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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Nö, nicht wirklich. Was glaubst du, wie man Drehbücher schreibt?
"Hey, lass uns mal was mit Indiana Jones machen?"
– "Okay, cool. Hat jemand eine Idee?"
"Hmmm … Aliens hatten wir noch nicht oder? Lasst uns Aliens machen."
– "Aliens? Naja, ob das so gut zu Indy passt?"
"Och, warum nicht? Spielberg hat schon drei Alien-Filme gemacht. Der kann das."
– "Na gut. Dann machen wir Aliens. Und was machen wir noch?"
"Hmmm … Harrison Ford ist mittlerweile ziemlich alt. Lasst uns Witze über sein Alter machen."
– "Okay, aber nicht zu viele. Wir wollen ja nicht, dass Ford sich beleidigt fühlt vom Skript."
"Stimmt, stimmt."
– "Wonach sucht Indy denn?"
"Uff. Hmmm. Er ist alt, also wie wäre es mit dem Jungbrunnen?"
– "Der Jungbrunnen?"
"Klar. Würde doch Sinn ergeben, dass ein alter Mann eine Möglichkeit sucht, wieder jung zu sein."
– "Aber wollten wir nicht etwas mit Aliens machen?"
"Ach ja. Hmmm …"
– "Wie wäre es mit dem Roswell-Alien? Area 51? Fliegende Untertassen?"
"Finde ich gut. Aber das hat mit Archäologie nicht viel zu tun oder?"
– "Du wolltest die Aliens."
"Richtig. Nun gut. Dann machen wir das. Aber wir brauchen auch noch irgendein Artefakt."
– "Ich bin Produzent, kein Archäologe. Keine Ahnung, was es da gibt."
"Bei National Geographic hatten sie kürzlich was über Kristallschädel."
– "Und?"
"Die haben von der Kopfform ziemlich viele Gemeinsamkeiten mit kleinen grünen Außerirdischen."
– "Perfekt."
"Was noch?"
– "Wir brauchen auf jeden Fall wieder einen Sidekick. Indy muss einen Sidekick haben, wie in den 80ern."
"Hmmm … letztes Mal war es sein Papa. Meinst du, Connery würde nochmal mitspielen?"
– "Ist der nicht tot? Zumindest dreht der seit Jahren nicht mehr."
"Hmmm … naja gut. Letztes Mal war es sein Papa. Vielleicht hat er ja jetzt einen Sohn."
– "Das ist eine gute Idee. Und wer ist die Mutter?"
"Puh. Wie hieß die aus Temple of Doom?"
– "Über die reden wir nicht mehr. Die Nazi-Braut aus Teil 3 ist gestorben oder?"
"Bestimmt. Und selbst wenn nicht: Sie war ein Nazi."
– "Auch wieder wahr."
"Dann lass uns Mary aus dem Original nehmen."
– "Marion?"
"Meinetwegen auch die."
Kein Autor der Welt schreibt und baut seine Geschichten so. Das mag im Hause Marvel so ablaufen, wo man quasi ein Formel-Drehbuch hat und die jeweiligen Autoren nur bei jedem Film Setting, Figurennamen und einen willkürlichen Infinity Stein eintragen müssen. Aber ein richtiger Autor, ein Geschichtenerzähler, der nicht nur ein durchkommerzialisiertes Produkt à la "Fast & Furious 17" abliefern muss, fragt immer: "Was erzähle ich?" Niemand setzt sich hin und redet von "innerer" und "äußerer Handlung", sowas passiert dann im Prozess des Schreibens, sowas ergibt sich aus dem, was sich natürlich anfühlt und manchmal wird einem auch erst hinterher klar, was man alles ins Drehbuch hat einfließen lassen. Spielberg selbst kann da bei "Unheimliche Begegnung der dritten Art" ein Lied von singen (erst mehr als 30 Jahre später wurde ihm bewusst, dass es im Film eigentlich um seine eigenen Eltern geht). Aber doch: Motive, Themen, innere Konflikte und Entwicklungen, Charakterbögen, all das fließt von Anfang in die Überlegungen mit ein. Ansonsten könnten Menschen sich gar keine Geschichten erzählen, die in irgendeiner Form mit anderen Menschen räsonieren.
Filmkritik und Filmanalyse arbeitet immer mit der Unterstellung, dass absolut alles, was wir in einem Film sehen, aus einer Intention heraus Teil der Erzählung ist. Enttäuschend ist das dann, wenn man tiefer guckt und sich tatsächlich nichts finden lässt, man also ein Loch grabt und nur auf Leere stößt. Aber das kommt selten vor. Film ist ein so kollaboratives Medium, an dem so viele Menschen beteiligt sind, in das so viele Gedanken im Vorfeld einfließen müssen, bevor überhaupt irgendeine Kamera läuft – da kann man davon ausgehen (oder sollte es können), dass über jedes Detail jemand nachgedacht hat und es vorab jemandem rechtfertigen musste. "Jäger des verlorenen Schatzes" war schon im Drehbuch eine Geschichte über einen Skeptiker, der im Finale auf das Unerklärliche stößt und durch einen reumütigen Akt des Glaubens gegenüber den gierigen Bösen triumphiert. Das habe nicht ich erfunden, das hat niemand später in den Film reingedeutet, es war schon immer der intendierte Inhalt des Films.
