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Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 18. Dezember 2022 14:15
von AnatolGogol
vodkamartini hat geschrieben: 18. Dezember 2022 10:57 Auch wenn das heute nicht mehr sonderlich aufregend wirkt - die oben von einem von Euch aufgestellte These, oder besser Meinung - es handelte sich um den besten Shootout der Filmgeschichte, kann ich nicht teilen. Da fallen mir durchaus Beispiele ein, die ich für besser halte.
Kannst du ein paar dieser Filme nennen? Ich würde vermuten, dass Heat in jedem Fall dabei sein dürfte. :)
Und deine Einschätzung von The Wild Bunch in Noten würde mich auch noch interessieren.

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 18. Dezember 2022 14:25
von vodkamartini
Auf alle Fälle "Heat", klar. ;) Aber auch: "Assault on Precinct 13", "Face/Off" (und andere von Woo), "The Untouchables", "L.A. Confidential", "Open Range", wobei ich einige davon erst mal wieder im direkten Vergleich sehen müsste. Im Hinterkopf habe ich auch noch "Point Break", "Matrix", "John Wick" (die Erstürmung seines Hauses in Teil 1).

Ob diese besser inszeniert sind, ist sicher diskutabel und hängt von den eigenen Vorlieben etc. ab, das immer sehr komplex. Ich kann aber sagen, das sie mich alle mehr mitgerissen haben.
Man muss aber auch zugeben, dass Peckinpah all diese Beispiele vermutlich (mindestens indirekt) beeinflusst hat.

The Wild Bunch in Punkten? 8-9/10

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 18. Dezember 2022 22:26
von GoldenProjectile
@ vodka

Interessant. Ich dachte du hattest The Wild Bunch hier irgendwann schon mal bewertet. War das ein Irrtum?

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 18. Dezember 2022 22:40
von vodkamartini
Muss ein Irrtum gewesen sein. Entweder von mir, dass ich ihn fälschlicherweise bewerte hatte, oder von dir, dass du dachtest, ich hätte ihn bewertet. Jedenfalls hatte ich ihn wohl vorher noch nie gesehen.

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 18. Dezember 2022 23:39
von GoldenProjectile
Straw Dogs (Sam Peckinpah, 1971)

"I will not allow violence against this house."

Straw Dogs war Sam Peckinpahs erster Film ausserhalb des Westerngenres und positioniert sich als in England angesiedelter psychologischer Rachethriller gleich deutlich abseits von "Bloody Sams" Vorwerk. Es war aber auch der erste Peckinpah-Film, der mich bei der Erstsichtung etwas gleichgültig und damit enttäuscht zurückliess und ist damit einer der interessantesten Kandidaten für eine neue Evaluierung.

Leider bleiben neue Erkenntnisse zugunsten einer Bekräftigung alter Meinungen fast vollständig aus. Auch wenn auf dem Papier alles da ist, der Bauch will nur bedingt gutheissen, was heute Nachmittag über die Mattscheibe geflimmert ist. Die Intentionen der Studie einer Gewalteruption sind klar und im Kern auch schlüssig, nur was hilft es, wenn es irgendwie doch nicht so ganz zünden will?

Das fängt bei den beiden Protagonisten Dustin Hoffman und Susan George an. Die Beziehung der beiden ist von Anfang toxisch. Hoffmans David bewirft Amys geliebte Katze verächtlich mit Obst und bietet nach deren Tod kaum Interesse, geschweige denn Trost an, was generell seine Lieblosigkeit in den wichtigen zwischenmenschlichen Aspekten der Beziehung verdeutlicht. Dazu dürfte rasch für alle offensichtlich werden, wie hilflos David seine soziale Unbeholfenheit und sein feiges Wesen durch den vorgespielten Machismus in seiner Ehe zu kompensieren versucht. Gleichzeitig ist Georges Amy damit beschäftigt, auf kindische Art und Weise die eigenbrötlerische Forschungsarbeit ihres Gatten auf dem Niveau "Kaugummi an die Schreibtafel kleben" zu stören (worauf Hoffman ähnlich kindisch reagiert) und anderweitig provokativ aber wenig produktiv seine Grenzen herauszufordern. Natürlich ist das alles irgendwie Sinn der Sache, aber mir nimmt es in dieser Form zwischendurch fast jede Anteilnahme am Schicksal der Figuren abseits der zynischen Haltung, jede Rolle, ausser vielleicht mit etwas Gnadensympathie Amy, ins Pfefferland wünschen zu wollen.

