Indiana Jones und das Rad des Schicksals (James Mangold, 2023)
Die Helden von einst sind ganz schön alt geworden. Wenn man in "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" zum ersten Mal den mittlerweile 80-jährigen Harrison Ford in seiner heutigen Form als Indy sieht, wird er gerade unsanft von seinen Nachbarn geweckt, die laut Musik hören. Mit einem Baseballschläger klopft er an ihre Tür und beschwert sich. Vermutlich jagt er danach noch ein paar Kinder runter von seinem Rasen. Als man ihn in der Schule beim Unterrichten zuschaut, steht er nicht mehr lächelnd mit Kreide in der Hand an einer Tafel, sondern murmelt seinen Vortrag vor einem Overhead-Projektor und ist sichtlich genervt, dass seine Schüler eher den Radio- und TV-Beiträgen zur Mondlandung lauschen, als dem Unterricht zu folgen. Diese verdammten Kinder und ihre moderne Technik.
Natürlich klar: Kurz darauf wird Indy von seiner Patentochter Helena ("Fleabag"-Star Phoebe Waller-Bridge) kontaktiert und in ein neues Abenteuer verwickelt. Indy und Helenas Vater Basil Shaw (Toby Jones) hatten im Jahr 1945 kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs einer Bande Nazis rund um Colonel Weber (Thomas Kretschmann, zum x-ten Mal in SS-Uniforum) und den Archäologen Jürgen Voller (Mads Mikkelsen) in einem Zug das Antikythera gestohlen – eine Art Uhrwerk, welches etwa 250 vor Christus von Archimedes selbst gebaut wurde. Voller ist bis heute hinter dem Uhrwerk her, und hat sich mittlerweile als Ex-Nazi rehabilitieren können, da er den Amerikanern beim Mondprojekt half. Jetzt macht er mithilfe seines brutalen Schergen Klaber (Boyd Holbrook) Jagd auf Indy und Helena, denn die Legende besagt, dass sich mit dem Antikythera der Lauf der Zeit ändern lässt …
Obwohl das Antikythera ein echtes archäologisches Artefakt ist, lässt sich die Zeit in unserer Welt nicht einfach so zurückdrehen. "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" ist aber bemüht, genau das zu tun. 42 Jahre nachdem das filmische Vermächtnis von Indiana Jones begann, will man es mit der Figur und seiner Reihe noch einmal wissen. Egal, dass sein Schöpfer, George Lucas, und der Regisseur aller vier vorherigen Filme, Steven Spielberg, kaum noch beteiligt sind: In Zeiten, in denen jedes Franchise noch einmal seine alten Helden beschwört (man denke an Sam Neill im letzten "Jurassic World", Arnold Schwarzeneggers regelmäßige "Terminator"-Neuaufguss-Versuche oder erst jüngst an Michael Keaton, der sich in "The Flash" wieder als Batman verausgabte), muss auch Indy aus seinem Ruhestand zurückkehren.
Nun ist das Kino der 80er, der Zeit, in der die ersten drei Indy-Filme ("Jäger des verlorenen Schatzes", "Indiana Jones und der Tempel des Todes", "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug") entstanden sind, weit weg vom heutigen Kino des Jahres 2023. Das wurde schon der späten 2008er Fortsetzung ("Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels") zum bitteren Verhängnis. Fans fielen geradezu über den Film her: Sie vermissten die echten handgemachten Effekte und Actionszenen, kritisierten die Computertricks aufs Schärfste und vermissten das Abenteuerfeeling, für welches die Reihe einst berühmt wurde. Dieser schwierige Spagat war jetzt auch die Herausforderung für Filmemacher James Mangold ("Logan", "Todeszug nach Yuma") auf dem Regiestuhl: Wie beschwört man in unseren heutigen digitalen Zeiten das Indy-Fieber vergangener Tage hervor?
Die ersten dreißig Minuten scheint die Antwort darauf klar: Man ignoriert den Wandel der Zeit. Die erste halbe Stunde spielt im Jahr 1945 und zeigt einen per Computer herausragend gut verjüngten Harrison Ford, der wieder so ausschaut, wie es Indiana Jones damals tat. Er kämpft wieder gegen die Nazis, die Action ist wieder herrlich comichaft überdreht, die Soundeffekte überzeichnet und wuchtig. Alles in dieser sehr langen Auftaktsequenz ist makellos. Es ist in Kurzform der vierte Indiana-Jones-Film, den wir in den 90ern leider nie bekommen haben. Diese meisterhafte Sequenz alleine rechtfertigt das Kinoticket. Und danach? Da geht der eigentliche Film los – und ist überraschend in Ordnung.
