Der Bestechliche

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Frost/Nixon

Als 1974 der Watergate-Skandal den ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon zu Fall brachte, war das ein Medienereignis: 400 Millionen Zuschauer sahen seine letzte Präsidentschaftsrede live im Fernsehen. Einer von ihnen war der Talkshow-Moderator David Frost, dessen Karriere zu dem Zeitpunkt stagnierte. Doch die Quoten von Nixons Abgang brachten ihn auf eine Idee: Ein Interview mit diesem Mann könnte seine Chance auf Nobilitierung bedeuten. Dafür riskierte er alles: Da kein TV-Sender ihn finanziell unterstützen wollte, bot er Richard Nixon stolze 600.000 Dollar, um ihn aus seinem Domizil an der Westküste zu locken. Der nahm an. Er wollte sich mitteilen, seine politische Reputation wiederherstellen.

Seine Berater fanden, Frost sei dafür der ideale Mann. Sie nahmen den übertrieben schick gekleideten Ausländer, dessen bis dato größtes Interview er mit den Bee Gees führte, nicht für voll, erachteten ihn bloß als Stichwortgeber, den das rhetorische Genie Richard Nixon leicht austricksen könne. Sie sollten sich irren. Gewaltig. Das Interview, aufgeteilt auf 12 Tage, mit einer Gesamtlänge von 28 Stunden, wurde für Nixon zum Desaster. Frost nagelte ihn beim Thema Watergate fest und bot ihm den Prozess, dem er zuvor entkommen war, weil – zum Ärger eines Großteils des US-amerikanischen Volkes – sein Präsidentschaftsnachfolger Gerald Ford ihn für sämtliche Vergehen vollständig begnadigte. Das Gespräch mit Nixon, das in vier 90-minütigen Sendungen ausgestrahlt wurde, schrieb TV-Geschichte. Die letzte Ausgabe zog 45 Millionen US-Zuschauer vor die Flimmerkisten – bis heute ein Talkshow-Rekord. Frost gewann das Interview, das längst ein Duell geworden war.

Ein Duell, welches den gefeierten britischen Autoren Peter Morgan drei Jahrzehnte später zu einem Theaterstück inspirierte. 2006 wurde die Geschichte um die Vorbereitung des Interviews und die schicksalsträchtige TV-Aufzeichnung in London uraufgeführt, so erfolgreich, dass es kurz darauf auch am Broadway gespielt wurde. Doch eine Geschichte, die ihren Ursprung auf den Bildschirmen nahm, findet wohl unweigerlich dorthin zurück – so erschien bereits 2008 die verfilmte Version in den Kinos. Das Drehbuch dafür schrieb Peter Morgan gleich selbst, als Regisseur kam Ron Howard an Bord. Er hatte schon zuvor biografische Geschichten angenommen und sie in Filmen wie „Apollo 13“ und „A Beautiful Mind“ zu glossigen, rührseligen Hollywood-Melodramen umfunktioniert.

Bei „Frost/Nixon“ ist davon keine Spur mehr: Er geht das intellektuelle Sujet ernst an, widersteht jedem Versuch, sich mit kitschigen oder sentimentalen Elementen dem Massenpublikum anzubiedern. Bravourös und raffiniert gelingt es ihm, die kammerspielhafte Spannung des Bühnenstücks auf die Leinwand zu transportieren. Dabei machen er und sein Kameramann Salvatore Totino übermäßig Gebrauch von dem filmischen Stilmittel, welches bereits beim Theaterstück Verwendung fand: die Nahaufnahme. Dank Kameras auf der Bühne konnten die Zuschauer über Monitore direkt in die Gesichter der Schauspieler gucken. Schon für das Theater war dies ein brillanter Einfall, denn Morgans Stück ist als große Medienkritik zu verstehen: Wie Politik zu einer einzigen Inszenierung wird, zur Show, in der die Akteure nur an Optik und Auftreten gemessen werden, ist das substanzielle Futter dieser Interview-Adaption.

