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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Hmm, habe ich wirklich noch gar nicht Fincher in Zahlen hier gemacht? Das ist ein Vergehen, für das ich eigentlich umgehend bestraft gehöre. Also wollen wir mal schnell, bevor Maibaum doch noch eine Verwendung für die umsonst bestellten Steine findet:
Alien 3 - 8/10
Alien 3 (Extended Cut) - 8,5/10
- Hochspannende, weil in dieser nihilistischen Düsternis komplett schonungslos durchgezogene Abrechnung mit den zwei Vorgänger-Filmen – insbesondere eigentlich die Antithese zum Cameron-Film. "Alien 3" ist beinahe eher ein Film über die spirituellen Abgründe des Menschen als über ein gruseliges außerirdisches Wesen, welches mit ordentlich Hunger in einem Männerknast vor sich hin futtert. Mit religiöser Symbolik ist "Alien 3" sicherlich überfrachtet, dabei aber atmosphärisch so eiskalt und lebensverneinend wie kaum ein anderer Film dieses Kalibers. Für den eigentlich respektlosen, gleichzeitig aber auch brutal-sinnigen Umgang mit dem Ende des direkten Vorgängers muss man Fincher respektieren. Sicher ist, "Alien 3" ist nicht so ganz sein Film, und wer am Ende an welcher Cut-Fassung nun das Meiste direkt zu verantworten hat, ist unmöglich zu entwirren. Hier und da sind in der Kinofassung die Kompromisse sichtbar, der Extended Cut ist (auch durch das subtilere Ende) der etwas größere Genuss.
Se7en - 9/10
- Am Schönsten wäre es natürlich, einem Film mit diesem Titel sieben Punkte zu vergeben, aber dafür ist "Se7en" doch zu gut. Der dreckige Großstadt-Thriller ist eine exzellent inszenierte Täterjagd, die in einem der außergewöhnlichsten Schlussakkorde überhaupt endet. Dabei ist es gar nicht mal die ausgezeichnete Schauspielleistung aller Beteiligten, die hier ausschlaggebend ist, sondern die absolute Kompromisslosigkeit, mit der Fincher seine Geschichte bis zum bitteren Ende erzählt. Irgendwo zwischen Krimi und Horror fängt er so einige Bilder des nackten Grauens ein und lädt seine Figuren mit allerlei bitterbösen Dialogen auf, die man hinsichtlich ihrer Sozialkritik nicht allzu ernstnehmen muss, sondern als wichtiges Element der alles Positive verschlingenden Atmosphäre zuschreiben sollte. Die Ausgangsbasis und die Hauptcharaktere mögen auf den ersten Blick abgedroschen und altbekannt scheinen, sind aber selbst nur Schachfiguren in einem Spiel, dass sie beide nie ganz verstehen lernen können.
The Game - 7/10
- Michael Douglas in Höchstform! "The Game" wird beinahe ausschließlich von Douglas und seiner bravourösen Leistung getragen. Formal ist der dritte Fincher solide inszeniert und insbesondere in den tempolastigeren Szenen durch hübsche visuelle Kniffe ein Hingucker, doch das Drehbuch zeugt von eher sprunghafter Qualität. Allzu oft wird eher auf Verwirrung als auf das Erzeugen von echter Spannung gesetzt, ehe die große Auflösung einige konzeptionelle Schwächen offenbart – interessant aber den Gedanken, gemäß einer griechischen Tragödie das Element der Katharsis zum immersiven Erlebnis für den Zuschauer werden zu lassen. Insgesamt weiß "The Game" erneut zu fesseln und wieder erweist sich Fincher als ein Meister in atmosphärischer Tongestaltung, der auf der Klaviatur der Nervosität spielt wie kein anderer. Kein bemerkenswerter Film, aber doch einer, der zeigt, dass Fincher auch einem schwächeren Stoff seinen Stempel aufdrücken kann, wenn man ihn von der Leine lässt.
