Casino Hille hat geschrieben: Heute 02:50
Stilistisch sehe ich nicht, wo Nolan jetzt filmästhetisch herausarbeitet, dass die anderen Figuren nur aus der subjektiven Sicht von Oppenheimer heraus geschildert werden. Wenn er das machen wollte, ist er bei mir auf ganzer Linie gescheitert. Ich weiß, dass er das Skript so geschrieben hat, aber der Film kommuniziert mir das nicht. In einzelnen Momenten wird klar die Perspektive einer Figur eingenommen, durch Verfremdungseffekte beispielsweise, aber das ist noch nicht mal konsequent nur Oppenheimers Sicht (wir sehen beispielsweise einmal, was vor dem inneren Auge seiner Frau passiert - eine Szene, bei der ich laut lachen musste im Kino (wofür ich mich hinterher bei zwei Kollegen, die neben mir saßen, entschuldigen musste), weil ich das so abgedroschen und "corny" fand). Von daher lass ich das Argument nicht gelten.
Vollständig konsequent durchgehalten ist es nicht, das stimmt, aber für mich doch regelmäßig spürbar. Ich würde als Stilmittel aber auch seine Visionen, die Nähe der Kamera an ihm, und die musikalische Untermalung anführen. Du hast hier im Thread einmal geschrieben, dass du nicht verstanden hast, "warum Ludwig Göransson absolut jede Szene in diesem Film, selbst banale Anhörungen mit seinem ultra lauten Lärm zukleistern muss". Die Antwort ist, weil Oppenheimer in diesen Szenen, insbesondere einer im letzten Drittel, so in die Mangel genommen wird, dass die Musik seien Gefühle auf uns Zuschauer übertragen soll. Und das funktioniert bei mir hervorragend. Unterstütz wird das ganze dann noch von visuellen Effekten, die diese subjektive Stresssituation untermalen. Ich finde es mustergültig gelöst, wie die weniger intensiven Anhörungsszenen immer größere Teile des Raumes mit mehr Personen zeigen und die Kamera immer enger an Oppenheimer und seinen Kontrahenten geht und immer mehr an Umgebung ausblendet, wenn es intensiver wird. Mich zieht das förmlich in seinen Tunnelblick hinein.
Casino Hille hat geschrieben: Heute 02:50
Worum geht's? Ich beziehe das überhaupt nicht generell auf Frauen. Tatlock entspricht im Film einem Frauen-Klischee, das da draußen nun mal in den Köpfen einiger Männer herumgeistert und bedient daher dieses Denken auch astrein. Ob der Film das als allgemeine Aussage verstanden wissen will, dazu habe ich gar nichts gesagt.
Ach so, ich dachte du sprichst von einem generellen Frauenklischee, dass halt alle Frauen so seien. Und das ergäbe für mich keinen Sinn, wenn der Film andere Frauen anders zeigt.
Aber auch so finde ich diese Sichtweise ein bisschen problematisch. Ist Robert dann ein Männer-Klischee, weil er genauso wenig verstanden wird? Oder gibts dieses Klischee bei Männern nicht, weshalb man Oppenheimer so charakterisieren darf und Tatlock nicht? Das fänd ich dann ehrlich gesagt etwas problematisch. Irgendein Klischee von irgendjemandem wird man immer bedienen. In meinen Augen spiegelt die Rolle die Jean Tatlock, wie sie im Buch geschildert wird sehr gut wieder.
Casino Hille hat geschrieben: Heute 02:50
Nolan wollte bestimmt eine Frau abseits der gesellschaftlichen Normen zeigen, aber angekommen ist bei mir eine hysterische wankelmütige Nervensäge ("Ich will nichts von dir" - "Ja, aber du rufst doch dauernd an" - "Ja, dann geh halt nicht ran"...), die vielleicht hinter ihrer Fassade Depressionen verbirgt, aber kaum wird das mal richtig angedeutet, hat sie auch schon für die Kamera blank gezogen (Mann soll ja was geboten bekommen) und lässt sich von Oppi verwöhnen (wobei ihr sein Vorlesen wohl mehr Vergnügen verschafft als seine körperliche Leistung).
