vodkamartini hat geschrieben: 22. Mai 2023 22:36
GoldenProjectile hat geschrieben: 22. Mai 2023 22:31
Für mich passen Ausserirdische und Verschwörungstheorien sehr gut zu einem archäologischen Abenteuer. Das hat diesen Von Däniken-Touch, diese Verbindung von antiken Kulturen bzw. deren Errungenschaften, Bauwerke etc. und eben ausserirdischen Besuchern. Biblische Bezüge sind da vielleicht mythischer, aber weniger mystisch und geheimnisvoll.
Nur wird Däniken von vielen als Spinner angesehen, der pseudowissenschaftlichen Theorien anhängt bzw. diese verbreitet und das passt eben überhaupt nicht zu Indiana Jones, der sich als seriöser Archäologe sieht und auch so präsentiert wird.
Ich komme da wieder auf den Begriff des Erzählerischen zurück und finde erneut, es gibt da
zwei Paar Schuhe und zwei Kategorien, die man berücksichtigen muss, denn die Sache ist doch etwas komplizierter. Grundsätzlich stimme ich GoldenProjectile zu: Aliens passen nicht nur wunderbar zu archäologischen Abenteuern, sie passen vor allem sehr gut in die Region, in der der Film spielt. Wart ihr mal auf Touristentouren in der Gegend? Da kommt ihr keine Station weit, ohne das irgendwer (im Zweifel der Touri-Führer selbst) Witze über Außerirdische macht. Das geht ja über einen Erich von Däniken ganz weit hinaus.
Aber die Sachlage ist vertrackter. Denn
das erste paar Schuhe ist eben das, was ich mit dem Erzählerischen meine: Erfüllen die Außerirdischen eine Funktion in der Handlung? Sind sie thematisch, inhaltlich etc. auf irgendeine Weise mit dem, wovon der Film handelt verbunden? Ich behaupte: Nein. Die Außerirdischen repräsentieren im Film "Wissen". Das Wissen um sie war der wahre Schatz, so formuliert es Indy selbst: "The Ugha word for gold translates as 'treasure'. But their treasure wasn't gold. It was knowledge. Knowledge was their treasure." Und Spielberg ist zu clever, als dass die Aliens und ihre Charakterisierung als "greifbares Wissen" nur Teil einer Dialogäußerung wären. Nein: Dieser Umstand macht sie für die Schurken erst so attraktiv. Zum Glück erklärt die russische Cate Blanchett auf so schöne Weise ihre eigene Motivation: "Imagine to peer across the world and know the enemy's secrets. To place our thoughts into the minds of your leaders. Make your teachers teach the true version of history, your soldiers attack on our command. We'll be everywhere at once, more powerful than a whisper, invading your dreams, thinking your thoughts for you while you sleep. We will change you, Dr. Jones, all of you, from the inside. We will turn you into us. And the best part? You won't even know it's happening." Klaro: Eine allwissende Macht ist das ideale Objekt der Begierde für die Kommunisten. Clever konstruiert vom Drehbuch!
Nur ist das noch keine erzählerische Basis, sondern nur ein Motiv. Zugegeben ein schlüssiges, da Indy 4 vor dem Hintergrund des Kalten Krieges spielt und die damals allgegenwärtige Paranoia der Roten Angst aufgreift (Indy selbst wird sogar als möglicher Verräter gebrandmarkt und seiner Universität verwiesen). Die Bezüge sind in der Hinsicht offensichtlich. Bloß ist das alles (die Russen, die Angst vor den Kommunisten, das Streben der Irina Spalko nach Wissen und Macht durch dieses Wissen) nur eine äußere Kulisse für die eigentliche Handlung des Films, die von einem alten Mann erzählt, der trotz aller Abenteuer eine Lücke in seinem Leben spürt. Aber er weiß sie nicht zu füllen, weil er in seinem Leben als Indy zu eingeengt ist. Es sind dann erst Mutt und Marion, die ihn mit seinem Alter versöhnen und durch die er diese Lücke zu füllen lernt – in dem er eben sich auf "Neues" einlässt, ein Familienleben. Davon handelt "Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels". Aber Spielberg hat keine Idee, wie er diese eigentliche Handlung mit der Abenteuerreise in einen schlüssigen Bezug stellt. Die 'Rote Angst' findet sich auf Figurenebene nur in der Figur des Mac wieder, bei dem Indy und der Zuschauer sich nie sicher sein können, ob sie ihm trauen können. Dennoch muss man ja fragen: Wenn das Thema "Altern" und "Familie" ist (oder meinetwegen hochtrabender "die Akzeptanz des Alters"), wenn Spielberg davon erzählen will: Was soll dann das andere alles? Warum muss Indy sich mit seiner Vaterschaft und seiner Verflossenen beschäftigen? Wo ist da der Zusammenhang?
