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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
James Bond 007 - Liebesgrüße aus Moskau
Bereits während der Dreharbeiten zum nur ein Jahr vorher erschienenen Erfolgsvorgänger "007 jagt Dr. No" entschieden sich die Produzenten Albert R. Broccoli und Harry Saltzman dafür, als nächstes Ian Flemings Roman "Liebesgrüße aus Moskau" zu adaptieren und gaben mit rund 2 Millionen Dollar ein doppelt so hohes Budget für die Umsetzung frei, wie sie es noch 1962 für den Erstling getan hatten. Dies wurde im Nachhinein auch unbedingt benötigt, denn während der Dreharbeiten kam es zu mehreren schicksalhaften Fehlschlägen: Regisseur Terence Young kam beinahe bei einem Helikopterabsturz ums Leben, der Nebendarsteller Pedro Armendáriz erfuhr von seiner Krebserkrankung, wollte den Film aber dennoch fertig stellen, sodass kurzerhand der Drehplan umgeschrieben wurde, Daniela Bianchi trug Verletzungen bei einem Autounfall davon und ein Pyrotechniker zündete die fürs Finale geplanten Explosionen früher als gedacht. Trotz des immensen und verbissenen Einsatzes der Filmcrew schlug sich diese Vielzahl von Problemen letztendlich im Resultat nieder. Sowohl der Zeitplan, als auch das Budget waren bereits deutlich überzogen als Filmeditor Peter Hunt es letztendlich schaffte, allen widrigen Umständen zum Trotz, einen fertigen Film vorzulegen. Fehlende Aufnahmen der Darsteller an Originalschauplätzen ergänzte er mittels Hintergrundprojektionen und löste dramaturgische Probleme durch neu arrangierte Szenenabfolgen. Ein Aufwand, der sich am Ende gelohnt hat?
Der große Erfolg von "007 jagt Dr. No", ebenfalls unter der Regie von Terence Young entstanden, lag im fantastischen und leichtfüßigen Genremix aus dem Abenteuerfilm, gewürzt mit Sci-Fi-Elementen und einer Agentenhandlung. Das Sequel setzt bei der Auslegung der Handlung ganz anders und konzentriert sich fast ausschließlich auf den letzteren Aspekt. Anders als man es nach 007s ersten Leinwandausflug hätte erwarten dürfen, ist "Liebesgrüße aus Moskau" tatsächlich ein waschechter Thriller geworden, der wesentlich weniger fantasievoll gestaltet ist und dafür näher am echten Leben liegt. Besonders in der ersten Hälfte wird das relativ deutlich. Statt erneut an exotische Orte aufzubrechen, lernt der Zuschauer viel mehr den harten Spionagealltag kennen, in dem jeder jeden beobachtet, betrügt und zu belügen weiß. So geht es hier auch nicht um den Mord an einem Agenten oder ein großes Geheimnis, dass aufzudecken ist, sondern ganz plakativ um eine russische Dechiffriermaschine, hinter der nicht nur der britische Geheimdienst, sondern auch die ehemals von Dr. No angeführte Verbrecherorganisation SPECTRE her ist, der, um in den Besitz dieser zu gelangen die beiden Großmächte der Welt gegeneinander ausspielen will. Ein MacGuffin, wie er im Buche steht und nicht das einzige von Alfred Hitchcock übernommene Element, wie sich bereits relativ früh zeigt.
Mit Robert Shaw als muskelbepackter und eiskalter Auftragsmörder Ronald Grant als Widersacher für Bond spendiert uns Young nämlich in diesem Falle nicht nur einen bedrohlichen Konterpart für unseren Helden, sondern lässt uns dieser Gefahr auch sehr früh bewusst werden, sogar noch bevor 007 in Gestalt von Sean Connery selbst das erste Mal auf der Leinwand zu sehen ist. Dabei ist es besonders raffiniert gemacht, dass Bond seinem Gegner eigentlich erst relativ spät begegnet und zunächst gar nicht um dessen Absichten weiß, während wir durch unseren Wissensvorsprung ihn am liebsten mit Händen und Füßen Hinweise geben wollen würden. Bond als Protagonist selbst bleibt wie schon im Vorgänger als Mensch selbst eher gering charakterisiert, wird aber von Connery erneut mit einer Leichtigkeit so menschlich, dass jede Szene mit ihm ein Genuss ist. Besonders sein Auftreten im Mittelteil in einer Schlacht in einem Zigeunerlager ist bemerkenswert. Young vermeidet es hier, Bond aktiv zum Mitkämpfer an vorderster Front zu machen, sondern lässt ihn (ganz der kultivierte Brite) eher einen Rundgang machen, bei dem er verschmitzt wie eh und je einigen Mitstreiter das Leben erleichtert. Inszenatorisch macht Young in den ersten 90 Minuten ohnehin eigentlich nicht viel verkehrt. Bonds Ermittlungen sind spannend, sein Gegenspieler allgegenwärtig und das Tempo sitzt. Im Orient Express folgt dann mit dem Duell zwischen 007 und Grant auch noch ein famoser Höhepunkt, auf den die Handlung bis dahin unentwegt zugesteuert hatte und der brutal, schnell und atemberaubend fotografiert ist.
Leider aber ist Young nicht der Meinung, hier einfach enden zu können. Da es bis auf die erwähnte Zigeunerszene bis hierhin praktisch keinerlei Action gab, war man wohl der Überzeugung, am Ende noch zwei weitere Spektakel-Momente anhängen zu müssen, die leider genau so wirken, wie sie eben gedacht waren: Als Anhängsel. Weder der hübsch gemachte Helikopterangriff, noch die uninspirierte Konfrontation auf hoher See wollen wirklich zum vorherigen Film und dessen Tempo passen und ergeben sich erst recht nicht aus der Handlung heraus, sondern sind mehr ein Mittel zum Zweck, die vorherigen Anderthalb Stunden auf volle 120 Minuten zu strecken.
Fazit: Ein ironisch servierter, zeitloser, aber dennoch ernstzunehmender Agentenfilm erschien anno 1963 wohl am allerwenigsten wie die logische Folge auf die Jagd nach Dr. No, doch machen sich all die Mühen der Produzenten und das überraschende Wagnis in jeder Hinsicht bezahlt. "Liebesgrüße aus Moskau" wurde ein finanzieller, aber auch qualitativer Erfolg, der endgültig die Zukunft des potenziellen Franchises sicherte und mit der ominösen Nummer 1 bereits für kommende Filme einen gefährlichen Feind andeutet. Trotz aller überzeugender Dramaturgie und erzählerischer Kniffe ist es am Ende allerdings offenbar leider dem chaotischen Entstehungsprozess vorzuwerfen, dass nicht nur die Handlung bei späterer Rekapitulierung nicht immer vollkommen schlüssig erscheint, sondern auch die letzte halbe Stunde eher wie lieblos angehängt daherkommt und den vorherigen, beinahe vollständig überzeugenden Eindruck etwas zu Nichte macht. Sean Connery als James Bond ist dafür jedoch auch in diesem Film das allergrößte Vergnügen und man kann nur hoffen, dass allein seiner Präsenz wegen diese Filme niemals in Vergessenheit geraten werden.
8/10
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Let the sheep out, kid.