Casino Hille hat geschrieben:Ja, mir scheinen Starship Troopers und Showgirls zwei Filme zu sein, die allgemein stark missverstanden wurden/werden. Was imo aber auch für Verhoeven spricht, der eben immer ein unkonventioneller Kopf war, dessen satirische Ader oft so stimmig und böse war, dass mancher sie glatt übersehen konnte.
Ich habe gestern – auch inspiriert durch deinen Post – mir nach über einem Jahrzehnt mal wieder Showgirls zu Gemüte geführt. Der Film war immer das große Rätsel innerhalb Verhoevens Oevre für mich, da es mir nicht so recht gelingen wollte zu erkennen, auf was Paul hier eigentlich hinaus will. Die von dir angesprochene satirische Ader sehe ich zwar ebenfalls in einzelnen Szenen und Charakteren, allerdings vermag ich nicht einen durchgängigen satrischen Ansatz zu erkennen (wie z.B. in Robocop oder Starship Troopers).Wobei das natürlich auch daran liegen könnte, dass Las Vegas von Haus aus schon eine so überzeichnete Institution ist, dass weitere satirische Überzeichnung kaum noch ins Gewicht fällt. Aber auch unter Berücksichtigung dieses Aspekts wirkt Showgirls auf mich deutlich mehr „ernst gemeint“ denn satirisch überzeichnet.
Ich hatte es hier im Thread schon einmal angerissen gehabt, dass ich bei Showgirls durchaus Parallelen in der Konzeption erkenne zu Verhoevens früherem Werk Keetje Tippel, in welchem er den Werdegang eines armen Bauernmädchens im 19.Jahrhundert nachzeichnet. Ein Werdegang, welcher analog zu dem von Showgirl Nomi ebenfalls von männlicher Ausnutzung geprägt ist. Diese Parallele wird mMn noch verstärkt durch die bereits angesprochene „ernstgemeinte“ Grundstimmung (welche zwar auch in Keetje Tippel vom typisch Verhoevenschen derben Humor durchbrochen wird, aber eben ebenfalls nicht durchgängig). Natürlich ist Showgirls dabei der wesentlich plakativere und grellere Film (obwohl Keetje Tippel nun auch nicht gerade Polanskis Tess ist erscheint er im direkten Vergleich zu seinem 90er-Jahre-Pendant geradezu subtil), was aber in meinen Augen in erster Linie dem behandelten Sujet, also Las Vegas, geschuldet ist.
Und genau darin liegt meiner Ansicht nach auch die größte Stärke von Verhoevens vielleicht umstrittensten Film (zumindest wenn qualitative Aspekte diskutiert werden): ähnlich wie er in Starship Troopers die Mechanismen seines behandelten Stoffes anwendet und für seinen Film arbeiten lässt, so macht er dies auch hier. Showgirls ist genau so grell und (oftmals) oberflächlich, gleichzeitig faszinierend und widerlich wie das reale Las Vegas. Das Zockerparadies ist bei Verhoeven ein Erwachsenen-Disneyland auf Koks, was einen ganz erstaunlichen Kontrast zum nahezu zeitgleich entstandenen Säufermelodram Leaving Las Vegas darstellt, in welchem die Stadt durchgängig aus einem negativen Blickwinkel gezeigt wird. Auch wenn mMn Figgis der erheblich bessere Film gelungen ist, so erscheint mir Verhoevens Ansatz hier der erheblich ehrlichere und authentischere. Paul wertet nicht, sondern zeigt gleichermaßen die anziehenden wie die abstossenden Seiten. Seine Inszenierung ist dabei oftmals genauso ausbeutend, wie es Vegas gegenüber den Menschen ist. Am meisten fällt dies natürlich bei der „Fleischbeschau“ ins Auge, gilt aber in nicht geringerem Maße auch hinsichtlich der Charakterisierung. Gerade Hauptfigur Nomi kommt dabei in einem auffallend schlechten Licht weg, es wirkt beinahe so, als ob Verhoeven seinem Publikum zuruft: „seht her, ob Nomis Leben und Charakter auch gute Seiten bietet interessiert mich nicht. Mich interessieren nur die Seiten von ihr, die ich marktschreierisch ausbeuten kann: Nacktheit, Dummheit und Bösartigkeit“.
So gesehen liegt die Vermutung nahe, dass es Verhoevens Intention war mit Showgirls ein möglichst exaktes filmisches Äquivalent zum realen Las Vegas zu erschaffen. Ein Film, der Vegas nicht nur zeigt, sondern wie Vegas ist, sich wie Vegas benimmt und den Zuschauer ähnlich leer zurücklässt, wie die der Stadt wieder den Rücken kehrenden Besucher. Und obwohl Showgirls genau dies liefert, gelingt es dem Film nur bedingt zu überzeugen. Auch, weil die mutmaßlich bewusst oberflächlichen Figuren auch im fertigen Film unter der schillernden Oberfläche nur wenig zu bieten haben. Zwar gibt es durchaus einige interessante Ansätze, etwa wenn sich in der zweiten Hälfte ausgerechnet der von Robert Davi herrlich schmierig gespielte Stripschuppen-Betreiber als ernsthaft am Menschen Nomi interessiert zeigt oder auch die Episoden mit dem darbenden, aber immer noch ambitionierten Tänzer James (welcher allerdings am Ende dann doch folgerichtig „vom Leben“ bzw. von Vegas desillusioniert wird), aber so wirklich Tiefschürfendes wird nicht zu Tage gebracht. Vor allem das zentrale Figurengeflecht Nomi-Cristal-Zack bleibt merkwürdig nichtssagend gerade hinsichtlich der Motivation ihres Handelns. Das mag irgendwo dann vielleicht auch wieder extrem authentisch und nah an der Wirklichkeit sein, es funktioniert im Kontext des Films aber nicht richtig, da die Figuren einfach zu wenig greifbar sind. Letztlich erlaubt sich der Film auch zu viele typische Hollywood-Klischees, als dass der mutmaßliche „mein Film IST Las Vegas“-Ansatz wirklich durchgängig funktionieren würde (ganz extrem im letzten Drittel, etwa bei Nomis Rache am Schmusesänger oder ihrem finalen Abschied von der Stadt als wie uns der Film glauben machen will moralischeren Menschen).
Showgirls ist daher für mich auch kein wirklich guter Film, da zwar durchgängig unterhaltsam, was aber auch zu einem guten Teil seiner Skurrilität geschuldet ist. Dennoch ist der Film auch weit entfernt von der epochalen Gurke, als die er gerne angeführt wird. Denn dafür ist er schon handwerklich viel zu gut. So weiss vor allem die ausgetüftelte Bildgestaltung von Jost Vacano durch die Bank zu überzeugen, die viel zum stark eingefangenen Las Vegas-Feeling beiträgt. Auch wenn Showgirls sicherlich kein Schauspielerkino ist, so bietet der Film dennoch einige sehr ansprechende Darbietungen, so spielt vor allem Gina Gershon ihre Cristal mit wunderbarer Bösartigkeit. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Kontrast zu Elizabeth Berkleys Nomi. Der Film betont mehrfach, dass Cristal (Gershon) ein Star ist und Nomi (Berkley) sie daher nicht ersetzen kann. Entsprechend charismatisch trumpft Gershon auf, während Berkleys Darstellung oberflächlich und uncharismatisch bleibt. Gut möglich, dass auch dies Teil von Verhoevens Gesamtkonzept war – es erweist sich aber egal ob stimmig oder nicht als unglückliche Entscheidung eine uncharismatische Figur (Schauspielerin?) ins Zentrum des Film zu stellen.