Fight Club - 4/10
- Kein anderer Film ist so David Fincher wie "Fight Club" – vielleicht etwas zu viel letztlich für meinen Geschmack? Inszenatorisch wartet die Regie mit allerlei ausgefallenen Mitteln auf, bleibt aber dabei immer sehr distanziert zum eigentlichen Handlungsgeschehen, beinahe auktorial … zumindest so lange, bis die Schlusspointe etwas anderes enthüllt. Als Kapitalismus-Kritik wurde "Fight Club" gerne interpretiert, doch obwohl der Reigen aus Gewalt und Sex mit allerlei Konsumentsagungspathos in den Dialogen aufwartet, offenbart das Verhalten der Charaktere eher einen postmodernen Konformismus, die angedachte Rebellion ist eigentlich keine. Prinzipiell ein spannender Inhalt, doch gerät das Drehbuch allzu quasselig und vor allem belehrend, trotz des angedachten coolen Sprech-Habitus aller Charaktere. In seiner extremen Inszenierung, die für subtile Zwischentöne gar keine Zeit geschweige denn Interesse hat zu brachial für mich. Dennoch ein interessanter Film, unabhängig der subjektiv empfundenen Qualität.
Panic Room - 4/10
- Ein ungünstiger Stoff für Fincher. Der konzentrierte, räumlich eingegrenzte Thriller legt besonderen Wert auf sein kleines Figurenensemble, insbesondere auf die im Zentrum stehende Mutter-Tochter-Beziehung. Davon ist am Ende auf der Leinwand nicht viel spürbar: Die enge Beziehung zwischen Jodie Foster und Kristen Stewart bleibt eine Drehbuchbehauptung, die Spannung verbleibt damit meist oberflächlich. Zwar gibt sich die Regie erkennbar Mühe, durch eine ausgefeilte Kamerainszenierung das Optimum aus dem Setting herauszuholen, doch genau hierin liegt das Problem. Der durchschnittliche Genre-Beitrag wird überdeutlich von oben "fincherisiert", und nie ergeben sich die Stilelemente aus dem Plot oder einer anderen Notwendigkeit heraus. Es ist, als kämpfe der Regisseur mit dem Script, und versuche es mit aller Macht einem Stilwillen unterzuordnen. Zur erhofften Symbiose kommt es nicht und so verläuft sich "Panic Room" nach kurzweiligem Auftakt zu schnell im belanglosen Einmaleins des Thriller-Kinos.
Zodiac - 9,5/10
- Robert Downey Jr. und Mark Ruffalo dabei zusehen, als sie noch ihr Talent einsetzen mussten, bevor sie sich in bunte Strumpfhosen zwängten, ist alleine schon "Zodiac" wert. Obwohl die wahre Überleistung von Jake Gyllenhaal stammt, der aus dem überlangen Kriminalfilm eine Charakterstudie der Obsession werden lässt – und damit das Serienkiller-Genre, welches Fincher einst nachhaltig prägte, brillant zu transzendieren weiß. Einerseits ist dieser Film ein Meisterwerk des akribisich recherchierten Spielfilms, der umfangreicher als die meisten Dokumentationen ein kompliziertes und sehr schwieriges Sujet aufbereitet und zumindest im Groben für den normalen Zuschauer verständlich macht. Enorm unterkühlt bewegt sich Fincher so durch die Wirren einer der verzwicktesten Mordserien der US-amerikanischen Geschichte, und verbleibt am Ende wie die Realität ohne eine Auflösung. Ein Berg von Film, durch den sich der geneigte Zuschauer durchackern muss, für den er aber auch bewusst beim Einsetzen des Abspanns nicht belohnt wird.
Der seltsame Fall des Benjamin Button - 4/10
- Das kitschige Melodram erinnert fast durchgängig und in einer Tour an seine großen Vorbilder aus den 1950ern. Die Prämisse um den rückwärtsalternden Protagonisten ist F. Scott Fitzgerald entnommen, doch dient hier nur als Vorwand für eine sentimentale x-te Neuerzählung der unmöglichen Liebe. Es ist dabei wenig hilfreich, dass Brad Pitt in nahezu allen Altersstufen seiner Figur allzu leicht als stark durch Spezialeffekte und Maskerade zu erkennen ist und die ganze Natur seines Charakters damit artifiziell bleibt. In schwülstigen Bildern imitiert Fincher einen Stil, der nicht sein Eigener ist - dementsprechend zweigepolt wirkt das Endresultat. Es ist der skurrile Handlungskatalysator, der die allermeiste Zeit das Interesse hochhalten kann, genau wie die Versuche, nebenbei das Verhalten einer traumatisierten Weltkriegsgeneration zu analysieren. Letztlich bleibt es hier aber bei oberflächlichem Anhang an eine Romanze, deren Kern kaum berührend gerät, geschweige denn allzu originell.
