Re: Filmbesprechung: "No Time To Die (NTTD)"
Verfasst: 19. Dezember 2021 00:53
Hat sie, aber deshalb würde ich nicht den Fehler machen, die heutigen Filme für progressiv im Vergleich zu den früheren zu halten. Da gibt es durchaus sehr unterschiedliche Ansichten, die sich auch alle gut begründen lassen. Was genau zum Beispiel an einem Casanova, der auf Weltreisen viel einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit verschiedenen Frauen hat, aus der Mode sein soll, weiß ich nicht so wirklich. Sowas zu verdammen und in Filmen stattdessen bei jeder Interaktion zwischen Mann und Frau große Gefühle zu verlangen, befördert uns letztlich in eine neue Prüderie. Roger Moore hat einen attraktiven Mann gespielt, der in seinem Job häufig zum Vergnügen mit anderen Frauen geschlafen hat, die auch mit ihm schlafen wollten. Ist für mich moralisch jetzt erstmal nicht verwerflich, aber vielleicht bin ich da ja nicht progressiv genug. Soll ja heute noch Männer geben, die es leichter als andere haben, beim anderen Geschlecht zu landen. Ich kann es mir auch nicht vorstellen, aber irgendwo da draußen sind sie.Patrice hat geschrieben: 19. Dezember 2021 00:19 Allen hat er sehr gut gefallen, wie auch z.B. die Aktualisierung der Rolle der Bond-Girls. Wir leben heute einfach in einer anderen Zeit als vor 40-50 Jahren zu Zeiten eines Roger Moores der alles weggeflankt hat was bei 3 nicht auf dem Baum war. Wer sich einen Film ala TSWLM, TB oder TLD wünscht, für den ist das Bond-Franchise seit CR einfach nicht mehr das richtige. Um Nomi zu zitieren: „Die Welt hat sich weitergedreht“.
Man kann es auch so sehen: In den früheren Filmen, insbesondere bei Moore und Dalton, hatten die Bond-Filme sehr eigenständige, emanzipierte Frauenrollen an Bord, die in ihren Fachgebieten auch fähiger waren als der gute James. Holly Goodhead steuert das Space Shuttle in MR, weil Bond es nicht kann. Melina in FYEO hat eine eigene Motivation, eine eigene Charakterentwicklung zu durchlaufen. Domino in TB rettet am Ende Bond das Leben, und tötet mit Largo den Mann, der sie missbraucht und kleingehalten hat. Natürlich war Sex bei Bond immer auch etwas aggressives, heute stellt man das so nicht mehr dar, deshalb ruft einer wie Fukunaga dann auch: "Sean Connery's Bond war ein Vergewaltiger", was wirklich nach allen Regeln der Kunst sehr, sehr weit hergeholt ist.
Bei Craig hingegen hat Sex diese Aggressivität nicht mehr und Frauen im Bikini sind auch seltener geworden. Stattdessen wird das deutlich prüdere Frauenbild (man beachte: jede Frau, die in CR, QOS und SF Sex mit Bond hat, muss grausam sterben!) nun durch eine Hypermännlichkeit ersetzt, da es jetzt Herr Craig ist, der oberkörperfrei, natürlich mit Muskeln übersät, aus dem Wasser stapft und in der CR-Folterszene dann körperlich auch zur Schau gestellt wird. Während bei Roger Moore, Sean Connery, Pierce Brosnan etc. die physische Kraft der Bond-Figur keine wirklich relevante Rolle spielte, er seinen Feinden sogar oft unterlegen war in dieser Hinsicht (Oddjob, Beißer, Stamper etc.), wird bei Craig ein ganz anderes Männer- und Körperbild propagiert, welches wir so doch eigentlich eher aus den 1980ern ("Rambo", "Rocky", "Phantom Kommando" etc.) kennen, obwohl es aktuell neben den Craig-Bonds auch in den Marvel-Kinofilmen wieder Konjunktur hat.
Die Frauen in den neuen Bond-Filmen sind in meinen Augen weniger selbstständig als viele Bond-Girls der Vergangenheit: Vesper ist nicht mehr als ein Love Interest (und ihre gesamte Charaktermotivation begründet sich durch die große, blinde Liebe zu einem bösen Mann, der die schwache Frau ausgenutzt hat). Madeleine ist in NTTD ausschließlich Damsel in distress, an ihrem Innenleben hat der Film wenig Interesse. Sie darf von James nur verlassen oder zurückgewollt werden und fällt ihm dann natürlich auch beim ersten Liebesgeständnis wieder blind in die Arme. Miss Fields, Severine und Frau Sciarra sind dann nicht mehr oder weniger bestenfalls Schablonen einer Figur, wie du sie auch in den früheren Bond-Filmen bei den Nebenfiguren findest. Man könnte sogar argumentieren, dass insbesondere die kaltschnäuzige, lieblose Art, in der in SF der Tod von Severine behandelt wird, mehr Misogynie ausstrahlt als so manche veraltete Szene aus Connerys Zeiten. Wie Craig sich an sie (immerhin ein Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kindheit) unter der Dusche von hinten heranschleicht, stieß zurecht einigen Zuschauern 2012 im Kino sehr übel auf.
Der Film endet dann bekanntermaßen ja auch damit, dass die taffe Feldagentin Eve ihr Trauma vom Beginn des Films nicht überwinden darf, sondern stattdessen lieber aus der "Männerwelt der Spionage" Reißaus nimmt und es sich am Schreibtisch als Miss Moneypenny gemütlich macht. M, die als Frau nicht nur eine Chefin, sondern auch eine Mutterfigur sein muss, stirbt und macht wieder Platz für einen Mann. Das ist dann auch eine unübliche Geschlechtervertauschung im Vergleich zur sonstigen Kinoindustrie, in der klassische Männerrollen und Posten nach und nach mehr durch weibliches Personal besetzt werden.
Wir leben heute wirklich in einer anderen Zeit. Nomi hat recht: Die Welt hat sich weitergedreht. Würde ich aus der heutigen Zeit aber nur die Craig-Filme der Bond-Reihe kennen, hätte ich davon bislang erschreckend wenig mitbekommen.