Frost etwa versprüht stets einen ungeheuren Charme, das Scheinwerferlicht schmeichelt ihm. Nixon wiederum taugt nicht zum Charismatiker, die Fernsehkameras sind ihm nicht gnädig. Experten gehen davon aus, dass er die Präsidentschaftswahl 1960 gegen John F. Kennedy deshalb verlor, weil im TV-Duell die Schweißperlen auf seinem Gesicht in den Nahaufnahmen deutlich zu erkennen waren und er so auf das TV-Publikum unprofessionell wirkte. Am Ende des Films sinniert der Republikaner, beide hätten das falsche Leben gewählt: Er wäre als unbequemer Fragesteller ideal gewesen, Frost hätte es dagegen als Politiker weit gebracht.

Die Umsetzung als 122-minütiger Kinofilm rechtfertigen allein schon das Dekor, die Frisuren, die authentischen 70s-Klamotten sowie das detailverliebte Produktionsdesign: Gedreht wurde an Originalschauplätzen, in Nixons Haus in San Clemente sowie in Frosts Hotel-Suite. Hans Zimmer steuerte die Filmmusik bei und verzichtete auf seine bekannte Bombast-Untermalung, stattdessen bietet er herausragende leise Zwischentöne. Die Bühnenversion aber liefert die wichtigsten Ideen zur Inszenierung: Im Theater wendeten sich die Berater der beiden Widersacher direkt mit ihren Kommentaren an das Publikum. Howard behält dies bei, indem er wiederholt Szenen einschiebt, in denen die Charaktere aus dem Rückblick berichtend in die Kamera erzählen, so als sei „Frost/Nixon“ kein Spiel-, sondern ein Dokumentarfilm – womit er Morgans medienkritischem Ansatz eine zusätzliche Metaebene überstülpt.

Zu einem so delikaten Vergnügen wird „Frost/Nixon“ aber erst durch seine Besetzung. Für die Hauptrollen wurden die Bühnenstars der Erstbesetzung zurückgeholt. Michael Sheen spielt somit David Frost. Brillant verkörpert er den Moderator als Karrieristen, der die Herausforderung sucht und dabei kein Scheitern kennt. Zur Zeit der Interviews war Frost mit der Britin Caroline Cushing zusammen, und Morgan nutzt diese Beziehung, um Frost als Playboy zu zeigen, der sich nimmt, was er will: Im Flugzeug lernt er Cushing kennen, bezaubernd von Rebecca Hall gespielt. Mit selbstsicherem Perlweiß-Grinsen erobert er in Windeseile ihr Herz.

Frank Langella, der für seine Bühnen-Performance als Richard Nixon mit einem Tony-Award geehrt wurde, steht dem in Nichts nach. Weniger machiavellistisch als 1995 noch Anthony Hopkins in „Nixon“ von Oliver Stone, verkörpert er den Staatsmann als intelligenten, widerstandsfähigen Kämpfer, der sich mit dem Ruhestand nicht zufriedengibt – und dabei eine fatalistische Selbstsicherheit ausstrahlt. Das Skript verharmlost Nixons Charakter nicht: Sein Gesicht drückt Ekel aus, als er davon hört, Frost sei einmal mit einer schwarzen Frau, der Schauspielerin Diahann Carroll, verlobt gewesen. Doch Morgan ist bemüht, Nixon als Menschen zu zeigen und Langella spielt auch auf der Leinwand so phänomenal, dass er zurecht bei den Oscars als ‚Bester Hauptdarsteller‘ nominiert wurde (vier weitere Nominierungen gab es in den Kategorien ‚Bester Film‘, ‚Beste Regie‘, ‚Bestes adaptiertes Drehbuch‘ und ‚Bester Schnitt‘, doch der Film ging leer aus).