Es gibt keinen. Diese Dinge (die innere Handlung (das, wovon der Film handelt und was im Innenleben der Figur passiert) und die äußere Handlung (die Abenteuerreise; all das, was direkt auf der Leinwand geschieht) des Films) passieren nebeneinander, aber nicht miteinander. Um mal an einem ganz einfachen Beispiel zu verdeutlichen, wie so ein Zusammenhang besser hätte aussehen können – man hätte es in Indy 4 so erzählen können: Indy ist zu Beginn des Films derselbe grantige alte Mann, der er auch im jetzigen vierten Teil ist. Seit sein Vater verstorben ist, ist er bitter geworden. Dann erfährt er (nachdem er vom obligatorischen Abenteuer zu Beginn des Films zurückkehrt) vom Tod von Marcus Brody und sieht sich dadurch mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Marcus wollte immer archäologischen Gegenstand X aufspüren, und wird das jetzt nie mehr können. Indy kommen auf einmal Gedanken: Er hat Sankara-Steine, die Bundeslade und den Heiligen Gral gefunden, aber nie nach Hause gebracht. Er mag unglaubliche Dinge erlebt haben, aber weiser ist er dadurch nicht geworden. Daraus ergibt sich für ihn eine Motivation:
Ich will nur nicht vor meinem Tod noch was erleben, ich will vor allem Wissen ansammeln und dazugewinnen. Dabei stolpert er über den Mythos der Kristallschädel, die (einmal vereint am richtigen Platz) ihrem Besitzer unendliches Wissen verleihen können. Und daraufhin stürzt er sich ins Abenteuer.
Auf seiner Abenteuerreise mit Sidekick X und Sidekick Y stößt er dann auf den Alienmythos. Vielleicht gibt es eine Figur, die ihr ganzes Leben nach den Kristallschädeln gesucht hat und im Verlauf der Jahre verrückt geworden ist und jetzt irren Verschwörungstheorien darüber anhängt, die Kristallschädel seien eine außerirdische Macht und nur daher allwissend, weil sie den Mensch selbst erschaffen haben. Indys Sidekicks sind dem skeptisch gegenüber, vor allem aber halten sie es an dem Punkt für zu gefährlich, die Reise fortzusetzen. Indy lässt aber nicht mit sich reden und (ungewöhnlich für ihn) glaubt dem irren Verschwörungstheoretiker sein Geschwurbel und stürzt sich komplett in dessen Gedankenwelt rein. Warum? Er will glauben, dass all das wahr ist und die Kristallschädel ihm wirklich unendliches Wissen verleihen können (denn sein innerer Antrieb … gell?). Jedenfalls: Je länger der Film läuft, umso mehr versuchen die Sidekicks, Indy zu beschwichtigen, der sich besessen in diese Ideen reinsteigert.
