GoldenProjectile hat geschrieben: 3. Juli 2022 22:57
Habe die Serie noch nicht gesehen, nur ein paar Szenen, und aus denen finde ich dass Ritchson ziemlich gut, vor allem physisch passt.
Ritchson passt meines Erachtens null. Die Figur, die er in der Serie spielt, ist nicht unsympathisch, aber a) hat der Typ schauspielerisch nix auf dem Kasten, ihm fehlt jedes Charisma, das Reacher in den Büchern en masse versprüht – und b) ist er optisch auch nicht wirklich der Racher, den Child beschreibt. Reacher ist groß und massig, aber er ist kein Kleiderschrank. Alan Ritschon ist eine menschgewordene breite Schulter. Ein Bodybuilder à la Arnie, der zudem andauernd nackig gezeigt werden muss. Und sorry, das ist eine komplette Missdeutung der Reacher-Figur. Reacher als Actionheld steht in den Büchern nicht für eine überzogene Hypermännlichkeit, wie sie im 80er Jahre Kino gefrönt wurde. Alan Ritchson, die Art, wie er spielt und wie sein gestählter Körper inszeniert werden, das ist eine totale (nicht ernstzunehmende) Karikatur von Männlichkeit. Darum, um so eine billige Dolph Lundgren Kopie, geht es in den Büchern nicht.
Natürlich ist Tom Cruise eine bekloppte Besetzung für den Buch-Reacher (optisch), aber er erfasst diese Figur tatsächlich ziemlich gut. Er spielt einen Menschen mit unglaublicher innerer Freiheit, der durch sein militärisches Leben einen Zustand erreicht hat, in dem er weiß, jedem nur möglichen Problem gewachsen zu sein – und das gibt ihm eine psychische Unabhängigkeit, er steht über den Dingen. Die Romane leben davon, dass Reacher als Figur immer, wenn er mit einem Problem konfrontiert wird, auf eine Art reagiert, die direkt in äußere Handlung transferiert wird. Das macht die Bücher als Thriller so unglaublich spannend und auch gehaltvoll. Child schreibt keine dreidimensionalen Charaktere, sondern er schreibt sehr destillierte Thriller-/Krimi-Plots und damit das funktioniert, muss die Hauptfigur in ihrem Handeln UND Denken jederzeit der Aktivpart sein. Genau das ist Jack Reacher. Ein Mann, der im Inneren jede gefährliche Situation schon gelöst hat, bevor er dann in Bewegung seine Gedanken umsetzt. Reacher weiß genau: "Okay, mir stehen vier Kerle gegenüber. Da die Sonne gerade im 40 Grad Winkel steht, muss ich zuerst Person 3 von links ausschalten, da diese die beste Sicht auf mich hat und somit die größte Gefahrenzone ist …" etc.
Es ist super schwierig, diese innere Überlegen- und Selbstsicherheit zu spielen und Tom Cruise hat das vor allem im ersten Film sensationell hinbekommen. So gut, dass es für mich eine seiner besten Rollen überhaupt geworden ist. Ja, die Filme sind nicht die werkgetreusten Adaptionen, aber sie haben die Essenz der Romane und dieser Welt verstanden, die Child geschaffen hat. Die Serie klebt unfassbar dicht am Roman, fast 1:1, aber verfehlt völlig den Geist, die Atmosphäre und die Raffinesse der Bücher. Und das trifft auch auf die Schauspieler zu: Tom Cruise mag nicht direkt der Buch-Reacher sein, aber er trifft meine Vorstellung der Figur in ihrer Essenz. Alan Ritchson scheint oberflächlich näher dran zu sein, ist aber letztlich ein B-Movie-Held vergangener Jahrzehnte ohne Charme oder Intelligenz.