Auch die restlichen Schauspieler sind grandios: Kevin Bacon ist als loyalster Vertrauter von Nixon sensationell, übertroffen wird er nur von Sam Rockwell, der als idealistischer Liberaler mit dem nach Ruhm gierenden Frost, für den er zu Watergate recherchiert, in Konflikt gerät. Er ist fassungslos, als Nixon sich in den Interviews aufgrund von Frosts Unachtsamkeit leicht aus jeder Misere reden kann. Auf die peinlich-provokante Einstiegsfrage, warum er die Tonbandmitschnitte aus dem Oval Office, die gegen ihn verwendet wurden, nicht einfach verbrannt habe, antwortet Nixon mit einer erschlagenden 23-minütigen Rede, welche der Frage ultimativ ausweicht. Später gesteht er ein, den Vietnamkrieg nach Kambodscha ausgeweitet zu haben, aber doch nur, um damit Waffenlager der Kommunisten zu vernichten – womit er vielen US-Soldaten das Leben gerettet hätte. Gegen diese rasiermesserscharfe Artikulationswucht kommt Frost lange nicht an.

Ihr verbales Kräftemessen ist psychologisch dermaßen eindringlich geschrieben und so dicht an der Wirklichkeit, dass die Versuchung groß ist, sich zu der Phrase „Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst“ hinreißen zu lassen. Die beste Szene dieses Films aber schrieb das Leben nicht, sie ist gänzlich fiktiv. Wenige Nächte vor dem letzten Interview ruft ein betrunkener Richard Nixon seinen Gegenspieler in dessen Hotelzimmer an. Er erklärt Frost in einem geradezu gespenstischen Monolog, wie viel sie verbinde: Sie beide stammen aus der Arbeiterklasse, haben sich in die elitären Kreise hocharbeiten müssen, sich jede Schwäche, jede Verletzlichkeit abtrainiert. „Haben die Snobs auch auf Sie herabgeblickt?“, fragt er. Seine Stimme bricht.

Kein noch so meisterhafter Watergate-Film kann gedreht werden, ohne Assoziationen mit „Die Unbestechlichen“ zu wecken, jenem grandiosen Journalismus-Thriller, der schon 1976 von den Mitarbeitern der Washington Post erzählte, deren Recherche-Arbeit erst das ganze Ausmaß des Skandals aufdeckte und Nixon das Amt kostete. Doch an noch einen anderen Film aus demselben Jahr erinnert „Frost/Nixon“. Wie er die Geschichte der Interviews als Underdog-Fabel verpackt, um einen David, der einen übermächtigen Goliath zu Fall bringt, ähnelt dem wohl größten Aufsteigermärchen des US-Kinos: „Rocky“. Kein Zufall! Als Morgan die Arbeit am Theaterstück begann, stellte er sich zuallererst tatsächlich die Frage: „Wie erzähle ich einen Boxkampf nur durch Dialoge?“

Folgerichtig entscheidet in „Frost/Nixon“ am Ende ein einziger vernichtender Fausthieb das Duell: Habe er das Volk nicht mit seinem Handeln im Watergate-Skandal verraten, fragt Frost sein Gegenüber. Könne er wenigstens diesen einen Fehler, diese Straftat eingestehen? „Nein“, entfährt es Nixon. „Wenn der Präsident etwas tut, bedeutet das, dass es nicht illegal ist.“ Ein Satz, der – wie ein zeitgenössischer Spiegel-Artikel schrieb – so klingt wie: „Der Führer hat immer recht.“ Dieser eine Satz offenbarte die ungeheuerliche Hybris Nixons. Er brachte einer ganzen Nation die bitternötige Katharsis, und ließ Frost triumphierend aus dem Ring gehen. Sieg durch Knockout.
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Re: A Process of Discovery – Die Filme des Ron Howard

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Nachdem ich von The Post (Spielberg) so angetan war, habe ich gerade den seit mehr als 10 Jahren hier liegenden Frost/Nixon von Howard gesehen.

Beide Hauptdarsteller legen eine gute Leistung an den Tag und überzeugen im TV-Duell vollends. Sicherlich gab es ein paar fiktive parts, wichtig sind aber sie welche es eben nicht sind. Spannend, stark gespielt und toll inszeniert. Großes Kino.