Die Abneigung der Dorfbewohner gegenüber dem kauzigen David ist folglich gar nicht mal so weit hergeholt, Hoffman ist auch für mich hier schnell mal ein Unsympath. Aber natürlich sind die Dorfbewohner hier die Antagonisten und ihre Handlungen gehen fortschreitend ins Böswillige über. Das leidet für mich aber darunter, dass ihre Ablehnung von David, gekoppelt an die Spitzheit auf Amy, nahezu von Anfang an schnell, klar aber auch eindimensional ins Geschehen geworfen werden. Im Dorf herrscht halt eine verschworene Gemeinschaft in die David (aber auch Henry Niles) nicht reinpassen und folglich geächtet werden, und damit fertig. Auch hier mag sein, dass das auf dem Papier alles gut funktioniert, Mobbing ist ja auch in echt ähnlich irrational. Aber wieder hilft es nichts, wenn der Bauch es irgendwie nicht gutheissen will und wenig Anteilnahme nimmt an dem was er als eher etwas plump aufbereitetes Mobbing unter wenig sympathischen Leuten wahrnimmt. Noch ein Beispiel: Das gesamte Spektakel explodiert schlussendlich wegen Janice und Niles, allerdings erfährt der Lynchmob um Rädelsführer Tom ja gar nie, dass der kranke Niles die arme Janice in seiner Panik tatsächlich getötet hat. Der ganze Zorn basiert auf einem allgemeinen Hass auf Niles, und es wird ja schon früh klar gemacht dass Tom und seine Bande auf Niles rumhacken, weil der sich ja an Janice ranmache. Alles was ich sehe ist aber eine Janice, die sich von sich aus bereitwillig an Niles (aber auch an David) ranschmeissen will. Heisst die Eskalation basiert darauf dass die eindimensionalen Dörfler die für mich einfach so in den Raum geworfenen Anmachen der ebenfalls eindimensionalen Janice falsch verstehen, nichts davon wissen oder nichts wissen wollen, letztendlich ist mir das figürlich alles nicht wirklich schlüssig und eher etwas plump. Das mal als Erklärungsversuch, weshalb ich die figürliche und psychologische Entwicklung der Geschichte nicht für besonders elegant halte.

Am Ende ist mir auch Davids Blutrausch zu weit weg von seinem etablierten linkischen Wesen, zu präzise und zu gnadenlos mörderisch. Da war beispielsweise Travis' Amoklauf in Taxi Driver fünf Jahre später charakterlich und auch insgesamt wesentlich glaubhafter und von Anfang an kausaler aufgebaut. Bei David bin ich eher in der Position, den etablierten Background weitgehend auszublenden und ihn ab diesem Punkt aus Prinzip als Hausverteidiger gegenüber der antagonistischen Belagerer zu akzeptieren. Womöglich wirkt der grosse "Showdown" auch einfach zu lang und zu ausufernd, um in dieser Hinsicht noch einen glaubhaften Zusammenhang zur realistischen ersten Filmhälfte zu haben, auch hier kann ich eigentlich wieder Taxi Driver als Gegenbeispiel aufführen.

Das liest sich jetzt alles bestimmt schrecklich vernichtend, ist aber nur ein Erklärungsversuch, warum Straw Dogs verglichen mit meinen eigenen Wertungen zu anderen Peckinpah-Filmen wie auch mit den meisten Wertungen anderer Rezensenten dieses Films viel weniger enthusiastisch ausfällt. Letztendlich ist Straw Dogs immer noch ein professioneller und thematisch wie auch stilistisch "reinblütiger" Peckinpah-Film, was ihm gewissermassen schon einen Grundstock an Wertungspunkten gibt bzw. den Wertungsbereich, in dem wir uns etwa aufhalten diktiert. Die grimmigen, nebligen, englischen Landschaften sind exzellent fotografiert, der Schnitt und die visuelle Aufbereitung sind vielerorts exzellent, etwa die parallel laufenden Jagd- und Vergewaltigungsszenen. Die gefühlt letzte halbe Stunde, also der Showdown, ist als Thriller- und Actionkino bärenstark, wenn ich wie oben angedeutet den Weg dahin auch mal ausblende und mich auf das handwerkliche und das Spannungselement einlasse. Straw Dogs ist also keineswegs ein schlechter Film, aber für einen glasklar figürlich und psychologisch motivierten und auf diesen Gebieten auch ambitionierten Film funktioniert für mich die figürliche und psychologische Ebene halt einfach nicht so recht.