The Social Network - 11/10
- Die Gründungsgeschichte von Facebook als nur lose faktenorientierte moderne William-Shakespeare-Adaption, in der barockes Theater und Screwball-Comedy zu einem faszinierenden Porträt vermengt werden, dass in seiner makellosen Konzeption der Generation Y ihr eigenes Denkmal bescherrt. Es ist beinahe nicht zu glauben, wie ausgetüftelt, mehrschichtig und hintergründig Drehbuchautor Aaron Sorkin diese Geschichte entspinnt, wie David Fincher sie in atemberaubenden Montagen erzählt und wie die Nine Inch Nails Rocker mit ihrem Soundtrack den perfekten Ton treffen. Hauptdarsteller Jesse Eisenberg ist brillant als Filmversion von Mark Zuckerberg, und der erstaunlich reif spielende Andrew Garfield steht dem in Nichts nach. Die aus unzuverlässigen Perspektiven aufgedröselten Abgründe aller Handlungsträger dröseln ein komplexes Figuren- und Gesellschaftsbild auf, und lassen dank der so simpel wie genialen Schlussszene keine andere Konklusion zu: "The Social Network" ist "Der Pate" der 2010er.
Verblendung - 6/10
- In einer Welt vor "Parasite" war es für fremdsprachige Filme schwierig, in den USA Fuß zu finden. Da die Stieg-Larsson-Verfilmungen aus Skandinavien aber schlicht so gut waren, dass man sie den Amis nicht vorenthalten durfte, übernahm David Fincher ein Remake des ersten Films. Aus Noomi Rapace wurde Rooney Mara, aus Mikael Nyqvist wurde Daniel Craig. Aus Darstellersicht gehen diese Neuinterpretationen in Ordnung, Finchers "Verblendung" mangelt es an der psychotischen Stringenz des Originals. Die seelische Tortur, durch die die Protagonisten hier durch müssen, wird in der US-Version zur technisch astreinen, aber kaum greifbaren Horrorveranstaltung. Schlimmer ist aber, dass die handwerklich makellose Inszenierung nie dieselbe Poesie entfaltet, welche die Bilder im Original ausstrahlen – trotz angeschraubter expliziter Gewaltdarstellung. Übrig bleibt ein mäßig gelungener, solide unterhaltener Thriller, der für Fans des Originalfilms aber nie eine echte Alternative darstellt.
Gone Girl - 5/10
- Wenn auch auf einer Romanvorlage basierend, ist "Gone Girl" eigentlich Finchers Version des Alfred-Hitchcock-Klassikers "Verdacht". Minutiös seziert der Regisseur die vermeintlich vorbildliche Ehe, ehe sich eine Geschichte aufbaut, die mehrere Themen gleichzeitig anschneidet. Während da einerseits eine Abhandlung über Schuld und Unschuld zu erkennen ist, scheint Fincher besonders an der medialen Aufarbeitung des Kriminalfalls interessiert und führt hierbei ideologisch beinahe seinen "The Social Network" fort. Ein über weite Strecken eher interessanter als spannender Thriller, der nach seiner unweigerlich so angelegten großen Wendung allerdings immer mehr zum psychologisierenden Kasperle-Theater mutiert. Es mangelt dem Script dabei im finalen Akt nicht nur immens an Glaubwürdigkeit, sondern auch an Konsequenz. Sabotage durch das Drehbuch, möchte man hier rufen, aber doch bleibt die Frage, ob "Gone Girl" statt Finchers Düsternis nicht einen stärkeren Pulp-Einschlag benötigt hätte…
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Let the sheep out, kid.