Sie zieht sogar blank bevor das überhaupt angedeutet wird. Die erste gemeinsame Nacht findet direkt im Anschluss an ihren ersten Dialog inklusive des Bedürfnisses nach "Wiggle-Room" (natürlich nur innerhalb des Denkens) statt. Hätte man die Szene auch so filmen können, dass die Körper unter der Bettdecke verdeckt gewesen wären? Vermutlich. Aber ich glaube es wäre weniger Effektiv gewesen.
Casino Hille hat geschrieben: Heute 02:50
Und klar ist die Szene male gaze-y, was auch sonst.
Die Szene ist "Oppenheimer-gazey", siehe oben

Und der ist nun mal male. Ich muss wirklich sagen, dass ich Murphy in dieser Szene fast genauso gern beobachte wie Pugh (zugegeben, nur fast). Da passiert so viel in seinem Gesicht, da wird so viel über die Beziehung erzählt. Ich entdecke da bei jeder Sichtung mehr Nuancen.
Casino Hille hat geschrieben: Heute 02:50
Murphy hält sein Gemächt ja auch nicht in die Kamera
Das dürfte im Rahmen einer solchen Szene auch nicht hollywoodkonform sein, oder

Zumindest wäre es mir neu, dass es Hollywoodfilme gibt, die die primären Geschlechtsorgane im Rahmen von Sexszenen zeigen.
Casino Hille hat geschrieben: Heute 02:50
Nolans Absichten mit der Tatlock-Figur sind mir insgesamt durchaus klar (sie sind in der Tat ziemlich offensichtlich), aber ich finde es weder inszenatorisch noch skriptseitig gelungen umgesetzt.
Das ist ja wie gesagt völlig ok, nicht jeden erreicht das. Deine bisherigen Formulierungen ließen nur vermuten, dass du diese tatsächlich sehr offensichtlichen Absichten nicht mal siehst. Und das hätte mich dann doch schwer verwundert.
Casino Hille hat geschrieben: Heute 02:50
und die andere ist ein betrunkenes Wrack, die ihre Leinwandzeit größtenteils mit Schreien oder Betrunkensein verbringt.
Tut sie das denn? Man sieht sie zwar oft mit Alkohol hantieren, aber betrunken sehen wir sie nur einmal. Und schreien sehen wir sie eigentlich nur zweimal. Und ich war dieses Mal überrascht wie oft wir sie insgesamt sehen. In meiner Erinnerung war ihre Rolle kleiner. Stattdessen ist sie immer wieder dabei. Der Zwiespalt zwischen Bewunderung für Robert und Frustration über ihr eigenes Leben wird da in meinen Augen sehr gut gezeigt. Und ganz im Ernst: Im Film kommt Kitty in meinen Augen deutlich besser weg als im Buch wo ich deutlich weniger redeeming Qualities sehe.
Casino Hille hat geschrieben: Heute 02:50
Mein Eindruck, dass Nolan als Autor vor allem ein Problem mit weiblichen Figuren hat, speist sich nicht aus einem Charakter, sondern aus der Summe all seiner weiblichen Figuren.
Ich könnte jetzt mies sein und diese Figuren vor allem seinem Bruder Jonathan zuschreiben, so wie du schonmal die in deinen Augen gelungeneren Skripte seinem Bruder zugeschrieben hast, schließlich stammen die meisten von Nolans Frauenfiguren gar nicht aus seiner eigenen Feder. Lediglich Kat und Priya aus Tenet sind zu 100% aus Christopher Nolans Feder. Aber so mies will ich mal nicht sein
Casino Hille hat geschrieben: Heute 02:50
Ansonsten freut es mich, wenn du da in Jean Tatlock eine mehrdimensionale Frauenpersona siehst, keine Hypersexualisierung wahrnimmst und das alles tiefgründig und toll findest. Ich gönne es dir. Ohne jede Ironie.
Dankeschön. Ebenfalls ohne Ironie.
Ja, tatsächlich ich finde den Film und auch die meisten seiner Charaktere wirklich großartig. Mit der vierten Sichtung hat es bei mir endgültig Klick gemacht und er ist von 9/10 auf 10/10 gestiegen und zu meinem Lieblingsnolan geworden. Ich kann den wirklich immer wieder schauen und das ist bei einem 180 Minuten Film dann doch eher eine Seltenheit.