Wertung: 6,5 / 10

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 19. Dezember 2022 08:45
von AnatolGogol
Na ich sagte doch, dass in den kommenden Filmen Diskussionspotenzial liegt! :D
GoldenProjectile hat geschrieben: 18. Dezember 2022 23:39 Die Abneigung der Dorfbewohner gegenüber dem kauzigen David ist folglich gar nicht mal so weit hergeholt, Hoffman ist auch für mich hier schnell mal ein Unsympath. Aber natürlich sind die Dorfbewohner hier die Antagonisten und ihre Handlungen gehen fortschreitend ins Böswillige über. Das leidet für mich aber darunter, dass ihre Ablehnung von David, gekoppelt an die Spitzheit auf Amy, nahezu von Anfang an schnell, klar aber auch eindimensional ins Geschehen geworfen werden. Im Dorf herrscht halt eine verschworene Gemeinschaft in die David (aber auch Henry Niles) nicht reinpassen und folglich geächtet werden, und damit fertig. Auch hier mag sein, dass das auf dem Papier alles gut funktioniert, Mobbing ist ja auch in echt ähnlich irrational.
Ich denke schon, dass es ein bewusster Punkt von Peckinpah ist aufzuzeigen, dass die dargestellten Mechanismen eben nicht ausschliesslich von einer "bösen" Seite ausgehen, sondern nur dadurch richtig Fahrt aufnehmen, dass beide Parteien sich falsch benehmen. Davids linkische Seite würde ich ihm dabei noch nicht einmal vorhalten wollen - er ist halt so - wohl aber, dass er keinerlei Anstalten macht, sich in die neue Gesellschaft zu integrieren. Der Film zeigt dies in diversen Szenen, etwa wenn er die Einladung des alten Tom Hedden ablehnt oder wenn er sich gegenüber dem Reverend, dessen Frau und dem Friedensrichter aufspielt wie ein arrogantes A.r.schloch. Schwieriger ist es sicherlich, in den Dorfrüpeln etwas "gutes" zu finden (wobei die handvoll Typen ja im Film nicht repräsentativ für den Rest des Dorfes stehen, so sind beispielsweise der Wirt und der Friedensrichter ganz offensichtlich deutlich vernünftigere und umgänglichere Mitmenschen). Aber auch hier ist die Ablehnung des Fremden, nicht ins eigene Bild passenden Sonderlings in meinen Augen keineswegs weit hergeholt, sondern eigentlich sehr nah an der Realität.
GoldenProjectile hat geschrieben: 18. Dezember 2022 23:39 Noch ein Beispiel: Das gesamte Spektakel explodiert schlussendlich wegen Janice und Niles, allerdings erfährt der Lynchmob um Rädelsführer Tom ja gar nie, dass der kranke Niles die arme Janice in seiner Panik tatsächlich getötet hat. Der ganze Zorn basiert auf einem allgemeinen Hass auf Niles, und es wird ja schon früh klar gemacht dass Tom und seine Bande auf Niles rumhacken, weil der sich ja an Janice ranmache. Alles was ich sehe ist aber eine Janice, die sich von sich aus bereitwillig an Niles (aber auch an David) ranschmeissen will. Heisst die Eskalation basiert darauf dass die eindimensionalen Dörfler die für mich einfach so in den Raum geworfenen Anmachen der ebenfalls eindimensionalen Janice falsch verstehen, nichts davon wissen oder nichts wissen wollen, letztendlich ist mir das figürlich alles nicht wirklich schlüssig und eher etwas plump. Das mal als Erklärungsversuch, weshalb ich die figürliche und psychologische Entwicklung der Geschichte nicht für besonders elegant halte.
Auch das halte ich für eine bewusste Entscheidung von Peckinpah, also eben nicht das ganze Ausmaß der Tragödie den handelnden Personen zu offenbaren (was als Rechtfertigung der Handlungen von Hedden & Co. ja deutlich nachvollziehbarer wäre), sondern lediglich einen Verdacht vorherrschen zu lassen. Wie du schon richtig schriebst ist der Motor für die Gewalt am Ende eher die sich lange aufgebauten Animositäten gegen Niles (und David). Bezüglich Niles und Janice sehe ich das etwas anders. Der FIlm lässt ja bereits früh durchblicken, dass Niles eine Vergangenheit hat in Bezug auf die Belästigung von Kindern/jungen Jugendlichen hat (was genau macht der Film nicht zweifelsfrei klar. Der Argwohn, der ihm bei der Szene, in der er den Kindern den Ball zuwirft von breiter Seite entgegenschlägt, lässt aber ersteres vermuten). Daher auch die Animosität des alten Hedden ihm und seinem Bruder gegenüber quasi als Ausdruck der Ächtung. Dass sich zwischen Janice und Niles möglicherweise etwas anbahnen könnte, das sehe ich hier überhaupt nicht als Motivation, sondern lediglich der Argwohn des Vaters einer jungen Tochter gegenüber einem in der Vergangenheit unangenehm aufgefallenen Aussenseiter. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Venner zu Beginn auf Amys Frage, warum Niles nicht in einer Anstalt sei meint, man würde im Dorf selber damit fertig. Das klingt erstaunlich verständnisvoll angesichts von Niles mutmaßlichem früheren Vergehen, kann aber natürlich auch als Vorwegnahme dessen verstanden werden, was Niles im letzten Filmdrittel droht: die Selbstjustiz eines aufgebrachten Mobs.