Sicher: James Mangold ist kein Steven Spielberg. In den vielen Actionszenen, Verfolgungsjagden durch New York und Tangier (in Marokko), fehlt dessen Brillanz, dessen fantastisches Auge für Bilder, die im Kopf bleiben. Definitiv: Die Action sieht viel zu künstlich aus und zu oft ist klar, dass der 80-jährige Harrison Ford gerade aus dem Computer stammt und nichts davon wirklich echt ist. Es stimmt auch der Vorwurf, dass "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" quasi keine Risiken eingeht, es sich in seinen Traditionen zu gemütlich macht. Allein: Mangold gelingt in den besten Momenten eine starke Imitation der Indy-DNA. Die Chemie zwischen Harrison Ford und Phoebe Waller-Bridge ist toll mit anzusehen. Gastauftritte von Figuren wie Sallah (John Rhys-Davies) und Marion (Karen Allen) aus den Originalen fügen sich organisch ein. Und wann immer der mittlerweile 91-jährige Komponist John Williams wieder seine Indy-Musik ertönen lässt, ist er kurz da, der Charme von einst, das Indy-Gefühl.
So lässt es sich als Fan der Reihe zwei Stunden lang gut einlullen im Kinosaal. "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" ist nach seinem grandiosen Einstieg durchweg unterhaltsam und beschwört Nostalgie-Feeling – ein richtig guter Film wird er aber nie. Eine lange Passage beispielsweise, in der Antonio Banderas einen unmotivierten Gastauftritt hat, ist auffallend schlecht geschrieben, und dass der tolle Mads Mikkelsen mal wieder nur den Bösewicht ohne Ecken und Kanten oder sonstige Facetten spielen darf, ist an diesem Punkt fast schon eine Frechheit. Trotzdem: Vielen wird es reichen, sich noch ein letztes Mal Harrison Ford mit Fedora-Hut, Peitsche und Ledertasche anzuschauen, der übrigens sichtlich Spaß daran hat, wie sein Alter hier zum Thema gemacht wird. Indy ist stimmigerweise ein grantiger Rentner, dessen Liebe für antike Gegenstände angesichts der Eroberungen des Weltalls im Jahr 1969 keine Bedeutung mehr zu haben scheint.
Mit dem Prädikat "Ganz nett" hätte Mangold über die Ziellinie rollen können, doch die letzte halbe Stunde, das große Finale seines Films und damit auch der Reihe, ist nahezu indiskutabel. Lange hat man darauf hoffen können, dass mit dem Antikythera, mit dem Thema des Zurückdrehens der Zeit und dem sichtlich in die Jahre gekommenen, sich deshalb hundsmiserabel fühlenden Helden etwas Tolles, etwas Cleveres angestellt wird. Doch Fehlanzeige! "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" flüchtet sich im Schlussakt in ein absolutes Nonsense-Spektakel, in dem jede Figurenarbeit und jede Spannung über Bord geworfen wird, um noch einmal eine ganz besondere Wendung einzubauen, die der geneigte Filmgucker fünf Meilen gegen den Wind riechen kann. Dagegen waren die viel kritisieren Außerirdischen im Vorgänger gar nichts: Teil 5 gehen am Ende arg die Ideen aus, und wird dadurch so stupide, dass es verärgert. Das soll jetzt der letzte große Auftritt einer Ikone sein, die Kinogänger seit 42 Jahren begleitet? Für diese mauen Einfälle hat man Harrison Ford noch einmal vor die Kamera gezerrt? Dieser Abschluss ist ein Realitätscheck. Egal, wie toll der Einstieg in der Nazi-Zeit war, und wie gerne man vor lauter Nostalgie über viele Schwächen hinwegsah: Die Zeit von Indiana Jones ist vorbei.
Das Ende verdeutlicht erst, wie wenig James Mangold, die vielen Drehbuchautoren, Produktionsstudio Disney und letztlich auch Harrison Ford noch zur Figur Indiana Jones zu sagen haben. Eine Reihe, die von ihrer Kreativität, ihren einmaligen Momenten lebte, die sollte man vielleicht nicht einfach nur mit solidem Dienst nach Vorschrift fortsetzen. "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" ist der schwächste Teil der Reihe und dient hauptsächlich als Erinnerung daran, warum die Originale solche Meilensteine der Kino-Historie sind. Da helfen auch kein Antikythera oder Verjüngungseffekte aus dem Rechner: Die Helden von einst sind einfach ganz schön alt geworden. Und Indy gehört vielleicht genau wie die vielen Artefakte, die er sammelte, endlich in ein Museum.
Original-Link:
https://www.focus.de/kultur/kino_tv/im- ... 65863.html