8/10

Re: A Process of Discovery – Die Filme des Ron Howard

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Dreizehn Leben (2022) - Ron Howard

Die Karriere des zuvor so selbstverständlich zwischen guten und sehr guten Unterhaltungsfilmen pendelnden Howard hat in den letzten 10 Jahren leider nicht mehr allzu viel überzeugendes zu Tage gebracht. Umso erfreulicher (und auch überraschender), dass er mit Dreizehn Leben nun zu alter Stärke zurückkehrt, gerade so, als ob es das letzte Jahrzehnt voller filmischer Abnutzungserscheinungen nie gegeben hätte. Denn sein neuster Film über die schier unglaubliche Rettungsaktion eines in einer überfluteten Höhle eingeschlossenen thailändischen Fußballteams ist vor allem eines: wie aus einem Guss. Alle beackerten Gebiete funktionieren gleichermaßen gut, sowohl was die dramatischen Komponenten angeht, als auch die Spannungs- und Actionelemente wie auch die figürliche Ausarbeitung. Gerade letztere ist auch deshalb bemerkenswert, da Howard rein in Bezug auf die dafür verwendete Laufzeit gar nicht mal allzu viel investiert, dafür aber umso prägnantere und charakterdefinierende Momente einsetzt. Hier hilft es natürlich auch ungemein, dass er mit den "alten Knochen" Farrell, Edgerton und vor allem Mortensen eine absolut maßgeschneiderte Besetzung am Start hat, die ihren Figuren kraft ihrer darstellerischen Erfahrung und ihres Charismas weiteren Tiefgang verleiht. Hinzu kommt eine gut eingefangene Atmosphäre und eine sich vor allem in der zweiten Filmhälfte immer weiter anziehende Spannungsschraube, was dazu beiträgt Dreizehn Leben zu einem der besten Werke in Howard Oeuvre zu machen. Fazit: Respekt, Mr. Howard, einen so großen Wurf hätte ich nicht mehr von ihnen erwartet!

Wertung: 9 / 10

"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: A Process of Discovery – Die Filme des Ron Howard

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Hat jemand schon den neuen Ron Howard Film "Eden" gesehen? Hat mich im Kino richtig begeistert. Jude Law und Vanessa Kirby haben sich 1929 auf die Galapagos-Inseln zurückgezogen, um dem Leben in der Zivilisation zu entfliehen. Law ist ein Philosoph, der in der Stille der Natur an seinen Abhandlungen arbeitet, während Kirby sich in niederer Farmarbeit vergnügt. Dann stehen aber plötzlich Daniel Brühl, Sydney Sweeney und deren gemeinsames Kind vor ihnen. Sie waren ganz begeistert vom Lebensmodell des Philosophen und wollten ihm daher nacheifern. Um die Familie schnell loszuwerden, empfiehlt er ihnen, ihr Lager an einer bestimmten eher untauglichen Stelle aufzuschlagen. Dummerweise entpuppen Brühl und Sweeney sich als Survivalist-Naturtalente und schnell haben sie sich die deutlich beeindruckendere Ernte erarbeitet. Und dann kehrt noch mehr Besuch auf der Insel ein: Jetzt möchte auch noch Ana de Armas als irgendeine Baroness auf der Insel ein Hotel für Millionäre erbauen, und plant, die beiden Paare gegeneinander auszuspielen, um die Insel für sich zu beanspruchen. Bald jagt eine Intrige die nächste und - man ahnt es - irgendwann gibt es Tote.

Mich hat das wunderbar unterhalten. Manche werden "Eden" etwas zu langsam finden, andere werden beanstanden, seine Aussagen zur menschlichen Natur wären nicht tiefsinnig genug. Beides kann ich nachvollziehen, aber mir gefiel diese immense Atmosphäre, die Howard aufbaut, und er hat hier wirklich leichtes Spiel, dreht er doch an einem der schönsten Orte der Welt, mit fünf Darstellern, die alle exzellent auftreten, und auch viel gutes Material bekommen. Insbesondere die drei Frauen sind köstlich, wobei das besondere Highlight Ana de Armas als Premium-Bitch darstellt. Man würde sie für ihr wirklich unfassbar freches und boshaftes Verhalten eigentlich schütteln, gleichzeitig hat sie so offensichtlich viel Spaß daran, die "Störerin des Friedens" zu spielen, ich war beinahe auf ihrer Seite an einigen Stellen. Es gab Szenen, in denen spitzt Howard die misslichen Situationen der Figuren so gekonnt zu, dass mir richtig die Hände schwitzten (mehr dazu im Spoiler-Teil). Der tolle Soundtrack von Hans Zimmer (oder wer auch immer sich in diesem Fall hinter dem Namen verbirgt) tut sein Übriges.