GoldenProjectile hat geschrieben: 18. Dezember 2022 23:39 Am Ende ist mir auch Davids Blutrausch zu weit weg von seinem etablierten linkischen Wesen, zu präzise und zu gnadenlos mörderisch. Da war beispielsweise Travis' Amoklauf in Taxi Driver fünf Jahre später charakterlich und auch insgesamt wesentlich glaubhafter und von Anfang an kausaler aufgebaut. Bei David bin ich eher in der Position, den etablierten Background weitgehend auszublenden und ihn ab diesem Punkt aus Prinzip als Hausverteidiger gegenüber der antagonistischen Belagerer zu akzeptieren. Womöglich wirkt der grosse "Showdown" auch einfach zu lang und zu ausufernd, um in dieser Hinsicht noch einen glaubhaften Zusammenhang zur realistischen ersten Filmhälfte zu haben, auch hier kann ich eigentlich wieder Taxi Driver als Gegenbeispiel aufführen.
Auch das sehe ich als wesentlichen Punkt des Films, den radikalen charakterlichen Wandel von David als Folge seiner toxischen Beziehung mit Amy und seiner Inkompatibilität mit der fremden Gesellschaft. Ironisch ist darüber hinaus, dass David im Schlussakt letztlich genau so agiert, wie es Amy in der ersten Filmhälfte permanent fordert: aktiv und aggressiv - gerade im Umgang mit dem "Dorfpöbel". Auch das ist letztlich wieder ein eindeutiger Beleg dafür, wie hoffnungslos die Sumner-Ehe ist. Die äusseren Umstände sorgen nicht für die Auflösung der Sumner-Ehe, sie machen sie lediglich deutlich.

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 19. Dezember 2022 08:54
von vodkamartini
Ich bin einigermaßen konsterniert. Bei Straw Dogs dachte ich ich hätte ihn, Fehlanzeige. Im Stream nirgends zu finden und zum Kaufen viel, viel zu teuer. Bin ich leider raus. Habe aber vor ein paar Jahren das Remake gesehen, das ich nur sehr mäßig fand, obgleich 1:1 dieselbe Story. Hilft uns hier aber auch nicht weiter. Ich habe aber ganz sicher "Pat Garrett .. " und "Steiner", also da geht dann wirklich was.

