiß.
Es ist also auch ein Film über das Erwachsenwerden, und ein verdammt raffinierter. Und als Dern da aus der Dunkelheit kam und Angelo Badalamenti seine beste Herrmann-Variation darunterlegt, dachte ich: Wie klein müssen sich so viele Filmemacher fühlen, da sie doch wissen, dass ihnen nie ein "Blue Velvet" gelingen wird?