Indiana Jones 4 hat Themen, er hat Motive, er hat auch tiefere Ebenen, vieles hat eine Bedeutung, aber – wohl auch aufgrund des sehr komplizierten Entstehungsprozesses und der vielen beteiligten Autoren, die alle Elemente voneinander übernommen und andere wieder durcheinander gewurschtelt haben – es findet nie richtig zueinander, die schlüssigen Bezüge fehlen. In den Film sind viele Überlegungen eingeflossen, die auch durchaus für sich Sinn ergeben. Indy ist zu Beginn des Films ein alter Mann, der das Gefühl hat, nicht mehr in die "neue Welt" nach dem Krieg zu passen (was auch schön meta ist, denn während wir ihn noch als Nazi-Bekämpfer kennen, gibt es 1957 keine Nazis mehr zu bekämpfen). Und diesem Zustand der Figur Indy verbindet der Plot direkt mit dem Zustand seines Vaterlandes: Aufgrund der Roten Angst vor den Kommunisten (die zudem passenderweise die Bösen des Films sind, die neuen Nazis) wird er als möglicher Verräter eingeschätzt. Die Kritik am McCarthyismus der damaligen Zeit (Jim Broadbent sagt sogar einmal fast wortwörtlich, er erkenne die USA, immerhin seine Heimat, nicht mehr wieder) hat also direkt zu tun mit dem, was sich im Innenleben von Indiana Jones abspielt.
Das passiert nicht zufällig – das passiert, weil irgendein Autor sich im Vorfeld Gedanken gemacht hat, was er erzählen will und wie sich das auf mehreren Ebenen leisten lässt. Genauso der Mythos um die Kristallschädel und die Alien: Wenn Cate Blanchett am Ende des Films verrät, dass die Aliens zwar getrennte Körper haben, aber einen gemeinsamen Verstand, ein Kollektiv (wie die Borg aus "Star Trek") sind, ist das nicht nur eine Erklärung dafür, warum ausgerechnet der Kommunismus diese Schädel und die Außerirdischen so begehrt, sondern zahlt auch wieder auf das Thema "Rote Angst / McCarthyismus / Neue Welt / Paranoia" ein.
Aber gleichzeitig gab es eben die vielen Skriptentwürfe und Fassungen und da ist vieles durch einandergeraten, so dass der Film in seiner fertigen Fassung leider auch einige Böcke schießt, die bei einer konzentrierten Fassung eines fähigen Autoren (und der Vision eines guten Regisseurs) nicht drin wären. Bestes Beispiel ist die Figur des Mac, dem doppelten Dreifachagenten, der Indy etwa 7.438-mal im Verlauf des Films verrät und damit zum Glück gar nicht nervt. Sein Charakter soll eindeutig auf die Paranoia und die Verunsicherung während der Roten Angst einzahlen und diesen Paranoia-Aspekt in einer Figur verankern, da wir nie wissen: Können wir ihm trauen? Allein: Seine Motivation steht dem entgegen. Als er Indy das erste Mal in Area 51 verrät, begründet er das mit einer guten Bezahlung: "What can I say, Jonesy? I'm a captialist." Später im Zeltlager betrügt er Indy erneut, und antwortet auf die Frage, ob es um Geld ginge: "Not any money. A gigantic pile of money!" Sterben tut er dann, weil er von den vielen Reichtümern so fasziniert ist und sich die Taschen dermaßen vollstopft, dass er von Indy nicht gerettet werden kann, als das Ufo abzischt.
Also: Was nun? Kommunismus ist böse – Kapitalismus aber auch? Man kann wegen der Roten Angst den eigenen Leuten nicht mehr trauen – aber man sollte auch nicht, weil die eigenen Leute gierige Wendehälse sind? Indy wird im dümmsten Dialog der Reihe von zwei Bundesagenten vorgeworfen, er könnte ein kommunistischer Doppelagent sein (klare Kritik am McCarthyismus), hat aber noch eine Szene vorher stolz bekundet: "I like Ike" – und sich somit klar als Anhänger von Präsident Dwight D. Eisenhower geoutet, dem damaligen US-Präsidenten, der als leidenschaftlicher Antikommunist auftrat. Indy hängt also Eisenhower an und ist stolzer Antikommunist, aber gleichzeitig werden der radikale Antikommunismus und der McCarthyismus kritisiert, allerdings SIND die Kommies wiederum die Bösen (in der Verfolgung auf dem Uni-Kampus bekommen die Russen wenig subtil sogar Protestschilder von Antikommunisten-Aktivisten ins Gesicht gehauen) … Hä? Was will der Film uns da sagen?
Das ist dann einer dieser Aspekte, an denen so vieles im Entstehungsprozess durcheinander geraten ist, dass irgendwann nur noch der schiere Verlauf einer Szene relevant wurde, aber nicht mehr all das, was dahinter liegt. Und dann hat man einen Film, der anders als seine Vorgänger beim allgemeinen Publikum weniger gut ankommt, weil er emotional und inhaltlich schlicht viel weniger greifbar ist.
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Let the sheep out, kid.