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 19. Dezember 2022 09:16
von AnatolGogol
vodkamartini hat geschrieben: 19. Dezember 2022 08:54 Ich bin einigermaßen konsterniert. Bei Straw Dogs dachte ich ich hätte ihn, Fehlanzeige. Im Stream nirgends zu finden und zum Kaufen viel, viel zu teuer. Bin ich leider raus.
Ja, das ist leider ein echtes Problem bei vielen Peckinpah-Titeln. Viele seiner auf BD erschienenen Filme sind mittlerweile vergriffen und nur noch gebraucht und vergleichsweise teuer zu bekommen. Straw Dogs ist in D ja auch nie auf BD erschienen, die verhältnismäßig günstige Erstauflage von MGM bekommt man auf ebay.com zwar immer noch zu einem fairen Kurs, aber die Transportkosten aus den Staaten machen hier den Kohl dann doch recht fett.


Kleine Anekdote zu Straw Dogs: ich habe den Film erst recht spät gesehen, das muss Mitte der 00er Jahre gewesen sein, in einer TV-Ausstrahlung auf einem kleinen privaten Kanal (ich meine es war der längst nicht mehr aktive Kanal DasVierte). Der Clou daran: es war eine heftig geschnittene Fassung. Am brutalsten ging die Zensur hier natürlich bei der Vergewaltigungsszene vor und schnitt die so radikal zusammen, dass man kaum noch verstehen konnte, was da eigentlich passiert. Die Cut-Fassung zeigte von der Vergewaltigung nur den ersten Teil mit Charlie Venner und auch davon nur eine zusammengeschnittene Version, so dass es deutlich mehr nach hartem, aber einvernehmlichen Sex ausschaute. Der Rest incl. der zweiten Vergewaltigung fehlte wie gesagt komplett. So ergab Amys anschliessendes Verhalten keinerlei Sinn mehr, aus Amy wurde eine lupenreine Ehebrecherin und ihr "Verrat" während der Belagerung machte sie nur noch mehr zur "Bösen". Ich konnte daher mit dem Film auch wenig anfangen und erst bei Zweitsichtung (dann in der ungeschnittenen Version) machte es richtig "klick" und ich konnte den Film endlich verstehen und schätzen lernen.

War übrigens keine einmalige Geschichte, genau das gleich habe ich auch mit John Boormans "Deliverance" aka "Beim Sterben ist jeder der erste" erlebt, dort war es ebenfalls die Vergewaltigungsszene, die praktisch nicht mehr vorhanden war und wodurch der restliche Film und das Verhalten der Figuren kaum noch irgendeinen Sinn ergab.

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 21. Dezember 2022 23:22
von GoldenProjectile
AnatolGogol hat geschrieben: 19. Dezember 2022 08:45 Auch das halte ich für eine bewusste Entscheidung von Peckinpah, also eben nicht das ganze Ausmaß der Tragödie den handelnden Personen zu offenbaren
Mag sein, aber mir bringt das auch nicht viel. Weiss der alte, dass Janice sich aus freien Stücken mit Niles einlässt aber gibt trotzdem nur allen anderen (z.B. Niles' Bruder) die Schuld? Und warum lässt sie sich überhaupt so bereitwillig auf ihn ein? Mir kommt das alles ein bisschen zu unfertig vor, oder als würden sich alle Beteiligten einfach dumm anstellen, ohne dass ich die genauen Beweggründe kenne oder nachvollziehen könnte.
AnatolGogol hat geschrieben: 19. Dezember 2022 08:45 Auch das sehe ich als wesentlichen Punkt des Films, den radikalen charakterlichen Wandel von David als Folge seiner toxischen Beziehung mit Amy und seiner Inkompatibilität mit der fremden Gesellschaft.
Aber ein charakterlicher Wandel kann ja nicht alles erklären. Travis Bickle benutzt im Bordellgemetzel aus Taxi Driver Kampftricks, die er zuvor lange einstudiert hat und stellt sich dabei trotzdem auch etwas linkisch an. David Sumner hantiert wie selbstverständlich mit Drahtschlingen und kochendem Öl, das Auftreten und wie er seine Handlungen ausführt haben vielleicht die charakterliche Motivation, aber wirken trotzdem noch eine Spur zu professionell und abgebrüht.

