00T hat geschrieben: 9. August 2023 12:57
„Oppenheimer“ erinnert mich an ein Geschichtshandbuch, das eine (durchaus unterhaltsame) Überblicksdarstellung über alle relevanten Lebensstationen Oppenheimers bietet, dabei aber nur selten tiefer geht. Ich hatte öfters das Gefühl, dass Nolan mehr an einer Skizze von Oppenheimers Werdegang interessiert war als daran, sich tatsächlich mit dem Physiker und seinem Schaffen auseinanderzusetzen. Der Film hat mich drei Stunden lang durchaus bei der Stange halten können (obwohl das letzte Drittel dann doch teils sehr konfus ist), weil er stark inszeniert ist, aber gleichzeitig ist er narrativ dann doch selten mehr als eine teils etwas verklärende Darstellung der Ereignisgeschichte um Oppenheimer und sein Werk.
Die fehlende Bindung gerade an Oppenheimer selbst sehe ich auch so, gerade weil der Film (wie die meisten Nolans) die Charakterisierung seiner Figuren nahezu ausschließlich in psychologisierenden Dialogen präsentiert. Nolan erklärt viel, aber zeigt kaum. Besonders sauer aufgestoßen ist mir das in der ersten Szene zwischen Matt Damons General Groves und Oppenheimer, in der Groves einen Haufen Adjektive nennt, mit denen das Wesen Oppenheimers erklärt werden soll. Vor allem, weil das einer der wenigen Momente ist, in denen der Film versucht, etwas zu Oppenheimer als Person zu sagen. Dazu trägt auch bei, dass die Handlung der Zeit nach Ende des Krieges, für den Charakter Oppenheimer eigentlich die wichtigste Zeit, als eine Art Justizdrama aufgezogen wird, in dem viel über Oppenheimer geredet, aber nur wenig gesagt wird. Wäre es hier nicht sinnvoller gewesen, den Fokus auf den persönlichen Umgang Oppenheimers mit seinen Handlungen zu legen, anstatt nur zu erzählen, wie intrigante Staatsleute den armen Mann auszuschalten versuchen? Das wird der Komplexität dieser Persönlichkeit bei weitem nicht gerecht.
"Stark inszeniert" finde ich ihn nicht, eher sogar im Gegenteil, ansonsten bin ich bei dir. Nolan betreibt in "Oppenheimer" ein erschütterndes Maß an "Tell, don't show", die ultimative Kardinalsünde im Storytelling. Oppenheimer als Mensch wird mir in vielen Dialogen tot erklärt, gleichzeitig findet sich aber das allermeiste davon nie in den Bildern wieder. Irgendwann wird er mal als Womanizer beschrieben, da hätte ich fast aufgelacht. Der Typ war ein Womanizer? Wow, den Film hätte ich gerne gesehen.
Die meiste Zeit ist "Oppenheimer" für mich mehr eine Montage als ein Film, die ersten 70 Minuten halte ich für komplett daneben. Da hetzt Nolan in einem Affenzahn durch die Lebensstationen des Physikers, da werden Figuren wie Niels Bohr, Jean Tatlock etc. in Mini-Szenen gequetscht, damit man möglichst schnell zum nächsten Punkt kommt. Ich fand das hinsichtlich Erzähltechnik und Inszenierung langweilig und unsinnig überkompliziert. Ein guter biografischer Film lebt immer von Verdichtung und Zuspitzung, und einen guten Regisseur erkennt man nicht selten noch mehr an dem, was er nicht erzählt, als an dem, was in seinem Film landet. Bei "Oppenheimer" ist aber der ganze Wikipedia-Artikel im Film gelandet, jeder verlinkte Name bekommt eine Szene, jede Anekdote muss irgendwie reingequetscht werden.
Übrigens zum Cast: Da sind viele tolle Leute besetzt worden, aber die wenigsten konnten auf mich wirken, weil der Film einfach zu zerhackstückelnd erzählt ist. Casey Affleck zum Beispiel hat einen sehr kurzen starken Auftritt, aber weil seine Szene bloß eine von vielen in der nichtendenden Montage aus Namen und Gesichtern ist, verpuffte sein Effekt schnell wieder. Jason Clarke und Emily Blunt bekommen eine von beiden toll gespielte Szene geschrieben, die aber für mich "zu wenig und zu spät" blieb, weil beide Figuren vorher zweieinhalb Stunden keinerlei Profil erhielten. Die wunderbare Florence Pugh nur für ihre nackten Brüste zu besetzen ist zudem eine Frechheit. Richtig stark fand ich eigentlich nur Robert Downey Jr. (er wird dafür einen Oscar gewinnen), Tom Conti und Gary Oldman. Letzterer bekommt zwar auch nur eine Szene, darf sich dabei aber wieder als das menschliche Chamäleon beweisen, das er zweifellos ist.
Die Trinity-Szene, ja, die ist stark, aber die ist vor allem deshalb so ein klimaktischer Höhepunkt für den Film, weil für 20 Minuten "Oppenheimer" tatsächlich ein Film wird, und keine Montage mehr ist. Weil tatsächlich etwas erzählt wird, weil es eine dramaturgische Verdichtung gibt, eine richtigen Szenenfolge. Diese 20-25 Minuten sind ein Film im Film und da blitzt auf, dass Nolan ja doch eigentlich ein sehr guter Regisseur ist, der in der Vergangenheit mit tollen Filmen wie "The Dark Knight" und "Inception" sich gleich zweimal in der jüngeren Popkultur verewigt hat.
Je mehr ich über "Oppenheimer" nachdenke, umso mehr verärgert er mich.
Besonders hart: In den letzten 15 Minuten kommt "Oppenheimer" plötzlich mit einem Gedanken um die Ecke, den ich so viel interessanter fand, als eigentlich alles, was der Film zu bieten hatte. Da hält Strauss seinen letzten großen Monolog und sinniert darüber, dass Oppenheimer in Wahrheit nur gegen die Wasserstoffbombe war, weil er nicht wollte, dass ihm jemand seinen Ruhm als Vater der Atombombe nimmt. "He would do it again", brüllt Downey Jr. da, und was er in diesem kurzen Moment über Oppie sagt, hätte ein wahnsinnig spannender Film sein können, der sich kritisch mit Legendenbildung und unserer zeitgenössischen weichgespülten Sicht auf Oppenheimer auseinandersetzt. Ein Film, der den Geniekult hinterfragt und das Bild vom tragischen, gebrochenen Genie aufbricht. Leider meint Nolan diesen Monolog aber nicht ernst, sondern sieht es als die Wortäußerungen eines gekränkten Strauss'. Die Schlussszene zeigt Oppenheimer dann wieder so, wie die Welt ihn gerne sehen möchte. Schade. In diesem Monolog liegt ein spannender Film drin, er muss nur irgendwann gedreht werden.