Twin Peaks: The Return Part I-IV (2017, David Lynch)
It is happening again!
“I’ll see you again in twenty-five years, meanwhile…”, prophezeite der Geist von Laura Palmer FBI-Agent Dale Cooper 1991 in einem Labyrinth voller roter Vorhänge, merkwürdiger Zwerge und surrealer Zeitsprünge. Natürlich wissen hartgesottene Anhänger der Mutter aller heutigen TV-Serien, dass um diese kryptische Weissagung zu erfüllen auch der Prequel-Film Fire Walk With Me (1992) mitgezählt werden muss. Aber so genau muss das auch nicht passen. Das wichtigste ist: Twin Peaks ist zurück, als limitierte Showtime-Serie in 18 Episoden. Wobei der Serienbegriff hier aber prinzipiell fehl am Platz ist, denn Twin Peaks: The Return ist vielmehr ein 18-stündiger Film, der alle sechzig Minuten kurz von Vor- und Abspann unterbrochen wird, sich davon abgesehen aber jeglicher Episodenstruktur verweigert. Ein letztes gigantisches Aufbäumen David Lynchs in seinem populärsten Metier. Der exzentrische Künstler aller Fächer hat seit dem grotesken dreistündigen Camcorder-Drogentrip Inland Empire (2006) kein längeres Filmprojekt mehr realisiert und unlängst bestätigt, dass das auch so bleiben wird.
Lynch ist nun mal Lynch und daher immer bereit, sein Publikum auf neue Art in die Irre zu leiten. Noch mehr als das vermeintliche Medium täuscht auch der Titel, denn wo die Originalserie durchgehend die schrittweise Erkundung des namensgebenden Städtchens zelebrierte weitet Return seine Geschichte geographisch deutlich weiter aus. In den ersten Stunden ereignet sich ein verrückter Kriminalfall in South Dakota, ein noch viel verrückterer in New York und eine bizarre Odyssee durch Raum und Zeit, durch Traum und Realität, wie sie damals in der letzten Episode schon eingeleitet wurde. Weiter kann man sich zwar auf ein Wiedersehen mit den liebgewonnenen Protagonisten von damals freuen, wird aber parallel dazu auch einem Panoptikum neuer skurriler Charaktere vorgestellt. Das Gesamtbild macht deutlich, dass man es nicht schlicht mit einer neuen Staffel zu tun hat, sondern mit einem eigenständigen Werk, das auf der Serie aus den 90er-Jahren aufbaut. Den Zuschauer erwartet also nicht nur eine Rückkehr nach Twin Peaks, sondern eine Vielzahl an unterschiedlichsten Handlungssträngen an allen möglichen Orten und auf allen möglichen Realitätsebenen, inklusive eben Twin Peaks. In dieser Hinsicht werden Erinnerungen an Lynchs Mulholland Drive (2001) wach, dessen erste Hälfte ebenfalls mit einem Konglomerat aus diversen rätselhaften Nebenhandlungen und Andeutungen aufwartete. Wie und wann all diese Expositionen und Ereignisse zusammenhängen werden bleibt vorerst noch offen, doch wer mit David Lynchs Schaffen vertraut ist weiss dass es garantiert nicht auf konventionelle, geschweige denn vorhersehbare Weise passieren wird.
Das Denken in einem grösseren Kontext findet aber nicht nur auf der reinen Drehbuchebene statt, sondern ist auch in der stilistischen Natur zu finden. Lynch und sein Co-Autor Mark Frost sind viel zu klug, um sich ausschliesslich auf Nostalgie und Fanservice auszuruhen und damit Lorbeeren einzuheimsen. Sie wissen, dass sich der Charakter von Twin Peaks, diese eigenartige Paarung aus trivialer Seifenoper und höherer Filmkunst, die trotz aller Absurditäten und Horror-Einschübe auch immer sehr heimelig war, nicht identisch rekonstruieren lässt. Dafür war die Serie zu abhängig vom Zeitgeist, der Handlung und ihrem Status als Original innerhalb des Peaks-Kosmos‘. Auch beim Spielfilm Fire Walk With Me war dies nicht möglich, was wohl ausschlaggebend für die die negativen Resonanzen war, die der Film damals erfahren musste. Return hat auch den kruden Lynch- und Peaks-Humor an Bord, das schon, geht aber darüber hinaus extreme neue Wege, zumindest innerhalb des Peaks-Universums, denn die Serie, bzw. der Film ist dann trotz allem in erster Linie ein Kind seines Schöpfers, und Twin Peaks war – ob man’s glaubt oder nicht – eines seiner zugänglicheren Werke. Dieses Mal bekommt der Zuschauer die volle Breitseite an Lyncheskem Wahnsinn geboten, ein irrwitziges Konglomerat aus bizarrem Humor, Neo-Noir-Kriminalfilm und blankem Surrealismus. Es finden sich DNA-Spuren und motivische Querverweise auf sein gesamtes Oeuvre, darunter eben auch Twin Peaks, aber genauso sehr auch seine anderen Filme.
- Coopers surreale Odyssee durch die Maschinenwelt erinnert an Eraserhead (1977).
- Dark Coopers Rolle als geheimnisvoller Bandenchef erinnert etwas an Frank Booth aus Blue Velvet (1986).
- Die raue Road-Movie-Atmosphäre in der Geschichte um Dark Cooper erinnert an Wild at Heart (1990).
- Die jetzt schon absolut legendäre „Glass Box and chill“-Szene erinnert in Struktur und Atmosphäre an die Winkies-Szene aus Muholland Drive (2001).
- Die Ereignisse in der Black Lodge erinnern beinahe schon an Inland Empire (2006).
- Am direktesten zitiert wird natürlich Fire Walk With Me (1992): Der Ring, der Arm (in seiner jüngsten Evolutionsstufe als sprechender Elektro-Baum), Philip Jeffries, Garmonbozia…
Fazit: „Twin Peaks ist zurück“ ist wohl der erste Satz der einem jeden in den Sinn kommt, wenn er sich das heisserwartete Revival anschaut. Doch genauso sehr müsste es eigentlich heissen „David Lynch ist zurück“. Nach zehn Jahren in seinen Nebenjobs als Musiker, Designer und Videokünstler und der Ankündigung, keine Filme mehr zu machen zelebriert der Meister des doppel- und dreifachbödigen, grotesken und stets unerwarteten filmischen Erlebens ein voraussichtlich letztes Mal seine ebenso absurde wie visionäre Fantasie, und zwar ungeschönt und in Bestform. So darf es die nächsten rund vierzehn Stunden in seiner bizarren Gedankenwelt gerne weitergehen.