Im Finale erzeugt man dann als Autor folgende Situation: Genau wie im jetzigen Film sind Indy, seine Sidekicks und die irre Russin (die auch unendliches Wissen will und ebenfalls nach den Kristallschädeln sucht) in dieser Pyramide und die Kristallschädel beginnen ihr Werk (was Indy so deutet, dass ihr Raumschiff in Betrieb gesetzt wird). Indy hätte jetzt die Chance, unendliches Wissen zu erlangen, aber seine Sidekicks stürzen aus dem Raum und wenden sich ab. Jetzt könnte er natürlich bleiben und sein Ziel erlangen, aber zum selben Preis wäre er wohl auf ewig von ihnen getrennt und er erkennt in dem Moment, dass dieses ewige Wissen für ihn bedeuten würde, sein ganzes bisheriges Leben aufzugeben. Im letzten Moment springt er aus dem Raum und verlässt mit den anderen das Gebiet – während die böse Russin im Raum bleibt. Sie giert weiter nach Allwissenheit, während Indy erkannt hat, dass ihn Allwissenheit nicht glücklich machen würde, sondern es seine Freunde (die Sidekicks) sind, die das Leben lebenswert machen – und ihm ist jetzt nicht mehr wichtig, vor seinem Tod noch möglichst alles in Erfahrung zu bringen, sondern lieber die Zeit zu genießen, die er noch vor sich hat. Nachdem Indy und seine Freunde abdampfen, entpuppen sich die Kristallschädeln tatsächlich als Aliens, verschaffen der Russenbraut unendliches Wissen, sie verbrennt daraufhin unter der Last all dieses Wissens (wie im jetzigen Film) und die Aliens ziehen mit ihrem Raumschiff von dannen – OHNE das Indy dies mitbekommt und je erfährt, ob es sich bei den Kristallschädeln wirklich um Aliens handelte. Er hat sich gegen das Wissen und für das Genießen entschieden, und daher darf er im Film nicht erfahren, was die Wahrheit gewesen wäre, was es mit den Kristallschädeln auf sich hatte. Allein es kümmert ihn gar nicht mehr.
Ist das jetzt super gut? Nö, definitiv nicht, einfach schon, weil ich kein Drehbuchautor bin, für sowas nicht unbedingt Talent habe und mir für sowas ohnehin erst Mühe machen würde, wenn mich jemand bezahlt. Aber: Jetzt hätten die innere Handlung (Indy strebt nach Wissen und lernt, dass es nicht wichtig ist, alles zu wissen) und die äußere Handlung (Verschwörungstheorien um Aliens, die als Schöpfer von allen über unendliches Wissen verfügen) einen konkreten Bezug zueinander und die Aliens wären nicht nur das willkürliche Ergebnis einer Abfolge von Actionszenen, sondern sie wären ein schlüssiges Symbol für die eigentliche Geschichte des Films. So wie es in "Jäger des verlorenen Schatzes" ist (die Bundeslade, die nicht berührt oder geöffnet werden darf, ist das ideale Symbol für die Geschichte eines Mannes, der vom skeptischen Grabräuber (einem Mann also, der alles in die Finger kriegen will) zu einem respektvollen Gläubigen (einem Mann, der die Augen verschließt und das Vertrauen in eine höhere Macht findet, der man sich ergibt) wird). So wie es in "Der letzte Kreuzzug" ist (der Heilige Gral, die biblische Zusammenführung von Vater, Sohn und heiligem Geist, ist das einzig logische Symbol für die Geschichte eines Vaters und eines Sohnes, die sich entfremdet haben und durch die Suche nach dem Gral das Göttliche in sich selbst und darüber auch einander finden – durch Spielberg dadurch auf die Spitze getrieben, dass man den Gral als goldenes, heiliges, wertvolles Objekt vermutet, es sich in Wahrheit aber um den einfachen Kelch eines Zimmermanns handelt).
Diese erzählerische Komponente geht "Das Königreich des Kristallschädels" ab. Weitgehend ist dieser Film wieder eine Vater-Sohn-Erzählung und dann auch das Wiederaufflammen einer alten Liebesgeschichte, aber es geht auch irgendwie um Paranoia und Vertrauensprobleme und außerdem spielen Alien von Däniken eine Rolle am Ende, aber warum, nun, tja, weil George Lucas wohl Aliens wollte und Spielberg es ihm nicht ausreden konnte, wer weiß.