Ein Vergleich wäre natürlich auch noch Hot Fuzz, denn das von Straw Dogs mitgeprägte Subgenre des hinterwäldlerischen, ruralen, englischen Thrillers und explizit auch Straw Dogs selber (nicht umsonst auch namentlich erwähnt) ist zusammen mit US-Proletenaction à la Michael Bay die wichtigste Zutat dieses referenziellen Meta-Rezepts, das mindestens genauso sehr vertritt wie es parodiert. Und in Hot Fuzz ist das "World-Building" um die bösartige Dorfgemeinschaft viel ausgefeilter und detaillierter (obwohl natürlich bewusst überzeichnet), Straw Dogs ist da eher der Rohdiamant mit wenigen Charakteren und überschaubarer Konstellation (auch wenn man darin natürlich auch komplexe charakterliche Konzepte entdecken kann, nur ist mir eben das bisher noch nicht so überzeugend gelungen). Dass mich Hot Fuzz deutlich mehr begeistert, hat viele Gründe von denen viele natürlich nicht rational erklärt werden können, aber dass ich ihn etwa zehn mal häufiger gesehen habe ist einer davon.

Und letztlich sind auch die Gründe dass der Funke bisher nicht so ganz überspringen konnte (dabei sollte Stroh doch leicht brennbar sein) ebenfalls nicht wirklich rational erklärbar. Aber in Kenntnis der nächsten vier Stationen kann ich schon mal verraten, dass das nicht noch einmal passieren sollte. :)

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 22. Dezember 2022 08:11
von AnatolGogol
GoldenProjectile hat geschrieben: 21. Dezember 2022 23:22 Mag sein, aber mir bringt das auch nicht viel. Weiss der alte, dass Janice sich aus freien Stücken mit Niles einlässt aber gibt trotzdem nur allen anderen (z.B. Niles' Bruder) die Schuld?
Der alte Tom Hedden geht natürlich davon aus, dass Henry Niles sich an seine Tochter genau so ranmacht, wie er es bereits vorher schon bei anderen Kindern/Jugendlichen gemacht hat. Gehen wir davon aus, das Niles tatsächlich pädophile Tendenzen aufweist (wie bereits erwähnt ist die Szene mit dem Ball und den Kindern ein ultraheisser Hinweis darauf), dann würde es ja eigentlich gar keinen Sinn ergeben, dass er sich an die vergleichsweise alte Janice ranmacht. Aber: der Film macht auch zwei Dinge recht deutlich: nämlich das grosse Schutz-/Überwachungsbedürfnis der Hedden-Sippschaft über ihr Nesthäkchen und dass man Janice nach wie vor als Kind sieht (daher wohl auch der übergroße Bedarf an vermeintlichem Schutz). Und dann wird wieder ein sehr rundes Bild daraus: Tom Hedden urteilt nicht nach dem, was real passiert, sondern so wie er die Realität wahrnimmt bzw. erwartet. Genau so wird dann sein gesamtes späteres Handeln motiviert. Wie gesagt: die Tatsache, dass er gerade nicht um den Tod seiner Tochter weiss, macht sein Handeln ja (vom Film bewusst) noch viel irrationaler.
GoldenProjectile hat geschrieben: 21. Dezember 2022 23:22 Und warum lässt sie sich überhaupt so bereitwillig auf ihn ein? Mir kommt das alles ein bisschen zu unfertig vor, oder als würden sich alle Beteiligten einfach dumm anstellen, ohne dass ich die genauen Beweggründe kenne oder nachvollziehen könnte.
Das finde ich aber tatsächlich glasklar motiviert: Janice wir als behütet-bis-dauerüberwachtes Nesthäkchen der Hedden-Sippe eingeführt, die von allen noch als Kind gesehen/behandelt wird. Sie will aber "bei den Großen" mitspielen, daher auch ihre permanenten Avancen an David - selbst direkt vor Amy (welche aber von David auch nicht wahrgenommen werden, da Janice auch für ihn ein Kind ist). Wenn sie also schon nicht bei David landen kann (man bedenke, dass sie noch während des Gemeindefestes einen letzten, frustrierend endenden Versuch hinsichtlich David unternimmt), dann muss halt der nächst beste herhalten, in diesem Fall Niles. Hat sie wirklich Gefühle für Henry? Das würde ich eher bezweifeln, er ist halt gerade verfügbar. Und es gibt in der Konstellation Janice-Henry noch eine weiter interessante Komponente: da man Janices Avancen an David und Henry auch durchaus als Versuch des Ausbruchs aus der familiären/väterlichen Kontrolle ansehen kann, ergibt es durchaus Sinn, dass sie sich Männer aussucht, die von ihrer Familie abgelehnt werden. Wobei ich bei David schon davon ausgehen würde, dass sie ihn tatsächlich "süss" findet, wie sie ja selbst ihrem Bruder gegenüber sagt. Aber bei Henry spielt der erwähnte Punkt fraglos mit rein, da sie ja sicherlich auch über dessen Vorleben weiss, es aber in den Wind schlägt (was man auch als Auflehnung gegenüber der Kontrolle ihrer Familie sehen kann). Von daher: ihre Motivation dürfte Frust über Davids Ablehnung und Auflehnung gegenüber der Familie sein. Und ein hormongesteuerter Teenager ist sie ganz offensichtlich auch. :)

