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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Einige werden darin einen Horrorfilm sehen, andere eher einen Thriller. Der Übergang kann da schließlich sehr fließend sein, also nicht gleich alle auf einmal "Off-Topic" schreien.
A Lonely Place to Die - Todesfalle Highlands
Die Erfindung des Mobiltelefons mag für die Menschheit im Allgemeinen eine nicht ganz unwesentliche gewesen sein, für Filmemacher speziell aber brachte sie einige Probleme mit sich: während früher ein kleines Waldgebiet bereits ausreichte, um glaubhaft die Protagonisten von der restlichen Welt abzuschirmen, ist das ganze heute schon etwas komplizierter, denn jeder ist immer und überall erreichbar. Ein Waldgebiet sorgt also nicht mehr für wirkliche Isolation - und wenn, dann muss man schon an etwas exotischere Orte gehen. Und was eignet sich da besser, als ein Abstecher in die schottischen Highlands? Das dachte sich offenbar auch Regisseur Julian Gilbey und so flog er - mit einem Budget von 4 Millionen Dollar im Gepäck - mit einer kleinen Crew nach Schottland, um dort einen Survival-Thriller über eine Gruppe von Bergsteigern zu drehen. Einen Originalitätspreis wird er dafür wohl kaum gewinnen, überzeugen kann sein Independent Streifen in Teilen aber dennoch.
Selten war ein Titel zutreffender: "A Lonely Place to Die" - In der Tat. Die schottischen Highlands als einsame, aber auch wunderschöne Kulisse sind für einen Film immer und zu jeder Zeit ein tolles Setting. Dass man nirgendwo auf der Welt Trostlosigkeit und die Schönheit der Natur so eng beieinander findet, fand auch Gilbey und seine prächtigen Landschaftsaufnahmen zeigen, dass er sich tatsächlich ein wenig in seine Location verliebt zu haben scheint. Damit schafft er gleich auch den idealen Kontrast zu seiner Handlung, die er schnell und ohne große Abschweifungen in die kurze Laufzeit von 97 Minuten presst. Nach nur wenig Exposition, in der er uns einen Blick auf die fünf Charaktere gewährt, schafft er auch schon mit dem Entdecken eines entführten und im Wald vergrabenen Kindes den ersten Kloß im Hals und beginnt sehr schön, die Intensität langsam aufzubauen. Natürlich hält sich die daraus resultierende Hetzjagd insgesamt recht dicht an die Konventionen des Genres und wer von den Gejagten am Ende wahrscheinlich lebend aus der Sache rauskommen wird, ist recht schnell zu erkennen, dafür lebt das Geschehen eher aus kleineren Komponenten, in denen Gilbey nett mit den Erwartungen des Publikums jongliert. Besonders die erste Szene mit den Killern beinhaltet einen netten Twist, genau wie auch der erste Tod in der Geschichte inszenatorisch ein kleiner Protest gegen die reißerischen Schockmomente heutiger Horrorfilme ist: völlig ohne Musik, Ankündigung und in Zeitlupe scheidet der erste der Bergsteiger dahin.
Dass selbst Gimmicks wie Handkamera-Gewackel nicht aus der Atmosphäre rausreißen, verdankt Gilbey dem realistischen Szenario, welches besonders durch die Hauptdarstellerin Melissa George noch verstärkt wird. Während alle anderen größeren Rollen im Film weniger auffallend präsentiert werden, wird ihr doch eine zentral-geordnetere Position zu teil, die sie nicht nur mit Charme, sondern auch mit betonter Körperlichkeit auszufüllen weiß. Die Schauspieler bei den Kletteraktionen an steilen Felsen zuzuschauen ist beinahe beängstigender, als die Flucht vor den beiden Mördern. Dabei gefallen diese sogar recht gut, eben dadurch, keine unnötigen Dämonisierungen zu erfahren, alberne Grimassen zu schneiden oder in irrationale Wutausbrüche auszubrechen. Die beiden dürfen einfach böse sein und das funktioniert viel besser, als ihnen zusätzliche Merkmale zuzuschreiben. Gelungen ist Gilbey auf jeden Fall, der etwas abgenutzten Handlung ein gewisses Tempo, aber auch einen gewissen Rhythmus abzugewinnen. Beispielhaft gelingt es ihm, kontinuierlich die Spannung zu steigern und mit mäandern-förmigen Umwegen nicht den Eindruck zu erwecken, einfach nur einzelne Passagen aneinander zu reihen. Besonders dieses feine Gespür für den passenden Moment, für gelungene Szenen-Übergänge, den Einsatz (oder eben Non-Einsatz) von Musik und andere Feinheiten akzentuiert das Geschehen und bereitet dem Genre-Fan schöne Augenblicke vor großartiger Kulisse.
Gerade, wenn die wunderbar aufgebaute Spannungskurve ihren Höhepunkt erreichen soll, muss man jedoch festhalten: das Finale ist leider ziemlich schwach und völlig unverständlich. Unverständlich deshalb, weil Gilbey ohne erkennbaren Grund dafür den Schauplatz wechselt und ein Dorf als Handlungsort bemüht, was hier erstens nicht nötig gewesen wäre und zweitens die aufgebaute Atmosphäre, die eng mit der Location verknüpft war, zu Nichte macht. Unverständlich aber auch deshalb, weil er eine dritte Partei ins Geschehen involviert, die ebenfalls hinter dem Mädchen her ist, allerdings die letzten Konfrontationen nur unnötig in die Länge zieht. Zudem häufen sich in den letzten 20 Minuten ein paar fragwürdig abgehobene Stunts. Zwar hatte man bereits im Mittelteil einen unbeschadet überstandenen Sturz aus 50 Metern Höhe und eine etwas seltsame Trefferquote der Verfolger zu verzeichnen, doch konnte man dies angesichts der gelungenen Seiten einfacher verzeihen als hier. Auch inszenatorisch verliert "A Lonely Place to Die" hier eindeutig an Raffinesse. Während die Regie viele inhaltliche Vorhersehbarkeiten durch die Tempo-Gestaltungen auszugleichen wusste, will hier das Verhältnis unter einander nicht mehr so ganz stimmen. Insgesamt ist aber auch dieses Kapitel sicherlich qualitativ immer noch in Teilen überzeugend. Nur ist es eben kaum der Abschluss, auf den der Film vorab eigentlich hingearbeitet hatte.
Fazit: Julian Gibley gelingt hier mit einfachen Mitteln ein einfacher Film. Dies ist als Kompliment zu verstehen, denn Einfachheit ist genau das, was den Blick aufs Wesentliche stärkt und wie er im Mittelteil zeigt, wie ein gelungener Survival-Thriller auszusehen hat, zeichnet ihn sowohl als Künstler als auch seinen Film aus. Grade in Zeiten der immer ausgefalleneren Spektakel sind solch kleinen Abenteuer genau das richtige, um sich wieder der Kunst des Geschichtenerzählens zu widmen. Schade, dass genau dies im Schlussakt überhaupt nicht mehr gelingt und Gibley hier alle verliert, die sich auf einen vernünftigen Abschluss gefreut hatten. So bleibt am Ende ein leicht überdurchschnittlicher Eindruck für einen leicht überdurchschnittlichen Film und eine Empfehlung für die Bewunderer der schottischen Natur.
6/10
https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/
Let the sheep out, kid.