Es ist ein für Ron Howard ungewöhnlicher Film, ein Film mit einem schwarzen Herzen und schlechter Laune, der seinem Publikum und seinen eigenen Figuren nicht wohlgesonnen ist. Die grimmige Geschichte, die übrigens auf wahren Begebenheiten beruht (allerdings recht lose diese widergibt, mit eigener Interpretation), ist deutlich düsterer und gemeiner, als man es von Howard gewohnt ist. Er war eigentlich immer ein Komfort-Filmemacher, selbst in seinen vielen "Based on a True Story"-Filmen, sei es "Apollo 13", "Frost/Nixon" oder "A Beautiful Mind". Diese Haltung lässt sich hier nicht mehr erkennen, und das ist für ihn so spät in seiner Karriere nochmal eine nette neue Duftnote. Die Kritiken sind leider insgesamt eher mittel, aber ich bin wirklich angetan und streckenweise sogar begeistert, überlege glatt, ein zweites Mal ins Kino zu gehen. Zwischen 8-9/10 sind das also auf jeden Fall, und damit ein bisheriges Highlight des Filmjahres. Unerwartet, aber nicht unerfreulich.
Spoiler
Zwei Szenen muss man hervorheben: Einmal wäre da die Geburt von Sydney Sweeneys Kind. Sie wird im Laufe der Handlung schwanger und zu einem Zeitpunkt setzen bei ihr plötzlich und ruckartig die Wehen ein. Meine Fresse, was für eine spannungsgeladene Szene! Ihr Mann und ihr Sohn sind gerade auf der Jagd, als die Geburt unvorhergesehen beginnt, und was wir wissen, Sweeney aber nicht: Es befinden sich zwei Einbrecher in ihrer Hütte, angestachelt von der Baroness, um Essen zu stehlen. Die Männer sind offensichtlich gewillt, Sweeney sofort zu töten, sollte diese etwas bemerken. Durch ihre Wehen stark abgelenkt, tänzelt sie unwissentlich um die Einbrecher herum, ehe sie plötzlich auf freier Fläche von aggressiven Hunden umzingelt wird. Die Viecher schnappen schon nach ihr, während sie mit einem Stock versucht, sie abzuwehren, da schreit sie auf einmal laut den Hunden entgegen und ihr plumpst buchstäblich das Kind aus dem Körper. Wow, wow, wow! Irre.

Die andere tolle Szene ist das Mittagessen bei der Baroness, in dem erstmals (und zum einzigen Mal) alle Hauptfiguren versammelt sind und gegenseitig versuchen, die Gesprächshoheit zu gewinnen. Das ist schon sensationell, wie insbesondere De Armas und Law diese Szenen spielen und verzweifelt um Dominanz ringen. Die De Armas Figur haut da eine hassenswerte Spitze nach der anderen raus, in jede Richtung, es ist eine helle Freude - zumindest wenn man es genießt, wenn Charaktere so richtig hässlich zueinander werden. Spätestens ab dieser Szene war mir auch klar, auf was der Film eigentlich hinauslaufen muss und der Ausgang hat mich da nicht enttäuscht.
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Re: A Process of Discovery – Die Filme des Ron Howard

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iHaveCNit: Eden (2025) – Ron Howard – Leonine
Deutscher Kinostart: 03.04.2025
gesehen am 16.04.2025
Cineplex Wiesbaden – Apollo Kinocenter – Atelier – Reihe 4, Platz 6 – 19:45 Uhr


Anfang der 30er-Jahre. Heinz und Margret Wittmer reisen mit ihrem an Tuberkolose erkrankten Sohn Harry inspiriert von den Berichten von Friedrich Ritter und Dore Strauch auf die von den beiden besiedelte Galapagos-Insel Floreana. Ihre Ankunft wird von Ritter und Strauch mit gewissem Argwohn betrachtet. Dieser Argwohn wird noch größer als die Baroness Eloise Wehrborn Wagner De Bosquet mit ihren Liebhabern und den Ambitionen eine Hacienda auf der Insel zu errichten, auf der Insel ankommt. Inmitten des Wunschs nach Ruhe, dem Mangel an Ressourcen und entsprechenden Ambitionen und Machtansprüchen dauert es nicht lange, bis die Lage durch zwischenmenschliche Spannungen und Manipulationen zu eskalieren droht.