GoldenProjectile hat geschrieben: 21. Dezember 2022 23:22 Aber ein charakterlicher Wandel kann ja nicht alles erklären. Travis Bickle benutzt im Bordellgemetzel aus Taxi Driver Kampftricks, die er zuvor lange einstudiert hat und stellt sich dabei trotzdem auch etwas linkisch an. David Sumner hantiert wie selbstverständlich mit Drahtschlingen und kochendem Öl, das Auftreten und wie er seine Handlungen ausführt haben vielleicht die charakterliche Motivation, aber wirken trotzdem noch eine Spur zu professionell und abgebrüht.
Ja, das kann man sicherlich kritisieren. Da ich Straw Dogs aber eher als Parabel denn als unbedingt realistischen Thriller verstehe, stört mich das nicht sonderlich.

SAMARATHON RUNDE 4

Verfasst: 24. Dezember 2022 13:55
von AnatolGogol
bimmel-bimmel-bimmel - Zeit für Runde 4! :D

SAMARATHON RUNDE 4: The Getaway (deutscher Alternativtitel: Ein Mann explodiert) - 1972

"Punch it, Baby."


Re: SAMARATHON RUNDE 4

Verfasst: 24. Dezember 2022 14:02
von GoldenProjectile
AnatolGogol hat geschrieben: 24. Dezember 2022 13:55 SAMARATHON RUNDE 4: Ein Mann explodiert
Hurra! Ein tolles Weihnachtsgeschenk! :D

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 24. Dezember 2022 14:09
von Maibaum
Klingt für mich nach Sylvester ...

Leider habe ich es nicht geschafft zu den bisherigen Filmen eine Kleinigkeit zu schreiben, und für "zwischen den Jahren" sieht das auch nicht so ganz gut aus.

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 24. Dezember 2022 14:53
von vodkamartini
Gebt mir mit dem ein wenig Zeit. Immerhin habe ich ihn. ;) Zwischen den Jahren kommt da sicher was. Aber die vielen Feierlichkeiten und Die hard 1 und 2 lassen es früher einfach nicht zu. ;)

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

Verfasst: 26. Dezember 2022 19:16
von GoldenProjectile
Ein Mann Explodiert (Sam Peckinpah, 1972)

"Er schlägt zu wie ein Tiger!"

