Ich denke gerade im Angesicht von Inception ist der Film mal wieder aktuell und verdient es zumindest mal ausgeliehen zu werden. Einer von wenigen deutschen Science-Fiction-Filmen nach dem 2. Weltkrieg und wahrscheinlich sogar der beste...
Rainer Werner Fassbinder ist ein Regisseur mit dem ich in der Regel eigentlich weniger etwas anfangen kann. Seine Adaption von "Effi Briest" fand ich wie auch das Buch sehr schlecht und mit eher behäbig inszenierten Filmen kann ich auch eher selten etwas anfangen.
"Welt am Draht" interesssierte mich deshalb weil es einerseits einer der ganz wenigen deutschen Science-Fiction-Filme ist und weil es eine Adaption des französischen Romans "Simulacron-3" ist. Sowohl der Roman als auch Fassbinders Film gelten als Vorläufer und starke Inspirationsquelle für "Matrix". Wenn man den Film dann sieht versteht man auch wieso. So sind z.B. in beiden Telefone der Zugang/Ausgang zur digitalen Welt. Gleichzeitig ist der Film beachtenswert, da er seit den 70ern gerade einmal 3 oder 4 mal im Fernsehen lief (WaD ist ein TV-Zweiteiler) und schon fast als vergessen galt. Die im Februar veröffentlichte DVD ist daher empfehlenswert, nicht nur wegen dem tollen Bonusmaterial (Kurzfilme, 50 Minütiges Making-Of, Interview mit Fassbinder) sondern auch wegen der grandiosen Restauration des Films. Im Gegensatz zu anderen Filmen wurde hier das Negativ nicht digital hochglanzpoliert (oftmals dadurch falscher Kontrast, falsche Farbstärken), sondern sehr behutsam gereinigt und von Kratzern befreit.
Kameramann bei den Dreharbeiten und Leiter des Restauration ist übrigens Michael Ballhaus, der Lieblingskameramann von Michael Scorsese! Er kommt auch ausführlich in der beiliegenden Doku/Making-Of zu Wort...
Worum es geht?
Fred Stiller arbeitet am Institut für Kybernetik. Dort ist gerade erst ein Supercomputer in Betrieb genommen worden, der eine komplette Welt simuliert (vgl. Matrix). Diese Simulation ist für Marktforschungszwecke gedacht, doch wird alles vom vermeintlichen rätselhaften Selbstmord vom bisherigen Leiter Vollmer überschatttet. Stiller wird neuer Leiter und soll vom Sicherheitschef des Instituts Günter Lause (letzter der Vollmer lebend sah) erfahren, was Vollmer in den Tod trieb. Lause jedoch verschwindet während einer Party von einer auf die andere Sekunde spurlos und niemand scheint kurz darauf ihn je gekannt zu haben, jede Spur seiner Existenz scheint verschwunden. Stiller wittert eine Verschwörung und kommt einer gewaltigen Wahrheit auf die Schliche...
Mehr Infos (allerdings mit heftigen Spoilern):
http://de.wikipedia.org/wiki/Welt_am_Draht
Kritik
Habe beide Teile gesehen und muss meine Meinung zu Fassbinder wohl ändern. Der Film ist sicherlich eher behäbig inszeniert, doch alles andere als langweilig. Verpackt in einem Technologie-Krimi ist der Film wohl einer der besten Science-Fiction-Filme aus deutschen Landen. In seiner Machart erinnert der Film sogar eher an die Filme von Stanley Kubrick: Langsam, aber trotzdem sehr spannend.
Er ist zwar ein TV-Zweiteiler, hat aber rein gar nichts mit den heutigen TV-Schnulzen á la "Die Luftbrücke" oder "Die Sturmflut" zu tun. Der Film trotzt nicht mit gigantischen Special Effects, sondern setzt einzig und allein auf die Dynamik der Charaktere. Dies funktioniert auch prächtig, alle Darsteller geben eine Darbietung ab, die schon fast zu Schade für das Fernsehen sind. Die Geschichte ist mitreißend und mitunter auch überraschend. Die Dramaturgie ist trotz des sehr Dialoggewichtigen Konzepts jederzeit auf der Höhe.
Um dem Werk aus damaliger Zeit einen Near-Future Touch zu geben wurde der Film weitgehend in Frankreich gedreht, in neu gebauten Bürogebäuden, deren Architektur um einiges moderner war als in der BRD. Im Film selber bemerkt man dies an ein paar kleineren Schildern im Hintergrund (französisches Format/Beschriftung), was aber nicht negativ gemeint ist. Diese Wahl des Drehorts funktioniert im Film auch gut und selbst heute kann man die Locations vom Stil her nirgends so richtig einordnen.
Mitunter wirken einzelne Szenen durch das in die Länge ziehen von bestimmten Dingen (z.B. Umarmungen) etwas seltsam bzw. sogar unfreiwillig komisch. Dies ist jedoch dem Medium des Autorenfilms geschuldet und ist - da es nicht so oft auftritt - verschmerzbar. Ohnehin wird man mit einigen wunderbaren Kamerafahrten überrascht, die die Klasse von Kameramann Ballaus zeigen.
Alles in allem ist "Welt am Draht" ein Film den jeder gesehen haben sollte der sich entweder für den deutschen Film, den Science-Fiction-Film oder sonst für Filme interessiert. Obwohl der Film aus dem Jahr 1973 stammt, ist er keineswegs altes Eisen. Wenn man nur die Charaktere und die Handlung beachtet ist es mindestens genauso aktuell wie Matrix, nur ohne Endlos-Ballereien und pseudo-Philosophische Endlosauswüchse.
Meine Wertung:
9,5 von 10 Punkten.