Aber es gibt noch
das zweite Paar Schuhe und das ist die eher abstraktere, nicht direkt erzählerische Ebene, an der Vodka sich stört. Das ist dann die Frage: Passen Aliens als Konzept überhaupt in die Welt von Indiana Jones? Und da kann man Pro- und Kontra-Argumente finden. Was GoldenProjectile sagt, finde ich für sich genommen stimmig. Entstehungsmythen von antiken Ortschaften durch Außerirdische sind schon lange Teil der Pseudowissenschaften und damit Theorienfelder, mit denen sich auch Archäologen tatsächlich konfrontiert sehen. In einem ohnehin Fantasy-lastigen Szenario wie Indy liegt es also in der Tat nahe, diese Verbindung herzuziehen und das Spekulative für voll zu nehmen. Diese Sichtweise finde ich verständlich, insgesamt teile ich sie bis zu einem gewissen Grad auch. Auf dem Papier sind Aliens eine schlüssige Idee: Indiana Jones wird immer mit übernatürlichen Elementen konfrontiert, das ist Teil seiner filmischen DNA, und was ist wirklich per Definition noch übernatürlicher als Wesen aus dem All?
Allerdings ist dann da noch eine andere Sichtweise und das ist die, die Vergleiche zu den ersten drei Filmen anstellt: Indiana Jones als Charakter wird in allen drei Filmen aus den 80er Jahren direkt mit religiösen und spirituellen Elementen konfrontiert – und jedes Mal definiert sich seine Figur darüber, wie er sich zu diesen Elementen verhält. In "Jäger des verlorenen Schatzes" ist er von der Bundeslade als Artefakt besessen, zeigt aber eine offene Ignoranz für ihre religiöse Bedeutung. Er triumphiert als Held über seine Widersacher, weil er im letzten Moment ihre eigentliche Bedeutung akzeptiert und ernstnimmt, seine Gier hinten anstellt und an die Lade zu glauben beginnt. In "Der Tempel des Todes" will er zu Beginn (naja … nach seiner Bruchlandung und dem restlichen Gewese) unbedingt die Sankara-Steine finden, und verspricht sich davon einer eigenen Aussage nach: "Fortune and Glory". Reichtum und Ansehen. Er ist egoistisch. Er will die Steine, um später der zu sein, der die Steine gefunden hat. Im Palast wird er vom (indischen?) Premierminister darauf angesprochen, dass er in mehreren Ländern bereits strafrechtlich gesucht wird, weil er dort Artefakte stiehlt und sich ihrer bemächtigt. Fortune and Glory eben, Baby. Aber als er die Macht der Steine erkennt, handelt er im Finale des Films selbstlos und hinterlässt sie dem hungernden Dorf, damit diese von ihren Kräften profitieren. In "Der letzte Kreuzzug" hat die religiöse Bedeutung des Grals gar keine Bedeutung mehr für ihn, der Gral ist nur ein Objekt, durch welches er sich die Anerkennung seines Vaters erkaufen könnte – und auch hier gibt es am Ende die spirituelle Kehrtwende, wenn die Liebe des Sohnes zum Vater und die Liebe des Vaters zum Sohn wichtiger wird als der buchstäblich unsterbliche machende Kelch. Und dann stellen Vater und Sohn, die den Kelch hauptsächlich aus archäologischer Neugierde heraus besitzen wollten, beide fest, was der Gral wirklich ist, nämlich – Überraschung, nix materielles! – "Illumination", Erleuchtung.
Indy als Figur ist in allen drei Filmen direkt mit Religion und Spiritualität konfrontiert, zeigt offen Ignoranz und Missachtung für diese Dinge (er ist immerhin Professor

) und wird dadurch zum Helden, dass er im richtigen Moment zum Glauben findet und seine archäologische Berufung hintenan stellt. Das ist der erzählerische Kern der ersten drei Filme und der Reiz an der Figur von Indiana Jones – und eben diese Komponente fehlt dem vierten Film völlig. Wenn vodka also schreibt, durch die Aliens fehlt ihm das Mythische, das Mythologische, hat er durchaus einen Punkt: Die Existenz (oder Nicht-Existenz) von Außerirdischen mag eine Erklärung für das Entstehen verschiedener archäologischer Artefakte bieten, es mag eine Antwort auf verschiedene Fragen sein, aber Indy wird durch die Begegnung mit außerirdischen Lebensformen nicht auf dieselbe Weise spirituell herausgefordert wie in den Vorgängern. Und – so könnte man argumentieren – damit geht ein wesentlicher Teil dessen verloren, was Indiana Jones als Figur und was seine Geschichten und sein Verhalten ausmacht.