Ron Howard widmet seinen neuen Film einer sehr interessanten, historischen Begebenheit, die sich so ähnlich damals während der ersten Besiedlung auf der Galapagos-Insel Floreana – beziehungsweise „Santa Maria“ oder „Charles“ - zugetragen hat. Aus dieser historischen Begebenheit erschafft Howard durchaus einen farblich eher tristeren, düsteren Film, dessen Atmosphäre durchaus als düster, fies und lebensfeindlich beschrieben werden kann. Er ist eine interessante Mischung aus Survivalthriller und Historiendrama, hat aber etwas ganz besonders spezielles zu bieten – neben einer unheilvollen, unterschwellig aufbauenden Spannung sorgt vor allem das großartige Ensemble mit Jude Law, Vanessa Kirby, Daniel Brühl, Sydney Sweeney und Ana De Armas sowie Felix Kammerer, Toby Wallace, Jonathan Tittel, Richard Roxburgh und Ignacio Gasparini in weiteren Rollen, weil die zwischenmenschliche Komponente den Film so unfassbar spannend und lebendig werden lässt. Wie sich hier die Dynamiken durch Manipulationen und wechselnde Machtverhältnisse verändern ist einer der ganz großen Pluspunkte des Films – neben natürlich einer unfassbaren Darstellung von Ana De Armas, die so herrlich vielseitig manipulativ sein darf und gekonnt mit ihren Reizen spielt – während das zum Glück bei einer Sydney Sweeney mal nicht der Fall ist, die hier nicht auf ihre natürlich vorhandenden Reize reduziert wird und in der Normalität ihrer Rolle zur Höchtsform auflaufen darf. Beide sind große darstellerische Highlights des Films, so dass sie nicht nur Szenen, sondern die gesamte Show stehlen dürfen.

„Eden“ - My First Look – 9/10 Punkte
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: A Process of Discovery – Die Filme des Ron Howard

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Eden, 2024 - Ron Howard

Eden von Ron Howard entfaltet sich langsam, aber mit stetig wachsender Sogkraft. Der Film zieht einen in seinen Bann, und je länger man zuschaut, desto unmöglicher wird es, die Augen abzuwenden. Was zunächst wie ein Paradies erscheint – eine von der Außenwelt abgeschnittene Insel – verwandelt sich zunehmend in ein Abbild menschlicher Abgründe, in ein klaustrophobisches Kammerspiel über Macht, Kontrolle und moralisches Versagen.

Die Handlung folgt einer Gruppe von Menschen, die auf einer entlegenen Insel scheinbar ein neues, besseres Leben aufbauen wollen – frei von den Zwängen der alten Gesellschaft. Doch mit der Zeit offenbaren sich Spannungen, dunkle Geheimnisse und der wahre Charakter der Beteiligten. Aus der anfänglichen Utopie wird ein brüchiges Machtgefüge, in dem jede*r versucht, Vorteile für sich zu sichern – koste es, was es wolle.

Sydney Sweeney liefert dabei die eindrucksvollste Darbietung des Films. Besonders in emotional und körperlich fordernden Szenen – etwa einer intensiv gespielten Geburtsszene – zeigt sie eine rohe, beinahe verstörende Authentizität. Auch Daniel Brühl, Vanessa Kirby und Jude Law überzeugen durchweg. Letzterer porträtiert einen Mann, der sich über die Gesellschaft erhebt, sich ihr entzieht, um ein bibelähnliches Werk zu schreiben – eine Anleitung zur menschlichen Erneuerung. Doch als ihn die Gesellschaft einholt, verfällt auch er genau den Mustern, die er einst verachtete.