Die frühen 1970er waren für Sam Peckinpah eine besonders produktive Phase und "Bloody Sam" konnte sich ganz unterschiedlichen Stoffen und Themen widmen. Die Prämisse seines bereits zweiten Films im Jahre 1972 klingt dabei besonders gewagt, aber auch besonders vielversprechend: Wie der Titel verrät, soll eine Filmfigur maskulinen Geschlechts exponentiell grosse Mengen Energie in kurzer Zeit freisetzen. Dazu verspricht das Plakat, dass besagter Mann in seinen Attacken vorgehen soll wie eine riesenhafte, gestreifte Raubkatze. Wenn einem da nicht das Wasser im Mund zusammenläuft! Nur leider bleibt man nach zwei Stunden mit der ernüchternden Erkenntnis zurück, gerade auf den grösten Etikettenschwindel aller Zeiten hereingefallen zu sein. Steve McQueen macht in keiner der rund 120 Minuten irgendwelche Anstalten, höchstpersönlich zu explodieren. Und wenn er zuschlägt, dann erinnert das auch mit viel Fantasie kaum an die Manöver eines Tigers.

Foren-Running-Gag beiseite: Peckinpah ist mit dem Bankräuber-Roadmovie The Getaway gewiss keines seiner Meisterwerke, aber eine schöne Fingerübung seines längst etablierten Stils, sowohl visueller als auch thematischer Natur, gelungen. Klar, seine relativ simple Variation einer Bonnie-und-Clyde-auf-der-Flucht-Prämisse will nicht auf der ambitionierten figurenpsychologischen Schiene von The Wild Bunch oder Straw Dogs fahren. Aber die Leitfiguren Steve McQueen (der King of Cool) und Ali MacGraw (die Queen of Sexy) sind Charaktere mit Ecken und Kanten, deren Beziehung das Abenteuer mühelos trägt, wenn ihre unzertrennliche Loyalität durch Geld, Verrat, zwielichtige Allianzen und Stress immer wieder auf die Probe gestellt wird, aber am Ende doch obsiegt - ganz Peckinpah-typisch bei einem Neuanfang in seinem geliebten Mexiko. Viel mehr als die beiden hat der Film gar nicht nötig, kann seine Nebenrollen aber trotzdem mit einigen markanten Gesichtern veredeln, ganz besonders mit dem schnauzbärtigen "The Turk Solozzo" und dem in drei Jahren um deren zwanzig gealterten Ben Johnson als schmierige Widersacher.

Visuell ist Peckinpah beinahe schon auf der Höhe seiner Kunst (was er aber irgendwie fast immer war) und die Inszenierung geht ihm mit einer totalen Leichtigkeit und Selbstverständlich von der Hand. Die Auftaktsmontage, die rhythmisch perfekt die monotone Routine des Gefängnislebens einfängt, der minutiös durchgetaktete Bankraub, der Verlust der Geldtasche am Bahnhof, die Shotgun-Konfrontation mit den Kleinstadtpolizisten und natürlich der kurze aber heftige finale Shoot-Out im Motel - Peckinpah benutzt die Einstellungen wie Bauklötze, aus denen er sich präzise und gekonnt seine Szenen zusammensetzt. Dazwischen schwelgt er teilweise aber auch einfach nur in der beschworenen Road-Atmosphäre des US-Südens in den frühen 70ern, ohne je die rasant erzählte Geschichte aus den Augen zu verlieren.

Auszusetzen gibt es wenig, am ehesten noch den Score von Quincy Jones, der an manchen Stellen wirklich nicht geglückt ist und irritierend zwischen atonalen Klangexperimenten und wehmütigen Country-Mundharmonikas herumspringt. Der Subplot um Lettieris Geiselnahme eines Ehepaars und die dümmliche Blondine, die ihren gefesselten Ehemann binnen Minuten vergisst um in aller Selbstverständlichkeit mit dem walrossbärtigen Unhold zu turteln, ist etwas gar dick aufgetragen und nutzt sich irgendwann ab. Bei zwei direkt aufeinanderfolgenden, relativ langen Szenen im Dunkeln (die Schiesserei mit den Polizisten beim Drive-In und die anschliessende Flucht im Kehrichtwagen) hängt der Film auch mal ein bisschen durch. Aber das sind im Grossen und Ganzen eher Nebensächlichkeiten, die den Unterhaltungswert kaum zu trüben vermögen, so dass man auch über den Schwindel mit dem Tiger und dem explodierenden Mann hinwegsehen kann. Dass man dem Film sogar diese dreiste Lüge verzeihen mag, macht ihn klar zu einem Sieger.

Das und Ali MacGraws nasse Klamotten natürlich.

Wertung: 8,5 / 10