Ana de Armas spielt eine Figur, die weniger durch Kälte als vielmehr durch Verführung und Charme versucht, Kontrolle auszuüben. Sie nutzt gezielt ihre Schönheit und Ausstrahlung, um Menschen zu manipulieren und um den Finger zu wickeln – doch hinter der Fassade blitzen immer wieder eiskalte, egoistische und narzisstische Züge hervor. Diese Mischung aus Oberfläche und Abgrund verkörpert sie überzeugend.

Der Film lebt von einem ständigen Spiel zwischen den Figuren, das von Intrigen, Sabotage und Verleumdung durchzogen ist. Die Charaktere sind keine psychologisch komplexen Figuren – sie sind genau das, was sie im Film verkörpern sollen: Träger menschlicher Triebe. Held:innen sucht man hier vergebens. Und je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr weicht der Panorama-Stil der frühen Szenen engen Nahaufnahmen, die das Ungefilterte, das Hässliche im Menschen bloßlegen.

Eden zeigt entblößte Menschlichkeit – ähnlich wie man es von Trash-TV-Inhalten kennt, nur hier ernst, tiefgreifend und ungeschönt. Es geht um das Animalische im Menschen, das früher oder später durchbricht. Keine Idealisierung, kein moralischer Überbau. Nur roher Instinkt.

Ein unbequemes, aber intensives Werk – mit starker Inszenierung und einem Ensemble, das sich traut, menschliche Abgründe offenzulegen. Angenehm ungewohnt für Ron Howard, der in der Regel eher glatte Hochglanz-Blockbuster inszeniert.

8/10

Re: A Process of Discovery – Die Filme des Ron Howard

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danielcc hat geschrieben: Gestern 11:37 Keine 50 Tausend Zuschauer in Deutschland. Muss man bei dem Cast erstmal schaffen. Gratulation
Filmstars gibt es schon lange nicht mehr.
Für einen großen Hit braucht man heutzutage eine beliebte "Marke". Und das sind nicht mehr die Schauspieler.

"Eden" basiert zwar auf wahren Ereignissen, die aber in Deutschland nicht sehr bekannt sind.

Der Film hatte auch schon im September in Toronto Weltpremiere. Das er nur tröpfelnd über viele Monate verteilt in einigen Ländern ins Kino kommt, zeigt auch, dass kein großes Vertrauen in die Auswertung gesteckt wird.

Re: A Process of Discovery – Die Filme des Ron Howard

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Casino Hille hat geschrieben: Gestern 13:38 Aber interessant: Der Film kommt in Summe nur mittel weg, aber gleich drei Kernuser des Forums hier finden ihn super!
Was in der Tat ein klares Indiz dafür ist, dass der Film nicht erfolgreich sein kann ;-)

Spaß beiseite. Werden solche Filme eh nur noch fürs Streaming gemacht? ich verstehe es nicht. Warum macht man einen Film für den es dann keine Werbung gibt?
"It's been a long time - and finally, here we are"

Re: A Process of Discovery – Die Filme des Ron Howard

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Ich hab für Eden sogar relativ viel Werbung gesehen, gerade auf Social Media. Kaum verwunderlich, wenn mit Ana de Armas und Sydney Sweeney zwei der aktuell angesagtesten Stars bei jungen Menschen mitspielen.

Aber es ist eben ein düsterer Stoff, nicht wirklich massentauglich, schwer zu vermarkten.
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Re: A Process of Discovery – Die Filme des Ron Howard

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Sydney Sweeney und Ana de Armas in einem Film und man kriegt es fast nicht mit, dass der Film im Kino läuft.

Ich habe vor ein paar Wochen einmal einen Trailer und kürzlich ein Poster gesehen, sonst hätte ich es auch nicht mitbekommen, dass der schon im Kino ist.

Die müssen sich echt bessere Werbekanäle fürs Kino suchen. Wieso sehe ich keine Werbung dafür auf X und Co.?
Bond... JamesBond.de